Forum Kunst und Literatur Literatur ... balde ruhest du auch.

Literatur ... balde ruhest du auch.

longtime
longtime
Mitglied

Re: ... balde ruhest du auch.
geschrieben von longtime
als Antwort auf cecile vom 05.08.2008, 16:12:46
Danke, cecile, für das Mitwandern zu Nacht (und Tag)!!

Den Bernhard hatte ich bisher übersehen.

Das Thema, ob nur "lyrisch seelische Gemütlichkeit" gemeint ist, oder Gedichte, die auch zeitlich-politische Umstände mit einzubeziehen sind in Goethes Ruhe-Gesänge, ist nie abgeschlossen worden.
Den Zeit- und Un-Zeitgenossen sei Dank.

In allen Zeilen,
zu allen Zeiten
spürest du
Hauch und Widerhauch.


Aus Brechts “Liturgie vom Hauch“ (aus dem Jahr 1927) stelle ich hier nur die ersten zwölf von B.B. so nummerierten Strophen ein, weil es die bekanntesten geworden sind:

1
Einst kam ein altes Weib einher
2
Die hatte kein Brot zum Essen mehr
3
Das Brot, das fraß das Militär
4
Da fiel sie in die Goss', die war kalte
5
Da hatte sie keinen Hunger mehr.
6
Darauf schwiegen die Vöglein
im Walde Über allen Wipfeln ist Ruh
In allen Gipfeln spürest du
Kaum einen Hauch.

7
Da kam einmal ein Totenarzt einher
8
Der sagte: Die Alte besteht auf ihrem Schein
9
Da grub man die hungrige Alte ein
10
So sagte das alte Weib nichts mehr
11
Nur der Arzt lachte noch über die Alte.
12
Auch die Vöglein schwiegen im Walde
Über allen Wipfeln ist Ruh
In allen Gipfeln spürest du
Kaum einen Hauch.


--
longtime
longtime
longtime
Mitglied

Re: ... balde ruhest du auch.
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 06.08.2008, 13:00:28
Bevor weitere Variationen und Parodien über das Leen als nächtliches Wandern vorgestellt werden, stelle ich folgende Überlegung vor:

Ich habe Anklänge im hier „begleiteten“ Goetheschen Gedichts an das finnische Nationalepos „Kalevala“ herausgefunden.
(Obwohl ich bisher nicht bestätigt fand, dass Goethe dieses finnische Ur-Epos kannte.)

Kalevala:
Der Mythos vom Leben: Weg und Ort und Ziel

Das Epos beginnt mit den Anfangsworten des Dichters, der sich selber vorstellen und orientieren will.

«Lieder gab mir selbst die Kälte,
Sang gab mir der Regenschauer,
Andere Lieder brachten Winde,
Brachten mir des Meeres Wogen,
Worte fügten mir die Vögel,
Sprüche schuf des Baumes Wipfel.
Sammelt' sie zu einem Knäuel,
Band in Bündel sie zusammen.»


Eine andere Übersetzung von Anton Schiefner findet sich hier, auf der Wiki-Seite, im TIPP:

*

Nach mehrmaligem Lesen erscheint es mir auch möglich, dass Buber in seiner Übersetzung Anklänge von den Goetheschen Wandermythos verarbeitet hat.

--
longtime
longtime
longtime
Mitglied

Re: ... balde ruhest du auch.
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 06.08.2008, 19:42:24
Eine andere "Wanderung", aus einem anderen Land, einem anderen kulturellen Zusammenhang - und einer anderen politischen Tradition:

Helder Camara:

Wenn dein Boot,
seit langem im Hafen vor Anker,
dir den Anschein
einer Behausung erweckt,
wenn dein Boot
Wurzeln zu schlagen beginnt .
in der Unbeweglichkeit des Kais:
such das Weite.
Um jeden Preis müssen
die reiselustige Seele deines Bootes
und deine Pilgerseele bewahrt bleiben.
*
(Aus: H.C.: Mach aus mir einen Regenbogen. Mitternächtliche Mediationen. 1982. Text 25)

--
longtime

Anzeige

longtime
longtime
Mitglied

Re: ... balde ruhest du auch.
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 08.08.2008, 11:22:21
Es gibt im Netz noch viele Parodien oder Variationen auf Goethes "Wanderers Nachtlied".
Z.B. von Robert Gernhardt.

Ich werde - möglichst - nur noch unbekannte hier einstellen.


Herbert Asmodi
Auch nicht ein Hauch

Goethe an Herder
Anno 1786
Gleich nach der Ankunft in Rom:

Ich will,
Solange ich hier bin,
Die Augen auftun,
Bescheiden sehen
Und erwarten,
Was sich mir in der Seele bildet ...

Heilige Einfalt!
Kein Wunder, daß diese Knacker passe sind.
Wie wollen Sie so was demokratisieren?
Nichts für Neckermann Und nichts für die Kollegen.
Und über allen Wipfeln
Auch nicht ein Hauch
Von Soziologie.

In Stuttgart
Soll noch einer sitzen,
Der sammelt solche Kacke
Zu einem neuen Schatzkästlein
Fürs Altenprogramm.

*
(H.A.: Jokers Gala. 1975.)

Zum Autor, der ein erfolgreicher, aber recht unbekannter Fernsehautor war, s. TIPP:

--
longtime

Anzeige