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Literatur Vergessene Dichter und Gedichte

Medea
Medea
Mitglied

Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von Medea
als Antwort auf silhouette vom 21.02.2012, 20:04:25
Silhouette

Irgendwann vor Zeiten gab es tatsächlich hier mal eine
Kritik an der Schwäbischen Kunde, mich hat das
amüsiert, weil man alles übertreiben kann.




Adelbert von Chamisso


Das Riesenspielzeug

Burg Niedeck ist im Elsaß der Sage wohlbekannt,
Die Höhe, wo vor Zeiten die Burg der Riesen stand;
Sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer,
Du fragest nach den Riesen, du findest sie nicht mehr.

Einst kam das Riesenfräulein aus jender Burg hervor.
Erging sich sonder Wartung und spielend vor dem Tor,
und stieg hinab den Abhang bis in das Tal hinein,
neugierig zu erkunden, wie's unten möchte sein.

Mit wen'gen raschen Schritten durchkreuzte sie den Wald,
Erreichte gegen Haslach das Land der Menschen bald.
Und Städte dort und Dörfer und das bestellte Feld
erschienen ihren Augen gar eine fremde Welt.

Wie jetzt zu ihren Füßen sie spähend niederschaut,
Bemerkt sie einen Bauern, der seinen Acker baut;
Es kriecht das kleine Wesen einher so sonderbar,
Es glitzert in der Sonne der Pflug so blank und klar.
»Ei! artig Spielding!« ruft sie, »das nehm' ich mit
nach Haus .«
Sie knieet nieder, breitet behend ihr Tüchlein aus,
Und feget mit den Händen, was da sich alles regt,
zu Haufen in das Tüchlein, das sie zusammen schlägt.
U. eilt mit freud'gen Sprüngen, man weiß, wie Kinder
sind
zur Burg hinan und suchet den Vater auf geschwind:

»Ei Vater, lieber Vater, ein Spielding wunderschön!
So Allerliebstes sah ich noch nie auf unsern Höhn.«

Der Alte saß am Tische und trank den kühlen Wein.
Er schaut sie an behaglich, er fragt das Töchterlein:

»Was Zappeliches bringst du in deinem Tuch herbei?
Du hüpfest ja vor Freuden; laß sehen, was es sei.«
Sie breitet aus das Tüchlein und fängt behutsam an,
den Bauern aufzustellen, den Pflug und das Gespann.
Wie alles auf dem Tische sie zierlich aufgebaut,
So klatscht sie in die Hände u. springt u. jubelt laut.

Der Alte wird gar ernsthaft und wiegt sein Haupt und
spricht:

»Was hast du angerichtet? das ist kein Spielzeug nicht;
Wo du es hergenommen, da trag es wieder hin,
Der Bauer ist kein Spielzeug, was kommt dir in den Sinn!
Sollst gleich und ohne Murren erfüllen mein Gebot;
Denn, wäre nicht der Bauer, so hättest du kein Brot;
Es sprießt der Stamm der Riesen aus Bauernmark hervor,
Der Bauer ist kein Spielzeug, da sei uns Gott davor.

Burg Niedeck ist im Elsaß der Sage wohlbekannt,
Die Höhe, wo vor Zeiten die Burg der Riesen stand,
Sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer,
Und fragst du nach den Riesen, du findest sie nicht
mehr.

Blaustrumpf
Blaustrumpf
Mitglied

Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von Blaustrumpf
Ich mag sehr gerne die österreichischen Dichter, z. B. diesen hier und besonders dieses Gedicht, wegen des Schlußsatzes...



Langeweile
(Robert Hamerling)

Verdrossen ruht der Condor auf den Hängen
Des Hochgebirgs und starrt hinaus ins Leere,
Wenn er genug der Beute, d’ran er zehre,
Emporgerafft in seinen Riesenfängen.

Verdrossen ruht der Löw’ in Felsengängen,
Bis Hunger wach ihn hetzt mit scharfem Speere:
Und Wal und Hai, die Könige der Meere,
Verdrossen sich in öder Tiefe drängen.

So sind, die leben, all’ des Trübsinn’s Narren,
Gewohnt, sie wissen nicht, nach welchem Heile
Sphynxgleich, verdross’nen Blicks, hinauszustarren.

Gelangweilt, wie berührt vom blei’rnen Pfeile
Des Ueberdrusses, ruh’n wir all’ und harren:
Der Weltschmerz ist sublime Langeweile
enigma
enigma
Mitglied

Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von enigma
als Antwort auf Blaustrumpf vom 22.02.2012, 16:39:00
Hallo Blaustrumpf,

die "Langeweile" finde ich auch witzig, vor allem ebenso den letzten Satz.

Wer kennt noch Eduard Maria Oettinger, der uns eine schöne Erklärung geliefert hat, wie der Champagner entstanden sein soll?

Fünfmalhunderttausend Teufel

Fünfmalhunderttausend Teufel
kamen einstens in die Welt.
Aber ach, die armen Teufel
hatten keinen Heller Geld.
Alle fingen an zu winseln,
alle fingen an zu schrein.
Keiner von den armen Pinseln
wußte weder aus noch ein.

Satanas, der alte Teufel,
lachte sich fast lahm und krumm:
Gott im Himmel, diese Teufel
sind doch wahrlich gar zu dumm.
Alle kratzen sich die Ohren,
jeder ist ganz desperat!
Jemine! wir sind verloren,
weiß denn niemand guten Rat?

Da sprach Pipifax, der Kleine:
Ihr seid dumm wie Bohnenstroh,
ich allein, ja, ich alleine
bin ein Teufel comme il faut!
Ihr habt Durst und nichts zu trinken.
Freilich ist das Teufelsqual!
Seht ihr dort nicht Fenster blinken?
Dorten winkt uns der Pokal.

Seht, dort ist der Rathauskeller,
dort quartieren wir uns ein.
Haben wir auch keinen Heller,
hat der Wirt doch guten Wein.
Sind die Türen auch verschlossen,
wer von euch verzaget noch?
Wir marschieren unverdrossen
alle durch das Schlüsselloch.

Hurra! schrieen alle Teufel
Und spazierten stracks hinein,
leerten schnell zehntausend Flaschen
von dem allerbesten Wein.
Sangen drauf im wilden Chore:
Nichts geht über Lieb' und Wein!
Und sie tranken con amore
In die späte Nacht hinein.

Als der Hahn fing an zu krähen
und die Flaschen alle leer
und die Teufel schon betrunken,
da kam Satanas daher.
Sperrte in die leeren Flaschen
die betrunknen Teufel ein.
und verpichte dann die Flaschen,
zwängt' mit Draht die Pfropfen ein.

Fünfmalhundertttausend Teufel
sind in Flaschen festgebannt.
Jede dieser Teufelsflaschen
wird Champagnerwein genannt.
Wenn die Stöpsel munter knallen,
öffnet sich der Freude Schoß,
Lieder ringsumher erschallen.
Ja, dann ist der Teufel los!

Eduard Maria Oettinger,
(1808 - 1872)

Enigma



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Medea
Medea
Mitglied

Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von Medea
als Antwort auf enigma vom 23.02.2012, 09:30:24
G.E. Lessing kennen nur noch wenige,
bald wird er auch vergessen sein.

Küssen und Trinken

Mägdgen, laß mich dich doch küssen!
Zaudre nicht, sonst wirst du müssen.
Hurtig! hurtig schenkt mir ein!
Auf das Küssen schmeckt der Wein!

Dieser Wein hat Geist und Feuer.
Mägdgen tu doch etwas freier.
Gönn mir vorigen Genuß:
Auf das Trinken schmeckt ein Kuß!

Gotthold Ephraim Lessing


1729 - 1781

enigma
enigma
Mitglied

Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von enigma
als Antwort auf Medea vom 23.02.2012, 09:35:35
Gebet an das Leben

Gewiß, so liebt ein Freund den Freund
wie ich dich liebe, rätselvolles Leben!
Ob ich in dir gejauchzt, geweint,
ob du mir Leid, ob du mir Lust gegeben,
ich liebe dich mit deinem Glück und Harme,
und wenn du mich vernichten mußt,
entreiße ich schmerzvoll mich deinem Arme,
gleich wie der Freund der Freundesbrust.

Lou Andreas-Salomé

Ich weiß nicht, wie bekannt sie noch ist, aber nach allem, was ich über sie gelesen habe, scheint sie jedenfalls eine interessante Frau gewesen zu sein.

Enigma


clara
clara
Mitglied

Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von clara
als Antwort auf Medea vom 23.02.2012, 09:35:35
G.E. Lessing kennen nur noch wenige,
bald wird er auch vergessen sein.


Hoffentlich trifft Deine Prognose nicht ein, Medea! Lessing gehört ja zu den ganz Großen der deutschsprachigen Literatur. Seine Dramen werden immer noch oft aufgeführt, seine Sprache wirkt nicht verstaubt, so wie ich es bei manch anderen der hier eingestellten Gedichten empfinde. Das Wichtigste waren wohl seine aufgeklärten Gedanken.
Wenn Lessing vergessen wird, dann würden es auch Goethe und Schiller, mit denen er in einer Reihe steht.

Gotthold Ephraim Lessing

Hier das Lessing-Denkmal auf dem Gänsemarkt in Hamburg, wo er das Theater prägte.



Clara



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Medea
Medea
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Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von Medea
als Antwort auf clara vom 23.02.2012, 11:51:26
Ja Clara
er war einer der wirklich ganz Großen der Deutschen Dichterriege -
und natürlich wünsche und hoffe ich, daß auch noch unsere Urenkel
mit ihm und seinen Werken vertraut gemacht werden.

Gerne erinnere ich mich an meine Deutschlehrerin,
die ein Faible für Lessing hatte - wir lasen die
Minna von Barnhelm in verteilten Rollen und mir die
Franziska zusprach. Dabei wäre ich doch viel lieber
die Minna gewesen - , diese Rolle fand ich edler -
, aber so blieb ich bei der Franziska hängen und höre mich
immer noch Wachtmeisterchen, Wachtmeisterchen
säuseln.

M.


val
val
Mitglied

Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von val
als Antwort auf Medea vom 23.02.2012, 13:32:55
Mir fällt 'Richard Dehmel' ein - ist der noch aktuell?

Anno Domini 1812
"über Russlands Leichenwüstenei
faltet hoch die Nacht die blassen Hände
funkeläugig durch die weisse, weite,
kalte Stille starrt die Nacht und lauscht.." usw

Gruss Val
enigma
enigma
Mitglied

Re: Vergessene Dichter und Gedichte
geschrieben von enigma
als Antwort auf val vom 23.02.2012, 15:39:48
Hallo Val,

das würde mich auch mal interessieren, wie bekannt Richard Dehmel heute noch ist.
Persönlich denke ich, dass er vielleicht bei der Jugend nicht so bekannt sein wird. Aber vielleicht irre ich mich ja.

Und ähnlich ist es vielleicht bei Detlev von Liliencron?
Die beiden Dichter und Schriftsteller kannten sich übrigens recht gut.

Die Macht der Musik

An einem Maitag, weit von Haus,
lag ich im Fenster schon hinaus
des Morgens früh um viere.
Still träumt die Stadt, kein Hund ist wach,
kein Rauch umkräuselt traut das Dach,
noch schlafen Mensch und Tiere.

Auf einmal, unter mir vorbei,
ging eine kleine Küchenfei,
ein Kind von acht, neun Jahren.
Sie sieht mich nicht - dsching, tut und quiek,
klingt her die Regimentsmusik
im Schritt der Janitscharen.

Das Mädel stutzt. Der Korb am Arm
faßt Eier, Wurst und andern Kram:
Mais, Reis und Pomeranzen.
Da gehts nicht mehr, sie setzt ihn hin,
und nur zu tanzen ist ihr Sinn,
und sie fängt an zu tanzen.

Fern die Musik, klingklang rumbum;
Sie tanzt und tanzt, rechtsum, linksum,
reizend, wie Engel schweben.
Her, hin und her, sie ist allein,
umblitzt vom ersten Sonnenschein,
dem Trieb ganz hingegeben.

Mal kratzt sie sich den krausen Kopf,
der Spatz machts so mit seinem Schopf,
das tut sie nicht anfechten.
Doch plötzlich hört der Taumel auf,
sie nimmt den Korb, setzt sich in Lauf,
es fliegen ihre Flechten.

Hin zur Musik! Sie läuft, sie rennt,
Nur zu, nur fort, als wenn sie brennt,
was sinds für Firlefanzen!
Die Wurst im Korb macht hoppsasa,
Die Eier hüpfen hopplala,
und auch die Pomeranzen.

Wer weiß, wo jener Tanzplatz war:
In Kiel, in Rom, in Sansibar,
in Siebenbürgen, China?
Der Reim auf China liegt nicht fern:
Im Leben denk ich immer gern
der kleinen Ballerina.

Detlev von Liliencron
(1844-1909)


Gruß, Enigma
Milan
Milan
Mitglied

Re: Vergessene Dichter und Gedichte Pidder Lüng
geschrieben von Milan
als Antwort auf desiree vom 12.03.2009, 18:18:09
Pidder Lüng

"Frii es de Feskfang,
Frii es de Jaght,
Frii es de Strönthgang,
Frii es de Naght,
Frii es de See, de wilde See
En de Hörnemmer Rhee." 1)

Der Amtmann von Tondern, Henning Pogwisch,
Schlägt mit der Faust auf den Eichentisch:
Heut fahr ich selbst hinüber nach Sylt
Und hol mir mit eigner Hand Zins und Gült.
Und kann ich die Abgaben der Fischer nicht fassen,
Sollen sie Nasen und Ohren lassen,
Und ich höhn ihrem Wort:
Lewwer duad üs Slaav. 2)

Im Schiff vorn der Ritter, panzerbewehrt,
Stützt sich finster auf sein langes Schwert.
Hinter ihm, von der hohen Geistlichkeit,
Steht Jürgen, der Priester, beflissen, bereit.
Er reibt sich die Hände, er bückt den Nacken.
Der Obrigkeit helf ich, die Frevler packen;
In den Pfuhl das Wort:
Lewwer duad üs Slaav.

Gen Hörnum hat die Prunkbarke den Schnabel gewetzt,
Ihr folgen die Ewer 3), kriegsvolkbesetzt.
Und es knirschen die Kiele auf den Sand,
Und der Ritter, der Priester springen ans Land,
Und waffenrasselnd hinter den beiden
Entreißen die Söldner die Klingen den Scheiden.
Nun gilt es, Friesen:
Lewwer duad üs Slaav!

Die Knechte umzingeln das erste Haus,
Pidder Lüng schaut verwundert zum Fenster heraus.
Der Ritter, der Priester treten allein
Über die ärmliche Schwelle hinein.
Des langen Peters starkzählige Sippe
Sitzt grad an der kargen Mittagskrippe.
Jetzt zeige dich, Pidder:
Lewwer duad üs Slaav!

Der Ritter verneigt sich mit hämischem Hohn,
Der Priester will anheben seinen Sermon.
Der Ritter nimmt spöttisch den Helm vom Haupt
Und verbeugt sich noch einmal: Ihr erlaubt,
Dass wir euch stören bei euerm Essen,
Bringt hurtig den Zehnten, den ihr vergessen,
Und euer Spruch ist ein Dreck:
Lewwer duad üs Slaav.

Da reckt sich Pidder, steht wie ein Baum:
Henning Pogwisch, halt deine Reden im Zaum!
Wir waren der Steuern von jeher frei,
Und ob du sie wünschst, ist uns einerlei.
Zieh ab mit deinen Hungergesellen!
Hörst du meine Hunde bellen?
Und das Wort bleibt stehn:
Lewwer duad üs Slaav!

Bettelpack! fährt ihn der Amtmann an,
Und die Stirnader schwillt dem geschienten Mann:
Du frisst deinen Grünkohl nicht eher auf,
Als bis dein Geld hier liegt zu Hauf!
Der Priester zischelt von Trotzkopf und Bücken
Und verkriecht sich hinter des Eisernen Rücken.
O Wort, geh nicht unter:
Lewwer duad üs Slaav!

Pidder Lüng starrt wie wirrsinnig den Amtmann an.
Immer heftiger in Wut gerät der Tyrann,
Und er speit in den dampfenden Kohl hinein:
Nun geh an deinen Trog, du Schwein!
Und er will, um die peinliche Stunde zu enden,
Zu seinen Leuten nach draußen sich wenden.
Dumpf dröhnt's von drinnen:
Lewwer duad üs Slaav!

Einen einzigen Sprung hat Pidder getan,
Er schleppt an den Napf den Amtmann heran
Und taucht ihm den Kopf ein und lässt ihn nicht frei,
Bis der Ritter erstickt ist im glühheißen Brei.
Die Fäuste dann lassend vom furchtbaren Gittern,
Brüllt er, die Türen und Wände zittern,
Das stolzeste Wort:
Lewwer duad üs Slaav!

Der Priester liegt ohnmächtig ihm am Fuß;
Die Häscher stürmen mit höllischem Gruß,
Durchbohren den Fischer und zerren ihn fort,
In den Dünen, im Dorf rasen Messer und Mord.
Pidder Lüng doch, ehe sie ganz ihn verderben,
Ruft noch einmal im Leben, im Sterben
Sein Herrenwort:
Lewwer duad üs Slaav!
Detlev von Liliencron


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