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Literatur Autorinnen und Autoren raten - neue Runde

Re: Autorinnen und Autoren raten - neue Runde
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf enigma vom 12.01.2010, 10:11:40
Jau, Enigma, das wusste ich, dass es jetzt zu leicht sein würde.
Gratuliere! Und jetzt bist du wieder dran. Aber stell nicht wieder einen ein, den so gut wie keiner kennt, sonst verschwinde ich wieder in der Versenkung.

Ich stell noch einen Link zu dem Buch von Christoph Hein ein, das ich übrigens gelesen habe wie einen Schmöker, es ist sehr packend trotz meiner etwas kritischen Bemerkungen dazu.
enigma
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Re: Autorinnen und Autoren raten - neue Runde
geschrieben von enigma
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 12.01.2010, 10:48:39
Hallo Marina,

aber mit dem, was “keiner kennt” (oder doch kennt) ist das so eine Sache. Es gibt eigentlich nichts, was jeder oder fast jeder kennt und somit gibt es auch nichts, was “schwer” oder “leicht” ist, denn unsere Leseerlebnisse sind ja ganz unterschiedliche.

Aber jetzt verschwinde erst mal ich in der Versenkung, weil ich mich im Moment mit etwas anderem beschäftige.
Wer also möchte, kann gerne etwas hier einstellen .

Gruß und Danke fürs Mitspielen.
Ist doch schön, dass wir wieder mal etwas gemeinsam gemacht haben. Darüber habe ich mich gefreut.

Tschüss erstmal....
longtime
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Re: Autorinnen und Autoren raten - neue Runde
geschrieben von longtime
als Antwort auf enigma vom 12.01.2010, 11:15:38
Da springe ich mal ein, bis enigma einen Rätseltext parat hat.

Ich stelle hier eine literarisch besondere Textstelle ein (da denke ich nicht nur an die zwei Hauptfiguren; sondern auch daran, was z. Zt. mit dem Frankfurter Suhrkamp-Verlag passiert…):


„Peter Suhrkamp lag bleich, hohläugig, im Bett, das Zimmer, war kalt. Er war an einem Rückfall der schweren Lungen- und Rippenfellentzündung erkrankt, die ihm, außer anderen unheilbaren Gesundheitsschäden, seine lange Haft in einem der schlimmsten Konzentrationslager eingebracht hatte. Wenn man ihn anschaute, glaubte man einen Sterbenden zu sehen, doch waren seine Wolldecken von Manuskripten, Korrekturbögen und Korrespondenz behäuft, er hielt einen Bleistift in den abgemagerten, klammen Händen. Wenn ich je ein Beispiel erlebt habe, daß der Geist den Körper beherrschen kann, dann war es das seine. Mirl hantierte im Mantel, mit dicken Wollstrümpfen, in der Küche. Das einzige, was sie ihm auf einem Spirituskocher bereiten konnte, war eine dünne, aber heiße Kartoffelsuppe, kraft- und fettlos. Derartiges war damals, und noch zwei Jahre lang, die Hauptnahrung der meisten Deutschen. Höchstens Schwerarbeiter erhielten eine knappe Sonderration zugeteilt. Studenten und Intellektuelle mußten mit einem Minimum an ‚Kalorien’ für einen ganzen Monat auskommen, einer Ration, die heute kaum den Bedarf für einen Tag decken würde.
Peter Suhrkamp hatte trotz seines geschwächten Zustands kaum ein Bedürfnis nach Essen, aber nach Alkohol, der ihn erwärmte und dessen Nährgehalt seine Energien steigerte. Ich hatte noch keine Gelegenheit gehabt, an diesem ersten Tag Lebensmittel zu besorgen, aber ich hatte, noch aus Amerika, eine Flasche Whisky und eine Flasche Kognak mitgebracht. Damit verbrachten wir die Nacht. (…)

Das erste, was Peter tat - bevor wir auch nur ein paar Worte gewechselt hatten - war: eine Telefonverbindung zu meinen Eltern in Oberstdorf anzumelden. Ich hatte das schon am Vormittag, gleich nach meiner Ankunft, vom amerikanischen Hauptquartier aus versucht, aber man hatte mir bedeutet, daß die offiziellen Fernleitungen nur für dienstliche Gespräche zur Verfügung stünden. Nach Stunden bekamen wir die Verbindung, sie wurde immer wieder unterbrochen, die Verständigung war schwach. Ganz fern und leise hörte ich die Stimme meiner Mutter, die man in der kleinen, bescheidenen Pension, in der die Eltern lebten, aus dem Bett geholt hatte. Sie konnten nicht begreifen, daß ich nicht sofort zu ihnen kommen durfte, daß ich „im Dienst“ war und warten mußte, bis mich mein Auftrag nach München führte und man mir dort einen Wochenendurlaub ins Allgäu genehmigte. Noch war die ‚lange Zeit’ für uns nicht vorüber. Aber ich war im Lande, und man konnte die Tage zählen. (…)“

*

Mein Interesse und meine Fragen zum Text…?

Wer besucht hier den KZ-geschädigten Suhrkamp? (Es ist natürlich nicht der im angehängten Dokument Genannte.)
Wer ist Mirl Suhrkamp?


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Re: Autorinnen und Autoren raten - neue Runde
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf longtime vom 12.01.2010, 15:35:40
Den Brief mit den Informationen über Arno Breker finde ich sehr interessant, so sieht man mal wieder, dass man Leute oft etwas differenzierter betrachten muss, ich hatte ihn für einen überzeugten Nazi gehalten bzw. solche Informationen über ihn bisher gelesen.

Über Mirl habe ich etwas gefunden, das ich einstelle (s. Link).
Und den Text kann ich nur raten: Vielleicht Thomas Mann?

Edit: Nein, eigentlich kann Th. Mann es nicht gewesen sein wegen der Passage: "daß ich im Dienst war und warten mußte, bis mich mein Auftrag nach München führte und man mir dort einen Wochenendurlaub ins Allgäu genehmigte". Zu schnell geschrieben, sorry. Es muss jemand gewesen sein, der eingezogen und an der Front war. Also weiter raten.
enigma
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Re: Autorinnen und Autoren raten - neue Runde
geschrieben von enigma
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 12.01.2010, 16:12:42
Hallo Longtime und Marina,

schön, dass Ihr weitermacht mit der Raterei.

Ich melde mich erstmal nur kurz zu Wort und vermute, wer der Besucher von Peter Suhrkamp gewesen sein könnte.

Die Betonung liegt auf "könnte", denn ich weiß es nicht, jedenfalls nicht genau.

Aber logisch wäre es, wenn es Carl Zuckmayer gewesen wäre, der mit Suhrkamp befreundet war und dessen "amerikanische Mission". wie wir kürzlich lesen konnten, ihn ja nach Deutschland geführt hatten.
In diesem Falle wäre er ja auch "im Dienst" gewesen.

Gruß an Euch und bis bald
Re: Autorinnen und Autoren raten - neue Runde
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf enigma vom 12.01.2010, 17:25:07
Engima, das ist ganz bestimmt richtig. Du bist und bleibst eben doch die Größte. Aber dass du mir auch immer die Show stehlen musst! Ich hätte auch so gern mal was richtig rausgekriegt und Recht gehabt.

Ich gönne dir aber alles, du weißt ja, ich bin überhaupt nicht neidisch.

Schönen Abend noch und Gruß
Marina

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longtime
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Re: Autorinnen und Autoren raten - neue Runde
geschrieben von longtime
als Antwort auf enigma vom 12.01.2010, 17:25:07
@ marina! - Danke für den Hinweis auf die „300 Briefe" Suhrkamps an die Schauspielerin Annemarie »Mirl« Seidel. Die sollen ja jetzt im Januar erscheinen!

Ja, enigma, es ist Zuck!
*
Carl Zuckmayer hatte – durch die US-Army - schon im November 1946 die Chance mit einem Militärflugzeug nach Deutschland zu kommen, als Kultur-Beauftragter.

Am ersten Tag in Berlin besuchte er seinen Freund Peter Suhrkamp, der die Geschäfte des umbenannten jüdischen S. (Samuel) Fischer Verlags mit viele Mühe, Anfeindungen und Verfolgung, Denunziation und KZ-Haft hatte weiterführen können. Er wurde von den US-Behörden nach dem Sieg privilegiert als glaubwürdiger, deutscher Kulturträger. (…)

C.Z.: „(…) hatte ich Mirl und Peter Suhrkamp verständigt. Sie wohnten jetzt in einem Haus in Zehlendorf, in das auch die Reste des ehemaligen S. Fischer Verlags gerettet worden waren, den Suhrkamp bereits neu aufbaute Gegen Abend fuhr ich mit der Untergrundbahn zu der mir von Mirl angegebenen Station. Sie stand, blaß, mager, in einem armseligen Mantel, droben am Ausgang des Treppenschachtes und streckte mir die Hände entgegen. Lange konnten wir nicht sprechen, während wir durch die stille Seitenstraße zu ihrer Wohnung gingen.“


C.Z. berichtet davon in seiner Biografie „Als wär’s ein Stück“ von mir (1966), die noch heute informativ und spannend zu lesen.

longtime
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Re: Autorinnen und Autoren raten - neue Runde: Februar 2010
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 12.01.2010, 19:11:39
Ich stelle wieder einen Rätseltext ein, der auffordert, nach dem Autor und nach historischen Zusammenhängen (in der Geschichte und in der Literatur) zu fragen:


Ein kurzer Ausschnitt aus einem erstaunlichen "Lebenslauf" (veröffentlicht 1970), von einem Dichter verfasst, der auch hier im ST vor einiger Zeit vorgestellt wurde.

Thema und Behandlung des Lebenslaufs haben mich so beschäfätigt, dass ich ihn hier als literarisches Rätsel vorstellen will.

(Der Text hat historisch auch eine erschütternde, dokumentarische, historisch einmalige Vorlage von einen besonders wichtigen (nicht: bedeutenden, aber schrecklichen) SS-Mann gehabt, die man aber nicht an diesem Ausschnitt erkennen kann.)


„Ich bin kein sehr guter Schwimmer, vielleicht weil mich einmal, als ich das Schwimmen erst erlernte, ein Klassenkamerad ins Becken gestoßen hat und ich zu ertrinken fürchtete. Aber ich fühlte seit dem Unfall mit dem Russen [der zuvor erwähnt wurde vom Tagebuchschreiber] ein merkwürdiges Verlangen, Häftlinge ins Wasser zu schicken, und wenn es auch nur die Baggerlöcher waren.
Wenn ich bei den Arbeiten draußen ein paar Leute am Schluß hatte springen lassen, war ich irgendwie zufriedener. Zumindest bis zu jenem Tag, da ich dem starken Isaak, einem jungen polnischen Juden, befahl, einen älteren, der Abraham hieß und dem er gegen meinen Befehl aus dem Wasser geholfen hatte, wieder ins Wasser zu bringen und ihn unterzutauchen, so oft ich es befahl. Und der Isaak tat es auch, aber mit wilden Schreien, und am Schluß schrie er wie ein Wahnsinniger, und ich mußte ihn schließlich mit zwei Schüssen aus meiner Dienstpistole stumm machen.
Und dann sagten sie, daß Isaak seinen Vater ertränkt hätte, und als ich in der Aufnahme nachforschte, sah ich, daß es zutraf: der Abraham war wirklich sein Vater gewesen. Dies jedoch versetzte mir einen solchen Schock, daß ich schließlich zu G. ging und erklärte, er müsse mich versetzen, entweder zurück ins Stammlager oder überhaupt zu einer anderen Einheit. Ich wüßte nicht mehr, was ich täte. Ich war völlig durcheinander.

Von heute her gesehen glaube ich, daß hier ein entscheidender Einschnitt in meinem Leben liegt. Denn von diesem Tage an veränderte sich meine Lage grundsätzlich, teils durch Zufall, teils durch Mitwirken anderer, teils aber auch durch meine eigene Initiative.(…)"

*

Der erwähnte „G.“ ist ein Vorgesetzter, ein „Untersturmführer“, der den jungen Mann, diesem jüngeren „Rottenführer“, schon öfter unter die Arme gegriffen hat und ihm auch hilft, von diesem Einsatzort fortzukommen, der noch nicht vom Technisch-Baulichen und vom Menschenmörderischen her seine endgültige Ausbaustufe der Massenvernichtung, des Holocausts, erreicht hat.

- Man freut sich als Mensch, ob als Ausländer oder Deutscher, und als Leser, dass man am Schluss dieses fiktiven, aber sehr realitätsnahen Berichts über das Leben des SS-Mannes liest:
„Ich bedauere meinen Irrweg“.
*

Wer ist der Autor?
Oder:
Wer stellt, wenn es ihn interessiert, Nachfragen zum Thema und/oder zum Verfasser, die ich gerne beantworten will?

enigma
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Re: Autorinnen und Autoren raten - neue Runde: Februar 2010
geschrieben von enigma
als Antwort auf longtime vom 23.02.2010, 14:49:24
Hallo Longtime,

die historische Vorlage, der die Figur in dem Lebenslauf nachempfunden ist, kenne ich, glaube ich.
Nach den Textstellen, die Du eingegeben hast, könnte es sich um Hans Stark, der nicht nur die Häftlinge “ins Wasser schickte” sondern sie auch erschlagen und Frauen erschossen hat, handeln?
Und G. war dann der Untersturmführer Maximilian Grabner?

Die Verurteilung von Stark erfolgte nach Jugendstrafrecht, so daß er bereits 1968 wieder auf freiem Fuß war.

Was hat er wohl nach Verbüßung seiner Strafe gemacht?
Es tut mir leid, er war ja wirklich noch ein sehr junger Mensch , aber seine Schandtaten waren wirklich furchtbar und ich kann mir nur schwer vorstellen, dass jemand wie er auch nach Verbüßung der Strafe noch ein unbelastetes Leben führen konnte. Aber wahrscheinlich konnte er das auch nicht.

Mehr über Hans Stark gab es in einer Darmstädter Ausstellung des Fritz- Bauer -Instituts 2004 zu erfahren und ist hier zu lesen:

longtime
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Re: Autorinnen und Autoren raten - neue Runde: Februar 2010
geschrieben von longtime
als Antwort auf enigma vom 23.02.2010, 19:58:07
Toll, enigma!

Rudolf Hagelstange hat den Lebensbericht dieses jungen, verführten und schuldig gewordenen SS-Mannes geschrieben und in „Alleingang. Sechs Schicksale“ veröffentlicht. (Zuerst 1970; dann als dtv/List-TB 1729. 1972. S. 26-45; Textausschnitt S. 41f.)

Ja, Hans Stark ist Vorbild der Erzählfigur in „Lebenslauf“ von Rudolf Hagelstange, er hat hier den Familienname „Hammer“. Und er steht nicht nur formal bei der Verurteilung unter Jugendstrafrecht, sondern R. H. beschreibt konkret – neben der SS- und Schulausbildung (sogar zum Abitur kommt er durch Förderung eines SS-Vorgesetzten) – seine starke Abhängigkeit vom Vater, der sich nach dem Zusammenbruch des Nazisystems umbrachte, nachdem er durch den Sohn informiert wurde über dessen „Karriere“ und die Morde bei der SS. Dazu werde ich noch einen Textausschnitt Hagelstanges zur faschistisch-autoritären Erziehung durch den Vater einstellen.

Welche Texte und Informationen vor 1970 Hagelstange zur Verfügung standen für sein Porträt dieses SS-Mannes, weiß ich nicht; die Angaben stimmen am besten überein mit dem Dokument als Zusammenfassung nach dem Frankfurter Auschwitz-Prozess 1964/65 zu Hans Stark, das enigma auch gefunden hat:

Hans Stark

*

Die stärkste Geschichte in dem Band, den man billig bei Antiquariaten bestellen kann, ist "Ernst", das Schicksal eines jüdischen, psychiatrich kranken Mannes, der gut versorgt wird durch einen Arzt in einem Krankenhaus und als vergnügter Sonderling in de gut bürgerlichen Stadt akzeptiert lebt, bis er nach den Pogromnächten mit anderen Juden (Kaufleuten z.B.) abtransportiert wird...

Für den geschichtlichen Hintergrund glaube ich auch, dass Hagelstange auch die Aufzeichnungen des Auschwitz-Kommananten Rudolf Höß kannte; die schon 1958 veröffentlicht waren und die ich in dieser kommentierten Ausgabe kenne:
"Kommandant in Auschwitz". Autobiographische Aufzeichungen des Rudolf Höß. Hrsg. v. Martin Broszat. 1963. dtv 2908.


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