Wiener Verhältnisse in Wallroda


Wiener Verhältnisse in Wallroda
1870 wurde ein Karpfenschmaus ungeheuren Ausmaßes organisiert
Hätte es damals ein Guiness-Buch der Rekorde gegeben, Wallrodas Gasthof wäre 1870 darin präsent gewesen. Es war ein Karpfenschmaus organisiert worden, wie er bis in die Gegenwart nie wieder vorkam. Allein über 1,2 Tonnen Karpfen wurden in wenigen Stunden verzehrt. In der Hauptsache nach drei Rezepten angerichtet: Karpfen blau, Karpfen gebacken und Altradeberger Karpfen. Letzterer innen gefüllt mit Kochbirnen und Lungenhaschee. Schon die Ankündigung verhieß ein geradezu sensationelles Ereignis. Der Besitzer des Gasthofes, W. Menzel, hatte seinen Gasthof für achtundvierzig Stunden abgegeben. Ein Konsortium Radeberger Fleischermeister um August Kreyer und den Mühlenbesitzer Bernhard Mittag hatte Menzel das Objekt für die Zeit ab Sonntagfrüh, dem 23. Januar 1870 bis zum Dienstagmorgen abgekauft. Etwa 24 Stunden Vorbereitungszeit standen zur Verfügung. Wallrodas Gasthof wurde in österreichisches Flair verwandelt und hieß für die kurze Zeit „Hietzinger Hof“, wie ein berühmter Ort der Gastlichkeit in Wien.
Und es gab in der Ankündigung einige Versprechungen, die zwangsläufig das Publikum anlocken mussten. So das eigentlich unübliche Versprechen, dass jeder Gast „Riesenportionen“ erhalten könne, hatte man doch bis zu zehn Pfund schwere Karpfen aus Deutschbaselitz organisiert. Versprochen wurde „feines Wiener Gebäck“, Wein aus den Weinbaugebieten Baden und der Pfalz, gutes Lagerbier und vor allem Pilsener Bier. Dazu eine Menge Überraschungen. Für „Lauffaule“ fuhren nachmittags ab 15 Uhr kostenlos sogenannte Omnibusse. Das waren mit Pferden bespannte größere Kremserwagen. Und wer etwas sich leisten wollte, konnte eine Equipage oder ein Schlitten mieten.
Der Chronist schrieb: „Schon frühzeitig war die Straße nach Wallroda stark frequentiert. Der Grund: ab 9 Uhr gab es ein billiges Stammfrühstück bestehend auf Wunsch aus Bockwurst oder Schweinebraten, dazu sieben Sorten Bier.“ Es sollen schon zu dieser Zeit über 300 Leute in Richtung Wallroda unterwegs gewesen sein, unter ihnen auch viele Arbeiter, die den noch traditionellen „Blauen Montag“ zu ihren lukullischen Gunsten nutzten. Überraschend für die frühen Gäste, ein Portier empfing die Gäste am Eingang und übergab ihnen eine Losnummer. Mit der konnte man schon mittags einen Kleiderschrank oder eine Bettenausstattung gewinnen. Und ab 15 Uhr ging es ununterbrochen bis gegen 23 Uhr um den Karpfen. Waldemar Höhne holte den Wallrodaer Essrekord. Er verspeiste „Zweihundert Gramm über acht Pfund an leckerem Karpfen, dazu anderthalb Kilo Kartoffeln und feinstes Sauer- und Rotkraut“. Dazu hat er auch noch zehn Glas Bier getrunken. Zweiundneunzig Gäste aßen mindestens sechs Pfund Karpfen. „Es war ein Schmaus wie man ihn sdo noch nie sah“, notierte der Chronist. Ab 17 Uhr spielte ohne wesentliche Pause ein mit Militärmusikern verstärktes Orchester. Letztlich vermerkte der Chronist: „Die Beteiligung war so groß, dass kein Apfel zur Erde fallen konnte und das Geschäft rein ausverkauft wurde, was nicht Wunder nahm, da die versprochenen Riesenportionen wirklich verabreicht wurden.“
Die Straße von Radeberg nach Wallroda war mit Eintritt der Dunkelheit illuminiert worden, in den Nachtstunden zum Dienstag erfolgte bengalische Beleuchtung.
Und die Überraschung zu Mitternacht? Es waren deren vier. Zum ersteren spielte ein extra engagiertes Militärtrompeterchor auf alten sogenannten Heroldstrompeten die sächsischen Hymnen. Zum zweiten gab es „lebende Bilder“, so Frau Helene beim Baden. In der Sitte der Zeit noch hinter einem großen Tuch als Schatten zu sehen. Die Stimmung heizte dann die „Wiener Sängergesellschaft um Jungfrau Therese“ an, die mit amüsanten und frivolen Liedern gefielen. Und schließlich war von eins bis drei „dauernde Damenwahl“. Die Veranstaltung war bis vier Uhr früh angemeldet, die letzten wurden in den Vormittagsstunden auf dem Heimweg gesehen.
Für das Direktorium hatte es sich gelohnt. Der „hohe Reingewinn“ wurde in Aktien des sich neu etablierenden Saxonia – Unternehmens (Vorläufer von Eschebach) in Radeberg angelegt.

haweger

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