Internationale Politik The Cloud - que sera?

carlos1
carlos1
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Re: The Cloud - que sera?
geschrieben von carlos1
als Antwort auf Karl vom 08.11.2009, 18:45:39


"Carlos - wozu dann überhaupt noch "Leadership"? Mache jeder was er wolle ... DAS kann doch nicht der Inhalt von Politik sein." seewolf


"Die Menschen müssen von immer mehr "Möglichkeiten" eben immer weniger Gebrauch machen. Sonst überheben sie sich." seewolf


Mit solchen Vorgaben kann man nicht erwarten, dass auf strukturelle Arbeitslosigkeit, bzw. Rationalisierung, Technologiewandel und Arbeitslosigkeit geschlossen werden muss, schon gar nicht auf eine "epochale Transformation" (Carr). Wer etwas Wirtschaftsgeschichte im Hinterkopf hat, ist anderes Vokabular gewöhnt. Wirklich epochale Änderungen sind der Übergang von der Lebensweise der Sammler und Jäger zur Sesshaftigkeit oder von der Agrarwirtschaft zur Manufaktur und dann zum Fabriksystem. „Von immer mehr Möglichkeiten immer weniger Gebrauch machen“, lieber Seewolf, ist doch eine hohle Phrase wie etwa z. B. "Lieber reich und gesund als arm und krank." Schön anzuhören aber nicht von dieser Welt. Lass einmal gedanklich immer mehr „Möglichkeiten“ grenzwertig werden, ebenso "immer weniger Gebrauch". Dann strebt das eine gegen Unendlich, der andere Wert gegen Null. Es bleibt offen, von welchen Möglichkeiten Gebrauch gemacht werden soll. In diese Lücke bringst du dann deine „leadership“ ein. Das Heil kommt von einem „leader“, von Leuten die Bescheid wissen? Es erinnert fast an den großen Bruder bei Orwell oder den starken Mann, der Problem lösen kann. Dazu unten etwas mehr.

Hallo Karl,
ich gehe lieber auf deinen Text ein als auf Carr. Wer von der Zukunft spricht und Nobelpreisträger zitiert, Krisen zu erklären sucht, findet immer Gläubige, besonders wenn er schwarz sieht. Dabei steckt hinter den Aussagen von Carr das altbekannte Sektorenmodell der Wirtschaft. Nach diesem Sektorenmodell ist schon lange der Rückgang der Beschäftigten in der Agrarwirtschaft, dann in der Industrie und der Übergang zu einer Dienstleistungsgesellschaft in den Industriestaaten vorhergesagt worden. Dass wir nun das Verschwinden der industriellen Gesellschaft als Typus erleben, ist keine Überraschung. Wir nehmen Abschied von der gewohnten Produktionsgesllschaft, an die sich die Menschen einstmals nur schwer anpassten, aber die sie jetzt als etwas Unumstößliches ansehen und als „Sicherheit“ erleben, einfach deshalb, will sie sich daran gewöhnt haben. Mensch und Maschine standen bisher im Mittelpunkt der Auseinandersetzung, ebenso Arbeit und Kapital. Der Mensch war der Knecht des durch die Maschine vorgegebenen Arbeitstaktes. Jetzt erleben wir den Einsatz von Robotern, von Mikrosystemen und die Allgegenwart der Netzwelt, mit jederzeit nahezu überall zugänglichen Informationen in verwirrender Vielfalt. Arbeit wird durch Technologie ersetzt – ein alter Menschheitstraum! - und das Kapital scheint den Restbedarf am noch benötigten Faktor Arbeit dort zu decken, wo er am billigsten ist.

Es wird wohl nicht bestritten, dass mit immer weniger Arbeitseinsatz ein immer größeres Sozialprodukt erstellt werden kann. Das ist erwünscht, weil dadurch Ressourcen gespart werden. Mikroprozessoren erlauben eine kleine Chemiefabrik in einer Schuhschachtel zu installieren. Die Stahlproduktion verschlang bis vor kurzem noch eine Unmenge an Ressourcen. So sah man deshalb auch Ökonomie und Ökologie als Gegensatz. Wir haben inzwischen gelernt Mikrotechnik und Softwareentwicklung für Ressourceneinsparung zu nutzen. Wertschöpfung entsteht deshalb wo ganz anders als es noch der Club of Rome Anfang der 70 Jahre angenommen hatte. Weniger durch Ressourcenverbrauch als durch Ressourcensubstitution. Glasfasern ersetzen Kupferkabel, um ein Beispiel zu nennen. Mit der Zeit wird aber die geringere Ressourcenausbeutung – eine Notwendigkeit! - auch in den Entwicklungsländern sich stärker durchsetzen. Ein notwendiger Prozess, der aber zur Folge haben wird, dass jetzt und in Zukunft immer weniger Menschen in der materiellen Produktion gebraucht werden.

Der Glaube, dass der Restbedarf an Arbeit vom Kapital dort gedeckt wird, wo er am billigsten ist, trügt. Der Weberaufstand in Dtld wird Beispiel für die Folgen einer solchen Entwicklung angeführt. Auch die Maschinenstürmer in England in den 30er Jahren des 19. Jhd wären zu erwähnen. Solche Analogien sind nicht allgemeingültig. In England führte schon wenige Jahre später der Eisenbahnbau zu einer Hochkonjunktur und erhöhtem Arbeitskräftebedarf. Auch heute geht die Arbeit nicht aus. Sie verlagert sich in immer stärkeren Maße vom Produktionsbereich in den Dienstleistungsbereich. Dort sind die Arbeitsplätze der Zukunft zu suchen. Arbeitslosigkeit wird es noch lange geben, und Angst vor Arbeitsplatzverlust wird uns begleiten. Statt aber Ängste zu bedienen, sollten aus dem Ende der Industriegesellschaft die richtigen Folgerungen gezogen werden. Das betrifft nicht nur Dtld sondern auch die anderen Industriestaaten wie die USA und GB, die in diesem Prozess weiter fortgeschritten sind.

Das Problem ist weniger die Technikangst und Scheinbedrohung, als vielmehr die Trägheit verbunden mit Phantasielosigkeit in gesellschaftlichen Prozessen. Es wird in Zukunft auf mehr Individualität und Selbstverantwortung gesetzt werden müssen. Selbstständiges Arbeiten, unternehmerisches Denken werden auch von Arbeitnehmern gefordert werden und von Scheinselbständigen. Tatsächlich gibt es entschiedenen Widerstand von Vertretern des bisherigen Systems. Beispiel: Der Chef des Betriebs verhindert neue Techniken und Arbeitsmethoden, weil er sich damit nicht auskennt, wie ich kürzlich selber feststellen konnte. Lehrer bremsten früher an Schulen die Verbreitung der IT, weil sie ihnen fremd war etc. ….

Hinter der Angst vor Veränderung steht die Angst nicht mehr alles im Griff zu haben. Alte Ordnungsformen sind nicht totzukriegen. Politik heißt nicht selten die Leute ruhig stellen, damit sie keine Dummheiten machen. Leadership? Leadership im Internetzeitalter kann nur heißen mehr individuelle Autonomie, nicht Gängelung.

Nicht zuletzt werden altbekannte Institutionen sich ändern müssen. Das betrifft Gewerkschaften in ihrem Selbstverständnis und ebenso Arbeitgeberverbände. Die Gewerkschaften sind noch nicht darauf eingestellt ein Dienstleistungsbetrieb zu werden. Inwieweit sind Flächentarifverträge mit individueller Autonomie und Verantwortung vereinbar? Es lassen sich viele Fragen stellen. Vieles muss auf den Prüfstand. Grips ist gefragt.
c.
seewolf
seewolf
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Re: The Cloud - que sera?
geschrieben von seewolf
als Antwort auf carlos1 vom 09.11.2009, 19:31:47

Es lassen sich viele Fragen stellen. Vieles muss auf den Prüfstand. Grips ist gefragt.
c.


Genau. Nichts anderes habe ich eingefordert.

Auch der Artikel im Link unten befaßt sich mit der "Umdenke"...
--
seewolf
carlos1
carlos1
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Re: The Cloud - que sera?
geschrieben von carlos1
als Antwort auf seewolf vom 09.11.2009, 19:39:13
Hallo seewolf, danke für den Link. Die Beispiele überzeugen und die Hinweise in den Kommentraen der Leser sind aufschlussreich.

In der Bewertung stimme ich völlig überein. Die moderne Wissens-, Kommunikations- und Dienstleistungsgesellschaft ist reicher an Ressourcen und Gestaltungsmöglichkeiten als es die Industriegesellschaft je war. Bei richtiger Verteilung der Ressourcen und mehr gesellschaftspolitischer Phantasie könnte im Prinzip jeder seine Aufgabe und seinen Platz darin finden. Eine Aufgabe aber auch überholter Ordnungsvostellungen. Anpassungsvorgänge sind nötig.

Bei den Zahlen der Arbeitslosenstatistik darf nicht vergessen werden, dass Carrs Essay die USA im Blick hat mit ihrem Typ des angelsächsischen Konkurrenzkapitalismus. Unser sozial vermittelter Kapitalismus unterscheidet sich doch etwas davon. Auch der asiatische Konkordanzkapitalismus mit seiner traditionell starken Familienbindung und ausgeprägtem Arbeitsethos ist anders. Ein Verschwinden der Mittlschicht wird seit langem immer wieder prophezeit. Dabei ist es geblieben. Es darf aber nicht übersehen werden, dass die Schere zwischen Arm und Reich sich in nahezu allen Indsutriestaaten öffnet. In den Jahren von 2002 bis 2006 ging nach einer Statistik die Zahl der Arbeitslosen um fast 2 Mio zurück. Die Großunternehmen bauten nahezu 1 Mio Arbeitsplätze ab. Die mittelständischen Unternehmen legten glichen die Verluste mehr als aus (Zahlen aus dem Kopf).

Die epochalen Veränderungen in der Transformation von der Industriegesellschaft zur Informationsgeslleschaft sind gering im Vergleich zum Übergang von der mündlichen Überlieferung zum Schriftverkehr um 500-600 v. Chr. auch im Vergleich mit der Verbreitung des Buchdrucks. Die Veränderungen unserer Wahrnehmung durch die Nutzung der Bilderwelt des Internets oder durch die Medien überhaupt kommen bis jetzt noch gar nicht in den Blick.

Die Veränderungen werden auch die Institutionen umfassen, auch die Parteien. Man stelle sich vor, die Parteien würden stärker den Dienstleistungsaspekt hervorkehren. Das täte dem Gemeinwohl und der Solidarität gut. Es würde eine Abkehr vo ndem Pfründendenken bedeuten. Parteien wären nicht mehr organiseirte Seilschaften und Netzwerke zur Postenbesetzung im Staat. Der Anstoß dazu müsste aber aus ihren Reihen kommen. Es fragt sich, wie Mitwirkung an der politischen Willensbildung durchgeführt werden kann.

c.

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seewolf
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Re: The Cloud - que sera?
geschrieben von seewolf
als Antwort auf carlos1 vom 10.11.2009, 20:34:32
"16.11.2009
Intelligenz
Mein Kopf kommt nicht mehr mit
Von Frank Schirrmacher

Wer frisst wen in der digitalen Gesellschaft? Der darwinistische Wettlauf zwischen Mensch und Computer."

Ein bemerkenswerter Artikel in SPON - Link -

Man darf gespannt sein, wieviel Prozent der Bevölkerung zB in Europa in 10 Jahren noch auf der Höhe der Zeit sind mit ihrer "Informationsverarbeitung"...



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seewolf
seewolf
seewolf
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Re: The Cloud - que sera?
geschrieben von seewolf
als Antwort auf seewolf vom 18.11.2009, 21:30:43
Ich möchte hier noch einen Artikel einstellen, der sich mit den philosophischen Aspekten der "Aufklärung 2.0" befaßt.

Ich weiß, daß diese Thematik eher als "exotisch" empfunden wird; das ändert aber überhaupt nichts an ihrer immensen Bedeutung für die Zukunft schlechthin.

Link unten.
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seewolf
marianne
marianne
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Re: The Cloud - que sera?
geschrieben von marianne
als Antwort auf seewolf vom 20.11.2009, 23:55:06
Danke, Seewolf!

Eine Weile werde ich zwar brauchen zum Durchlesen (und versuchen, zu verstehen, lach...) aber ich bin froh, über das, was du eingebracht hast.

Natürlich auch Dank an Karl, Carlos.., an alle.

marianne

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carlos1
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Re: The Cloud - que sera?
geschrieben von carlos1
als Antwort auf seewolf vom 18.11.2009, 21:30:43
Hallo seewolf, marianne hat dir gerade gedankt für den guten Link. Ich schließe mich an. Wir müssen lernen zu lernen. Gut zu lernen. Kreativ zu werden.

"Nur wenige haben erkannt, dass es wichtiger ist, Hypothesen, Faustregeln und Denkweisen zu lehren und zu lernen, als statistisch abfragbare Fakten." Frank Schirrmacher


Die große Stunde der Philosophie. Ich glaube ja. Als Möglichkeit. Auf jeden Fall fühle ich mich darin bestätigt, dass Machtstrukturen der Medien unser Denken tiefgreifend beeinflussen, (womöglich) unser Hirn, die "Fleischmaschine" (Schirrmacher) in seiner Funktionsweise, verändern.


C.

seewolf
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Re: The Cloud - que sera?
geschrieben von seewolf
als Antwort auf carlos1 vom 21.11.2009, 09:30:49
Ein ebenfalls nachdenkenswerter Anstoss in diesem Zusammenhang:

Was an gewohnten Dingen ist durch das moderne Smartphone schon obsolet geworden?

- Link -
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seewolf
seewolf
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Re: The Cloud - que sera?
geschrieben von seewolf
als Antwort auf seewolf vom 22.11.2009, 21:32:08
... und noch ein "Oha"-Gedanke:


Außerirdische und Künstliche Intelligenz
Hallo, ist da wer?
Von Technologie-Prophet Paul Saffo

(Werden wir ihre Haustiere oder ihre Nahrung?) - Link -
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seewolf
nasti
nasti
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Re: The Cloud - que sera?
geschrieben von nasti
als Antwort auf seewolf vom 23.11.2009, 00:44:18
Sehr interessante Links

danke,

aber auch beängstigende.

Die Straßen sind schon fast leer, *heul*.

Nasti

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