„Sie eignen sich zum Rindvieh!“


„Sie eignen sich zum Rindvieh!“

Schulauseinandersetzung anno 1885

Mit großer Aufmerksamkeit wurde die Sitzung des Königlichen Schöffengerichts zu Radeberg am 30. Dezember 1885 verfolgt. Schlossermeister Moritz Otto Messerschmidt gegen Schullehrer Glaser lautete der zweite Punkt der zu verhandelnden Klagesachen. Messerschmidt hatte den sogenannten „Criminalitätsweg“ beschritten, da vorinstanzliche Beschwerden des in „väterlicher Gewalt handelnden Radeberger Bürgers“ nicht fruchteten.

Was war geschehen? Im zweiten Halbjahr des Jahres 1884 fehlten Mitschülerinnen der Marie Louise Messerschmidt oftmals Utensilien, die im Schulunterricht gebraucht wurden. Als am 2. Januar 1885 einer Schülerin wieder ein Buch fehlte, stellte Lehrer Glaser die Messerschmidt vor der gesamten Klasse zur Rede. Sie leugnete jedes Verschulden, obwohl immer wieder einzelne Kinder sie in der Auseinandersetzung verdächtigten. Glaser brachte nunmehr die vermeintlichen Handlungen der Messerschmidt mit einem Vorfall aus dem Jahre 1883 in Verbindung. Marie Louise hatte aus einer Kollektenbüchse an der Kirchtür ein Zehnpfennigstück herausgenommen und für sich verbraucht. Dafür erhielt sie eine zweitägige Karzerstrafe bei Wasser und Brot. „Wer unsere heilige Kirche bestiehlt, ist immer wieder ein Dieb!“ soll Glaser vor der Klasse gesagt haben. Marie Louise Messerschmidt verließ noch während der Auseinandersetzung die Klasse und ging zu ihrem Vater.

Dieser eilte spornstreichs in die Schule und stellte vor allen Schülerinnen den Lehrer zur Rede. Glaser verwies den erregten Vater aus dem Klassenzimmer und drohte mit einer Gefängnisstrafe, wenn der Vater dem nicht nachkomme. Vater und Tochter verließen die Schulstube.
Am Nachmittag setzte Messerschmidt eine Beschwerdeschrift an den Schuldirektor, den Stadtpfarrer als Aufsichtsbehörde und den Stadtrat auf. Er bezichtigte den Lehrer der „schweren Beleidigung“ seiner Tochter und damit der gesamten Familie Messerschmidt. Die Tochter hätte für ihr Vergehen gebüßt und es gelte auch im strafrechtlichen Sinne die Maßgabe, dass Marie Louise diese Tat nicht mehr vorgehalten werden dürfe. Er forderte Genugtuung in Form eines Geldbetrags und der öffentlichen Missbilligung des Lehrers.

Radebergs Lehrerkonferenz lehnte das Ansinnen des Vaters ab. Dieser beschwerte sich daraufhin beim Schulinspektor und als die Antwort auch hier negativ für ihn ausfiel bei der Königlichen Kultusbehörde in Dresden. Zugleich schilderte er in mehreren Innungs- und Vereinsversammlungen das Vergehen des Kirchners und Schullehrers Glaser. Eine Reihe Radeberger nahm Partei für Messerschmidt und forderte sogar Schulreformen. Manches Wort soll dabei gefallen sein. So hatte der Gewerkvereinschef die Lehrer mit Rindviechern verglichen.

In der Auseinandersetzung vor dem Schöffengericht plädierte Amtsrichter Tränckner auf Freispruch des Lehrers. Zuvor hatte Rechtsanwalt Oertel eine umfangreiche Würdigung der Person des Lehrers und der zutreffenden Paragrafen des Reichsstrafgesetzbuches vorgenommen. Messerschmidt hatte keinen Anwalt genommen. Die Kosten des Verfahrens musste er zu Dreiviertel und Glaser zu einem Viertel tragen. Im Schlusswort sagte Messerschmidt zu Glaser und seinem Anwalt „Sie eigenen sich zum Rindvieh!“ Dies wurde von den Zuhörern mit Beifall quittiert. Was ihnen neuen Ärger, wegen Missachtung des Gerichts einbrachte. Messerschmidt sah sich einer Beleidigungsklage gegenüber, klagte aber andererseits vor dem Landgericht in Dresden erneut gegen Glaser. „Dadurch dass Glaser einen Teil der Kosten zu tragen hätte, sei seine Schuld zumindest teilweise erwiesen“. Alle Klagen Messerschmidts blieben erfolglos, für seine Beleidigung des Lehrers und Anwalts musste er je 30 Mark Bußgeld berappen.

haweger

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