Verantwortung für mich!


Verantwortung für mich!

 
Geschätzt 100 sogenannte »Empfindlichkeit-Leser« sollen bei deutschen Verlagen damit beschäftigt sein, neue und alte Texte auf diskriminierende Darstellungen zu untersuchen, damit diese dementsprechend korrigiert werden können. Man sollte meinen, dass dies keine schlechte Idee sei - wissen wir doch, dass Sprache ein tödliches Gift sein kann!
Hätte man sich doch früher schon die Mühe gemacht, Texte in deutscher Sprache näher anzusehen und herauszufiltern, was an Nazi-Vokabular bis in die Neuzeit überlebt hat, es wäre weniger gewesen, das man heute anprangern müsste.
Aber auch im Englischen und Französischen haben Fremdenfeindlichkeit und Kolonialismus ihre Spuren hinterlassen. Hass, Unterdrückung und Intoleranz feiern wieder fröhliche Urständ. Wer kann das ändern?
Also los, »weißelt« die Buchseiten, um Max Frischs Andorra endlich die Rechtfertigung zu geben! Für eine Welt, die wieder einsieht, dass Verleumdung und Zersetzung nicht das Ziel sein können.
Aber - habe ich vergessen, dass die Literatur eigentlich eine Kunst ist, zu deren Aufgaben es auch gehört, der Gesellschaft ihren Spiegel vorzuhalten? Geht es nicht eigentlich darum, dass sie alles abbilden soll - gut wie böse? Wäre dann die Korrektur der Werke, vor allem alter Autorinnen und Autoren, nicht schlicht und einfach Geschichtsklitterung indem wir sie und natürlich ihre Zeit verharmlosen und beschönigen?
Agatha Christie und Ian Fleming stehen im Augenblick stark unter Beobachtung. (Viele ihrer gebrauchten Ausdrücke in den Büchern passen angeblich nicht mehr in die heutige Zeit. Wenn man nachdenkt, spürt man den Geist von George Orwell zwischen den Seiten hervortreten, mit dem unverwechselbaren Vokabular seines Romans 1984) Man kann mit Fug und Recht sagen: Hier läuft etwas schief! Müssen sich nicht erst Zeitgeist und Gesellschaft ändern, damit die Literatur sich daran abarbeiten kann?
Ich sage zu allem: JA! Ich will nämlich wissen, wen und was ich da lese. Diskussion über die Ideologie der Sprache ist zwar notwendig, aber ich weigere mich, zuzulassen, dass andere Menschen für mich entscheiden können, welches Buch mir zuzumuten ist!
Die Verantwortung für das was ich lese, übernehme ich stets selbst! Man muss mir nicht sagen, was mir nicht guttut. Ich möchte bei meinem Lesen das erkennen, was sich in unserer Gesellschaft zum Besseren verändert hat - oder auch nicht. Autoren, die nicht mehr leben, ist nicht mehr zu helfen, natürlich; aber die neuen, unverbrauchten, können daraus lernen, was sie lieber lassen sollten.
Die Entscheidung, wen oder was ich lese, treffe ich selbst - und niemand anderer!
Deshalb ist eine Korrektur alter Texte überflüssig und zudem Geschichtsverfälschend! Die Zeit war eine andere - damit fällt auch ein Vergleich völlig ins Wasser der Vergangenheit!

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Kommentare (6)

Rosi65

Lieber Horst,

zu der rückwirkenden Umschreibung von Büchern, in denen man einige ihrer Begrifflichkeiten tilgt oder ändert, nur um sie dem heutigen Zeitgeist anzupassen, stehe ich auch sehr skeptisch gegenüber.

Gerade Menschen die viel lesen sind in der Regel auch vielseitig interessiert. Sie beschäftigen sich auch intensiv und kritisch mit dem Buchinhalt, versuchen zu recherchieren, um ihren Wissensstand zu verbessern und sich eine persönliche Meinung dazu zu bilden. Denke auch, dass sie dafür keine Sprach-Polizei benötigen.

Wenn ich an das genannte Beispiel von Christine denke, „Vom Winde verweht“, ganz egal wie man jetzt zu dieser Literatur steht, hat die Autorin (Margaret Mitchel) immerhin zehn Jahre ihres Lebens an diesem Buch gearbeitet.
Und das historische Unrecht hatte ja auch nicht die Autorin zu verantworten. Außerdem war die Sprache damals ganz anders strukturiert als heute.
Man könnte nachträglich aber einen erklärenden Text als Vorwort einsetzen, um das versklavte Leben der farbigen Plantagearbeitern besser zu verdeutlichen. So würde dann wenigstens der ursprüngliche Text und die Buchseele erhalten bleiben.

In der Verfilmung des Buches erhielt die Schauspielerin Hattie McDaniel einen Oscar für die beste Nebenrolle als „Mummy.“ Es war der erste Oscar mit dem je eine afro-amerikanische Künstlerin nominiert wurde!
Doch nach der Preisverleihung durfte sie nicht gemeinsam mit den anderen (weißen) Nominierten an einem Tisch sitzen. Und zu der Filmpremiere wurde Hattie McDaniel erst gar nicht eingeladen.
Wäre das nicht eher ein Grund den Rassismus anzuprangern?

Viele Grüße
  Rosi65
 

Pan


Genau dieses Gehabe meine ich, liebe Rosi. Und wir dürfen - nein, wollen - nicht vergessen, dass derartige Abscheuliche Taten auch heute noch gang und gäbe sind, besonders in dem Land, das unsere Jugend so als Vorbild nimmt! Man kann nur flüstern: Bitte, bitte nicht ...

Christine62laechel


Eines von meinen beliebtesten Büchern ist und bleibt "Gone with the Wind". Natürlich hat sich der allgemeine Standpunkt zu vielen da dargestellten Motiven geändert. Na und? Damals war es so, und das ist ein Buch über Damals. Wer das nicht verstehen kann, liest wahrscheinlich keine Bücher überhaupt, und nie gelesen, für wen also die Korrekturen? Und dieses Buch erzählt nicht nur interessant über dieses Damals (sehr gut in meine Muttersprache übersetzt); das ist ein Buch über das Leben allgemein, über Frauen und Männer, über die Schattenseiten der Frauenemanzipation, über die Ehrlichkeit, und, und, und... Sollte ich das nach so einer Korrektur noch lesen wollen? Nein, ich möchte auch selber darüber entscheiden. Auch eine Blondine darf's. :)

Pan

Mir ist vollkommen bewusst, das ein Werk, welches hin- und her bearbeitet wurde, viel von seinem Innenleben verliert! Und das ist explizit schade für den Schöpfer dieser Texte, der damals mit seinen Worten ja eine Welt schuf, wie sie eben vorhanden war!
Was können mir Texte sagen, die in Teilen verändert wurden? Wir spüren es oft bei Übersetzungen, in deren Fortlauf man fraglos manches Vokabular findet, das einem einfach den Kopf schütteln lässt. Mir jedenfalls ist es schon vielfach so ergangen. Es ist mir auch schon ergangen, dass ich das Buch einfach nicht weitergelesen habe!
Margaret Mitchell ist da ein gutes Beispiel. Was sie 1937 artikuliert hat, muss bestehen bleiben. Und wenn das Wort »Nigger« darin vorkommt, dann ist das in Ordnung! Ich kann das umschreiben mit: »ein Sklave mit dunkelbrauner Hautfarbe«, natürlich. Und dann? Benannte man die Sklaven so? Mich schaudert vor den Auswüchsen solcher Literatur(ver)brecher.
Danke sagt
Horst

Roxanna

Stimme dir zu 100% zu, lieber Horst. Im Nachhinein Texte zu verändern, halte ich auch für eine Verfälschung. Wenn sie überhaupt noch gelesen werden, so kann man mit dem heutigen Wissen doch genau erkennen, in welche Richtung damals manipuliert werden sollte.

Lieben Gruß
Brigitte

Pan

Und diese Manipulation würde ja mit dem Ändern der Aussage-Wörter weitergehen, weiter und immer weiter ...
meint Horst

 


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