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Literatur Gedichte verschiedene

enigma
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Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von enigma
als Antwort auf yankee vom 12.11.2008, 16:16:26
Angelottchen,

die Sissi (oder auch Sisi) hat Heine ja so sehr verehrt, dass sie sogar ein Gedicht für ihn verfasst hat.

Ich stelle auch das mal ein:

An meinen Meister
Es schluchzt meine Seele, sie jauchzt und sie weint,
Sie war heute Nacht mit der Deinen verreint;
Sie hielt Dich umschlungen so innig und fest,
Du hast sie an Deine mit Inbrunst gepresst.
Du hast sie befruchtet, Du hast sie beglückt,
Sie schauert und bebt noch, doch ist sie erquickt.
O könnten nach Monden aus ihr auch erblüh´n
so wonnige Lieder, wie Dir einst gedieh´n! -
Wie würde sie hegen, die Du ihr schenkst,
Die Kinder, die Du, Deine Seele getränkt.
(Winterlieder: Wien, Januar 1887, ein Gedicht für Heinrich Heine)



@Yankee

Ein oder zwei Gedichte habe ich noch von Franz Ulrich Gass.
Aber wenn ich Dich verstanden habe, besitzt Du selbst welche und wollest Dir nur die Genehmigung zum Einstellen einholen.
Ich kenne auch seinen Namen und einige Gedicht-Titel, weiß aber nicht mal, ob der überhaupt noch lebt.
Der müsste doch jetzt schon steinalt sein.

Grüße

--
enigma
yankee
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Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von yankee
als Antwort auf enigma vom 12.11.2008, 16:19:34
Hallo enigma,

ich glaube auch nicht das er noch lebt. Die Rechte sind vielleicht an seine Nachkommen gegangen. Auch den Wancura Verlag gibt es ja nicht mehr, sodaß es äusserst schwierig sein wird, eine Kontaktadresse zu bekommen. Ich hätte gerne das ein oder andere von Gass mal wieder aufleben lassen. Im Internet finde ich so gut wie nichts über ihn.
--
yankee
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Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von yankee
als Antwort auf yankee vom 12.11.2008, 16:29:53
Was gestern noch als Wahrheit hat gegolten

Was gestern noch als Wahrheit hat gegolten,
Ein blinder Irrtum wird es heut gescholten.
Fehl geht, wie oft! des Forschers mühvoll Streben,
Und keine Lösung wird dem Rätsel: Leben.
Der kühnlich ragen will in's Aetherblau,
Wie häufig schwankt des Wissens stolzer Bau!
Nur was der Mund der Poesie verkündet,
Steht fest und sicher in sich selbst begründet
Und bleibt für alle Zeit in voller Kraft -
Sie ist die einz'ge wahre Wissenschaft.

Betty Paoli
--
yankee

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enigma
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Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von enigma
als Antwort auf yankee vom 13.11.2008, 10:55:07
Zwischen Weinen und Lachen

Zwischen Weinen und Lachen
schwingt die Schaukel des Lebens.
Zwischen Weinen und Lachen
fliegt in ihr der Mensch.

Eine Mondgöttin
und eine Sonnengöttin
stoßen im Spiel sie
hinüber, herüber.
In der Mitte gelagert:
Die breite Zone
eintöniger Dämmerung.

Hält das Helioskind
schelmisch die Schaukel an,
übermütige Scherze,
weiche Glückseligkeit
dem Wiege-Gast
ins Herz jubelnd,
dann färbt sich rosig,
schwingt er zurück,
das graue Zwielicht,
und jauchzend schwört er
dem goldigen Dasein
dankbare Treue.

Hat ihn die eisige Hand
der Selenetochter berührt,
hat ihn ihr starres Aug,
Tod und Vergänglichkeit redend,
schauerlich angeglast,
dann senkt er das Haupt,
und der Frost seiner Seele
ruft nach erlösenden Tränen.
Aschfahl und freudlos
nüchtert ihm nun
das Dämmer entgegen.
Wie dünkt ihm die Welt nun
öde und schal.

Aber je höher die eine Göttin
die Schaukel zu sich emporzieht -
je höher
schießt sie auch drüben empor.
Höchstes Lachen
und höchstes Weinen,
eines Schaukelschwungs
Gipfel sind sie.

Wenn die Himmlischen endlich
des Spieles müde,
dann wiegt sie sich
langsam aus.
Und zuletzt
steht sie still
und mit ihr das Herz
des, der in ihr saß.
Zwischen Weinen und Lachen
schwingt die Schaukel des Lebens.
Zwischen Weinen und Lachen
fliegt in ihr der Mensch.

(Christian Morgenstern)
--
enigma
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Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von enigma
als Antwort auf enigma vom 13.11.2008, 17:46:40

Der Lyriker und die Umsatzsteuer: 1 1/2 Prozent


Vorausgesetzt, er findet einen Verleger,
Vorausgesetzt, der Mann ist ganz integer,
Vorausgesetzt, besagter Lyrikus
Erhält ein Honorar beim Rechnungsschluß;
Vorausgesetzt, daß ihn die Muse heiligt
Mit lyrischem Gefühl, das in ihm brennt, -- --
So ist der Fiskus auch daran beteiligt,
Und zwar genau mit 1 1/2 %
.
Es stieg empor aus seiner Seelen Grüften
Ein Ahnen in beseligtem Moment,
Er sang von Rosen und von Frühlingsdüften,
Vom Duften zahlt er 1 1/2 %;
Er sah der Liebsten in die keusche Seele,
Die Nachtigall bewies ihr Tontalent,
Und die besagte holde Philomele
Wird eingeschätzt mit 1 1/2 %.

Er singt vom Zephyr und vom Sturmeswüten,
Vom Lotoskelch im fernen Orient,
Der Fiskus ist bei seinen Lotosblüten
Sein Sozius mit 1 1/2 %.
Er jauchzt, er weint, er schwelget in Genüssen,
Ein Freudenkuß hebt ihn zum Firmament,
Und jeder einzelne von den Küssen
Stellt dar pro fisco 1 1/2 %.

Wie schön, daß so die ganze deutsche Lyrik
Sich einheitlich zu dem Tarif bekennt;
Ist auch die Rechnung manchmal etwas schwierig,
Das Grundmaß bleibt doch 1 1/2 %;

Und ist trotz aller Kunst des Silbenfalles
Der lyrische Poet meist insolvent,
Der Staat beteiligt sich an seinem Dalles
Unweigerlich mit 1 1/2 %.

Alexander Moszkowski


Mehr über Alexander Moszkowski - Linktipp!


--
enigma
yankee
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Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von yankee
als Antwort auf enigma vom 17.11.2008, 07:58:47
Danke enigma für den Hinweis. Es gibt soviele, die schon fast vergessen sind. Hier noch ein netter Beitrag von Alexander Moszkowski den die meisten sicher nachempfinden können.

Glückliche Menschheit

Wie praktisch hat doch die Natur
Den Menschenkörper eingerichtet!
Wie sorgsam hat sie die Struktur
Bis zur Vollendung aufgezüchtet!

Sie hat uns Muskeln aufgepackt,
Damit wir unser Rheuma pflegen,
Sie hat uns Nieren eingesackt,
Der Brightschen Nierenkrankheit wegen.

Schon in der Schule lernen wir:
Die Milz, die dient zum Seitenstechen,
Und als Pendant behalte dir:
Die Galle dient zum Gall'-Erbrechen.

Zwei Schläfen jeder haben muß,
Damit man die Migräne kriege,
Man hat den Ischiatikus,
Damit man krank an Ischias liege.

Die Hände eignen sich zur Gicht,
Wenn wir ins reif're Alter wandeln,
Und hätten wir die Mandeln nicht,
Wie gäb' es da geschwollne Mandeln?

Das Blut, das ist zur Stockung da,
Das Ohr für Mittelohrkatarrhe,
Das Bein dient uns zum Podagra,
Das Rückenmark zur Rückendarre.

Für Hühneraugen dient der Zeh,
Die Lunge für Tuberkulose,
Die Därme sind für Bäucheweh,
Die Lenden für die Gürtelrose.

Die Nase gibt Polypen her,
Den Vorzug läßt sie sich nicht schmälern,
Das Herz, was will die Menschheit mehr,
Versorgt die Welt mit Klappenfehlern.

Auf keinen Vorteil der Struktur
Hat irgend ein Organ verzichtet, --
Wie praktisch hat doch die Natur
Den Menschenkörper eingerichtet!


--
yankee

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yankee
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Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von yankee
als Antwort auf yankee vom 17.11.2008, 11:01:52
Aus aktuellem Anlass möchte ich im Rahmen verschiedener Gedichte eine Reihe eröffnen die sich mit der Traurigkeit beschäftigen. Gerade in Zeiten schwerer Verluste können Gedichte die Gefühle von Trauer, Verzweiflung und Ratlosigkeit in Worte fassen und helfen das Unaussprechliche auszusprechen. Jeder hat diese Erfahrungen und vielleicht in diesem Zusammenhang ein Gedicht im Hinterkopf, welches Ihm/Ihr hilfreich war.

Ich fange mal an mit Hugo von Hofmannsthal

Ballade des äußeren Lebens

Und Kinder wachsen auf mit tiefen Augen,
Die von nichts wissen, wachsen auf und sterben,
Und alle Menschen gehen ihre Wege.

Und süße Früchte werden aus den herben
Und fallen nachts wie tote Vögel nieder
Und liegen wenig Tage und verderben.

Und immer weht der Wind, und immer wieder
Vernehmen wir und reden viele Worte
Und spüren Lust und Müdigkeit der Glieder.

Und Straßen laufen durch das Gras, und Orte
Sind da und dort, voll Fackeln, Bäumen, Teichen,
Und drohende, und totenhaft verdorrte...

Wozu sind diese aufgebaut? und gleichen
Einander nie? und sind unzählig viele?
Was wechselt Lachen, Weinen und Erbleichen?

Was frommt das alles uns und diese Spiele,
Die wir doch groß und ewig einsam sind
Und wandernd nimmer suchen irgend Ziele?

Was frommts, dergleichen viel gesehen haben?
Und dennoch sagt der viel, der "Abend" sagt,
Ein Wort, daraus Tiefsinn und Trauer rinnt

Wie schwerer Honig aus den hohlen Waben.
Hugo von Hofmannsthal

--
yankee
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Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von yankee
als Antwort auf yankee vom 21.11.2008, 09:52:03
Als Elise sich ohne Lebewohl entfernt hatte
Göttingen am 22. November 1784. Morgens um 9 Uhr.

Frisch, Bürger, frisch zusammen dich genommen
Und rüstig vorwärts stets von hier
Im Ocean der Zeiten fortgeschwommen!
Sie ist nicht fort, das glaube mir! –
Steh' nicht so düster, so beklommen,
Nicht so an Hoffnung, Muth und Lebenskraft verglommen!
Sie wird gewiß noch irgendwo zu dir,
Du wirst gewiß noch irgendwo zu ihr
Auf einem Freudenfest der Edeln und der Frommen,
Wer weiß an welcher Quelle, kommen.
Im Engelston gebot sie dir:
»Steh' nicht so düster, so beklommen!« –
Sie ist nicht fort, das glaube mir!
Denn – Abschied hat sie nicht genommen.

Gottfried August Bürger
Medea
Medea
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Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von Medea
als Antwort auf yankee vom 21.11.2008, 10:30:24
Verloren

Was Holdes liegt mir in dem Sinn,
das ich vor Zeit einmal besessen;
ich weiß nicht, wo es kommen hin,
auch, was es war, ist mir vergessen.
Vielleicht - am fernen Waldesrand,
wo ich am lichten Junimorgen
- die Kinder klein und klein die Sorgen -
mit dir gesessen Hand in Hand.

Indes vom Fels die Quelle tropfte,
die Amsel schallend schlug im Grund,
mein Herz in gleichen Schlägen klopfte,
und glücklich lächelnd schwieg dein Mund.

In grünen Schatten lag der Ort -
wenn nur der weite Raum nicht trennte,
wenn ich nur dort hinüberkönnte,
wer weiß! - vielleicht noch fänd ich's dort.

(Theodor Storm)

Medea

yankee
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Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von yankee
als Antwort auf Medea vom 21.11.2008, 11:07:29
Danke Medea. Wirklich sehr tief gehend.

Himmelstrauer

Am Himmelsantlitz wandelt ein Gedanke,
Die düstre Wolke dort, so bang, so schwer;
Wie auf dem Lager sich der Seelenkranke,
Wirft sich der Strauch im Winde hin und her.

Vom Himmel tönt ein schwermutmattes Grollen,
Die dunkle Wimper blinzet manches Mal,
– So blinzen Augen, wenn sie weinen wollen, –
Und aus der Wimper zuckt ein schwacher Strahl.

Nun schleichen aus dem Moore kühle Schauer
Und leise Nebel übers Heideland;
Der Himmel ließ, nachsinnend seiner Trauer,
Die Sonne lässig fallen aus der Hand.

Nikolaus Lenau
(1802-1850)


--
yankee

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