Fernsehen und Film Der Vorleser

Mareike
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Re: Der Vorleser
geschrieben von Mareike
als Antwort auf pippa vom 31.07.2012, 14:05:12

...
Eines war jedoch komisch, den Missbrauch des Schülers habe ich erst durch die Frage der Jüdin erkannt. Vorher war es für mich eine von beiden Schauspielern gut gespielte Liebesgeschichte.

Das Buch muss ich nun wohl noch einmal lesen.

Pippa


Dazu gibt es die Parallele: Auch die KZ-Häftlinge dachten zunächst Hannah wäre anders, besser, mitfühlend ...

Im Gespräch: Bernhard Schlink

Mareike
geli
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Re: Der Vorleser
geschrieben von geli
als Antwort auf canello vom 31.07.2012, 13:00:35
... Die " Hanna " kann nicht lesen und schreiben...Damals ging sie zu den KZ-Wachmannschaften...Glaubt denn jemand allen Ernstes,daß man da nicht,wie überall in dieser überbürokratisierten NS-Zeit ( gibts noch genügend Zeit-Zeugen ) nicht einen Hand-geschriebenen Lebenslauf gefordert hätte ? dann Formulare ausfüllen ? ( evtl.jüdischer oder kommunist.Hintergrund ). Diese " Handchriftlichen " dienten ja nicht nur zur Informations-Gewinnung.Man prüfte dabei auch ,über Rechtschreibung,usw.,den geistigen Status von Jemand (macht man ja heute auch noch...)


Vor längerer Zeit haben wir hier mal über Analphabetismus (in Deutschland) diskutiert und auch über die Strategien, wie (meist funktionale) Analphabeten dies mit sehr viel Intelligenz und Geschick zu vertuschen verstehen. Abgesehen von diversen Ausreden (Brille vergessen, Hand verletzt) haben sie mitunter die Möglichkeit, sich beim Ausfüllen von Formularen (zuhause) helfen zu lassen. Einige Lebensläufe aus dieser Zeit sind mir auch als maschinenschriftlich bekannt.

Weiterhin wäre das in den Wachmannschaften aufgefallen. Da gab es ja Dienstpläne ,BERICHTE,usw, von der "Kolleginnen-"Seite mal ganz abgesehen.


Über diese Phase wurde nicht allzuviel gesagt.
Vermutlich hat sie sich auch hier irgendwie "durchgeschwindelt" und wohl auch manches dadurch, dass sie nicht lesen konnte, einfach nicht erfahren. Und Vieles lernen funktionale Analphabeten ganz einfach (nicht wirklich ganz einfach!) auswendig.

Wie die Kolleginnen darauf möglicherweise reagiert haben mögen, zeigt sich ja im Verlauf des Prozesses.

Die zweite Frage ergibt sich aus dem Prozeß-Vorgang,als sie dann beschuldigt wird,den "Bericht" abgefaßt zu haben,usw. Nun ist Jedem bekannt,der auch nur im geringsten mit Dienst-Strukturen bei Polizei,Armee ,usw.zu tun hatte,daß derjenige der den Bericht machen muß,ja fast nie der (oder die )ist, die die Befehle gibt.das machen Andere.Sonst hätte man klarstellen müßen,daß eben sie die Vorgesetzte war ( die nicht mal schreiben kann! ) Dann stimmt die Anklage natürlich. ...


Da Hannas Analphabetismus im Prozess ja nicht zur Rede kam, konnte sie bei dem Richter leicht als "Vorgesetzte" ihrer Mitangeklagten durchgehen.

P:S.Im Film arbeitet sie ja zunächst als Schaffnerin.... im allgemeinen können die lesen,wie sollen sie denn sonst Fahrkarten kontrllieren...


Auch hier wieder: siehe funktionaler Analphabetismus! Das ist zu schaffen!

Und als sie befördert werden sollte (ins Büro), ist sie davongelaufen. Wie auch vorher schon bei Siemens, wo sie zur Vorarbeiterin befördert hätte werden sollen. Funktionale Analphabeten geben meist eher alles (Karriere, Freundschaften ...) auf, bevor sie ihren "Mangel" zugeben.
val
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Re: Der Vorleser
geschrieben von val
als Antwort auf pippa vom 31.07.2012, 14:05:12
Das mit dem 'Missbrauch' kommt in dem Buch nicht vor, meine ich (ist aber schon ein paar Jahre her, dass ich es gelesen habe). Der Film, zwar gut gespielt - ich mag die Schauspieler sehr - hat mich damals enttäuscht. Fand ihn zu glatt, wie hier schon jemand sagte, besonders das Ende in NY fand ich nicht überzeugend. Habe ihnmir nicht nochmal angesehen.

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Mareike
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Re: Der Vorleser
geschrieben von Mareike
als Antwort auf val vom 31.07.2012, 14:30:51


Irgendwann muss die Liebesgeschichte zu den anderen Elementen dazugekommen sein. In den Reaktionen auf das Buch wurde dieser Teil am heftigsten kritisiert. Dazu kam noch die merkwürdige Deutung von Oprah Winfrey, die den „Vorleser“ als Schlüsselroman über sexuellen Missbrauch lesen wollte. Wie haben Sie darauf reagiert?

Ich habe zunächst versucht, mitzudiskutieren und das schlichte Konzept des Missbrauchs aufzubrechen. Bei körperlichem Missbrauch wissen wir, wovon wir reden, bei seelischem Missbrauch sind wir in der Gefahr, dem simplen Bild einer normalen Liebe aufzusitzen, die es nur zwischen gleich Starken, gleich Erfahrenen, gleich Alten gibt. Es verkürzt die Wirklichkeit der Liebe schmählich.
geschrieben von http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/im-gespraech-bernhard-schlink-herr-schlink-ist-der-vorleser-geschichte-1100720.html


.. bei seelischem Missbrauch sind wir in der Gefahr, dem simplen Bild einer normalen Liebe aufzusitzen ..

Mareike
pippa
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Re: Der Vorleser
geschrieben von pippa
als Antwort auf Mareike vom 31.07.2012, 14:13:31
@mareike

Danke für den Link.

Nein, für weniger schuldig hielt und halte ich Hanna nicht, aber durch den Analphabetismus wirkt sie hilflos und Hilflosigkeit strahlen alle Opfer aus. Mit Opfern hat man Mitleid, oder?

Pippa
Mareike
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Re: Der Vorleser
geschrieben von Mareike
als Antwort auf pippa vom 31.07.2012, 15:10:03
Bernhard Schlink sagt dazu: "wenn die Täter immer Monster wären, wäre die Welt einfach. Sie sind es nicht. Meine Generation hat das vielfach erlebt, beim Lehrer oder Professor, beim Pfarrer oder Arzt, beim Onkel oder sogar Vater, über deren Vergangenheit eines Tages offenbar wurde, was ganz und gar nicht zum Respekt, zur Bewunderung oder sogar zur Liebe passte, die das Verhältnis bestimmt hatte.

Schlink´s Anliegen: Ein Buch über seine Generation im Verhältnis zur Elterngeneration und zu dem, was die Elterngeneration gemacht hat.

Ich persönlich finde es gut, dass Schlink die Schuldfrage offen lässt und so zum Nach-Denken anregt.

Mareike

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val
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Re: Der Vorleser
geschrieben von val
als Antwort auf Mareike vom 31.07.2012, 14:58:42

@Mareike
Als ichdas Buch damals las, habe ich das anders empfunden: Hannah, zwar älter an Jahren, ist aber durch den Analphabetismus geprägt, unsicher und erschien mir kaum weniger erwachsen als der 'Junge'..
Val
olga64
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Re: Der Vorleser
geschrieben von olga64
als Antwort auf pippa vom 31.07.2012, 14:05:12



Eines war jedoch komisch, den Missbrauch des Schülers habe ich erst durch die Frage der Jüdin erkannt. Vorher war es für mich eine von beiden Schauspielern gut gespielte Liebesgeschichte.


Pippa


Ich habe weder beim Lesen des Buches noch beim zweimaligen Sehen des Filmes jemals an Missbrauch eines Jugendlichen gedacht. Ich interpretierte dies vielmehr als die Tatsache, dass ein Junge an der Schwelle zum Mannsein eine gute Lehrmeisterin gefunden hat - so wie es bei Millionen der Fall sein wird, was ja auch sehr begrüssenswert ist (auch bei Mädchen!)
Ich fand es auch im Film sehr berührend, wie dieser junge Mann erwachsen wurde und auch später als "richtiger Mann" doch noch viel Ähnlichkeit mit dem Jungen hatte.
Da diese Geschichte mit Hanna ja nie richtig abgeschlossen werden konnte- sie haute ja Hals über Kopf ohne Erklärungen ab - hat dies Auswirkungen auf die späteren Beziehungen dieses sensiblen Mannes - auch das dürfte es millionenfach geben; meist aber bei Frauen und weniger offensichtlich bei Männern.
Tragisch ist die Angelegenheit, dass Hanna ihren Analphabetismus verschweigt und dafür dann auch ein härteres Urteil in Kauf nimmt; aber auch, dass der junge Jurastudent im Wissen dieser Tatsache hier nicht eingreift, obwohl er ja einen Mentor hat (wunderbar: Bruno Ganz), der ihm helfen würde. Ein sehr, sehr schöner Film - ein sehr, sehr schönes Buch, wunderbare Stars, die hier mitspielen. Immer wieder ein Ereignis - auch beim 2. Mal. Olga
Klaro
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Re: Der Vorleser
geschrieben von Klaro
als Antwort auf olga64 vom 31.07.2012, 15:44:31



Eines war jedoch komisch, den Missbrauch des Schülers habe ich erst durch die Frage der Jüdin erkannt. Vorher war es für mich eine von beiden Schauspielern gut gespielte Liebesgeschichte.


Pippa


Ich habe weder beim Lesen des Buches noch beim zweimaligen Sehen des Filmes jemals an Missbrauch eines Jugendlichen gedacht. Ich interpretierte dies vielmehr als die Tatsache, dass ein Junge an der Schwelle zum Mannsein eine gute Lehrmeisterin gefunden hat - so wie es bei Millionen der Fall sein wird, was ja auch sehr begrüssenswert ist (auch bei Mädchen!)
Ich fand es auch im Film sehr berührend, wie dieser junge Mann erwachsen wurde und auch später als "richtiger Mann" doch noch viel Ähnlichkeit mit dem Jungen hatte.
Da diese Geschichte mit Hanna ja nie richtig abgeschlossen werden konnte- sie haute ja Hals über Kopf ohne Erklärungen ab - hat dies Auswirkungen auf die späteren Beziehungen dieses sensiblen Mannes - auch das dürfte es millionenfach geben; meist aber bei Frauen und weniger offensichtlich bei Männern.
Tragisch ist die Angelegenheit, dass Hanna ihren Analphabetismus verschweigt und dafür dann auch ein härteres Urteil in Kauf nimmt; aber auch, dass der junge Jurastudent im Wissen dieser Tatsache hier nicht eingreift, obwohl er ja einen Mentor hat (wunderbar: Bruno Ganz), der ihm helfen würde. Ein sehr, sehr schöner Film - ein sehr, sehr schönes Buch, wunderbare Stars, die hier mitspielen. Immer wieder ein Ereignis - auch beim 2. Mal. Olga


genau so habe ich diesen Film auch empfunden...beim 1. Mal.

Mareike
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Re: Der Vorleser
geschrieben von Mareike
als Antwort auf val vom 31.07.2012, 15:40:54
Ja Val, ich erwähnte ja, dass ich das Buch noch nicht gelesen habe.
Etwas von dem was Du jetzt beschreibst scheint auch im Film durch.

Ich denke, dass Schlink genau das zur Sprache bringen wollte, diese Mischung aus Naivität, Sehnsucht, Schuld, Verdrängen, Gehorsam, Pflichterfüllung, Liebe, usw ... die uns allen "innewohnt" und unser Handeln bestimmt.

Mareike

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