Die Lesung

Es ist noch Zeit bis zur Lesung. Einige Raucher frieren am Aschenbecher vor dem Glas-Marmor-Palast. Gruppen diskutierender Leute stehen im Foyer des Auditoriums. Dauerlächelnde Hostessen scannen Einladungskarten. Mir wird klar: Das ist keine heimelige Bibliothekslesung mit Sesselkreis, hier wird es kein intimes Zusammenrücken zwischen Literaturfreunden geben. Meine Hoffnung, irgendwelche Bekannte zu treffen, ist vergeblich. Ich schlängle mich durch weiß drapierte Partytische.

„Ein Glas Sekt für den Herrn?“, lispelt eine junge Auszubildende. Sie wirkt schüchtern und unsicher. Das macht sie zu einer Seelenverwandten, denn mir geht es auch nicht viel besser. „Haben Sie auch was Alkoholfreies?“, frage ich freundlich. „Ich hole Ihnen ein Wasser“, sagt Janette. Ihr Name steht auf dem Anstecker.
Ich schlendere in Richtung Auditorium. Gigantisch – mein erster Eindruck. Die ersten Reihen sind reserviert. Auch für mich? Immerhin bin ich eingeladen, denke ich, verzichte aber auf das Privileg und steuere den Bereich weiter hinten an. Reihe zwölf ist fußfrei. Die Sicht auf die Bühne ist gut, außerdem gibt es eine Videowall. Der kleine Lesetisch, gerademal groß genug für das Buch des Autors und dem obligaten Wasserglas, bildet mit dem spartanischen Sessel eine einsame Symbiose. Die Einladung dient meinen Händen als Beschäftigung für die rauchfreie Zeit. Es herrscht Rauchverbot. Die Argumente mehren sich, endlich mit dem Rauchen aufzuhören. Meine Alkoholsucht habe ich erfolgreich bekämpft, mit dem Rauchen bin ich noch nicht so weit. Vermutlich, weil das Rauchen keine sozialen Probleme bereitet. Oder doch? Mittlerweile werden auch Raucher ausgegrenzt, vor die Tür verbannt, abgesondert.

Ein Porträt des Autors blickt in die Sesselreihen. Ich habe den Eindruck, dass er mir direkt in die Augen schaut. Neben dem Bild stehen die Slogans: Bestsellerautor – Millionen verkaufte Bücher – trotz Superlative nicht abgehoben – Mensch wie du und ich – Geerdet.

Ich fantasiere. Was wäre, wenn ich von da oben herunterlächeln würde, mein Buch vorgestellt würde, ich vom Moderator begrüßt und vom Publikum mit Applaus empfangen würde. Wenn ich bedrängt würde, zu erzählen, wie ich das alles geschafft habe. Wie mein Wort mehr Gewicht bekäme, ich mir gescheite Sätze einfallen lassen müsste, um meinen Erfolg zu rechtfertigen. Ich glaube, Erfolg kann betrunken machen – glücklich betrunken oder poetisch – Trunken vor Glück. Das wäre der Rausch, den ich mir zugestehen würde. Ja, ich würde was tun. Meine Sorge gilt den Leuten vom Rand. Sie brauchen eine Stimme die gehört wird. Das wäre eine, meine Aufgabe.

Spot an! Der Autor betritt die Bühne. Dezenter Applaus lässt die Luft vibrieren, das bringt mich zurück in die Wirklichkeit. Der Schriftsteller rollt elegant einen Wörterteppich vor dem Publikum aus und genießt den Schlussapplaus. Ich gehe still und leise nach Hause an meinen Schreibtisch. Ich muss die Reise zu meinen Traum beginnen.
 


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Kommentare (4)

Rosi65

Lieber Ferdinand,

ein Bestseller besitzt die Magie mit Worten zu fesseln und zu knebeln. Sein Leser entwickelt sich dabei zum zweiten Ich des Protagonisten, den er leidend, kämpfend oder auch lachend durch den Ablauf des Geschehens begleitet.
Große Liebe und Leidenschaft zum Schreiben, sind nach meiner Auffassung, die Voraussetzungen für ein gutes Buch. Es muss ja nicht unbedingt gleich ein Bestseller werden.
Lieber Ferdinand, ich wünsche Dir, dass Dein Traum in Erfüllung geht.

Herzliche Grüße
  Rosi65

Eisenwein

@Rosi65  
Danke, liebe Rosi!
Du hast Recht, es muss kein Bestseller werden. Das sagt auch meine Frau, sie meint, Bestseller würden den Charakter verderben. Sie lebt lieber mit einem NoName-Autor, der gehört ihr ganz allen. 😉

Muscari


Ach, wie schön, lieber Ferdinand,

von Herzen wünsche ich Dir, dass die Reise zu Deinem Traum nicht mehr allzu lange dauert. Ich finde nämlich, dass Du Dein Ziel eigentlich schon erreicht hast...

Mit allen guten Wünschen von
Andrea 👍

Eisenwein

@Muscari  
Das ist so eine Sache, das mit dem Roman schreiben. Einerseits ist es schön davon zu träumen, andererseits ist es mühsam. Irgendwie geht mir die Power aus dabei. Eine Kurzgeschichte ist halt schnell geschrieben, die Anforderungen sind nicht so hoch und die Anerkennung kommt auch schneller.
Machs gut!
Ferdinand 


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