Wie einem der Schnabel gewachsen ist


Da lebst du irgendwo in Deutschen Landen. Von klein an wächst du an Mutters und Vaters Hand, du lernst das Sprechen, gerade so, wie Vater, Mutter und vielleicht auch die Großeltern es dir zu Gehör bringen, wie sie dir beim Sprechenlernen in ihrem Sinne unter die Arme greifen. Du wächst, kannst laufen, kommst in den Kindergarten, bringst neue Wörter mit nach Hause, solche, über die man lacht, aber auch solche, die du nicht nutzen darfst.

Schon komisch: Erst bringt man dir das „Bäuerchen“ bei, ja klopft dir auf den Rücken, daß es endlich kommt, und dann darfst du nicht mehr rülpsen, so streng ist man da. Genauso lacht man über die Ausgabe bestimmter Winde, wenn die mit Geräusch verbunden, und auch da wird man bitterböse, wenn du die Musik oder den Duft in Gegenwart anderer freigibst.

Deine Sprechweise hat von zu Hause eine Form erhalten, die sich nun, wo du dich in einem größeren Aktionsradius bewegen darfst oder schon mußt, Schule. Das färbt ab bei Spiel und Unterricht, das färbt ab von Leuten ringsum, in Bahn und Bus, vom Radio und Fernsehen im Sendegebiet.

Du nimmst die Stimmlagen, das Verstümmeln von Wörtern an, du übernimmst Orthographie, Grammatik und Dialektik auf. Ganz selbstverständlich. Nur das wachsame Gehör der Eltern und ihre Vorstellung von „Gepflegtem Sprechen“ zwingen Dich, das Hochdeutsch als erste Fremdsprache zu erlernen, das macht dann die Schule auch.

Du hörst andere Sprachmusikalitäten, man führt dir Dialekte vor. Ganz toll und amüsant. Zunächst! Aber dann kommst du in die Gegend, wo so ein Dialekt gesprochen wird. Im Hören lernst du das „Eigenartige“ zu verstehen. Wenn du dann schon eine Weile in dieser Umgebung lebst, übernimmst du unmerklich den Sound, die Redeform an. Wenn du dann nach langer Zeit einmal wieder zurück zum Ausgangspunkt, vielleicht „Heimat“ genannt, kommst, sagt man dir auf den Kopf zu „Na du kommst doch aus …“. Du bist erschüttert, glaubtest du doch immer noch so, wie in der Heimat sprechen zu können.

Je weiter du durch die Lande ziehst: überall findest du andere, für dich neue Sprachinseln. Wenn du auf deinen Radtouren besonders aufmerksam zuhörtest, was man da und dort sagte, dann hast du gemerkt, daß so alle zwanzig Kilometer sich in der Sprache etwas verändert hat.
Jeder wächst in seinem Sprachgebiet auf und läßt seine Herkunft hören. Es gibt da Aussprachen, die klingen lieblich, es gibt wieder andere, die wecken Urlaubswünsche, und es gibt solche, die sind verpönt. Verpönt, nicht bei jedem, es gibt oft irgendeinen Zusammenhang, wie uns die Sprache entgegentritt.

Du darfst sprechen, wie dir der Schnabel gewachsen ist. Die Hauptsache ist doch, daß dich andere Menschen verstehen. Du magst sprechen in der Weise, wie dich Mitmenschen gerne sprechen hören.

Noch braucht es keinen Dolmetscher, der das eine Deutsch in ein anderes Deutsch übersetzt. So sollte es bleiben, selbst bei mancher neu aufgenommenen, fremdländischen Vokabel – wenn alle sie verwenden können.

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Kommentare (1)

henryk ..alles gefaellt mir sehr....Lieber Ortwin ,...wann im Berlin die Kastaniebaeume bluehen werden....Henryk

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