Geisteswissenschaft / Philosophie Gleichheit und Wille zur Macht

carlos1
carlos1
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Re: Gleichheit und Wille zur Macht
geschrieben von carlos1
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 20.10.2007, 11:33:28

Marina, danke für deinen Hinweis.Ich habe mich ganz auf die Vorlage von hb730 gestützt, dann aber doch den Link nur kurz angeklickt und einige Zeilen der ersten Seite gelesen. Erst nach eingehender Lektüre des gesamten Links gestern verstehe ich den Zusammenhang. Meine Gewohnheit Links durchweg links liegen zu lassen, wäre am Beispiel Tugendhats falsch gewesen.

c.
eleonore
eleonore
Mitglied

Re: Gleichheit und Wille zur Macht
geschrieben von eleonore
als Antwort auf carlos1 vom 22.10.2007, 09:10:47
@carlos,

manche links sind sehr nützlich.
so auch mein link vor 2 seiten zu artikel in zeit, und marinas link.
--
eleonore
Re: Gleichheit und Wille zur Macht
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf carlos1 vom 19.10.2007, 12:10:49


Er spricht sich an mmehreren Stellen für eine physische Liquidierung derjenigen aus, die nicht die Disposition der leibgewordenen Vernunft (Übermensch) aufweisen. Er bezeichnet diese Menschen als das "Entartete", das "Parasitäre", es sind die Massen, die verfallenden Rassen, die Missratenen. Im "Antichrist" Nr 2 schreibt er: "Die Schwachen und Missratenen sollen zugrunde gehen..... Und man soll ihnen dazu noch helfen." Das ist eine Seite der Herenmoral.

In der Literatur werden solche Stellen nicht gerne erwähnt. Aber die Namen, die Nietzsche dafür verwendete, müssen genannt werden: "Vernichtung der Massen", "die Menschheit als Masse dem Gedeihen einer einzelnen stärkeren Spezies Mensch geopfert - das wäre eine Forschritt." (Zur Genealogie der Moral II, Nr 12)

Vernichtung von Entartetem und Parasitischem "die größte aller Aufgaben, die Höherzüchtung der Menschheit" schließt "die schonungslose Vernichtung alles Entartenden und Parasitischen" ein (Ecce homo, Die Geburt der Tragödie, Nr 4)

Rassenvernichtung: "Es bedarf einer Lehre, stark genug, um züchtend zu wirken: stärkend für die Starken, lähmend und zerbrechend für die Weltmüden. Die Vernichtung verfallender Rassen" (Frühjahr 1884, VII. S. 65, Nr 25). Millionenweise Vernichtung von Missratenen: "jene ungeheure Energie der Größe zu gewinnen, um durch Züchtung und Vernichtung von Millionen Missrathener, den zuküftigen Menschen zu gestalten und nicht zugrunde zu gehen an dem Leid, das man schafft, und dessen Gleichen noch nie da war.“

Das als Hinweis.


Hallo Carlos, ich habe Nietzsche nicht vergessen, bin allerdings keine große Kennerin. Diese Stellen, auf die du hinweist, belegen aber m. E. eindeutig, dass er eben nicht von Hitler und den Nazis missbraucht wurde, wie oft behauptet wird, sondern dass er von ihnen einfach wörtlich genommen wurde. Nietzsche war ganz bestimmt ein Feind demokratischer Ideen und gegen Gleichberechtigung. Ich gebe mal kurz einiges wieder von dem, was ich vor einiger Zeit in einer Vorlesung, in der er gestreift wurde, gehört habe: Es wurde dafür plädiert, ihn auf zwei Ebenen zu sehen, auf einer persönlichkeitstheoretischen Ebene und auf einer gesellschaftlich-politischen Ebene. Das heißt, Nietzsche hatte eine Idee von Persönlichkeit in ihrer höchstenwickelten Form, die gekoppelt war mit höchst problematischen Staatsidealen und Ordnungsvorstellungen wie „Herren und Sklaven“ oder „Starke und Schwache“, Begriffe, die bei ihm oft auftauchen und die du ja auch erwähnst. Auf der persönlichkeitstheoretischen Ebene sind die eben erwähnten Begriffe nicht unberechtigt, z. B. wenn es um Ichstärke und Ichschwäche geht, also: Das Stärker-Werden als ein Anspruch von Moral, der mühevoll, weil gegen den Mainstream ist, kann ja durchaus etwas Positives sein. Oder die Abkehr von der „Bequemlichkeitsmoral“, d. h., dass diejenigen, die sich davon lösen, die Starken, Höherstehenden sind. Darauf ist dann auch die Rede von den „Herren und Sklaven“ zu beziehen. Wenn man die Begriffe metaphorisch nimmt, sind mit den „Herren“ die Freien und mit den „Sklaven“ die Unfreien gemeint. Das kann man vertreten, wenn es nicht sozialpolitisch, sondern im psychologischen Sinn gemeint ist. Der Sklave ist hier nicht definiert durch eine bestimmte gesellschaftliche Stellung, sondern durch seine Überzeugungen. Für Nietzsche waren auch die Gläubigen „Sklaven“, weil einer höheren Instanz verhaftet. N. meint, man soll sich selbst befehlen, sich nicht von anderen Vorgaben leiten lassen.
Wenn N. vom „Ausmerzen des nicht mehr Lebensfähigen“ spricht, meint er das allerdings nicht nur metaphorisch, sondern auch in der gesellschaftlichen Kultur, worauf du ja auch hinweist. Er fordert, dass man pietätlos sein muss gegenüber dem, was nicht im Einklang mit dem „Grundgesetz der Natur“ ist. Das ist wiederum auf der persönlichkeitstheoretischen, psychologischen Ebene berechtigt, aber auf der gesellschaftlichen Ebene ganz besonders problematisch. „Der Kranke ist ein Parasit der Gesellschaft“, sagt er und spricht vom „Gesetz der Selektion“, das vor allem im Christentum und im Judentum künstlich durchbrochen wird, weil die Religionen den Schutz des Schwachen predigen. Diesem Muster von Nietzsches Strukturmodell entspricht Hitlers „Mein Kampf“. Der Forderung nach der schonungslosen Vernichtung des „Entarteten“ folgt die faktische Eliminierung des Schwachen.
Wie man sieht, war Nietzsche zum Teil Wegbereiter der Vernichtung unwerten Lebens.
Ich bin aber zu wenig Kennerin von Nietzsche, um seine sämtlichen Facetten würdigen zu können, denn er hatte ja auch andere Seiten. Ich habe hier nur einen Teil dessen notiert, was ich von einer Vorlesung über ihn mitgenommen habe.
--
Marina

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carlos1
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Re: Gleichheit und Wille zur Macht
geschrieben von carlos1
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 22.10.2007, 19:14:29

Marina, es geht in dem Link mit dem Tugendhat-Essay über Nietzsche wesentlich um die Beziehung zwischen Hitler und Nietzsche. Kongenialität? Vertrat Nietzche eine Art Protofaschismus? Die Methode ihn auf mehrere Ebenen (einer persönlichkeitstheoretischen Ebene und einer gesellschaftlich-politischen)zu reduzieren und so verstehbar zu machen wie du es in Anlehnung an eine Vorleseung tust, ist legitim und erklärt einiges, aber nicht alles. Die Gedanken von der Vernichtung von Millionen von Menschen (unwertes Leben) sind abwegig als Gedanken und moralisch verwerfbar, für uns jedenfalls (nicht für N.). Allerdings hatte er keine Vorstellung davon, ob und wie eine Massenvernichtung jemals "operationalisierbar" wäre, wie Tugendhat meint. Es war das gedankliche Traumgebilde eines Intellektuellen. Es war undenkbar zu Nietzsches Zeit, dass es Technologien und eine Staatsorganisation geben könnte, die diese Ziele verwirklichen könnten. Denkbar war es aber. Persönlich-theoretisch hätte Nietzsche damit modernes Menschentum in der Gottferne zunächst einmal exemplarisch vor Augen geführt. Theoretisch ließe er sich als Opfer stilisieren. Um höheres Menschentum ging es ihm. Dabei hob er vor allem geistige Eigenschaften hervor, so sehe ich das auch. Hatte er nicht in der Antike das wunderbare Vorbild einer Sklavenhaltergesellschaft? Edles, hohes Menschentum auf der ökonomischen Basis von Ausbeutung der Arbeitskraft anderer (N. war Professor für Alphilologie). So könnte ich weitermachen. An großen Geistern sich reiben, bringt immer etwas. In dieser Hinsicht zeigt Tugendhats Essay hohe Qualitäten. Vor allem verdeutlicht er die unklare Fassung eines zentralen Begriffs wie z. B. Macht. N. pendelt zwischen verschiedenen Bedeutungen dieses Begrifrfs. Einmal verwendet er ihn als Macht, dann aber wieder als Gewalt.

Auf jeden Fall finde ich die Diskussion lohnend und anregend. Ich bin Eleonore und dir dankbar, dass ihr mit den Hinweisen auf Links mir eine gute Lektüre verschafft habt. Normalerweise lese ich sie nicht.

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