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Literatur V ö g e l als literarisches Thema

longtime
longtime
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V ö g e l als literarisches Thema
geschrieben von longtime
Ich sammle zur Zeit - wie es auch im Seniorentreff schon häufig gelang - ein bestimmtes literarisches Moiv - und zwar V Ö G E L, in all ihren künstlerischen Benennungen, ob als Frühlingsboten, als Abschieds- oder Todesboten, als andere Signale ...

Aufgefallen war mir die besondere "Optik" der Vögel in einem Biermann-Gedicht ..., "]wo die grauen Gänse
Schwarz durch das gute Gelb der Sonne zieh'n[/i]
" - in einem hoffnungsvollen Gegensatz zu den deftig abgemeierten politischen "Pleitegeiern" aus Biermanns Zeiten in der DDR.

Der schwarze Pleitegeier
Oder
Eure Farben sind nicht meine Farben


Der schwarze Pleitegeier mit den roten Krallen
Steht starr im großen Gelb und wird bewacht
Von grünen Männern, die in Aluminium-Kisten
Vor meiner Haustür sitzen, Tag und Nacht

Komm, zieh dein rotes Kleid an! Wir hau'n ab ins Grüne
Ich hab die Stadt satt, all dies tote Grün -
Komm mit mir unter'n Himmel, wo die grauen Gänse
Schwarz durch das gute Gelb der Sonne zieh'n

*
(Text nach Wolf Biermann: Alle Lieder. Köln 1991. S. 240)
Re: V ö g e l als literarisches Thema
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf longtime vom 14.12.2016, 12:31:30
Advent/Weihnachten(Clematis)


Clematis
Milan
Milan
Mitglied

Re: V ö g e l als literarisches Thema
geschrieben von Milan
als Antwort auf longtime vom 14.12.2016, 12:31:30
Ich zôch mir einen valken
Der von Kürenberg
(2. Hälfte 12. Jahrhundert)

»Ich zôch mir einen valken mêre danne ein jâr.
dô ich in gezamete als ich in wolte hân
und ich im sîn gevidere mit golde wol bewant,
er huop sich ûf vil hôhe und floug in anderiu lant.

Sît sach ich den valken schône fliegen:
er fuorte an sînem fuoze sîdîne riemen,
und was im sîn gevidere alrôt guldîn.
got sende si zesamene die gerne geliep wellen sîn!«

Ich zog mir einen Falken länger als ein Jahr
Doch als er, wie ich wollte, von mir gezähmet war
Und ich ihm sein Gefieder mit Golde wohl bewand,
Hob er sich auf gewaltig und flog hinweg in andres Land.

Drauf sah ich den Falken herrlich fliegen;
Er führt' an seinem Fuße seidene Riemen,
Auch war ihm sein Gefieder ganz rot von Gold:
Gott bringe sie zusammen, die sich einander lieb und hold.

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Re: V ö g e l als literarisches Thema
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf longtime vom 14.12.2016, 12:31:30
Der Zaunkönig
In den alten Zeiten, da hatte jeder Klang noch Sinn und Bedeutung. Wenn der Hammer des Schmieds ertönte, so rief er: “Smiet mi to! Smiet mi to!“ Wenn der Hobel des Tischlers schnarrte, so sprach er: “Dor häst! Dor, dor häst!“ Fing das Räderwerk der Mühle an zu klappern, so sprach es: “Help, Herr Gott! Help, Herr Gott!“, und war der Müller ein Betrüger und ließ die Mühle an, so sprach sie hochdeutsch und fragte erst langsam: “Wer ist da? Wer ist da?“, dann antwortete sie schnell: “Der Müller! Der Müller!“, und endlich ganz geschwind: “Stiehlt tapfer, stiehlt tapfer, vom Achtel drei Sechter.“

Zu dieser Zeit hatten auch die Vögel ihre eigene Sprache, die jedermann verstand, jetzt lautet es nur wie ein Zwitschern, Kreischen und Pfeifen und bei einigen wie Musik ohne Worte. Es kam aber den Vögeln in den Sinn, sie wollten nicht länger ohne Herrn sein und einen unter sich zu ihrem König wählen. Nur einer von ihnen, der Kiebitz, war dagegen; frei hatte er gelebt, und frei wollte er sterben, und angstvoll hin und her fliegend rief er: “Wo bliew ick? Wo bliew ick?“ Er zog sich zurück in einsame und unbesuchte Sümpfe und zeigte sich nicht wieder unter seinesgleichen.

Die Vögel wollten sich nun über die Sache besprechen, und an einem schönen Maimorgen kamen sie alle aus Wäldern und Feldern zusammen, Adler und Buchfinke, Eule und Krähe, Lerche und Sperling, was soll ich sie alle nennen? Selbst der Kuckuck kam und der Wiedehopf, sein Küster, der so heißt, weil er sich immer ein paar Tage früher hören läßt; auch ein ganz kleiner Vogel, der noch keinen Namen hatte, mischte sich unter die Schar. Das Huhn, das zufällig von der ganzen Sache nichts gehört hatte, verwunderte sich über die große Versammlung. “Wat, wat, wat is den dar to don?“ gackerte es, aber der Hahn beruhigte seine liebe Henne und sagte: “Luter riek Lüd!“, erzählte ihr auch, was sie vorhätten. Es ward aber beschlossen, daß der König sein sollte, der am höchsten fliegen könnte. Ein Laubfrosch, der im Gebüsche saß, rief, als er das hörte, warnend: “Natt, natt, natt! Natt, natt, natt!“, weil er meinte, es würden deshalb viel Tränen vergossen werden. Die Krähe aber sagte: “Quark ok!“, es sollte alles friedlich abgehen.

Es ward nun beschlossen, sie wollten gleich an diesem schönen Morgen aufsteigen, damit niemand hinterher sagen könnte: “Ich wäre wohl noch höher geflogen, aber der Abend kam, da konnte ich nicht mehr.“ Auf ein gegebenes Zeichen erhob sich also die ganze Schar in die Lüfte. Der Staub stieg da von dem Felde auf, es war ein gewaltiges Sausen und Brausen und Fittichschlagen, und es sah aus, als wenn eine schwarze Wolke dahinzöge. Die kleinern Vögel aber blieben bald zurück, konnten nicht weiter und fielen wieder auf die Erde. Die größern hielten's länger aus, aber keiner konnte es dem Adler gleichtun, der stieg so hoch, daß er der Sonne hätte die Augen aushacken können. Und als er sah, daß die andern nicht zu ihm herauf konnten, so dachte er: Was willst du noch höher fliegen, du bist doch der König, und fing an sich wieder herabzulassen. Die Vögel unter ihm riefen ihm alle gleich zu: “Du mußt unser König sein, keiner ist höher geflogen als du.“ “Ausgenommen ich“, schrie der kleine Kerl ohne Namen, der sich in die Brustfedern des Adlers verkrochen hatte. Und da er nicht müde war, so stieg er auf und stieg so hoch, daß er Gott auf seinem Stuhle konnte sitzen sehen. Als er aber so weit gekommen war, legte er seine Flügel zusammen, sank herab und rief unten mit feiner, durchdringender Stimme: “König bün ick! König bün ick!“

“Du unser König?“ schrien die Vögel zornig. “Durch Ränke und Listen hast du es dahin gebracht.“ Sie machten eine andere Bedingung, der sollte ihr König sein, der am tiefsten in die Erde fallen könnte. Wie klatschte da die Gans mit ihrer breiten Brust wieder auf das Land! Wie scharrte der Hahn schnell ein Loch! Die Ente kam am schlimmsten weg, sie sprang in einen Graben, verrenkte sich aber die Beine und watschelte fort zum nahen Teiche mit dem Ausruf: “Pracherwerk! Pracherwerk!“ Der Kleine ohne Namen aber suchte ein Mäuseloch, schlüpfte hinab und rief mit seiner feinen Stimme heraus: “König bün ick! König bün ick!“

“Du unser König?“ riefen die Vögel noch zorniger. “Meinst du, deine Listen sollten gelten?“ Sie beschlossen, ihn in seinem Loch gefangenzuhalten und auszuhungern. Die Eule ward als Wache davorgestellt; sie sollte den Schelm nicht herauslassen, so lieb ihr das Leben wäre. Als es aber Abend geworden war und die Vögel von der Anstrengung beim Fliegen große Müdigkeit empfanden, so gingen sie mit Weib und Kind zu Bett. Die Eule allein blieb bei dem Mäuseloch stehen und blickte mit ihren großen Augen unverwandt hinein. Indessen war sie auch müde geworden und dachte: Ein Auge kannst du wohl zutun, du wachst ja noch mit dem andern, und der kleine Bösewicht soll nicht aus seinem Loch heraus. Also tat sie das eine Auge zu und schaute mit dem andern steif auf das Mäuseloch. Der kleine Kerl guckte mit dem Kopf heraus und wollte wegwitschen, aber die Eule trat gleich davor, und er zog den Kopf wieder zurück. Dann tat die Eule das eine Auge wieder auf und das andere zu und wollte so die ganze Nacht abwechseln. Aber als sie das eine Auge wieder zumachte, vergaß sie das andere aufzutun, und sobald die beiden Augen zu waren, schlief sie ein. Der Kleine merkte das bald und schlüpfte weg.

Von der Zeit an darf sich die Eule nicht mehr am Tage sehen lassen, sonst sind die andern Vögel hinter ihr her und zerzausen ihr das Fell. Sie fliegt nur zur Nachtzeit aus, haßt aber und verfolgt die Mäuse, weil sie solche böse Löcher machen. Auch der kleine Vogel läßt sich nicht gerne sehen, weil er fürchtet, es ginge ihm an den Kragen, wenn er erwischt würde. Er schlüpft in den Zäunen herum, und wenn er ganz sicher ist, ruft er wohl zuweilen: “König bün ick!“, und deshalb nennen ihn die andern Vögel aus Spott Zaunkönig.

Niemand aber war froher als die Lerche, daß sie dem Zaunkönig nicht zu gehorchen brauchte. Wie sich die Sonne blicken läßt, steigt sie in die Lüfte und ruft: “Ach, wo is dat schön! Schön is dat! Schön! Schön! Ach, wo is dat schön!“
Gebrüder Grimm
Re: V ö g e l als literarisches Thema
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf longtime vom 14.12.2016, 12:31:30
Ludwig Hirsch
Komm großer schwarzer Vogel


In den 80-er Jahren habe ich Ludwig Hirsch live gesehen. Das Konzert war einzigartig, aber von den Darbietungen her sehr traurig.
Morrison
majana
majana
Mitglied

Re: V ö g e l als literarisches Thema
geschrieben von majana
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 15.12.2016, 21:27:24
EIN SPERLING
Ein Gedicht von Ulrich Lang

Ein Sperling zwitschert im Gestrüpp,
ich reagiere aufs Gepiep
und lege, weil ich bin halt nett,
Brosamen raus vors Fensterbrett.

Gleich kommt mein Spätzchen angeflogen,
pickt alles auf und ungelogen
zieht er dann ein paar Späßchen ab,
damit ich was zu lachen hab:

Nickt mit dem Köpfchen frech und keck
und spreizt die kleinen Flügel weg,
er singt ein Liedchen, nur für mich,
dann schüttelt und besinnt er sich,

die Äuglein blitzen kurz noch munter,
jetzt fliegt er in den Garten runter.
Nachdem die Schau er abgerissen,
ist meine Fensterbank verschissen.

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Re: V ö g e l als literarisches Thema
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf majana vom 15.12.2016, 23:33:56
Oscar Wilde:
Die Nachtigall und die Rose




"Sie sagte, sie würde mit mir tanzen, wenn ich ihr rote Rosen brächte", rief der junge Student, "aber in meinem ganzen Garten ist keine rote Rose." In ihrem Nest auf dem Eichbaum hörte ihn die Nachtigall, guckte durch das Laub und wunderte sich.

"Keine rote Rose in meinem ganzen Garten!" rief er, und seine schönen Augen waren voll Tränen. "Ach, an was für kleinen Dingen das Glück hängt. Alles habe ich gelesen, was weise Männer geschrieben haben, alle Geheimnisse der Philosophie sind mein, und wegen einer roten Rose ist mein Leben unglücklich und elend."

"Das ist endlich einmal ein treuer Liebhaber," sagte die Nachtigall. "Nacht für Nacht habe ich von ihm gesungen, obgleich ich ihn nicht kannte. Nacht für Nacht habe ich seine Geschichte den Sternen erzählt, und nun seh ich ihn. Sein Haar ist dunkel wie die Hyazinthe, und sein Mund ist rot wie die Rose seiner Sehnsucht. Aber Leidenschaft hat sein Gesicht bleich wie Elfenbein gemacht, und der Kummer hat ihm sein Siegel auf die Stirn gedrückt."

"Der Prinz gibt morgen nacht einen Ball", sprach der junge Student leise, "und meine Geliebte wird da sein. Wenn ich ihr eine rote Rose bringe, wird sie mit mir tanzen bis zum Morgen. Wenn ich ihr eine rote Rose bringe, wird sie ihren Kopf an meine Schulter lehnen, und ihre Hand wird in der meinen liegen. Aber in meinem Garten ist keine rote Rose, so werde ich einsam sitzen, und sie wird an mir vorübergehen. Sie wird meiner nicht achten, und mir wird das Herz brechen."

"Das ist wirklich der treue Liebhaber", sagte die Nachtigall. "Was ich singe, um das leidet er. Was mir Freude ist, das ist ihm Schmerz. Wahrhaftig, die Liebe ist etwas Wundervolles! Kostbarer ist sie als Smaragde und teurer als feine Opale. Perlen und Granaten können sie nicht kaufen, und auf den Märkten wird sie nicht feilgeboten. Sie kann von den Kaufleuten nicht gehandelt werden und kann nicht für Gold aufgewogen werden auf der Waage."

"Die Musikanten werden auf ihrer Galerie sitzen", sagte der junge Student, "und auf ihren Instrumenten spielen, und meine Geliebte wird zum Klang der Harfe und der Geige tanzen. So leicht wird sie tanzen, daß ihre Füße den Boden kaum berühren, und die Höflinge in ihren prächtigen Gewändern werden sich um sie scharen. Aber mit mir wird sie nicht tanzen, denn ich habe keine rote Rose für sie". Und er warf sich ins Gras, barg sein Gesicht in den Händen und weinte.

"Weshalb weint er?" fragte eine grüne Eidechse, während sie mit dem Schwänzchen in der Luft an ihm vorbeilief. "Ja warum?" fragte ein Schmetterling, der einem Sonnenstrahl nachjagte. "Er weint um eine rote Rose", sagte die Nachtigall. "Um eine rote Rose?" riefen alle, "wie lächerlich!". Und die kleine Eidechse, die so etwas wie ein Zyniker war, lachte überlaut.

Aber die Nachtigall wußte um des Studenten Kummer und saß schweigend in der Eiche und sann über das Geheimnis der Liebe. Plötzlich breitete sie ihre braunen Flügel aus und flog auf. Wie ein Schatten huschte sie durch das Gehölz, und wie ein Schatten flog sie über den Garten.

Da stand mitten auf dem Rasen ein wundervoller Rosenstock, und als sie ihn sah, flog sie auf ihn zu und setzte sich auf einen Zweig. "Gib mir eine rote Rose", rief sie, "und ich will dir dafür mein süßestes Lied singen." Aber der Strauch schüttelte seinen Kopf. "Meine Rosen sind weiß", antwortete er, "so weiß wie der Meerschaum und weißer als der Schnee auf den Bergen. Aber geh zu meinem Bruder, der sich um die alte Sonnenuhr rankt, der gibt dir vielleicht, was du verlangst."

So flog die Nachtigall hinüber zu dem Rosenstrauch bei der alten Sonnenuhr. "Gib mir eine rote Rose", rief sie, "und ich will dir dafür mein süßestes Lied singen." Aber der Strauch schüttelte seinen Kopf. "Meine Rosen sind gelb", antwortete er, "so gelb wie das Haar der Seejungfrau, die auf einem Bernsteinthron sitzt, und gelber als die gelbe Narzisse, die auf der Wiese blüht, ehe der Schnitter mit seiner Sense kommt. Aber geh zu meinem Bruder, der unter des Studenten Fenster blüht, und vielleicht gibt der dir, was du verlangst."

So flog die Nachtigall zum Rosenstrauch unter des Studenten Fenster. "Gib mir eine rote Rose", rief sie, "und ich will dir dafür mein süßestes Lied singen." Aber der Rosenstrauch schüttelte den Kopf. "Meine Rosen sind rot", antwortete er, "so rot wie die Füße der Taube und röter als die Korallenfächer, die in der Meergrotte fächeln. Aber der Winter ließ meine Adern erstarren, der Frost hat meine Knospen zerbissen und der Sturm meine Zweige gebrochen, und so habe ich keine Rosen dies ganze Jahr."

"Nur eine einzige rote Rose brauche ich", rief die Nachtigall, "nur eine rote Rose! Gibt es denn nichts, daß ich eine rote Rose bekomme?" "Ein Mittel gibt es", antwortete der Baum, "aber es ist so schrecklich, daß ich mir es dir nicht zu sagen traue." "Sag es mir", sprach die Nachtigall ohne zu zögern, "ich fürchte mich nicht."

"Wenn du eine rote Rose haben willst", sagte der Baum, "dann mußt du sie beim Mondlicht aus Liedern machen und sie färben mit deinem eigenen Herzblut. Du mußt für mich singen und deine Brust an einen Dorn pressen. Die ganze Nacht mußt du singen, und der Dorn muß dein Herz durchbohren, und dein Lebensblut muß in meine Adern fließen und mein werden."

"Der Tod ist ein hoher Preis für eine rote Rose", sagte die Nachtigall, "und das Leben ist allen sehr teuer. Es ist lustig, im grünen Wald zu sitzen und die Sonne in ihrem goldenen Wagen zu sehen und den Mond in seinem Perlenwagen. Süß ist der Duft des Weißdorns, und süß sind die Glockenblumen im Tal und das Heidekraut auf den Hügeln. Aber die Liebe ist besser als das Leben, und was ist ein Vogelherz gegen ein Menschenherz?"

So breitete sie ihre braunen Flügel und flog auf. Wie ein Schatten schwebte sie über den Gatten, und wie ein Schatten huschte sie durch das Gehölz. Da lag noch der junge Student im Gras, wie sie ihn verlassen hatte, und die Tränen in seinen schönen Augen waren noch nicht getrocknet.

"Freu dich", rief die Nachtigall, "freu dich. Du sollst deine rote Rose haben. Ich will sie beim Mondlicht bilden aus Liedern und färben mit meinem eigenen Herzblut. Alles, was ich von dir dafür verlange, ist, daß du deiner Liebe treu bleiben sollst. Denn die Liebe ist weiser als die Philosophie, wenn die auch weise ist, und mächtiger als die Gewalt, wenn die auch mächtig ist. Flammfarben sind ihre Flügel, und flammfarben ist ihr Leib. Ihre Lippen sind süß wie Honig, und ihr Atem ist Weihrauch."

Der Student blickte aus dem Gras auf und horchte. Aber er konnte nicht verstehen, was die Nachtigall zu ihm sprach, denn er verstand nur die Bücher. Aber die Eiche verstand und wurde traurig, denn sie liebte die kleine Nachtigall sehr, die ihr Nest in ihren Zweigen gebaut hatte. "Sing mir noch ein letztes Lied", flüsterte sie, "ich werd mich sehr einsam fühlen, wenn du fort bist." Und die Nachtigall sang für die Eiche, und ihre Stimme war wie Wasser, das aus einem silbernen Krug springt.

Als sie ihr Lied beendet hatte, stand der Student auf und nahm ein Notizbuch und eine Bleistift aus der Tasche. Sinnend schaute er vor sich hin. "Sie hat Form", sagte er zu sich, als er aus dem Gehölz schritt, "Sie hat ein Formtalent, das kann ihr nicht abgesprochen werden. Aber ob sie auch Gefühl hat? Ich fürchte, nein. Sie wird wohl sein wie die meisten Künstler: alles nur Stil und keine echte Innerlichkeit. Sie würde sich kaum für andere opfern. Sie denkt vor allem an die Musik, und man weiß ja, wie egoistisch die Künste sind. Aber zugeben muß man, sie hat einige schöne Töne in ihrer Stimme. Schade, daß sie gar keinen Sinn haben, nichts ausdrücken und ohne praktischen Wert sind."

Und er ging auf sein Zimmer und legte sich auf sein schmales Feldbett und fing an, an seine Liebe zu denken. Bald war er eingeschlafen. Und als der Mond in den Himmel schien, flog die Nachtigall zu dem Rosenstrauch und preßte ihre Brust gegen den Dorn. Die ganze Nacht sang sie, die Brust gegen den Dorn gepreßt, und der kalte kristallene Mond neigte sich herab und lauschte. Die ganze Nacht sang sie, und der Dorn drang tiefer und tiefer in ihre Brust, und ihr Lebensblut sickerte weg.

Zuerst sang sie von dem Werden der Liebe in dem Herzen eines Knaben und eines Mädchens. Und an der Spitze des Rosenstrauchs erblühte eine herrliche Rose, Blatt reihte sich an Blatt, wie Lied auf Lied. Erst war sie bleich wie der Nebel, der über dem Fluß hängt, bleich wie die Füße des Morgens und silbern wie die Flügel des Dämmers. Wie das Schattenbild einer Rose in einem Silberspiegel, wie das Schattenbild einer Rose im Teich, so war die Rose, die aufblühte an der Spitze des Rosenstocks.

Der aber rief der Nachtigall zu, daß sie sich fester noch gegen den Dorn presse. "Drück fester, kleine Nachtigall", rief er, "sonst bricht der Tag an, bevor die Rose vollendet ist." Und so drückte die Nachtigall sich fester gegen den Dorn, und lauter und lauter wurde ihr Lied, denn sie sang nun von dem Erwachen der Leidenschaft in der Seele von Mann und Weib. Und ein zartes Rot kam auf die Blätter der Rose, wie das Erröten auf das Antlitz des Bräutigams, wenn er die Lippen seiner Braut küßt.

Aber der Dorn hatte ihr Herz noch nicht getroffen, und so blieb das Herz der Rose weiß, denn bloß einer Nachtigall Herzblut kann das Herz einer Rose färben. Und der Baum rief der Nachtigall zu, daß sie sich fester noch gegen den Dorn drücke. "Drück fester, kleine Nachtigall", rief er, "sonst ist es Tag, bevor die Rose vollendet ist." Und so drückte die Nachtigall sich fester gegen den Dorn, und der Dorn berührte ihr Herz, und ein heftiger Schmerz durchzuckte sie. Bitter, bitter war der Schmerz, und wilder, wilder wurde das Lied, denn sie sang nun von der Liebe, die der Tod verklärt, von der Liebe, die auch im Grab nicht stirbt. Und die wundervolle Rose färbte sich rot wie die Rose des östlichen Himmels. Rot war der Gürtel ihrere Blätter, und rot wie ein Rubin war ihr Herz. Aber die Stimme der Nachtigall wurde schwächer, und ihre kleinen Flügel begannen zu flattern, und ein leichter Schleier kam über ihre Augen. Schwächer und schwächer wurde ihr Lied, und sie fühlte etwas in der Kehle.

Dann schluchzte sie noch einmal auf in letzten Tönen. Der weiße Mond hörte es, und er vergaß unterzugehen und verweilte am Himmel. Die rote Rose hörte es und zitterte ganz vor Wonne und öffnete ihre Blätter dem kühlen Morgenwind. Das Echo trug es in seine Purpur- höhle in den Bergen und weckte Schläfer aus ihren Träumen. Es schwebte über das Schilf am Fluß, und der trug die Botschaft dem Meere zu. "Sieh, sieh!" rief der Rosenstrauch, "nun ist die Rose fertig". Aber die Nachtigall gab keine Antwort, denn sie lag tot im hohen Gras, mit dem Dorn im Herzen.

Um Mittag öffnete der Student sein Fenster und blickte hinaus. "Was für ein Wunder und Glück!" rief er, "da ist eine rote Rose! Nie in meinem Leben habe ich eine solche Rose gesehen. Sie ist so schön, ich bin sicher, sie hat einen langen lateinischen Namen". Und er lehnte sich hinaus und pflückte sie. Dann setzte er seinen Hut auf und lief ins Haus seines Professors, mit der Rose in der Hand.

Die Tochter des Professors saß in der Einfahrt und wand blaue Seide auf eine Spule, und ihr Hündchen lag ihr zu Füßen. "Ihr sagtet, Ihr würdet mit mir tanzen, wenn ich Euch eine rote Rose brächte", sagte der Student. "Hier ist die röteste Rose der Welt. Tragt sie heut abend an Eurem Herzen, und wenn wir zusammen tanzen, wird sie Euch erzählen, wie ich Euch liebe."

Aber das Mädchen verzog den Mund. "Ich fürchte, sie paßt nicht zu meinem Kleid", sprach sie, "und dann hat mir auch der Neffe des Kammerherrn echte Juwelen geschickt, und das weiß doch jeder, daß Juwelen mehr wert sind als Blumen."

"Wahrhaftig, Ihr seid sehr undankbar", rief der Student gereizt. Und er warf die Rose auf die Straße, wo sie in die Gosse fiel, und ein Wagenrad fuhr darüber. "Undankbar?" sagte das Mädchen, "ich will Euch was sagen: Ihr seid sehr ungezogen - und dann: wer seid Ihr eigentlich? Ein Student, nichts weiter. Ich glaube, Ihr habt nicht einmal Silberschnallen an den Schuhen, wie des Kammerherrn Neffe." Und sie stand auf und ging ins Haus.

"Wie dumm ist doch die Liebe", sagte sich der Student, als er fortging, "sie ist nicht halb so nützlich wie die Logik, denn sie beweist gar nichts und spricht einem immer von Dingen, die nicht geschehen werden, und läßt einen Dinge glauben, die nicht wahr sind. Sie ist wirklich etwas ganz Unpraktisches, und da in unserer Zeit das Praktische alles ist, so gehe ich wieder zur Philosophie und studiere Metaphysik." So ging er wieder auf sein Zimmer und holte ein großes, staubiges Buch hervor und begann zu lesen.
majana
majana
Mitglied

Re: V ö g e l als literarisches Thema
geschrieben von majana
Der glückliche Prinz
majana
majana
Mitglied

Re: V ö g e l als literarisches Thema
geschrieben von majana
Die Legende vom Rotkehlchen,

Das Rotkehlchen war ein kleiner unscheinbarer grauer Vogel.
Die Legende erzählt, wie er zu seinem roten Kehlchen kam. Am Morgen nach der Geburt des Christkindes war es  im Stall zu Betlehem sehr kalt. Das spärliche Feuer drohte zu löschen.
Josef wollte Holz sammeln , aber er hatte Angst, dass die Glut verlöscht. Das sah er das kleine Vögelchen, das sich am Feuer wärmte. 
Er sprach zu ihm: "Kleiner Vogel halte mit deinen Flügeln die Glut am brennen, ich muss Holz suchen."
Das Vögelchen flog über die Glut und hielt sie mit seinen Flügeln am brennen. Dabei flog ein Funke in sein Halsgefieder und verbrannte die Federn an der Kehle . Bald kam Josef mit einem Arm voll Holz zurück und konnte richtig einheizen. Dem kleinen Vogel wuchsen sofort rote Federn nach, die es bis zum heutigem Tag behalten hat.

Auf vielen Weihnachtskarten besonders im englischem Raum findet man das Rotkehlchen.
rehse
rehse
Mitglied

Re: V ö g e l als literarisches Thema
geschrieben von rehse
als Antwort auf majana vom 18.12.2016, 20:10:39
Danke, Majana. Als Kinder haben wir oft Rotkehlchen und Rotschwänzchen gesehen. Jetzt schon länger nicht mehr. Leider.

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