...nun freue dich endlich mal !!!


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das waren die Worte, die man Weihnachten 1953 zu mir sprach.
Und wie ein Damoklesschwert tauchen sie jedes Jahr in meiner Erinnerung auf und wie immer, versuche ich mich zur Weihnachtszeit abzulenken.
1953 war für mich ein ganz schlimmes Jahr. Im Februar verstarb mein geliebter Großvater und im November schloß Mutti die Augen für alle Zeiten.
Meine Tante kam von der BRD zu uns in die DDR und schaffte es mich mitzunehmen.
Es dauerte genau 14 Tage, an die ich mich überhaupt nicht mehr erinnern kann. Doch plötzlich saß ich in dem Zug, der in die BRD rollte.
Umsteigen in Leipzig - alles geschah wie in Trance, ich lief einfach mit.
Irgendwo, wo man schon pfälzisch sprach, setzte mein Gehirn wieder ein und ich wollte sofort aussteigen. Ich wollte wieder nach Hause, unbedingt.
Mein Rucksack schnallte man mir auf den Rücken und somit hatte man mich im Griff. Meine Tante beschimpfte mich als undankbar etcetera.
Meine Cousine war sehr quengelich und schubste mich von sich weg.
Am Zielbahnhof stand Onkel Günther und holte uns zu Fuß ab.
Ein langer Fußmarsch mit Gepäck - so hatte ich mir das "gelobte Land" nun wirklich nicht vorgestellt.
Zu Hause sind wir mit einem Taxi zum Bahnhof gefahren, ja, man hatte eben Beziehungen. Sowas schien hier nicht zu existieren. Komisch. Und dafür muß ich dankbar sein? Und mein hübsches Zimmer, meine Freunde und die Schule und überhaupt, alles war weg und hier mußte ich auf einer Couch-Matratze in der Küche schlafen. Kein bißchen Schrank, in dem ich meine "geheimen" Sachen verstauen konnte. Naja, viel war es sowieso nicht mehr, doch es störte mich, daß alles für jeden im Blickfeld war.
Meine kleine Cousine hatte Krabbelfinger und alles was ich mein eigen nannte, daß mußte erstmal von "Mami" kontrolliert werden.
Meine beste Ablenkung war die neue Schule, auf der ich angemeldet wurde.
Die erste Hürde war eine Aufnahmeprüfung - geht's noch? - doch auch diese schaffte ich mit Hängen und Würgen geradenoch.
Diese Schuldirektorin stand mir zur Seite, denn ich wurde zu einer sehr guten Schülerin. Sie war stolz auf mich und stützte mich, wo sie nur konnte.
So verging das erste Jahr mit viel Heimweh und vielen Tränen.
Das erste Weihnachten, für mich ein seelischer Zusammenbruch.
Es lagen Geschenke unter dem mikrigen Weihnachtsbaum, man drückte mir etwas in die Hand und befahl, mich nun endlich zu freuen.
Ich rannte weinend aus dem Zimmer raus. Mir fehlte doch ganz was anderes, Geschenke brauchte ich nicht, ich wollte doch nur nach Hause in die Bäckerei und Vati helfen bei der Weihnachtsbäckerei.
Die Hühner füttern, den Stall ausmisten, im Sommer die Tomaten gießen und Dahlien pflanzen. Könnt ihr mich denn nicht zurückschicken? Das war die verkehrte Frage - dann kommst du ins Waisenhaus, denn Vati will dich nicht.
Vati war mein Stiefvater und Bäckermeister mit eigenen Laden.
Das wollte ich nicht glauben und schrieb ihm einen langen Brief mit der Adresse einer Schulfreundin, die ich inzwischen schnell gefunden hatte.
Mein Umfeld nahm mich mit offenen Armen auf und somit war es ein neuer Zufluchtsweg für mich. Wir zogen dann in eine größere Wohnung, ich schlief dann mit meiner Cousine in einem Zimmer, jedenfalls besser als in der Küche. Langsam gab ich mich zufrieden und fand mich mit dem Schicksal ab.
Meine Mutter wurde totgeschwiegen, man sprach vor mir nicht über sie.
So lange, bis der Nachlaß geregelt werden mußte. Ich wurde zum Vormundschaftsgericht bestellt! Die Granate saß. Tante war der Ohnmacht nahe und beschimpfte mich als Denunziant und undankbar. Mal wieder.
Ich ging von der Schule aus ohne Begleitung hin. Und endlich fand ich jemanden, der auf mich Obacht gab. Der Onkel mußte immer schriftlichen Bericht abgeben und von mir wurde das ebenfalls verlangt. Praktisch als Pendant dazu.
Dieser Mensch hat gute Arbeit geleistet, vorallem da er auch mit meiner Schuldirektorin Kontakt aufnahm.
Ab diesem Zeitpunkt herrschte schleimiges Wohlwollen in meinem neuen Elternhaus.
Und wehe es wurden von meiner Tante wieder wilde Gerüchte in die Welt gesetzt. Doch das "undankbar" blieb ihr Leben lang bestehen. Selbst noch auf dem Sterbebett wurde ich damit konfrontiert.
Auf ihrer Beerdigung konnte ich keine Trauer tragen, nicht mal äußerlich.
Endlich war Ruhe im Karton, so kam es mir vor. Ihre Lieblingsblumen habe ich ihr mitgegeben, doch mehr auch nicht. "Finde endlich deinen eigenen Frieden und laß mich in Ruhe", so waren meine Gedanken.
Ich weiß nicht, warum sie mit mir so einen Streß aufgebaut hat, denn meine Waisenrente kam ihr doch gelegen und ich war wirklich pflegeleicht.
Ich muckte nicht, mit mir kann man nicht streiten, ich folgte stetig und hielt mich an Absprachen, kurzum, viel verkehrt gemacht haben kann ich nicht.
Meine Fahrten in meine Heimatstadt, die mußte ich wahrlich verschweigen.
Das hätte Krieg bedeutet, was ich nicht wollte.Doch das Heimweh bleibt ewiglich.
In diesem Sinne, denn es weihnachtet wieder.
Ich wünsche noch einen gemütlichen Feiertag und einen guten Rutsch ins Neue Jahr. Ich werde es genießen.
Euer Moni-Finchen



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Kommentare (5)

Agi Auch mich hat deine traurige Geschichte tief berührt,Moni Finchen.
Und ich dachte,dass ich eine schlimme Kindheit hatte.......
Aber es tut gut,sich das Leid von der Seel zu schreiben.Ich bin leider noch nicht so weit.
Ich wünsche dir alles erdenklich Gute und ein glückliches neues Jahr 2014,wo hoffentlich alles besser werden wird.
Liebe Grüße und eine Umarmung.
Agi
finchen Und das hat mich stark gemacht. In die Knie bin ich noch nie gegangen, im Gegenteil, ich lernte meine Stärke kennen!
Mit meinem Compu liege ich im Streit - doch warte Bursche, ich besiege Dich - gib mir nur Zeit!
Euch allen ein gesundes Neues Jahr...für mich wird es eingeläutet, ich verspreche es.
Mit lieben Grüßen
euer Moni-Finchen
omasigi Deine Geschichte hat mich sehr berührt.
So früh hast Du das Behütetsein verlassen müssen.
Doch denke ich, dass hat Dich stark fürs Leben gemacht.
Eine Lebenslehre, aber Du hast sie bestanden.
Liebes Finchen,
werde wieder richtig gesund. Es ist so schön, dass Du hier im ST. wieder für uns schreibst.
grüssle
Sigrid
Traute Manches mal fragen sich die Menschen, wie kommt es nur, das wir alle so unterschiedlich sind. so kommt das. Wie Du ein paar Eindrücke beschreibst. Als das Glück und die Mutterliebe vorbei waren und Du zwangsweise in ein neues zu Hause kamst, in dem Gefühlskälte herrsche und Materielle Sachen Vorrang hatten. Das muss man erst mal vertragen.
Das freu Dich endlich! Kommt einem vor wie Hohn. Was soll man sich über ein Stück Geschenk freuen , wenn es mit kaltem Herzen serviert wird.
Ich kann es Dir sehr gut nachfühlen, wie Dir zu Mute war.
Das geht auch nie wieder raus. Wer aus Liebe und Geborgenheit in so eine kalte Gesellschaft kommt der friert und die die das gewohnt sind und als richtig empfinden , verstehen es nicht.
Liebes Finchenlein werde ganz schnell wieder gesund.
Wünsche Dir Kraft und Ausdauer da zu und Hoffnung das es bald wieder so ist wie Du es haben möchtest.
Ein frohes Fest und vor allem eine gute Gesundheit.
Mit herzlichen Grüßen,
Traute
nnamttor44 ja ganz offensichtlich nicht sehr schöne Erinnerungen an die zickige Tante, die wohl nicht wirklich wußte, was Kinder brauchen!! Und Du warst doch erst 13?! Ein Alter, in dem Kinder oft nicht wissen, in welche Richtung es geht und dann nicht mal eine vertrauensvolle Mutter oder Oma, die als Fels in der Brandung halten kann ...

Ich hoffe sehr, dass Du nicht immer wieder eingesteckt hast, das kann man nur schwer verarbeiten!

Ich wünsch Dir noch einen gemütlichen, ruhige 2. Feiertag und vergiß für ein paar Stunden diesen dusseligen Befehl "nun freu Dich endlich!" Das bekam ich zu meinem 10. Geburtstag auch zu hören und um niemanden zu enttäuschen, hab ich dann eine Schürze, die auf dem Gabentisch lag, umgetan und mich an den ganz normalen Frühstückstisch gesetzt.

Lieben Gruß sendet Dir Uschi

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