Wie ist das mit der Auslüftung?


Sommereskapaden und Späße in Radeberg

Mehrere Artikel in der Radeberger Zeitung und diverse Akten bezeugen es, unsere Vorfahren trifteten vor 90 Jahren in die Welt der Sittenlosigkeit und neuer Gefühle. Anstoß nahm man an der sogenannten „Auslüftung der Erwachsenen“. So hatte man im Jahre 1926 sich auf den Sportplätzen an der Schillerstraße „in allzu leichter männlicher und weiblicher Behosung ergangen und somit vieles den neugierigen Blicken ausgesetzt“. Auf die Intervention gleich mehrerer Gegner einer „modernen“ Sommerbekleidung wurden Maßstäbe gefordert, wie weit „kniefrei“ in Radeberg zu gelten habe. Beim Sport jedenfalls sollten die Hosen an das Knie heranreichen und Frauensport sollte in allen Fragen auf den Prüfstand. Radebergs Stadträte berieten praktisch in Permanenz als hätte es nicht dringenderer Lösungen, zum Beispiel im Wohnungsbau bedurft.

Das Frühjahr 1927 deutete dann an, was im Sommer Praxis wurde. Auf den Sportplätzen gab es nur noch „sittenreinen“ Sport zu sehen. Die sich auch in Radeberg entwickelnde FKK – Bewegung ging mit ihren „sportlichen Ambitionen“ eben an andere Stellen der Stadt. So wurden die Plätze hinter den Eselstrappen und an der Dresdener Heide in der Nähe des Forsthauses Stätten „solcher ungenierter Auslüftung“. Der sittsame Spaziergänger wurde gewarnt, dort entlang zu gehen. Doch man erreichte wohl eher die menschliche Neugier und es gab das „Radeberger Guck-Wandern“, wie man im Stadtrat feststellte. In der Nähe der Kleinwolmsdorfer Straße machten sich Arbeitslose daran, „in der Röder nackt zu planschen“ und das ohne Eintritt.

So schrieb dann gleich ein aufmerksamer Radeberger in Gedichtform etwas über die Umstände. „Mit Gesängen, Tänzen, Fetischbildern kultiviert uns heute Afrika, und zum Schutz vor gänzlichem Verwildern ist nur noch ein schmales Schürzchen da! Er empfahl: „Solchen Unfug auszurotten scheint es mir die höchste Zeit, denn wir sind doch keine Hottentotten! Oder sind wir wirklich schon so weit?“

Höhepunkt der „Entlüftungsbewegung“ war dann die Anknüpfung an Ereignisse aus dem Jahre 1910 und 1911. Damals hatte der sich als Naturmensch bezeichnende Reinhold Hoyer für sich und seine Anhänger reklamiert, dass man auf den Straßen nackt herumlaufen dürfe. Sein Argument: „Gott hat uns nackt erschaffen!“ Erstmals wurde Hoyer am 29. August 1910 in Radeberg verhaftet als er sich auf dem Markt auszog und eine Runde im „Adamskostüm“ um den Platz drehte. Er kam mit einer Verwarnung davon. Wenige Tage später wurde er erneut verhaftet und das Radeberger Schöffengericht verurteilte ihn zu einer Geldstrafe. Hoyer argumentierte, „da Gott ihn nackt erschaffen habe, dürfe er in der Öffentlichkeit auch so herumlaufen“. Als er im Sommer 1911 ähnliches vollzog, erhielt er für Radeberg Stadtverbot.
Und nun, rund fünfzehn Jahre später gab es neue Naturmenschen.

Langanhaltende Gerichtsverfahren folgten, die Einwohner Radebergs hatten mit der sich abzeichnenden Wirtschaftskrise andere Probleme und so verflüchtigte sich die „Auslüftungsbewegung“ in Einzelaktionen und Nischen und spielte dann keine Rolle mehr.

haweger

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