Innenpolitik 9. Oktober 1989

Tina1
Tina1
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Re: 9. Oktober 1989
geschrieben von Tina1
als Antwort auf adam vom 10.10.2014, 13:02:23
silhouette u. adam genauso war es. Wir DDR Bürger wussten nicht was in der nächsten Zeit passieren wird. Ich habe das alles live erlebt und erlaube mir mal kurz meine Geschichte zu erzählen.

Es fing an in Sopron, wo einige DDR Bürger während eines Konzertes durch den Zaun offiziell schlüpfen konnten. Das war noch vor unserem Urlaub in Ungarn. Danach versuchten viele die Flucht über die grüne Grenze, wobei es nur ganz wenigen gelang, die meisten wurden zurück geschickt. Mein Zahnarzt mit dem ich gearbeitet hatte, hat noch kurz vor unserem Urlaub zu mir aus Spaß gesagt:" ich hoffe sie kommen wieder?" u. lächelte dabei. Er hatte einen Ausreiseantrag laufen wie viele Ärzte. Ich war mir aber zu dem Zeitpunkt sicher, das ich wieder kommen werde, denn erstens fuhren wir an den Balaton und zweitens hätten wir nie eine Flucht über die grüne Grenze gewagt.
In Ungarn erfuhren wir dann über das österreichische Fernsehen das am Balaton ein Lager für "Ausreisewillige" errichtet wird, weil die ungarische Führung inzwischen bereit war für die Grenzöffnung. Das war ganz in unserer Nähe, was wir uns dann angesehen haben, ohne den Gedanken zu haben das wir in dieses Lager gehen werden. Wir erfuhren dann über die Nachrichten u von unseren Freunden das die DDR kaum Urlauber mehr nach Ungarn läßt. Wir hörten dann auch das sie vor hatten die Grenzen auch in die Tschechoslowakei dicht zu machen. Das hieß dann das wir nun noch mehr eingesperrt gewesen wären, also es hätte dann nicht mal mehr Reisen ins soz. Ausland gegeben. Wir waren erschrocken.

Damit wurde diese Möglichkeit die nun vor uns lag nicht nur eine einmalige, sondern eine letzte Chance das Land zu verlassen und das ohne Schikanen was ein Ausreiseantrag in den Westen zu gehen auslöste. Das haben wir dann genutzt. Dieser Entscheidung gingen 14 Tage schlaflose Nächte u. Angst in Ungarn voraus. Wir waren verzweifelt und man hat sich die Frage gestellt was ist das für ein Staat der Menschen zu solchen Entscheidungen zwingt? Denn ein Leben in der DDR war nicht mehr möglich, politisch nicht aber auch "warentechnisch" nicht, es gab nichts in den Geschäften, man bekam nur was wenn man Beziehungen hatte u dann die "Bückdichware" bekam. Wir wie viele andere kamen schon lange zu dem Entschluss das man in dem Land nicht mehr leben will der den Menschen verbietet so leben zu können wie der Mensch es will, der jede andere Meinung nicht nur verbot, sondern Menschen dafür in den Knast brachte. Das hatte in den Augen der Menschen nichts, aber auch garnichts mehr mit Sozialismus zu tun!
Als wir es dann geschafft hatten wie viele andere auch bekamen dann viele Bekannte u Verwandte auch Mut den Schritt zu wagen und das dann über die Prager Botschaft.

Erst als tausende die Flucht gewagt hatten, haben die Menschen Mut bekommen auf die Straße zu gehen, was von den Bürgerrechtlern, die schon lange Vorarbeit geleistet hatten, organisiert wurde.
Alle wussten das es die letzte Chance war gegen dieses Regime sich aufzulehnen und vorallem wussten sie auch das das alles nun weltweit beobachtet wurde. Aber keiner wusste weder wir, noch die Demonstranten wie die politische Führung der DDR u die sowjetische Führung darauf reagieren wird. Wir hatten alle große Angst, wir die nicht wussten ob wir wirklich raus kommen, denn zurück kehren hätte Knast bedeutet, noch die Demonstranten. Die ersten Demo's wurden ja auch noch hart von der Stasi und Polizei bekämpft. Es gab unzählige Verhaftungen. Man wusste auch nicht was die "Sowjetmachthaber" dazu sagen werden. Diese Regime waren dann an einem Punkt angelangt das sie merkten sie können das alles nicht mehr aufhalten, auch nicht mit Waffen. Sie wurden machtlos, vorallem standen sie im Fokus der Weltöffentlichkeit. Und trotzdem stand noch nicht fest wie sie reagieren werden. Nur der Umstand das Schabowski öffentlich erklärte das die Menschen die Grenze passieren können, was natürlich ein Fehler von ihm war, und das Gorbatschow das sagen mit hatte brachte das dann alles so gekommen ist wie es dann auch kommen musste.............ansonsten wäre es wahrscheinlich ganz anders ausgegangen.

Niemand konnte ahnen, vorallen nicht die Flüchtigen das es zur einer Wiedervereinigung je kommen wird, das die Grenzen je geöffnet werden, denn dann hätten wir den schweren Schritt nie getan. Wenn ich ehrlich bin war es für uns alle die in den Lagern im Westen saßen, dann erstmal ein Schock als die Grenzen aufgingen, denn damit hatten wir diesen schweren Schritt nun umsonst getan. Vorallem waren wir alle darüber am Boden zerstört das die vielen die dieses Regime getragen haben, die uns 40 Jahre wie in einem Gefängnis gehalten haben nun auch alles nutzen konnten, was dann die Wiedervereinigung bot. Sie hatten noch alles, haben nichts verloren wie wir, hatten noch all ihre Privilegien, haben sich dann Grundstücke und Häuser von Flüchtigen untereinander aufgeteilt, einfach gestohlen! Ihnen ging es nun noch besser wie es ihnen so schon ging, denn Grundstücke u. Häuser hatten ja nun einen hohen Wert. Aber vorallem haben sie nichts für diese Wiedervereinigung getan, ganz im Gegenteil sie haben es 40 Jahre verhindert. Das konnen wir erstmal nicht verkraften.

Natürlich waren wir dann schnell mehr als froh das wir nun wieder in unsere Heimat fahren durften, denn das wäre sonst nie mehr möglich gewesen. Wir waren auch froh darüber das auch alle die die sich gegen das Regime stark gemacht haben, wie die Bürgerrechtler, die Demonstranten, die vielen Künstler, Schriftsteller usw. die noch in der DDR lebten auch die Freiheit genießen konnten. Das Familien und Freunde sich nun endlich besuchen konnten.

Heute nach 25 Jahren spürt man wieder sehr stark das es immer noch die "Gestrigen" gibt, die zwar alles nutzen, aber immer noch wie damals denken und immer noch das gleiche Feindbild haben.

Ich bin auch überzeugt das sie sich gewünscht hätten das man diese friedliche Revolution niederschlägt. Dafür gab es auch Gründe. Denn die Stasi und linientreue SED Leute hatten nichts aus zustehen. Sie bekamen ein zusätzlich nicht niedriges Gehalt, sie kamen an West-Waren ran an die kein Normal-Bürger ran kam. Viele konnten auch in den Westen reisen wenn sie eine dementsprechende Funktion hatten. Schnitzler zb. ging mit seiner Frau in Westberlin ein u. aus. Sie haben alle nicht das Leben leben müssen was der allergrößte Teil der Bevölkerung leben musste.
Meine Feststellung ist das diese Menschen die immer noch die gleichen Parolen bieten bis heute nicht begriffen haben das sich das Volk gegen dieses Regime aufgelehnt hat. Das das Volk Freiheit in jede Richtung wollte. Sie reden noch immer wie damals, wie auch ein Herr v. Schnitzler davon das es eine Konterrevolution war. Also mit anderen Worten die Menschen die auf die Straße gegangen sind wollten es garnicht? Was ist das für ein Blödsinn was man da von sich gib? Das wurde ja auch schon zu den Aufständen 1953, 1969 gesagt.
In meinen Augen unterstellen sie damit jedem Bürger das er dumm ist, das er nicht selber denken u entscheiden kann.

Meine Meinung ist dazu das es gerade umgekehrt ist, diese Leute die das behaupten und auch heute noch, die haben sich manipulieren lassen von den Ostmedien von den Stasileuten, die waren und sind nicht in der Lage sich ihre eigene Meinung zu bilden, sie sind auch nicht in der Lage das was eben nicht ok war, was gegen das Menschenrecht lief zu erkennen, weil sie es nicht wollten u wollen.
Tina

silhouette
silhouette
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Re: 9. Oktober 1989
geschrieben von silhouette
als Antwort auf Tina1 vom 10.10.2014, 16:49:09
Tina,
danke, man merkt, das kam aus dem Herzen.
Ungarn war der Anfang, der ein kleines bisschen hoffen ließ, dass ein sozialistischer Staat jetzt bereit war, die Augen zuzudrücken, nicht militärisch zu reagieren und den Zaun nach Österreich aufzumachen, auf die Gefahr hin, es mit dem Großen Bruder SU zu verderben.

Und ich bin überzeugt, dass exakt vor 25 Jahren die schiere Masse der Demonstranten den Bonzen Angst einjagen konnte. Auch wenn viele von ihnen am Anfang nicht den Mut zum Demonstrieren hatten, aus purer Angst um ihre Existenz.

Ich habe in der Wendezeit gehofft, dass die Hilfsbereitschaft und der Zusammenhalt der DDR-Bevölkerung ein bisschen auf den Westen abfärben würde. Ich glaube heute, wir waren damals schon zu sehr auf rein materielle Werte fokussiert und es ging uns zu gut, um diese anderen Werte zu erkennen und hoch zu schätzen.
hafel
hafel
Mitglied

Re: 9. Oktober 1989
geschrieben von hafel
als Antwort auf adam vom 10.10.2014, 13:02:23
@ Adam: "Genauso sehe ich das auch, denn die DDR-Bürger konnten nicht wissen,....."

Genau so war es. Ich kann es ja auch eigener Erfahrung berichten, dass man/frau schon ein recht mulmiges Gefühl hatte, denn in den Seitenstraßen standen die Mannschaftswagen der Vopo und NVA. Schlagen die zu ---- oder nicht? Dabei war mir wohl klar, dass ich "aus dem Westen zugereister", da bestimmt eine Sonderbehandlung erfahren hätte.
Lustig war das jedenfalls nicht.

Hafel

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