Geisteswissenschaft / Philosophie Wir, die Konsumenten…

loretta
loretta
Mitglied

Re: Wir, die Konsumenten…
geschrieben von loretta
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 12.12.2010, 21:22:08
Meli, mit deiner Schilderung hast du mir einen meiner schönsten Urlaube, die ich je in meinem Leben hatte, wieder in Erinnerung gerufen. Ich kann daher deine Begeisterung voll verstehen.

Ich war Mitte zwanzig und wir waren zu 8 (4 Pärchen) und machten Kanuwandern in Schweden, im Wärmland auf einem riesigen Trinkwassersee, auf dem auch Motorboote verboten waren. Wir reisten also mit Autos an, stellten diese bei dem Kanuvermieter auf dem Parkplatz ab und erhielten ein Kanu, ein Zweimannzelt und eine Fresskiste, die Knäckebrot, Konserven und andere haltbare Lebensmittel enthielt, pro Pärchen und natürlich ein Karte des Sees, der über viele, kleine Inseln verfügte. Am Tag vorher wurde entweder die nächste Etappe oder ein Ruhetag geplant. Der See war so riesig, dass wir es in 3 Wochen nicht schafften, von einem Ende zu anderen zu gelangen.

Wir hatten mächtiges Glück mit dem Wetter – immer 30°. Es wurde nachts auch gar nicht richtig dunkel.

Verboten hatten wir uns Uhren, Kofferradio (also keine Nachrichten) und Klamotten. Wir liefen also 3 Wochen nur nackt herum - back to the roots.

Abends saßen wir bei guten Gesprächen oder Gesellschaftsspielen am Lagerfeuer und genossen das Knacken des trockenen Holzes, das wir gesammelt hatten und die Ruhe und Unendlichkeit des nächtlichen Schwedens – unbeschreiblich schön.

Obwohl wir alle meinten, uns schon sehr gut zu kennen, aber nach diesem Urlaub, in dem wir sehr zusammengerückt waren, kannten wir uns noch wesentlich besser.

Dieser Urlaub, fernab jeder Zivilisation und jedes Konsums war mein schönster Urlaub –
Abenteuerurlaub – Abenteuer Leben.

loretta
Re: Wir, die Konsumenten…
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf miriam vom 12.12.2010, 13:22:49
Ich hatte es ja versprochen:

Mein Senf zu Konsum, Pilgern & Co (pdf 100 KB)
miriam
miriam
Mitglied

Re: Wir, die Konsumenten…
geschrieben von miriam
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 12.12.2010, 23:10:11
Danke Euch für die so vielseitigen Beiträgen – mir selber wird es auch erst jetzt bewusst, wie viele Facetten dieses Thema der Konsumgesellschaft hat – bzw. wie zahlreich die Bereiche sind, in denen diese sich bemerkbar macht.

So verwundert es nicht, dass weltweit viele Projekte entstanden sind, die eines gemeinsam haben: in dieser Gesellschaft des passiven Konsumierens, die kreativen Kräfte der Menschen neu zu entdecken, Impulse schaffen, die den Menschen dazu ermutigen, sein Konsumverhalten zu verlassen und die eigenen kreativen Seiten in sich (erneut?) zu entdecken.

Vorläufig erwähne ich nur kurz diejenigen Initiativen, die weitweg von der Wohlstandsgesellschaft, sich um diejenigen kümmern, auf deren Armut die reichen Ländern zum Teil ihr Reichtum aufgebaut haben.

- ÄRZTE FÜR DIE DRITTE WELT – engagiert sich hauptsächlich in Afrika
- JUGEND DRITTE WELT e.V.- ein Projekt welches sich hauptsächlich als Hilfe zur Selbsthilfe definiert,
- Kinderdorfprojekte, die zahlreich sind – ich nenne mal als Bespiel diejenigen in Kenia,
- Kinderhilfswerk Dritte Welt, mit seinen zahlreichen Schulprojekten,

etc…

Nun aber zu einigen Projekten die hier in Deutschland stattfinden, und sich genau mit diesem wichtigen Thema befassen: die Entdeckung der eigenen kreativen Ressourcen, die m.E. fast jeder besitzt.

Vor ca. vier Jahren, hatten drei Initiatoren die Idee, einen Runden Tisch zu organisieren, in dessen Rahmen einige der wichtigsten aktuellen Probleme der Menschen weltweit, diskutiert werden sollten.
Dafür wurden 50.000 Fragen gesammelt und an 1000 Menschen bei denen man wusste, dass ihre Meinung dazu hilfreich sein kann, versendet.

In Berlin wurde dann ein Runder Tisch organisiert, es war der größte den man je zustande gebracht hatte – sein Zweck war, 100 dieser gesammelten Fragen zu diskutieren.
Die Diskussionsteilnehmer waren Künstler, Wissenschaftler, Schriftsteller, Philosophen, etc…

Ich gebe hier ganz kurz einige Zitate wieder, entnommen aus den Texten von vier bekannten Teilnehmern:

Bianca Jagger, Menschenrechtsaktivistin: "Die Medien gehören leider den Konzernen und die wichtigsten Dinge kommen dort zu wenig vor.
Vielleicht können wir die Medien so besser umgehen, die die wichtigsten Informationen erst gar nicht bringen."

Mohammed Arkoun, Historiker: "Wir sind wie gelähmt durch Tod und Bomben. Wir brauchen dagegen die subversive Kraft des Denkens."

Avi Primor, ehemaliger Botschafter Israels in Deutschland: "Wir sprechen miteinander so gut wie überhaupt nicht. Es gibt keinen Dialog - Jeder ist für sich."

Wim Wenders, Regisseur – zum Nutzen des Runden Tisches: "Der Nutzen ist in dem Willen, etwas zu formulieren. Wenn man da sitzt und all diese Stimmen hört, dieses Gebrummel von Stimmen, das ist schon erhebend.

Es war meines Erachtens, eine Initiative, die nicht das erwartete Ergebnis brachte.
Aber eines war und bleibt wichtig: es zeigte wie groß das Bedürfnis weltweit ist, aus den Zwängen einer auf Konsum basierenden Gesellschaft auszubrechen - und neue Wege zu gehen.

Miriam

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Raschid
Raschid
Mitglied

Re: Wir, die Konsumenten…
geschrieben von Raschid
als Antwort auf miriam vom 13.12.2010, 12:48:25
Wollen Menschen nur Konsumenten sein? Gehen sie lieber einkaufen, als Zeit mit Freunden und Familie zu verbringen? Halten sie 24 Stunden ohne shoppen aus?

Vollständiger Artikel mit Erlaunis von Bettina McDowell:

Konsumverzicht

Raschid

Re: Wir, die Konsumenten…
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf miriam vom 13.12.2010, 12:48:25
Miriam: ...Es war meines Erachtens, eine Initiative, die nicht das erwartete Ergebnis brachte.
Ohne zu groß abzuwinken:
Ein Runder Tisch?
Wird viel geredet, vertagt, sich gebrüstet, in Gremien/Ausschüsse geschoben.
Wenn man vom Tische kommt, ist man keinen Deut weiter.
Also im Prinzip außer Spesen nichts gewesen.

Miriam: ...Aber eines war und bleibt wichtig: es zeigte wie groß das Bedürfnis weltweit ist, aus den Zwängen einer auf Konsum basierenden Gesellschaft auszubrechen - und neue Wege zu gehen.
Nun, klagen und jammern kann jeder.
Jedoch wenn die Hand zum Schwur gehoben werden soll...
dann ist keiner mehr da.

Solche Wege können am besten (nur) einzeln beschritten werden. D.h. jemand macht es einfach. Derjenige total allein für sich. Dann folgen andere, dann wird eine Lawine losgetreten.
Aber warum sollte der Intiator so etwas überhaupt anstreben? Ihm geht es doch gut. Und andere müssen selber zu so einem Entschluss kommen.

Mehr als 3 Menschen unter einen Hut kriegen zu einem soclh recht abstrakten Thema? Ich glaube nicht daran. Es sei denn es ginge um Brot & Spiele.
Das funktioniert nicht mal hier im ST (ohne Wertung).
eleonore
eleonore
Mitglied

Re: Wir, die Konsumenten…
geschrieben von eleonore
ein sehr gute artikel zu diesen thema las ich gestern in bahn, in neue ausgabe von spiegel.

VERBRAUCHER - Weltreligion Shoppen: Der private Konsum wächst weltweit und soll aus der Krise helfen. Umso akribischer wird nach den letzten Geheimnissen der Kaufentscheidungen gefahndet. Wo im Kopf ist der Das-will-ich-Knopf? Dort, wo auch der Glaube zu Hause ist.
geschrieben von spiegel heft


sehr interessant wie wir manipuliert werden, durch musik, düfte, geschickte waren platzierungen.

was mein konsum verhalten angeht, gehöre ich zu den wenige weibliche wesen, für die *shoppen* ein graus ist.
auch wen ich ein schuh tick habe :).

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miriam
miriam
Mitglied

Re: Wir, die Konsumenten…
geschrieben von miriam
als Antwort auf eleonore vom 14.12.2010, 08:11:20
Danke dir Eleonore, für deinen Beitrag bzw. für den interessanten Hinweis.

Auch wenn unsere Zeit besonders geprägt ist vom Konsum - fast möchte man dies als Konsumzwang bezeichnen – das Nachdenken über das Konsumieren, dessen Gründe bzw. Auswirkungen, ist ein Thema welches schon viel früher auftaucht.

Dass es sich beim Konsumieren auch um eine Variante des verbreiteten possessivem Verhaltens handelt, ist in vielen Fällen festzustellen. Denn der Konsumgesellschaft ist es gelungen, das Individuum hauptsächlich auf dem Verbrauch, manchmal nur auf das Anschaffen von Gütern, zu prägen.

Im Grunde genommen, findet ein unreflektieres Anschaffen statt, denn es werden Sachen gekauft, fast nur des Kaufens willen, oft ohne darüber nachzudenken, ob man sie benötigt.

Fast scheint es auch, dass nach so vielen Jahren nach dem Krieg, die Bewältigungsstrategie durch das maaslose Anschaffen, die das Wirtschaftswunder zum Teil geprägt hat, sich verselbstständigt hat – und fortgesetzt wird.
Relativ zeitnah an das Ende des Krieges setzt - anstelle der Melancholie die eher zu erwarten gewesen wäre angesichts der vielen Verluste - der Kaufrausch ein.
Und im Rausch, fällt es natürlich viel leichter zu verdrängen.

Ist es auch die Unfähigkeit zu trauern – wie es Alexander Mitscherlich bezeichnete?

Pier Paolo Pasolini veröffentlicht kurz vor seinem Tod, in 1975, seine Freibeuterschriften, in denen er die Meinung vertritt, dass die Kultur des Menschen durch die Konsumgesellschaft zerstört wird.

Miriam
hockey
hockey
Mitglied

Re: Wir, die Konsumenten…
geschrieben von hockey
als Antwort auf miriam vom 14.12.2010, 18:14:12
Miriam
danke fuer den Gedankenanstoss re Konsum. Ich bin dieses Jahr einen Teil des Caminos gewandert (Leon nach Santiago) und werde dauernd gefragt ob ich eine "erleuchtung" hatte oder was aehnliches. Sorry ich bin den Weg gewandert weil ich gerne wandere und er auf meinem Plan stand. Ich habe hier mal kurz erwaehnt das der Konsum und Handel in Santiago schon in der Bibel gut beschrieben wurde (Jesus und die Haendler/
Geldwechsler im Tempel) Mein Eindruck war nicht das man auf dieser "Pilgerreise" dem Konsum entlaufen kann.
Ein sehr nettes Buch ist von Dr. Seuss Der Lorax. (Fuer die die ihn nicht kennen er hat auch The Cat in the Hat geschrieben. Die Katze mit dem Hut???)
Ich habe es meinen Kindern als sie klein waren oft vorgelesen es handelt sich um die zerstoehrung der Umwelt durch das endlose konsumieren.
Ich sehe aber auch sehr viele positive Seiten dank des Konsums. z.b. wenn ihr nicht alle inclusive ich PC gekauft haettet dann waere heute so ein Geraet unerschwinglich. Auch bin ich froh das nicht nur ein autotyp gebaut wird in einer Farbe wie es mal der Herr Ford so schoen sagte "Du kannst unser Auto in jeder Farbe haben solange es Schwarz ist"
Wie mit vielen Dingen im Leben wir muessen selber entscheiden was wir machen und ob wir unser Geld in den Konsumententempel tragen oder nicht. (Manche gehen sogar ohne Geld dorthin und hoffe die Credit Card ist noch flexibel genug)
Ein etwas verspaetetes Happy Hanukkah
hockey

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