Corona bringt es an den Tag - II -


Als unsere Tochter geboren war, kam seine Antipathie gegen Babys und Frauen immer mehr ans Tageslicht. Es war ihm nicht möglich, seine Tochter in die Arme zu nehmen. Wenn die Zweijährige sich neben ihn auf das Sofa setzte und von ihm verlangte, mit ihr zu schmusen, zu kuscheln, nahm er sie kurz in seine Arme, schaukelte sie kurz hin und her, sagte dazu „Schmuse, schmuse“ und setzte sie wieder weg.

Unsere damals neunjährige Tochter hatte das Pech, dass sie eines Tages versehentlich in den Bach, der durch unseren Garten floss, zu fallen. Ein Sturz aus einem Meter Höhe. Verletzt hatte sie sich kaum, aber danach fragte ihr Vater erst gar nicht. Sie war klitschnass. Nur das sah er und es machte ihn so wütend, dass er sie für ihr Ungeschick schlug, schüttelte und heftig ausschimpfte. Kein Trost, keine Hilfe beim Aussteigen aus dem Bachbett.

Mit 12 ½ Jahren erhielt sie die Diagnose Wirbelgleiten, weil es ihr nicht mehr gelang, im Sportunterricht so mitzumachen, wie es verlangt wurde. Zu Weihnachten erhielt sie einen Luftkissenschlitten, sie sollte wie die anderen Kinder rodeln können, aber nicht von den harten Sitzen eines Holzschlittens im Rücken Stöße bekommen, die ihr Schmerzen bereiten könnten. Natürlich musste sie den weichen Schlitten ausprobieren, als endlich in jenem Winter genügend Schnee lag. Aber sie kannte die Buckelpiste, die sie zum Rodeln ausgesucht hatte, ohne Schnee nicht. Das führte dazu, dass sie mit dem hopsenden Luftkissenschlitten stürzte. Sie hatte den Hausschlüssel an einem Lederband um den Hals getragen. Damit er ihr bei einem Sturz nicht aus einer Tasche fallen sollte, trug sie das Lederhalsband sogar unter ihrem Pullover und Anorak. Doch der Schlüssel fand dennoch den Weg in den Schnee und verschwand auf Nimmerwiedersehen.

Als sie sich endlich von dem Sturz soweit erholt hatte, dass sie wieder laufen konnte, suchte sie zuerst den Schlüssel, fand ihn aber nicht mehr. Sie schlich – voller Schmerzen – den guten Kilometer nach Hause, wo sie zu ihrem großen Pech gleich auf ihren Vater traf.

Ich hatte meine Kinder zu vertrauensvollen Kindern erzogen, die das Lügen (wie ihr Vater) unterließen. Allenfalls verschwiegen sie eine Unannehmlichkeit. Aber in diesem Fall musste unsere Tochter gestehen, dass der Schlüssel futsch war – ein Schlüssel, der nicht nur die Haustür aufschloss, sondern es auch ermöglichte, jede andere verschlossene Tür im Haus zu öffnen: sie hatte als Familienmitglied selbstverständlich einen Generalschlüssel. Der Vater verstand nur: ein Generalschlüssel von SEINEM geliebten Sicherheitskonzept für SEIN Haus war verloren. Wer den fand, könnte jederzeit SEIN Haus ausrauben!

Trotz des Wissens um die schmerzhafte Diagnose seiner Zwölfjährigen trieb seine Wut ihn dazu, sie für diese Unzuverlässigkeit umgehend zu Fuß mit Tritten, Schlägen und Boxhieben wieder zu der Unfallstelle zurückzutreiben und sie dort suchen zu lassen, bis klar war: der Schlüssel war weg!!

Ich weiß inzwischen aus eigener Erfahrung, wenn Wirbelgleiten einem das Gehen von mehr als 10 Metern fast unmöglich macht, was er seiner Tochter damals gnadenlos zugemutet hat! Dieser über einen Kilometer lange Weg durch den Schnee, teils mit Schlägen und Tritten, war für sie eine ungeheuerliche Eskapade!! Diesen Weg viermal zu machen, dazu mit den Schikanen des Vaters – ein absolutes No go!!

Es wäre durchaus möglich gewesen, mit dem Pkw dort hinzufahren, um gemeinsam und ohne körperliche Strafen nach dem Schlüssel zu suchen. Ein liebevoller Vater hätte wohl so handeln mögen. Er aber nicht. Erfahren habe ich davon erst Jahre später, denn er selber beschwerte sich nicht bei mir, wie ich meine Tochter verzogen hätte (wobei das gar nichts mit Erziehung zu tun hat). Natürlich wusste er, dass sein Verhalten inakzeptabel war. Aber sich selber in seinem Zorn vor mir, vielleicht auch vor beiden Kindern bloß zu stellen, DAS wollte er natürlich nicht. Auch sie hat diese böse Geschichte Jahre lang für sich behalten, mir erst davon erzählt, als sie längst von Zuhause weggezogen war, ihre Lehre beendet hatte und mit ihrem Freund in die neue Umgebung gezogen war, wo sie heute noch lebt.

Die Angst des Vaters, jemand, der den Schlüssel gefunden hätte, könnte in SEIN Haus Einlass finden und tun, was ihm beliebt, hat sich – natürlich – nie bewahrheitet. Woher sollte ein Finder wissen, welche Tür damit geöffnet werden könnte? Es stand kein Name dran, der Schlüssel hing nur an einem Lederband, das vielleicht sogar beim Sturz auch zerrissen war, gar nicht mehr mit dem Schlüssel hätte zusammen gefunden werden können. Und bei 33.000 Einwohner unserer kleinen Stadt ausgerechnet von Haus zu Haus zu gehen, bei Nacht und Nebel Tür für Tür auszuprobieren, ob diese oder jene zu öffnen sei – totaler Blödsinn!!

Unsere Tochter hatte ja nie erlebt, dass der Papa mit ihr liebevoll umging. Er kehrte stets den strengen Belehrer heraus. Auch nach ihrer ersten großen Wirbesäulenoperation, als sie acht Wochen lang nur auf dem Rücken in einem Gipsbett liegen bleiben musste, war es ihm nicht möglich, ihr Unbehagen diesbezüglich verstehen zu können. Er verlangte freundlichste Zuwendung von ihr für sich, ansonsten könne sie davon ausgehen, dass er (wir) sie in diesen Wochen nicht mehr besuchen würden! Sie war gerade 13 Jahre alt …!!

Diese Haltung hat mich damals schon sehr verletzt, doch mein Protest machte ihn nur wütender. Aber als er selber 1993 seine erste Krebs-OP hinter sich hatte, benahm er sich – natürlich – so wie seine Tochter nach ihrer OP, wie ich nach jeder OP (obwohl er auch mir immer wieder klar zu machen versuchte, dass ich mich nicht so anzustellen bräuchte!). Er durfte sich diese Normalität leisten – und ich hatte zuhause damit fertig zu werden, dass unsere Tochter gerade in der Nacht vor seiner OP mit einem Zuckerkoma 170 km entfernt von zuhause gerade noch dem Tod von der Schippe gesprungen war. Mein Sohn und ich waren in der frostigen Nacht mit viel Neuschnee um Mitternacht losgedüst, um unsere Tochter und Schwester wenigstens noch einmal zu sehen. Glücklicherweise kam sie eine Stunde nach unserer Ankunft in ihrer Klinik wieder zu sich. Diese Ereignisse hatten mich 48 Stunden nicht schlafen lassen ... und dann vom Sanitäter zur Feierabendzeit mir sagen lassen, er wolle mich nicht sehen.

Als unsere Tochter mit 15 Jahren aufgrund ihrer durchgemachten Erkrankungen (die Gleitwirbel-OP zog durch Blutübertragungen unter der OP einen Diabetes Typ 1 hinzu) keine Lehrstelle bekommen konnte, versuchte er, sie in seinem Beruf in dem Laden, wo er arbeitete, unterzubringen. Zum Glück ließ unsere Tochter ihn recht schnell wissen, was sie davon hielt – nichts!

Sie entschloss sich zu einer Ausbildung in einem Berufsausbildungsinternat, von dem aus sie nach bestandener Lehrzeit mit einem Freund in dessen Stadt zog – bloß nicht wieder nach Hause! Dass dieser junge Mann – „Freund“ – mindestens genauso sadistische, narzisstische Neigungen wie ihr Vater entwickelte, konnte sie zuvor nicht ahnen. Es führte nach wenigen Jahren dazu, dass sie vor ihm floh und die einsetzenden Panikattacken zwei Jahre lang behandeln lassen musste. Da klärte sich auch für sie, was für einen Erzeuger sie hatte: der hatte seiner Tochter tatsächlich das Urvertrauen, das ein jedes Kind von klein auf hoffentlich in seine Eltern setzen können sollte, in ihren Vater zerstört!! Sie hat in dieser Zeit mit ihrem Vater „für sich abgerechnet, gebrochen“, nur um wieder zu sich selbst finden zu können.

Jahrzehnte später, als unser Enkel auf der Welt war, von dem der Opa einfach keine Notiz nehmen wollte, hatte sie die Größe, sich dennoch auf Wunsch ihres Onkels und eines früheren Kumpels ihres Vaters bei ihm zu melden, ob sie ihm ihren fast vierjährigen Sohn doch einmal vorstellen dürfe. „Na ja, darüber muss ich noch mal eine Nacht schlafen, ruf morgen noch einmal an!“ war seine Antwort. Sie durfte – und seither rannte er allen, die er kannte, mit Fotos SEINES Enkels die Türen ein!

Heute weiß ich, dass „mein Narzisst“ ein bedauernswerter Mensch war, der in seinem eigenen Vater einen hilflosen Mann hatte, verheiratet mit einer manisch-depressiven, wohl auch narzisstisch veranlagten Frau war, der er nie Paroli bieten durfte. Er konnte seinen Kindern nicht helfen, wird auch ihr Verhalten nicht wirklich mitbekommen haben, durfte es nur am eigenen Leib von ihr erleben. Sie brachte es fertig, ihn in seiner Gegenwart mit einem anderen Mann in der eigenen Wohnung zu betrügen, was der Älteste – mein späterer Ehemann – mit ansehen musste, weil er zufällig zu diesem Zeitpunkt nach Hause kam. Und ihre Aussage ihrem Mann gegenüber: „ … wenn du mir nicht noch ein Kind machst, gehe ich mit einem anderen dafür ins Bett!“, war dann durch ihren Ehemann gezwungenermaßen der Grund zur Zeugung der jüngsten Schwester meines Mannes.

Sie hatte auch kein Problem damit, Jahre zuvor zuzusehen, wie sich der die Familie besuchende Geistliche an ihrem damals neunjährigen Ältesten zu Fummeln machte! All dieses Erleben dürfte mit Ursache für die Ablehnung oder sogar den Hass auf Frauen bei meinem Narzissten sein. Eine Entschuldigung für sein Verhalten mir oder unseren Kindern gegenüber kann das dennoch nicht sein.

So schlimm es für diese Familie war, dass die Mutter der Kinder, als diese 19, 15 und 12 waren, nach einem Suizidversuch für immer in der geschlossenen Geriatrie lebte, sie hat vor allem ihren Ältesten und die Jüngste böse für ihr Leben beeinflusst!

Heute bin ich überzeugt, dass die wohlmeinende Ansicht meines Vaters, mich mit dem erstbesten Mann zu verheiraten, mit dem ich tatsächlich – und ohne jede sexuelle Aktivität – über Nacht weg geblieben war. Hätte er gewusst, in welche Verhältnisse ich dadurch gestoßen wurde, es hätte diese Hochzeit nicht gegeben. Dumm war auch, dass ich zu dem Zeitpunkt (ich war 19) mir nicht mehr von ihm vorschreiben lassen wollte, mit wem ich meine Freizeit und wo ich die verbrachte. Die Verhältnisse der Familie meines Mannes konnte ich in dem Alter noch gar nicht ausreichend erkunden, war auch wohl noch zu naiv.

Aber ich habe zwei gesunde wunderbare Kinder, die ich andernfalls wohl nicht hätte … oder eben andere Kinder ...

 

Anzeige

Kommentare (2)

Tannenmuetterchen

Ich finde es schwierig, hier auf "gefällt mir" zu klicken, habe es aber trotzdem getan, weil es ja hier mit einem kleinen Herz einhergeht. Das Lesen hat mir fast die Luft genommen. Da ich aber weiss, wie befreiend schreiben sein kann, finde ich es gut, dass du es aufgeschrieben hast. Es gehört einiges an Vertrauen dazu, so etwas aufzuschreiben. Danke dafür! Ich wünsche dir einen guten Tag mit schönen Erlebnissen und wenigen dunklen Erinnerungen.

nnamttor44

@Tannenmuetterchen  
Ja, liebes Tannenmütterchen, es ist wichtig für mich gewesen, nach der Erkenntnis über die in Jahrzehnten stattgefundenen Geschehen für meine Kinder, auch für sie das aufzuzeichnen. Fraglich fand ich, es tatsächlich auch öffentlich zu machen.

Die Tatsache, dass es so viele Betroffene gibt, die sich ihrem "eigenen Narzisten" täglich unterwerfen (müssen), ohne eine Ahnung zu haben, was da los ist, hat es mich veröffentlichen lassen. 

Du glaubst gar nicht, wie sehr ich es genieße, zu sehen, wie gut die Ehe meiner Tochter und der Umgang mit ihrem achtjährigen Sohn durch beide Eltern funktioniert.

Der Junge fällt bereits in der Schule als sehr fröhliches, ausgeglichenes Kind der Schulleiterin auf - und das trotz schwerem Betroffensein durch Legasthenie. Gerade hat meine Tochter für ihre Diplomarbeit zur Legasthenie-Trainerin von verschiedenen Fachseiten dickes Lob einheimsen können. Das galt für ihre Arbeit wie auch für die dokumentierten Fortschritte ihres Jungen! Und das widerspricht total den Aussagen seiner beiden Klassenlehrerinnen wie auch anderen Lehrern. Es herrscht ja immer noch die Meinung vor, erst ab dem dritten Schuljahr könnte man bei legasthen Kindern etwas bewirken. Bei unserem stark Betroffenen zeigt sich: früh richtige Kenntnis davon zu haben, als Eltern tatsächlich mit der Einschulung begleitend eingreifen ist tausend Mal besser als einen Acht- oder Neunjährigen ein Schuljahr zurück setzen!

Genieß die letzten Sommer-Sonnenstrahlen wünscht

Uschi


Anzeige