Forum Kunst und Literatur Literatur Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute - am 9.10. - z.B. an:

Literatur Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute - am 9.10. - z.B. an:

miriam
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Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute, am 15.11. z.B. an Wolf Biermann
geschrieben von miriam
als Antwort auf longtime vom 15.11.2009, 08:07:48
Danke dir Longtime für den ausführlichen Beitrag zu Wolf Biermann - von mir folgen gegen Abend auch noch einige Ergänzungen.

Jetzt aber gehe ich erst zur Feier unseres Geburtstagskindes - dieser wird heute nochmals gefeiert, er wurde am Dienstag vier Jahre alt.

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miriam
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Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute, am 15.11. z.B. an Wolf Biermann
geschrieben von longtime
als Antwort auf miriam vom 15.11.2009, 09:36:47
Auf dieser Wolf-Biermann-Seite von "Zweitausendeins", wo alle seine CDs - auch die Neuauflagen seiner alten, berühmten Platten aus "Chausseestrasse 131" (bevor er exiliert wurde) erscheinen - finden sich einige wichtige Reden Biermanns, die er zu Preisverleihungen erhalten hat:


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miriam
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Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute, am 15.11. z.B. an Wolf Biermann
geschrieben von miriam
als Antwort auf longtime vom 15.11.2009, 11:51:52
Nachdem nun ein langer Beitrag von mir wieder verschwunden ist und ich aufgefordert wurde … mich anzumelden (ich war natürlich angemeldet!), setze ich nur noch den dazu gehörigen Link ein.

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miriam

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Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute, am 15.11. z.B. an Wolf Biermann
geschrieben von longtime
als Antwort auf miriam vom 15.11.2009, 16:50:17
Danke, miriam, für den anschaulichen Bericht des Auftritts.

Die dort erwähnte Rede Biermanns auf den von den Nazis ermordeteten Theodor Lessingfindet sich auf dieser Biermann-Seite (von Zweitausendeins):


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Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute, am 15.11. z.B. an Wolf Biermann
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 15.11.2009, 17:45:23
Wolf Biermann hat auch Shakespeare-Sonette übersetzt; hier ein Beispiel mit Vergleichsarbeiten:


Ich biete das 66. Sonett als Beispiel (mit Vergleichen) an:


Shakespeare:
SONNET 66

Tired with all these, for restful death I cry,
As, to behold desert a beggar born,
And needy nothing trimm'd in jollity,
And purest faith unhappily forsworn,
And guilded honour shamefully misplaced,
And maiden virtue rudely strumpeted,
And right perfection wrongfully disgraced,
And strength by limping sway disabled,
And art made tongue-tied by authority,
And folly doctor-like controlling skill,
And simple truth miscall'd simplicity,
And captive good attending captain ill:
Tired with all these, from these would I be gone,
Save that, to die, I leave my love alone.


Übersetzung von Wolf Biermann:
Das 66. Sonett

Müd müd von all dem schrei ich nach dem Schlaf im Tod
Weil ich ja seh: Verdienst geht betteln hier im Staat
Seh Nichtigkeit getrimmt auf Frohsinn in der Not
Und reinster Glaube landet elend im Verrat

Und Ehre ist ein goldnes Wort, das nichts mehr gilt
Und einer Jungfrau Tugend wird verkauft wie’n Schwein
Und weil Vollkommenheit man einen Krüppel schilt
Und weil die Kraft dahinkriecht auf dem Humpelbein

Gelehrte Narrn bestimmen, was als Weisheit gilt
Und Kunst seh ich geknebelt von der Obrigkeit
Und simple Wahrheit, die man simpel Einfalt schilt
Und Güte, die in Ketten unterm Stiefel schreit

Von all dem müde, wär ich lieber tot, ließ ich
In dieser Welt dabei mein Liebchen nicht im Stich


*

Eine ältere Übersetzung von Karl Lachmann:

66.

Müd’ alles des, ersehn ich Todesrast:
Zu ehn Verdienst zum Bettelstab geweiht,
Und dürftig nichts in heitern Prunk gefaßt,
Und reinste Treu unselig falsch dem Eid,

Und goldne Ehr’ höchst schändlich mißverschenkt,
Und keusche Tugend roh erniedriget,
Und edle Trefflichkeit schmachvoll gekränkt,
Und Kraft von lahmer Macht bewältiget,

Und Kenntnis durch Gewalttat stumm gemacht,
Und Dummheit zwingend hochgelahrt den Sinn,
Und Einfachwahres als Einfalt verlacht,

Und Güt’ im Band, Schlechtheit ihr Bannherrin.
Müd’ alles des, los möcht ich dessen sein;
Nur, stürb’ ich, mein Geliebter blieb allein.

*

Sonett LXVI
Übertragen von Johann Gottlob Regis (1791 -1854):

Müde von alle diesem wünsch' ich Tod:
Verdienst zum Bettler sehn geboren werden,
Und hohle Dürftigkeit in Grün und Rot,
Und wie sich reinste Treu entfärbt auf Erden,

Und goldnen Ehrenschmuck auf Knechteshaupt,
Und jungfräuliche Tugend frech geschändet,
Und Hoheit ihres Herrschertums beraubt,
Und Kraft an lahmes Regiment verschwendet,

Und Kunst im Zungenbande der Gewalt,
Und Schulenunsinn, der Vernunft entgeistert,
Und schlichte Wahrheit, die man Einfalt schalt,
Und wie vom Bösen Gutes wird gemeistert:

Müde von alle dem, wär Tod mir süß;
Nur, daß ich sterbend den Geliebten ließ!


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Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute, am 15.11. z.B. an Wolf Biermann
geschrieben von miriam
als Antwort auf longtime vom 16.11.2009, 02:07:55
Danke dir Longtime - in meinem verschwundenen Beitrag wies ich u.a. auf die wunderschöne Übersetzung der Shakespeare-Sonette - aber auch auf ein anderes Werk dieser anderen - aber nicht weniger wichtigen Phase im Schaffen von Wolf Biermann:

"Großer Gesang vom ausgerotteten jüdischen Volk" - welches vom bedeutenden russischen Schriftsteller Yitzhak Katzenelson im Warschauer Ghetto in Yiddischer Sprache geschrieben wurde und von Biermann im Jahr 2004 in Deutsch nachgedichtet wurde.
Katzenelson wurde in Auschwitz ermordet - sein Werk wurde nach der Befreiung von Auschwitz von zwei Überlebenden ins damalige Palästina geschmuggelt.

Diese Nachdichtung trug Wolf Biermann übrigens auch in Israel vor.

Nun höre ich mal auf - und lasse den Platz frei für die heute Gefeierten.

Schönen Tag noch

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miriam

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Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute, am 15.11. z.B. an Gerhart Hauptmann
geschrieben von longtime
als Antwort auf miriam vom 16.11.2009, 07:52:18
Für gestern möchte ich noch nachtragen:
Gerhard Johann Robert (Gerhart) Hauptmann (am 15.01.1862 geboren in Ober Salzbrunn/Niederschlesien - + am 6.06.1946 in Agnetendorf/Agnieszków in der polnischen Besatzungszone):


Ausschnitt aus dem Roman „Der Ketzer von Soana“ (Arbeitstitel: „Die syrische Göttin“; Entstanden 1911-1917). Berlin 1981: S. Fischer.

Gerhart Hauptmann:

„An einem Bergabhang oberhalb des Luganer Sees ist unter vielen anderen auch ein kleines Bergnest zu finden, das man auf einer steilen, in Serpentinen verlaufenden Bergstraße in etwa einer Stunde, vom Seeufer aus gerechnet, erreichen kann. Die Häuser des Ortes, die, wie an den meisten italienischen Plätzen der Umgegend, eine einzige, ineinandergeschachtelte, graue Ruine aus Stein und Mörtel sind, kehren ihre Fronten einem schluchtähnlichen Tale zu, das von den Auen und Terrassen des Fleckens und gegenüber von einem mächtigen Abhang des überragenden Bergriesen Monte Generoso gebildet wird.
In dieses Tal, und zwar dort, wo es wirklich als enge Schlucht seinen Abschluß nimmt, ergießt sich von einer wohl hundert Meter höher gelegenen Talsohle ein Wasserfall, der je nach Tages- und Jahreszeit und der gerade herrschenden Strömung der Luft, mehr oder weniger stark, mit seinem Rauschen eine immerwährende Musik des Fleckens ist.
In diese Gemeinde war vor langer Zeit ein etwa fünfundzwanzigjähriger Priester versetzt worden, der Raffaele Francesco hieß. Er war in Ligornetto geboren, also im Tessin, und konnte sich rühmen, ein Mitglied desselben, dort ansässigen Geschlechtes zu sein, das den bedeutendsten Bildhauer des geeinten Italiens, hervorgebracht hatte, der ebenfalls in Ligornetto geboren wurde und endlich auch dort gestorben ist.
Der junge Priester hatte seine Jugend bei Verwandten in Mailand und seine Studienzeit in verschiedenen Priester-Seminaren der Schweiz und Italiens zugebracht. Von seiner Mutter, die aus einem edlen Geschlechte war, stammte die ernste Richtung seines Charakters, die ihn ohne jedes Schwanken schon zeitig dem religiösen Beruf in die Arme trieb.
Francesco, der eine Brille trug, zeichnete sich vor der Menge seiner Mitschüler aus durch exemplarischen Fleiß, Strenge der Lebensführung und Frömmigkeit. Selbst seine Mutter mußte ihm schonend nahelegen, daß er als künftiger Weltgeistlicher sich ein wenig Lebensfreude wohl gönnen möge und nicht eigentlich auf die strengsten Klosterregeln verpflichtet sei. Sobald er die Weihen empfangen hatte, war es indessen sein einziger Wunsch, eine möglichst entlegene Pfarre zu finden, um sich dort als eine Art Eremit, nach Herzenslust, noch mehr, als bisher, dem Dienste Gottes, seines Sohnes und dessen geheiligter Mutter zu weihen.“

**

Hauptmanns Schaffen überdauerte mehrere Zeit- und literaturtypische Epochen (während der Nazizeit verblieb er im schirmenden Schatten Hitlers und „beweinte“ öffentlich die Bombardierung Dresdens, nicht aber die Ermordung von Millionen Juden und anderen „Volksfeinden“); trotzdem haben viele Werke, hauptsächlich Novellen und Dramen, eine überdauernde, literarische Bedeutung, besonders hinsichtlich seiner sozial-kritischen Wahrnehmungen in stilistischer Brillanz.



G.H.s berühmte Pose auf Hiddensee:

„Am Strand von Vitte“ (1899). Aus: D. Albrecht: Verlorene Zeit - Gerhart Hauptmann, Lüneburg 1997.S.2:





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Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute, am 16.11. z.B - ja ist dass denn Gerhart Hauptmann?
geschrieben von miriam
als Antwort auf longtime vom 16.11.2009, 14:48:04
Fragment aus einem bekannten Werk - nicht von Gerhard Hauptmann, sondern, so zu sagen über Gerhard Hauptmann:

"Nachdem er ihn getrunken, (Meine Erklärung: es handelt sich um seinen Kaffee) verfuhr er wie folgt. Er dämmte mit der Hand die Unterhaltung zurück, schuf Stille, wie der Dirigent, der das Durcheinander der stimmenden Instrumente zum Schweigen bringt und sein Orchester, kulturell gebietend, zum Beginn der Aufführung sammelt - denn da sein großes, vom weißen Haar umflammtes Haupt mit den blassen Augen, den mächtigen Stirnfalten, dem langen Kinnbart und dem bloßliegenden wehen Munde darüber unstreitig bedeutend wirkte, so fügte alles sich seiner Gebärde. Alle verstummten, sahen ihn lächelnd an, warteten, und da und dort nickte einer ihm zur Ermunterung lächelnd zu. Er sagte mit ziemlich leiser Stimme:

"Meine Herrschaften. - Gut. Alles gut. er-ledigt. Wollen Sie jedoch ins Auge fassen und nicht - keinen Augenblick - außer acht lassen, daß - Doch über diesen Punkt nichts weiter. Was auszusprechen mir obliegt, ist weniger jenes, als vor allem und einzig dies, daß wir verpflichtet sind, - daß der unverbrüchliche - ich wiederhole und lege alle Betonung auf diesen Ausdruck - der unverbrüchliche Anspruch an uns gestellt ist - - Er-ledigt, meine Herrschaften! Vollkommen erledigt. Ich weiß uns einig in alldem, und so denn: zur Sache!"

Er hatte nichts gesagt aber sein Haupt erschien so unzweifelhaft bedeutend, sein Mienen- und Gestenspiel war dermaßen entschieden, eindringlich, ausdrucksvoll gewesen, daß alle und auch der lauschende [---] höchst wichtiges vernommen zu haben meinten..."

Ende des Fragments.

Wer ist der Autor - wie heisst dieses Werk in das Gerhard Hauptmann unwillkurlich Modell stand?

Eigentlich müsste es vielen bekannt sein.

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miriam


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Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute, am 16.11. z.B - ja ist dass denn Gerhart Hauptmann?
geschrieben von longtime
als Antwort auf miriam vom 16.11.2009, 17:07:57
Ein schönes Beispiel für literarische Zusammenhänge:

Hier tritt "Mijnheer Peeperkorn" in Thomas Manns »Zauberberg« (1924)bei einem Gelage auf:

Er ist ein Liebhaber der Madame Chauchat. Die anderen Hauptfiguren in dieser seltsamen Zauberberg-Welt sind nüchtern und sachlich dargestellt; bei „Peeperkorn“ mit seiner showmäßigen, auffällig übersteigerten Vitalität zur Parodie macht TM eine Ausnahme, deren Wirkung er nicht eingschätzt hat.
– Hauptmann nahm ihm die Darstellung sehr übel.

Die Aufregung war groß, schon nur im Kreise der familiär Eingeweihten.
Tochter Brigitte Fischer (von Samuel und Hedwig Fischer), die später Dr. Gottfried Bermann heiratete, der das S.-Fischer-Haus nach dem Tode des Verlegers 1934 übernahm, erinnert sich, daß „meine Mutter nach der Vorlesung sehr bestürzt zu Thomas Mann ging, um ihn zu bitten, einige Einzelheiten wie die Rotweinflecke auf der Bettdecke fortzulassen, damit Hauptmann sich nicht zu verletzt fühle. Er, Thomas Mann, war erstaunt“, dass man den Wüstling Peeperkorn sofort als G. Hauptmann identifiziert hatte...

Da gab es noch einen großen, bestürzten Brief von TM an den Lektor Oskar Loerke, den ich jetzt aber nicht raussuchen will.

Miriam - Danke für das Textbeispiel!

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Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute, am 16.11. z.B - ja ist dass denn Gerhart Hauptmann?
geschrieben von miriam
als Antwort auf longtime vom 16.11.2009, 20:53:12
Dir auch einen herzlichen Dank Longtime! Dass du natürlich das Rätsel schon längst kennst, wusste ich. Aber sooo ein schönes, reich bestücktes Nähkästchen, aus dem du uns da erzählst...

Übrigens: die einzige Erscheinungsform in der ich Hauptmann vertrage, ist ... Mynheer Peeperkorn!

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miriam

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