Geisteswissenschaft / Philosophie Philosophische Betrachtungen

Re: Philosophische Betrachtungen
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf miriam vom 05.08.2011, 19:00:50
Man könnte sich ja auf den Begriff "Alltagsphilosophie" einigen. Alles andere scheint mir auch zu hoch gegriffen.
carlos1
carlos1
Mitglied

Re: Philosophische Betrachtungen
geschrieben von carlos1
als Antwort auf luchs35 vom 05.08.2011, 11:58:15
„Ich möchte meinen Horizont erweitern, da sind mir Gespräche sehr wichtig, als Impuls zum weiteren Nachsinnen. Wenn ich merke, dass ich bestimmte Sachverhalte nicht oder nicht genügend durchschaue, versuche ich mehr darüber zu erfahren. Da ist das Internet für mich eine große Bereicherung.“ Mareike


Es geht mir genau so. Aber warum ist das so? Was die Philosophie betrifft, lässt sich ihr Inhalt auf vier Fragen reduzieren: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? In der einen oder anderen Form geht es immer um eine oder mehrere dieser Fragen.

Eigentlich wollte ich über Geschichtsphilosophie diskutieren und über Schopenhauers Aussage, dass die Geschichtsschreibung „lüge“. Ich wollte dazu nur feststellen, dass Lüge Vorsatz voraussetzt. Der Lügner sagt bewusst etwas Unwahres. Es gibt viel Unsinniges, was verbreitet wird, aber die Leute sind von der Richtigkeit und Wahrheit von Unsinn oft felsenfest überzeugt. Menschen glauben das, was sie gerne glauben wollen. Millionen von Verblendeten waren z. B. von der Rassenlehre der NS üb erzeugt, sahen Hitler als Arier, obwohl er keineswegs wie die Verkörperung des blonden nordischen Edelmenschen aussah. Das hätte man sehen müssen. Der Historische Materialismus, der der Geschichtsschreibung im real existierenden Sozialismus zugrunde liegt, ist längst überholt, doch er prägt immer noch weitgehend ein diffuses Geschichtsbild vieler unserer Landsleute. Natürlich ist er eine Sinndeutung der geschichtlichen Entwicklung, nämlich die Hegels, dass Geschichte die Selbstvollendung des Entwicklungsprozesses des Geistes sei, im Histomat jedoch nur auf den Kopf gestellt. Die gesamte Geschichte der Menschheit also als Vollzug eines vorherbestimmten Entwicklungsprozesses. Das ist Deutung, Spekulation, reinste Metaphysik. Wahrscheinlich hat Schopenhauer aus Wut gegen den erfolgreichen Konkurrenten Hegel sein Verdikt gegen die Geschichtsschreibung ausgesprochen, weil er Hegel treffen wollte.

„So liegt wohl das Problem nicht darin, dass wir wenig wissen, sondern eher darin, dass wir oft glauben, etwas zu wissen, obwohl wir in Wirklichkeit keine Ahnung haben.
Dabei kann uns gerade die Beschäftigung mit der Philosophie helfen, da sie Zweifel an unserer Selbstsicherheit nährt und uns unser eigenes trügerisches Weltbild zeigt.“ Luchs


Genau. Philosophie ist Selbstreflexion, Überprüfung des eigenen Handelns, Denkens. Wo ist die Wahrheit? Der heutige Scientismus verschleiert, dass wir sehr wenig wissen. Das Weltbild der klassischen Physik (Newton) galt einige Jahrhunderte und wurde ab 1900 abgelöst durch ein anderes. Newtons Gesetze sind richtig, aber wahr sind sie nicht. Wahrheit ist ein Ganzes. Newtons Gesetze der Mechanik aber erweisen sich nur als Spezialfälle einiger anderer allgemeinerer Theorien, wie der Relativitätstheorie, Quantentheorie.

Miriam und luchs gaben interessante Einblicke in ihr Verständnis von Philosophie. Es wäre falsch, ich würde kurz darauf antworten. Der Philosophie – das wird leider oft unterschätzt – fehlt es an methodischer Festlegung, die den Begriff Wissenschaft rechtfertigen würden. Es wird nicht beobachtet und es werden z. B.keine Schlüsse aus n Beobachtungen gezogen, die eine Regel oder eine Gesetzmäßigkeit nahelegen. In der Philosophie geht es nicht um das „Wissen“, - wir haben wenig Wissen, sagt luchs – sondern um den Bereich der Bedeutungen, zu denen wir eben nicht durch Beobachtung vieler Vorgänge und deren Auswertungen Zugang gewinnen, sondern durch freie Beobachtung und Verstehen.

Luchs, du fragst mich, was ich vom „gesunden Menschenverstand“ halte. Wahrscheinlich ist dieser „gesunde“ Menschenverstand das, was wir im Alltag gebrauchen. Marina nennt den Begriff der "Alltagsphilosophie", ein sehr nützlicher Begriff, weil er das bezeichnet, was Ph. sein kann und was sie vor 2500 Jahren war, eine Lebenshilfe. Ph kann man nicht lernen, wie Sprachen oder die Regeln für die Fahrprüfung.

Der Beitrag wird unerträglich lang. Ich hätte noch gern die Kannibalenparadoxie gebracht. Aber vielleicht ein anderes Mal.

Viele Grüße an alle
c.
Re: Philosophische Betrachtungen
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf carlos1 vom 05.08.2011, 21:22:08
Hallo Carlos,

ich will hier keinen langen Sermon ablassen, wollte nur darauf hinweisen, dass ich mal gelernt habe, dass laut Aristoteles der Beginn der Philosophie im Staunen liegt. Das ist der erste Grund und die erste Motivation zu philosophieren (laut Aristoteles).
Was mir daran gefällt: Die Philosophie ist keineswegs dafür da, Antworten zu präsentieren, sondern vor allem Fragen. Mit dem Staunen und mit dem Fragen beginnt die Philosophie. Das gefällt mir, weil es so bescheiden formuliert ist. Die Sucht nach vorgegebenen Antworten und Lösungen ist vermessen meiner Meinung nach. Ich finde es außerdem spannender, wenn es einem nicht so leicht gemacht wird, indem fertige Konzepte vorgelegt werden, sondern die Fragen immer weitere Kreise ziehen. Das mag zwar in gewisser Weise unbefriedigend sein, weil es menschlich ist, für alles fertige Antworten, Konzepte und Lösungen zu suchen und zu finden, aber es ist eine größere Herausforderung, immer neu auf der Suche zu sein. Für mich bleibt die Suche ein ganzes Leben lang bestehen - bis zum Tod. Wir sind nicht dazu da, den Schlüssel der Weisen zu finden (das wird ohnehin nie gelingen), die Suche genügt. Man könnte auch sagen: Der Weg ist das Ziel.

Gruß Marina

Anzeige

carlos1
carlos1
Mitglied

Re: Philosophische Betrachtungen
geschrieben von carlos1
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 05.08.2011, 22:00:53
Das ist neu, dass Philosophie nur aus Staunen und Fragen besteht. Fragen können weder falsch noch richtig sein, wie Bitten auch und Aufforderungen. Wie kommt es, dass gerade in der Philosophie um Wahrheit gerungen wird? Nímm mal die Werke des Aristoteles zur Hand, dann wirst du feststellen, dass er nicht nur Fragen stellt, sondern Aussagen trifft. Wenn die allerdings hier irgendwann einmal zur Sprache kämen, würdest du sie jedoch ablehnen, da "vorgefertigt". Originell ist deine Auffassung von dem eigenen Beitrag und der eigenen Suche nicht.


Eine Sucht nach vorgegebenen Antworten ist erfunden. Es ging um, die Frage, ob Geschichtsschreibung lügt. Wenn sie gestellt wird, darf darauf geantwortet werden. Dann ginge es um richtig oder falsch. Wo soll eine vorgegebene Antwort auf Mareikes Frage (nach Schopenhauer formuliert), herkommen?? Es gibt keine gültige Antwort darauf, auch kein fertiges Konzept. Von Geschichtsschreibung müsstest du allerdings eine Vorstellung haben.

Gut zu wissen, dass du auf der Suche bist.

Re: Philosophische Betrachtungen
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf carlos1 vom 06.08.2011, 00:15:20
Das ist neu, dass Philosophie nur aus Staunen und Fragen besteht.

Wo hatte ich geschrieben, "dass Philosophie nur aus Staunen und Fragen besteht"? Ich habe auf die Anfänge des Philosophierens, die lt. Aristoteles im Staunen liegen, hingewiesen, das ist etwas ganz anderes.
Originell ist deine Auffassung von dem eigenen Beitrag und der eigenen Suche nicht.
geschrieben von Carlos

Ich wusste nicht, dass in diesem Thread vor allem Originalität gefragt ist, entschuldige, dass ich da deinen Ansprüchen nicht genüge. Aber es genügt ja, dass deine Aussagen originell sind.
Eine Sucht nach vorgegebenen Antworten ist erfunden.
geschrieben von Carlos

Ich hatte mich vertippt, sorry. Wollte "Suche" nicht "Sucht" schreiben.
Es gibt keine gültige Antwort darauf, auch kein fertiges Konzept.
geschrieben von Carlos

Sagte ich doch. Wo ist das Problem?
.Gut zu wissen, dass du auf der Suche bist.
geschrieben von Carlos

Geht es noch ein wenig überheblicher? Ich bin nicht mehr auf der Suche als du (du bist es sogar mehr als ich, sonst würdest du dich nicht so viel mit Philosophie beschäftigen), meine Aussage bezog sich nicht nur auf mich persönlich, sondern allgemein auf die Menschheit.

Das war mein erster und letzter Versuch, mich in diesem Thread einzubringen.
senhora
senhora
Mitglied

Re: Philosophische Betrachtungen
geschrieben von senhora
Vor einiger Zeit habe ich diese Aussage gefunden, die Buddha zum Thema Wahrheit gesagt haben soll:
„Glauben Sie an nichts, nur weil Sie es gehört haben.
Glauben Sie nicht einfach an Traditionen, weil sie von Generationen akzeptiert wurden.
Glauben Sie an nichts, nur auf Grund der Verbreitung durch Gerüchte.
Glauben Sie nie etwas, nur weil es in Heiligen Schriften steht.
Glauben Sie an nichts, nur wegen der Autorität der Lehrer oder älterer Menschen.
Aber wenn Sie selber erkennen, dass etwas heilsam ist und dass es dem Einzelnen und Allen zugute kommt und förderlich ist, dann mögen Sie es annehmen und stets danach leben.“

Vielleicht zu schlicht, zu simpel, aber da ich kein philosophisches Naturtalent bin, kommt sie meinen bisherigen Erfahrungen sehr nahe.

Die Möglichkeiten "normaler" Bürger, Dinge zu hinterfragen und zu überprüfen sind sehr beschränkt, oft unmöglich und die Wahrheiten, die mir heute offeriert werden, können morgen Makulatur sein.
Gängige Wahrheiten aber zu übernehmen, obwohl sie den eigenen Erfahrungen und Vorstellungen widersprechen, ist Opportunismus, dann doch lieber schweigen und weiter hinterfragen.
Meine erworbene Erkenntnis, dass besonders geschichtliche„Wahrheiten“ oft genug dem Herrschaftsdenken und –wissen entspringen und nicht den logischen Zusammenhängen entsprechen, wie sich oft später herausstellt, lassen mich inzwischen an allem zweifeln.

Und gerade heute denke ich oft über ein bekanntes Beispiel aus dem Bereich der Lügen-Paradoxie nach , die Aussage des Epidermes „alle Kreter lügen“.

Senhora


Anzeige

hobbyradler
hobbyradler
Mitglied

Re: Philosophische Betrachtungen
geschrieben von hobbyradler
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 06.08.2011, 06:29:46
Hallo Marina,

ich habe mir neulich das Taschenbuch „Platon und Schnabeltier gehen in eine Bar“ gekauft.

Von Philosophie verstehe ich nach wie vor nichts. Die in dem Buch enthaltenen Witze mit denen die einzelnen Denkdisziplinen vorgestellt und beschrieben werden, waren für mich allerdings sehr kurzweilig.

Zumindest bin ich zu der Erkenntnis gekommen, das ich nicht zwischen Philosophie und Pseudophilosophie unterscheiden kann. Die sogenannten „alten“ Philosophen“ erscheinen mir weitaus zielorientierter als die heutigen. Wenn ein Philosoph nur Fragen aufwirft ohne Antworten zu geben, ist er für die Allgemeinheit nutzlos. Die „Alten“ haben uns viel an Grundlagen der Naturwissenschaften hinterlassen.

Die Aussage, „ich weiß, dass ich wenig weiß“, hat ihren Scharm verloren. „Ich weiß, dass Menschen nie alles wissen werden“, ist die präzisere Aussage. Und zu dieser Erkenntnis kann ich auch unphilosophisch gelangen.

Ciao
Hobbyradler


Mareike
Mareike
Mitglied

Re: Philosophische Betrachtungen
geschrieben von Mareike
als Antwort auf miriam vom 05.08.2011, 19:00:50
...nicht aber Texte verfassen mit dem Anspruch, dies sei Philosophie.

Gruß von Miriam


Miriam,
ich verstehe momentan nicht wo du einen Anspruch in obengenannten Sinne siehst.
Wir schreiben hier im Philosophieforum vom Seniorentreff. Ich erwarte hier keine Diskussion mit oder über Fachphilosophen. Dafür gibt es wahrhaftig andere Foren.
Den "Titel" "Philosophische Betrachtungen" habe ich gewählt, weil ich damit zum Ausdruck bringen wollte, das hier ein Versuch gestartet werden soll, sich im Wege selbständigen Nachdenkens mit den Fragen unserer Zeit auseinanderzusetzen und dabei die Annahme nicht von vornherein zurückweisen, daß die Gedanken und Werke der großen Denker aller Zeiten dabei Rat und Hilfe geben könnten. So würde ich mich über eine möglichst gemischte "Schar" von Teilnehmer/innen freuen, so wie ich es aus dem schon mehrfach erwähnten Philosophischen Cafè kenne.
Nur Fachwissen ermüdet und führt nicht zum selbständigen Denken bei den zum Zuhören "verdonnerten" Teilnehmer/innen.
Und das "Philosophische Quartett" zB wäre ohne Gäste stinklangweilig.

Herzliche Grüße
Mareike

Linktip: Sind Gesellschaften lernfähig

Was wäre dieses Gespräch ohne Juli Zeh?
anjeli
anjeli
Mitglied

Re: Philosophische Betrachtungen
geschrieben von anjeli
als Antwort auf Mareike vom 06.08.2011, 10:19:31
Mareike,

ich verfolge den Thread schon von anfang an.
Es wurde schon mal die Feststellung getroffen
Nichts ist richtig, aber auch nichts ist falsch.
Alles ist richtig, aber auch alles ist falsch.

Wenn ich die Kommunikation zwischen Carlos und Marina verfolge, dann kommen mir Zweifel an dieser Kernaussage!



Ich habe heute morgen rein zufällig auf WDR3 eine Tiersendung
verfolgt, leider nur die letzten Minuten.

Der Tierfilmer, Christian Baumeister, der auch die Bären
(Mondbären) in China filmte hat etwas gesagt, was mich nach-
denken liess.

Er versuchte eine Antwort zu finden, warum die Bären in Asien
so einen niedrigen Stellenwert in der Gesellschaft hätten und so misshandelt werden.
Er meine, das wäre auf den kulturhistorischen Hintergrund
zurück zu führen.
Aber, um es wirklich verstehen zu können, müsste es philosophisch betrachtet werden.
(Die Bären stehen stellvertretend für alle Tiere in Asien)

Das liess mich aufhorchen und ich stellte mir die Frage,
wie ich zu einem Ergebnis über die Philosophie kommen könnte.

anjeli
miriam
miriam
Mitglied

Re: Philosophische Betrachtungen
geschrieben von miriam
als Antwort auf Mareike vom 06.08.2011, 10:19:31
Mareike, du erwähnst hier "Das philosophische Quartett" – dabei denke ich, dass dies als Vergleich viel zu hoch gegriffen ist.
Wir haben hier keinen MRR, keinen Hellmuth Karasek (aus der alten Ausgabe des LQ) – und keinen Richard David Precht – den man in der neuen Ausgabe (moderiert von Sloterdijk und Safranski), erleben durfte. So zu sagen - eine kleine Sternstunde...

Marina nannte das was hier in manchen Diskussionen zu lesen ist, eine "Alltagsphilosophie" – und ich stimme ihr zu, auch wenn ich mich mit all den Begriffen die das Wort Philosophie mit sich tragen, schwer tue (von der Essphilosophie, bis zur Kulturphilosophie ist da alles vorhanden).

Es bedarf m.E. erst einmal der Wahrnehmung – und dies im richtigen Sinn des Wortes – um letztendlich zur Erkenntnis zu gelangen. Und dieser Weg kann ein sehr langer sein.

Auch scheint es mir, dass die Wahrnehmung der Menschen, sehr unterschiedlich ist.
Für viele sind es die Bilder – also die visuelle Wahrnehmung, die die Basis ausmacht, auf die nach einem langen Weg, das was wir Erkenntnis nennen, stattfindet.

Anders ausgedrückt: Philosophie setzt erst einmal voraus, dass ein Grundwissen in einem Bereich besteht (eher: in den jeweiligen Bereichen mit denen sie sich befasst) – bedeutet aber auch ein methodisches Vorgehen um zur Quintessenz des vorhandenen Grundwissens, zu gelangen.

Dies ist sehr kurz gefasst, die Erklärung der Tatsache, dass ich persönlich mich schwer tue mit der Behauptung, mein Wissen in manchen Bereichen, unter Philosophie einzuordnen sei.

Gruß von Miriam


Anzeige