Walter Jens wird 90 Jahre und Demenz....


und "er fällt aus der Realität"...

Einer der wichtigsten Intellektuellen Deutschland wird heute 90 Jahre.
Der deutsche Literaturwissenschaftler Walter Jens
Walter Jens war ein brillanter Rhetoriker und scharfer Denker. Doch in der Welt, in der er jetzt lebt, ist es einsam. Walter Jens leidet an Demenz.
Am heutigen Freitag feiert Walter Jens in Tübingen seinen 90. Geburtstag. Es werden ein paar Freunde kommen, sagt Inge Jens, es wird einen Geburtstagskuchen geben.
Rituale sind wichtig für Menschen, für Demenzpatienten erst recht. Rituale geben Halt, wo sonst kaum Halt mehr ist.
Inge Jens, Herausgeberin der Thomas-Mann-Tagebücher, verfasste vor zehn Jahren gemeinsam mit ihrem Ehemann die Biografie "Frau Thomas Mann - Das Leben der Katharina Pringsheim". Sie wurde ein Bestseller. Walter Jens sagte damals: "Zusammen waren wir gut." Damals war er bereits an Demenz erkrankt. Heute lebt Inge Jens das Leben ihres Mannes für ihn mit. Es sei ein erfülltes gewesen, betont sie. Das sei auch ein Grund, warum sie mit der Situation nicht hadere. "Dass es so zu Ende geht, ist schmerzlich für alle, die ihn mögen. Ob es auch für ihn schmerzlich ist, weiß niemand. Er kann es uns nicht sagen."

Er wollte nie so leben wie jetzt

Inge Jens ist 86 Jahre alt. Sie und ihr Mann engagierten sich in den achtziger Jahren in der Friedensbewegung, beteiligten sich an Sitzblockaden vor dem Atomwaffendepot Mutlangen, versteckten während des Golfkriegs 1990 desertierte US-Soldaten in ihrem Haus. Dort lebt Walter Jens noch immer. Er hat eine Pflegerin, die rund um die Uhr für ihn sorgt. "Ohne ihren Einsatz wäre er vermutlich längst gestorben", sagt Inge Jens. "Manchmal machen wir ihm den Fernseher an, damit er sich ein Fußballspiel anschauen kann. Was er davon sieht und begreift, wissen wir nicht. Aber er scheint eine Zeit lang richtig aufzuleben."


Es ist genau das Leben, vor dem sich Walter Jens - einer der wichtigsten Intellektuellen Deutschlands - immer gefürchtet hat. Der Publizist, Philologe und frühere Präsident der Berliner Akademie der Künste propagierte die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe. Mit dem Theologen Hans Küng verfasste er hierzu ein Buch - weil er niemals so leben wollte, wie er jetzt leben muss. "Das ist die große Schwierigkeit für mich", sagt seine Frau.

Doch sein Lebenswille scheine ungebrochen. "Denn Möglichkeiten zu sterben hätte er im letzten Vierteljahr genügend gehabt. Er ist ein paar Mal sehr schwer krank gewesen, aber er hat sich ohne viel Zutun immer wieder erholt. Wie lange seine Kraft noch reicht - ich weiß es nicht. Aber lebensverlängernde Maßnahmen kann und darf ich bei ihm nicht zulassen. So steht es in seiner Patientenverfügung."

Den 90. Geburtstag will die Familie so zelebrieren, wie sie es in den vergangenen Jahrzehnten immer getan hat: mit Freunden, Nachbarn und Apfelkuchen und Schwarzwälder Kirschtorte - gebacken von der Pflegerin. "Mein Mann wird dabei sein, wenn und solange er will und kann", sagt Inge Jens. "Für Außenstehende ist es ein trauriges Dasein. Ich kann nur hoffen, dass es für ihn selbst nicht so traurig ist."



Herr Professor Kuschel, vor zehn Jahren hielten Sie zu Walter Jens’ Achtzigstem eine Ehren-Vorlesung im Tübinger Audimax. Im Hörsaal folgte Ihnen damals, hellwach und stolz, der Jubilar. Was bewegt Sie angesichts der inzwischen so veränderten menschlichen Umstände?

Ich empfinde ein Gefühl tiefer Betroffenheit. Wenn man Walter Jens so gut gekannt hat wie ich, ihn erlebt hat in seinen glänzendsten Zeiten, und ihn jetzt so im Verfall sieht, dann geht einem das sehr nahe. Wie er selber sich fühlt, kann niemand sagen. Er ist nach wie vor ein lebendiger Mensch, der atmet, isst, trinkt; der Gefühle hat, zuweilen Gefühlsausbrüche; der manchmal noch ganze Sätze hervorstoßen kann, flehentliche Sätze. Er ist noch unter uns, aber anders, als wir ihn gekannt haben. "

Das Gewissen im Ohr

Ela

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Kommentare (6)

Ela48 danke für Deinen Beitrag.
Es ist eine schwierige Aufgabe "Sterbebegleitung" und zeigt ein hohes Maß an Verantwortung. Ich finde es wunderbar von Dir.
In meiner zukünftigen Selbsthilfegruppe (Beginn 3.4.2013) habe ich eine ehemalige Kollegin eingeladen, die Menschen bei Interesse in Sterbebegleitung ausbildet.
Falls gewollt von den Teilnehmern, wird sie einen Vortrag halten. Ich gebe die Themen nicht vor, sondern ich referiere über die von den Zuhörern bestimmten Themen. In der Einladung steht auch "Hilfe zur Selbsthilfe".
Danke Dir,
Ela
anjeli auch eine Diskussion seines Sohnes zur Sterbehilfe, deren Verfechter sein Vater war.

Mir ist bekannt, dass er auf einem Bauernhof mit seiner Pflegerin lebt. Er kümmert sich um Tiere (was man kümmern nennen kann, angesichts seines Zustandes) Er macht dort Dinge, die sonst in seinem Leben nie getan hat.
Er ist glücklich in seinem jetzigen Leben.
Es sind die Angehörigen, die Probleme mit der Erkrankung haben und nicht damit umgehen können.

Ich habe einen Artikel über Walter Jens gelesen. Er hat zu seiner Frau gesagt "Bitte nicht totmachen".

Das ist ein Beispiel dafür, dass Menschen sich anders entscheiden, wenn sie wirklich krank werden.
Fast jeder Mensch, auch wenn er todkrank ist, hängt am Leben.
In zwei Jahren Sterbebegleitung habe ich keinen Patienten erlebt, der freiwillig sterben wollte.
Und das ist jetzt bei Walter Jens der Fall, das hat sein Sohn ganz deutlich zum Ausdruck gebracht.

anjeli
Ela48 lieb, das Du noch einmal geantwortet hast.
Vielleicht sollte ich zur Erklärung folgendes sagen: Ich bin Fachkraft in der Altenpflege und habe ein Zertifikat in Gerontopsychiatrie. Vor einiger Zeit bin ich in Rente gegangen
Hier im Forum habe ich einen Blog aufgemacht über Valdation. Ich war überrascht, wie oft auf den Blog zugegriffen wurde.
Ebenso bin ich ich des öfteren aus unserer Umgebung angerufen wurden, weil Menschen in ihrer Not, Hilfe gesucht haben.
Darum die Idee zur Bildung einer Selbsthilfegruppe.

Validation

liebe Grüße, Ela
ehemaliges Mitglied die schlimmste Phase ist in der Erkrankung diejenige, wenn der Betroffene merkt, dass etwas nicht stimmt.
Der Weg bis zum Facharzt dauert meist dann immer noch und dann kommt die Diagnose.
Das ist einfach brutal zu wissen, dass etwas im Kopf passiert, auf das man keinerlei Einfluß hat und man alles vergessen wird.

Zumindest habe ich das so während meiner Berufstätigkeit erlebt, auch die Not der Angehörigen, die vor dieser Katastrophe stehen und oftmals gegen den Widerstand der Betroffenen, so weit dies noch möglich ist, vieles regeln müssen.

Ich wünsche Dir viel Erfolg bei der Gründung der Selbsthilfegruppe und hoffe, dass Du dabei Unterstützung hast.

Auch Dir ein schönes Wochenende!

LG Meli
Ela48 diesen Satz, den Du geschrieben hast "Sein Schicksal dient der Aufklärung darüber, dass es Menschen aus jeder Gesellschaftsschicht treffen kann, vermindert keinesfalls die Angst davor, dass einen jeden von uns, diese Erkrankung auch treffen könnte", ist der Grund, warum ich diese Erinnerung an Walter Jens hier im Forum eingesetzt habe.

Es wird immer gesagt: Wir Menschen sind aufgeklärt. Wir sind es nämlich nicht!
Ich bin dabei eine Selbsthilfegruppe aufzubauen und hatte doch Schwierigkeiten bei manchen Menschen Gehör für dieses Thema zu finden: Was ist Demenz, der Umgang mit Demenz usw.
Ich bin gespannt, wie es sich weiter entwickelt.

Ich freue mich sehr, meli über Deinen Beitrag, möchte mich bedanken für die Unterstützung zu diesem, meinem Thema.
Wünsche Dir ein schönes Wochenende.
Ela
ehemaliges Mitglied zeigt die grauenhafte Zerstörung des Gehirns auch für die Öffentlichkeit.

Sie wird zur Kenntnis genommen, weil Professor Jens eben ein solche genialer Mensch mit dem entsprechenden Bekanntheitsgrad war.
Und es ist traurig, hier in der Vergangenheit sprechen zu müssen.

Sein Schicksal dient der Aufklärung darüber, dass es Menschen aus jeder Gesellschaftsschicht treffen kann, vermindert keinesfalls die Angst davor, dass einen jeden von uns, diese Erkrankung auch treffen könnte.

Ich denke, dass es diese Anfst ist, was so viele Menschen bei den Stoffwechselerkrankungen wegsehen läßt, nach dem Motto:

Hl. St. Florian, verschon mein Haus, zünd andere an.

Ja, es ist zu hoffen, dass ihm sein Geburtstagskuchen schmeckt.
Denn wie viel er davon noch wahrnimmt, was zu seinem Ehrentag von Familie und Freunde getan, weiß man nicht.

"Für Außenstehende ist es ein trauriges Dasein. Ich kann nur hoffen, dass es für ihn selbst nicht so traurig ist."
geschrieben von Zitat Inge Jens von Ela48


So ist es.

Meli

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