Forum Politik und Gesellschaft Internationale Politik Auf den Ruinen der Moral: Oradour-sur-Glane

Internationale Politik Auf den Ruinen der Moral: Oradour-sur-Glane

Mareike
Mareike
Mitglied

Re: Auf den Ruinen der Moral: Oradour-sur-Glane
geschrieben von Mareike
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 06.09.2013, 08:51:41

Es kommt nicht darauf an, was es für Dich ist oder für jeden von uns.
Es kommt darauf an, was es für die Opfer und/oder deren Angehörige ist.
Ganz allein das ist wichtig.
nordstern
geschrieben von nordstern


Ich sehe das etwas differenzierter.

Wenn ich ausschließlich die Opfer und deren Angehörige in Betracht ziehe - und Oradour sur Glane steht hier für "alle Ruinen der Moral", für alle Verfolgten und Ermordeten, dann kann und darf ich wirklich nur noch STILL sein.

Das war mein erster Impuls. Wie eine Schere im Kopf.

Hier hatte und habe ich auch die Worte von Carlos1 im Kopf:
Jawohl, die "Geschichte hat gerichtet" (mareike). Ich darf darüber grübeln, was meine Vorfahren verbrochen haben könnten, die vor 200 Jahren auswanderten, weil Hungersnot herrschte. An Hitlers Krieg trage ich Schuld? Aber sicher. Meinen Vater drohte man mit KZ, weil er offen mal seine Meinung sagte, gute Bekannte, Freunde. Ich wurde geschlagen und getreten und gemieden und verstand nicht warum und niemand sagte es mir. Es herrschte Funkstille.
geschrieben von Carlos1 zum Thema Kultur und Zivilisation


Ja, aus dieser Perspektive ist es eine Anmaßung dass ich mich dazu äußere. Für alle Opfer war die Bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht 1945 Befreiung und das Ende des Schreckens, zumindest der Anfang einer NEUE WELT. Sie werden es besser beschreiben können.

Aber was ist mit all den Anderen, die diese schrechliche Zeit erlebten und überlebten?
Was ist mit deren Angehörigen und Nachfahren.
Es gab Opfer, Täter, Mitläufer, Ahnungslosen, Kollaborateuren, unschuldige Jugendliche und Kinder, Frauen welche nicht gewohnt waren politisch zu denken: Das war Männersache.

Sie alle mussten und müssen mit der Geschichte weiterleben.

In diesem Zusammenhang gesehen, stellt sich die Frage nach dem Umgang mit Denkmälern und Gedenktagen anders.

Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den Begriff Transitional Justice
" Über den konkreten Umgang mit Tätern und Opfern hinaus gehört zum Feld der Transitional Justice auch die Geschichts- und Erinnerungspolitik. Damit wird für die Forschung auch die Errichtung und Diskussion über Gedenkstätten, Gedenktage und Denkmäler relevant."

Mareike
Re: Auf den Ruinen der Moral: Oradour-sur-Glane
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Mareike vom 06.09.2013, 09:49:28

Es kommt nicht darauf an, was es für Dich ist oder für jeden von uns.
Es kommt darauf an, was es für die Opfer und/oder deren Angehörige ist.
Ganz allein das ist wichtig.
nordstern


Ich sehe das etwas differenzierter.

Wenn ich ausschließlich die Opfer und deren Angehörige in Betracht ziehe - und Oradour sur Glane steht hier für "alle Ruinen der Moral", für alle Verfolgten und Ermordeten, dann kann und darf ich wirklich nur noch STILL sein.
geschrieben von nordstern


Ich bezog mich nur auf den einen Satz mit der "show" und der Geste, dem anwesenden Überlebenden
gegenüber.
Aus der Berichterstattung hatte ich auch noch andere Angehörige vor Augen.

Sonst sehe ich es aber wie Du, wobei es noch mehr Ruinen der Moral gibt, wo Stille angebracht ist.

nordstern
nerida
nerida
Mitglied

Re: Auf den Ruinen der Moral: Oradour-sur-Glane
geschrieben von nerida
als Antwort auf Mareike vom 06.09.2013, 09:49:28
[quote=nordstern]

Ja, aus dieser Perspektive ist es eine Anmaßung dass ich mich dazu äußere. Für alle Opfer war die Bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht 1945 Befreiung und das Ende des Schreckens, zumindest der Anfang einer NEUE WELT. Sie werden es besser beschreiben können.

Aber was ist mit all den Anderen, die diese schrechliche Zeit erlebten und überlebten?
Was ist mit deren Angehörigen und Nachfahren.
Es gab Opfer, Täter, Mitläufer, Ahnungslosen, Kollaborateuren, unschuldige Jugendliche und Kinder, Frauen welche nicht gewohnt waren politisch zu denken: Das war Männersache.


das war nicht nur Männersache, denn es gab viele Männer die sich als Soldaten an der Front sicherer fühlten als zu Hause schutzlos vor den Bombenangriffen.
Es waren die Frauen die ihre Familien durchbringen mussten, die Flüchtlingszüge quer durch ganz Europa bestand hauptsächlich aus Frauen, alten Leuten und Kindern.
Es waren die Frauen und die Kinder, an denen sich die jeweiligen Sieger erbarmungslos rächten, eben wie in Oradur-sur-Glane.

Ich habe in der Schule auch nichts über diese Greueltaten, die die deutschen Soldaten in ganz Europa verübten, gehört.
Aber zumindest in meiner Familie wurde viel zusammen mit Freunden und Nachbarn darüber gesprochen und erzählt, das und das aufwachsen bzw. in die Schule gehen in einer total zerbombten Stadt hat mich bis heute geprägt "Nie wieder Krieg und seine entsetzlichen Folgen".
Zudem wurde auch sehr viel in den Medien darüber berichtet, es gab viel Literatur dazu und vor allem Filme, die sich mit diesem Thema beschäftigten.

In den 50er bzw. 60erJahren wurde ja auch sehr viel für den Jugendaustausch zwischen Frankreich und Deutschland getan, das wurde auch erleichtert durch die guten Beziehungen zwischen Charles de Gaulle und Adenauer.

Als ich dann für eine französische Firma arbeitete, die in der Region Dep.l'ain/ Jura zu Hause ist und in dem es in diesem Gebiet während des Krieges durch das Wüten von "Barbie" so unendlich viele zivile Opfer forderte, lernte ich viele Betroffene und deren Angehörige kennen.

Hier gab es für mich immer wieder Grenzfälle, musste ich Ablehnung überwinden und auch akzeptieren. Für unsere nach dem Krieg Geborenen war es schon viel leichter und die Jungen gingen sehr schnell problemlos aufeinander zu.
Aber insgesamt hatte ich als Deutsche sehr wenig unter 'Ressentiments zu leiden.
Schwierigkeiten bekam ich erst, als ich mir ein ein Auto in grünmetallic zulegte und zeitgleich die Einladung eines algerischen Ehepaars annahm.

Insgesamt hinterlässt der Besuch unseres Präsidenten dieser Gedenkstätte bei mir ein sogenanntes "Gschmäckle".
Das liegt wohl auch daran, dass mir beide Präsidenten von Herzen unsympatisch sind und diese Geste des "Händehalten über den Gräbern" Gebrauchsspuren trägt.

Allerdings sehe ich auch ein, dass Erinnerungen dieser Art dringend notwendig sind, gerade in der jetzigen Zeit.

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Mareike
Mareike
Mitglied

Re: Auf den Ruinen der Moral: Oradour-sur-Glane
geschrieben von Mareike
als Antwort auf nerida vom 06.09.2013, 11:20:44
Es ist schwer sich (trotz Filme und Literatur) ein Urteil zu bilden, wer damals was wann gewusst hat und wieviel.

Was ich sehe und auch beurteile, ist das was heute vor unser aller Augen geschieht.

Wir sind global so vernetzt, dass nichts wirklich geheimgehalten werden kann.

Auf der anderen Seite ist Lügen und Aufhetzen durch falsche und manipulierte Berichterstattung auch ein Leichtes.

Im Moment bin ich gedanklich beim Film und anschließender Diskussion
"Eine mörderische Entscheidung" zum verhängnisvollen Angriff auf zwei Tanklaster in Kundus (siehe den entsprechenden Thread).

Oberst a.D. und Ausschussmitglied des Auswärtigen Bundestages, Roderich Kiesewetter sprach Klartext:
Weder militärisch Verantwortliche noch Politiker entschuldigten sich für die Fehl-Einschätzung und die darauf folgende Fehlentscheidung.
Und eine umfassende Hilfe und Wiedergutmachung wäre doch zwingend erforderlich und SELBSTVERSTÄNDLICH, wenn unsere Soldaten dort wirklich aus humanitairen Gründen eingesetzt wurden und werden.

Und dann wundern wir uns noch wenn unser Militär dort und anderswo UNERWÜNSCHT ist? Die Menschen dort WISSEN was geschieht. Sie erfahren es genau so leidvoll wie damals die Opfer in Oradour-sur-Glane.

Und geben wir Ihnen durch vorhin beschriebenes Verhalten Grund zur Hoffnung, dass der Schrecken bald vorbei ist?

Solche GESTEN wie in Oradour-sur-Glane müssen auch nach ihrem Wahrheitsgehalt in POLITISCHER Hinsicht gewertet werden: Hinsichtlich HEUTIGER Politik!

Mareike
nerida
nerida
Mitglied

Re: Auf den Ruinen der Moral: Oradour-sur-Glane
geschrieben von nerida
als Antwort auf Mareike vom 06.09.2013, 12:45:10

Und dann wundern wir uns noch wenn unser Militär dort und anderswo UNERWÜNSCHT ist? Die Menschen dort WISSEN was geschieht. Sie erfahren es genau so leidvoll wie damals die Opfer in Oradour-sur-Glane.

Ich glaube einfach nicht, dass man die Vorkommnisse im Kunduz mit Oradour s.G. vergleichen kann.
In Frankreich hat man bewusst eine Strafaktion an Zivilisten verübt, im Kunduz war es eine tragische Fehlentscheidung die auf Grund von falschen Information geschah.
Für die Angehörigen der Toten und Verletzen sicherlich irrelevant aber in unserer Beurteilung sollte man das schon zur Kenntnis nehmen.

Und geben wir Ihnen durch vorhin beschriebenes Verhalten Grund zur Hoffnung, dass der Schrecken bald vorbei ist?

Die Zivilbevölkerung wird sich mit anderen Schrecken abfinden müssen und ich vermute, dass deren Verursacher dann keine Worte des Bedauerns finden.
Edita
Edita
Mitglied

Re: Auf den Ruinen der Moral: Oradour-sur-Glane
geschrieben von Edita
als Antwort auf Mareike vom 06.09.2013, 12:45:10


Solche GESTEN wie in Oradour-sur-Glane müssen auch nach ihrem Wahrheitsgehalt in POLITISCHER Hinsicht gewertet werden: Hinsichtlich HEUTIGER Politik!

Mareike


Liebe Mareike,

das ist genau DAS, was ich bei der Direktübertragung gedacht habe ! Sonst kann man nämlich solche Gesten alle paar Jahre mal, immer in einem anderen kriegszerstörten Land, wiederholen, und Alles bleibt beim alten, auch die Greueltaten!

Edita

edit:

solche Gesten sollten unbedingt Konsequenzen nach sich ziehen !

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clara
clara
Mitglied

Re: Auf den Ruinen der Moral: Oradour-sur-Glane
geschrieben von clara
als Antwort auf Elisabet vom 05.09.2013, 21:21:51
Ich bin dafür, dass der deutsche Bundespräsident in jedes Land fährt wohin bisher deutsche Waffen geliefert wurden und derzeit geliefert werden,und dort die Menschen um Vergebung bittet die überlebt haben.

Dann müsste der Bundespräsident einen Großteil seiner Zeit in allen möglichen Ländern verbringen. Es bestehen zwar Richtlinien (s. dort die politischen Grundsätze!) für den Export deutscher Kriegswaffen, die sind aber nur ein Alibi, damit die deutsche Rüstungsindustrie ihre Milliardengewinne machen kann. Denn: Die deutschen Waffen gelangen ja wieder über Umwege in die Krisen-und Kriegsgebiete.

Clara

@ Wandersmann: Nein, richten darf man über einfache Soldaten und Befehlsempfänger in einer Ausnahmesituation nicht, aber man muss es auch nicht unter den Teppich kehren, sondern einfach als Tatsache behandeln.
silhouette
silhouette
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Re: Auf den Ruinen der Moral: Oradour-sur-Glane
geschrieben von silhouette
Und Leningrad?

Ist eigentlich schon mal ein deutscher Bundespräsident oder Bundeskanzler an der Ehrenmauer jenes Leningrader Friedhofs gewesen, auf dem etwa die Hälfte der Opfer der Belagerung von Leningrad in Massengräbern verscharrt wurden? War wohl politisch nie so opportun? Kein Grund für eine emotionale TV-Übertragung? Ausgerechnet Deutschland und Frankreich hätten solche eine Show am wenigsten nötig. Adenauer und de Gaulle waren schon mal weiter und konkreter.

Etwa 750 000 Soldaten der deutschen Wehrmacht haben Leningrad ca. 2 1/2 Jahre lang völlig von der Außenwelt abgeschlossen. Es war volle Absicht des Oberkommandos, die Zivilbevölkerung verhungern zu lassen. Wer Glück hatte, ist im Winter erfroren, das hat ihren Tod noch beschleunigt. Etwa 1,1 Millionen Einwohner kamen dabei ums Leben. Es gilt als das größte Kriegsverbrechen des 20. Jahrhunderts.

Doch, zwei deutsche Spitzenpolitiker waren schon mal da. Richard von Weizsäcker und Helmut Schmidt, die später (neben Willy Brandt) die international angesehensten deutschen Politiker wurden und entscheidend dazu beitrugen, dass Deutschland wieder einen festen Platz in der Völkergemeinschaft erhielt.

Weizsäcker und Schmidt gehörten als junge Soldaten zu dieser Truppe in Leningrad. Alles das ist deutsche Geschichte.
rehse
rehse
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Re: Auf den Ruinen der Moral: Oradour-sur-Glane
geschrieben von rehse
als Antwort auf silhouette vom 06.09.2013, 16:21:30
Ja, hier wäre Hamburg als Partnerstadt gefragt. Große Gesten können sein, aber vielleicht würde es mehr bewirken, wenn z.B. Geld gespendet werden würde für eine Armenküche oder Obdachlosenunterkunft, Die Not in St. Petersburg ist auch heute noch sehr groß.
Elisabet
Elisabet
Mitglied

Re: Auf den Ruinen der Moral: Oradour-sur-Glane
geschrieben von Elisabet
als Antwort auf rehse vom 06.09.2013, 17:20:55
Mich interessiert was ist heute zum weltlichen Frieden hin zu tun.Wenn sich amtierende Bundespräsidenten händchenhaltend der weltlichen Presse stellen, das ist mir zu wenig, viel zu wenig.Auf derartige Gefühlsduseleien falle ich nicht herein.

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