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Literatur Beispiele und Erfahrungen: Kinderspiele – Kindernoete - Kindererinnerungen

clara
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Re: Beispiele und Erfahrungen: Kinderspiele: Kindernoete - Kindererinnerungen
geschrieben von clara
als Antwort auf enigma vom 24.02.2010, 18:01:48
Dein Tipp stimmt natürlich, Fontane (1819 - 1898) und sein autobiografischer Roman Meine Kinderjahre sind gemeint (Effie Briest war nur als Hinweis gedacht). Nun auch ein Auszug von der oben geschilderten Situation. Der Dreizehnjährige kommt mit seiner Mutter im Ruppiner Gymnasium an und wird vom Direktor examiniert. Das liest sich so:

»Nun, mi fili, laß uns sehn ... Ich bitte, daß Sie Platz nehmen, meine verehrte Frau.« Und dabei nahm er einen schmuddligen kleinen Band von seinem mit Tabaksresten überschütteten Arbeitstisch und sagte: »Nun lies dies und übersetze.« Es waren zehn Zeilen mit einem Rotstift links angestrichen, höchstwahrscheinlich die leichteste Stelle im ganzen Buch. Ich tat ganz, wie er geheißen, und es ging auch wie Wasser. »Sehr brav ... er ist reif für die Quarta.« Damit waren wir entlassen, und am nächsten Montag, wo die Schule wieder anfing, setzte ich mich auf die Quartabank.

Was ich dahin mitbrachte, war etwa das Folgende: Lesen, Schreiben, Rechnen; biblische Geschichte, römische und deutsche Kaiser; Entdeckung von Amerika, Cortez, Pizarro; Napoleon und seine Marschälle; die Schlacht bei Navarino, Bombardement von Algier, Grochow und Ostrolenka; Pfeffels Tabakspfeife, »Nachts um die zwölfte Stunde«, Holteis Mantellied und beinah sämtliche Schillersche Balladen. Das war, einschließlich einiger lateinischer Brocken, so ziemlich alles, und im Grunde bin ich nicht recht darüber hinausgekommen. Einige Lücken wurden wohl zugestopft, aber alles blieb zufällig und ungeordnet, und das berühmte Wort vom »Stückwerk« traf auf Lebenszeit buchstäblich und in besonderer Hochgradigkeit bei mir zu.


Gruß von Clara
enigma
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Re: Beispiele und Erfahrungen: Kinderspiele: Kindernoete - Kindererinnerungen
geschrieben von enigma
als Antwort auf clara vom 24.02.2010, 23:00:56
Danke Clara,

Du hast ganz korrekt formuliert, aber meine Antwort war wahrscheinlich etwas missverständlich. Deinen Hinweis auf die “junge Frau, die an ihrer Umwelt zerbrach”, hatte ich schon als solchen (Hinweis auf die gesuchte Person eben) und nicht als den Titel des gesuchten Buches verstanden, dann aber “Effi” in die Lösung einbezogen. Und das war dann ungenau. Sorry.....


Jetzt stelle ich aber etwas ein.

Der folgende Wortlaut stammt aus einem kleinen Bändchen zeitgenössischer Kurzgeschichten, man könnte fast sagen, Minigeschichten, so kurz sind manche.
Sie waren das Debut einer jungen deutschen Autorin, die zum Zeitpunkt des Erscheinens noch keine dreißig Jahre alt war.
Sie ist immer noch ziemlich jung und schreibt natürlich noch.

Aber jetzt die Textprobe:

“Als sie noch nicht und er dreizehn war

Darf ich sagen, dass ich dich liebe? Besser nicht, wer hört das schon gerne - und müßtest dir Gedanken machen und fühltest dich in der Pflicht. Also bin ich dir nur gewogen, hebe mein Herz auf für dich, wer weíß, wann du es einmal brauchst.
Dieses Foto, auf dem du aussiehst, als würde niemals etwas aus dir werden, zerzaustes Haar und wild um den Mund. So einen hätte ich nicht aus den Augen gelassen, dich nicht.
Mit dir hätte ich allerlei anstellen mögen, damals schon, vielleicht umso mehr. So ein Junge, der sich verführen läßt - wie Honig schmeckt er und süß.” (...)

Jetzt lasse ich zwei Absätze aus und komme zum Schluss , denn diese ist auch eine von den Mini-Geschichten und umfasst etwas mehr als eine Seite:

(...) “Jetzt kann ich nur an dich denken. Und dass ich von dir schreibe, ist kein gutes Zeichen.
Ich sollte mir in den Arm fallen und das Foto sollte ich verbrennen.
Aber vielleicht, dass du an mich denkst, nur kurz, wenn du das liest.”

Von der Autorin, die da die Zuneigung eines jungen Mädchens beschreibt, stammen noch andere Erzählungen und Gedichte. Sie erzählt in diesem Band von der Liebe und von Gefühlen, vom Beginn oder auch vom Ende von Beziehungen, thematisch also eigentlich nichts besonderes, aber wie sie erzählt, das ist schon anders als üblich.
Sie hat übrigens Germanistik und Kunstgeschichte studiert.
Einige Preise hat sie inzwischen auch erhalten.

Vielleicht kennt ja jemand diese oder andere Geschichten von ihr und weiß sofort, wen ich meine.
Sollte das nicht der Fall sein, gebe ich noch einen speziellen Hinweis:

Geschichten der Schriftstellerin haben manchmal einen Bezug zum Schulbetrieb, obwohl sie keine Lehrerin ist oder war.

So, das war`s erst mal.
Viel Spaß wünsche ich....

Enigma








enigma
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Re: Beispiele und Erfahrungen: Kinderspiele: Kindernoete - Kindererinnerungen
geschrieben von enigma
als Antwort auf enigma vom 25.02.2010, 18:11:55
Unsere gesuchte Autorin hat öfter "Etwas zu erzählen"

Und Schüler sollten dann dazu etwas sagen können, bei wichtigen Prüfungen.

Gruß, Enigma


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enigma
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Re: Beispiele und Erfahrungen: Kinderspiele: Kindernoete - Kindererinnerungen
geschrieben von enigma
als Antwort auf enigma vom 26.02.2010, 08:19:33
Ich löse das Rätsel auf:

Der Teil der von mir eingestellten Kurzgeschichte stammt aus einem Bändchen von Kurzgeschichten mit dem Titel “Da kann ich nicht nein sagen” der Autorin Nadja Einzmann.
Geschichten von ihr wurden verschiedentlich als Unterrichts- und Prüfungsthema im Schulfach Deutsch verwendet.
Thematisch bringt sie, wie ich schon im ersten Beitrag geschrieben habe, nicht viel Neues. Es sind etwas lapidare Geschichtchen, aber irgendwie gefällt mir ihre Sprache, vor allem wahrscheinlich, weil sie meine Vorliebe für Andeutungen trifft, mit denen sie alltägliche Situationen von Kennenlernen, Trennungen usw. skizziert.
Die Rezensenten sind sich, wie das öfter mal vorkommt, in ihrem Urteil über die Qualität ihrer Kurzgeschichten nicht einig.

Ich stelle einmal 3 Rezensionen, bei “Perlentaucher” erschienen, vor,
hier:

Eingestellt habe ich den Teil der Geschichte vor allem, weil er für mein Empfinden ganz gut die oft komplizierten Gefühle von Halbwüchsigen oder fast noch Kindern beschreibt, die sich nicht sicher sind, ob ihre Gefühle erwidert werden und darum nicht zu viel von sich und den eigenen Gefühlen preisgeben möchten.
Das sind auch oft Nöte, die sich zum Beispiel mit einer ersten Liebe verbinden.
Für meinen persönlichen Geschmack ist es Frau Einzmann gelungen, das rüberzubringen.


Enigma






clara
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Re: Beispiele und Erfahrungen: Kinderspiele: Kindernoete - Kindererinnerungen
geschrieben von clara
als Antwort auf enigma vom 28.02.2010, 08:22:21
Enigma, von Nadja Einzmann habe ich bisher nichts gewusst, und nun wieder was dazu gelernt. Die im Link erwähnten Rezensionen sind ja recht unterschiedlich in der Beurteilung der Autorin.
Nun, sie ist jung und vielleicht noch entwicklungsfähig. Immerhin hat sie einige Nachwuchspreise erhalten.

Clara
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Re: Beispiele und Erfahrungen: Kinderspiele: Kindernoete - Kindererinnerungen
geschrieben von enigma
als Antwort auf clara vom 28.02.2010, 13:33:22
Hallo Clara,

danke für Deine Einlassung auf das Thema.

Ja, wir werden sehen, was noch von Nadja Einzmann kommt.
Aber vielleicht kann sie auch nur auf diese Art und Weise schreiben, so “privat”, ohne weiteres Anliegen.
Und vielleicht trifft sie trotzdem damit auch den Nerv vieler jungen Menschen heutzutage, die sich ja häufig eher zurückhaltend in Gefühlssituationen äußern und sich weniger in Herz-Schmerz-Ergüssen ergehen.
Vielleicht werde ich heute oder morgen oder irgendwann noch einen Auszug aus einem anderen Buch einstellen, das auch sehr aufs Persönliche abgestellt ist, aber wieder in ganz anderen Gesamtzusammenhängen - und auch in einem völlig anderen Stil geschrieben.

Bis dahin jedenfalls freundliche Sonntagsgrüße

Enigma

PS
Bei uns stürmt es auf Teufel komm raus. Da kann das Rausgehen gefährlich werden.



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enigma
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Re: Beispiele und Erfahrungen: Kinderspiele: Kindernoete - Kindererinnerungen
geschrieben von enigma
als Antwort auf enigma vom 28.02.2010, 16:55:43
So, nun stelle ich einen weiteren Textauszug ein, der Probleme eines jungen Mädchens in einem Internat, das sie besucht, beschreibt.
Also, los geht`s:

(...) “Mops, sieh dir das an, ein Brief vom Internat: ‘Es macht uns große Sorge, dass sich I. immer noch nicht eingelebt hat...’
Ein Anruf brachte Klarheit. Sie finde keine Freunde.
Die Lehrer waren sich sicher, es lag an ihr, dass sie keine Freunde fand, denn die übrigen Mädchen waren im großen und ganzen ein freundliches Völkchen. Aber am meisten Sorge machte ihnen etwas anderes. Ihnen gefiel nicht, dass I. im Unterricht so unkooperativ war.
Einmal hatte die Musiklehrerin einem Mädchen, das den Namen Bach falsch ausgesprochen hatte, erklärt, wie es richtig heißt: nicht “Bätch”, sondern “Baak”. Da hatte I. gekichert und der Lehrerin erklärt, das sei auch falsch, Bach sei nämlich ein deutscher Komponist und die deutsche Aussprache sei....- hier ließ sie eine Art Grunzen folgen, worauf die Musiklehrerin entgegnete: “Mir scheint, wir sind hier in Amerika, und in Amerika sagen wir Baaaak.”
Die Mathematiklehrerin hatte sich beschwert, I. lese im Unterricht Comics, aber wenn sie, die Lehrerin, eine Aufgabe an die Tafel schreibe und I. plötzlich aufrufe, um sie zu überraschen, dann finde sie sich aus reiner Bosheit prompt zurecht und beantworte die Frage richtig, was auf die anderen Schülerinnen, die alle ein A für Fleiß bekamen, entmutigend wirke.
Und die Sexualkundelehrerin, die keine richtige Sexualkundelehrerin war, sondern die Frau des Schularztes, und aus diesem Grunde sachkundig zum Thema sprechen konnte, hatte berichtet, dieses Mädchen habe den Unterricht durch leises Lachen gestört, als sie der Klasse erklärt habe, ein Orgasmus sei wie ein Niesen. Das leise Lachen sei ungehörig gewesen, es habe darauf schließen lassen, dass I. über Erfahrungen auf diesem Gebiet verfüge, und dies habe die anderen Schülerinnen so aus der Fassung gebracht, dass sie mit ihren Eltern darüber gesprochen hätten, die sich ihrerseits über den Sexualkundeunterricht beschwert hätten, der nun vorübergehend eingestellt sei. Alles wegen dem neuen Mädchen .” (...)

Das soll erst einmal reichen.

Das Schulproblem wurde zwar kurzfristig gelöst, aber das widerspenstige Mädchen ging später dennoch zunächst einmal ohne Schulabschluss ins Leben, wollte aber in Harvard studieren - und dazu kam es später auch.

Das Kuriose ist, dass es die Probleme der Autorin selbst sind, die da beschrieben werden.
Außer dass sie in Harvard studierte, schrieb sie nämlich später auch eine Autobiografie. Und in dieser Autobiografie griff sie zu einem Trick und erzählte die Geschichte einer deutsch-jüdischen Familie, die aus den bekannten Gründen der Verfolgung in die USA auswanderte, nicht selbst, sondern ließ sie in der Person einer Familienangehörigen von dieser erzählen.
Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass diese Person, die Erzählerin also, bereits verstorben war und sozusagen aus dem Jenseits ihre Stimme erhob.

Und was diese wohlerzogene, aber witzig-bissige Dame von ihrer Familie in einer Art von Familiensaga über drei Generationen hinweg zu erzählen weiß, mit welchen Kommentaren die einzelnen Familienangehörigen bedacht werden, das ist oft chaotisch, manchmal traurig, manchmal boshaft-witzig, aber immer gleichzeitig auch liebevoll.

Die Autorin selbst wurde zu Beginn der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts in Amerika geboren. Nach dem Schulabbruch ließ sie sich zunächst den Wind der großen weiten Welt um die Nase wehen, überwiegend als Tramperin.
Anschließend hatte sie dann einige Jobs, aus denen sie regelmäßig wieder rausflog.
Als Intermezzo vor dem Studium arbeitete sie dann für einen Ethnologen in Afrika.
Nach dem bereits erwähnten Harvard-Studium betätigte sie sich zunächst journalistisch und veröffentlichte einige Reportagen. Später verlegte sie sich dann aufs Bücherschreiben.

Sie lebt in Deutschland und Amerika und ist mit einem Deutschen verheiratet.

Ein bekannter deutscher Dichter/Schriftsteller gilt als ihr Entdecker und Förderer, mit dem sie später gemeinsam auch ein Kinderbuch schrieb.

Ich muss gestehen, dass ich bei der Lektüre des Buches schon ziemlich amüsiert war, trotz des ernsten Hintergrundes, der zweifellos auch da ist.

Ich vermute ganz stark, dass Ihr schon wisst, von wem ich gesprochen habe.
Dann wisst Ihr wahrscheinlich auch den Namen der Autorin und den Buchtitel?



Enigma

Tschüss, bin jetzt erstmal weg, gucke aber abends mal rein, ob sich was getan hat und ob jemand schon unsere Autorin enttarnt hat.
longtime
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Re: Beispiele und Erfahrungen: Kinderspiele: Kindernoete - Kindererinnerungen
geschrieben von longtime
als Antwort auf enigma vom 13.03.2010, 09:34:53
Hallo, enigma!

Das Textbeispiel ist toll, sehr interessant.

Aber ich habe keine Ahnung, also keine Namens- oder Titel-Auflösung.

Gibst du noch einen Sonntags-Tipp?

Gruß:

Longtime!
enigma
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Re: Beispiele und Erfahrungen: Kinderspiele: Kindernoete - Kindererinnerungen
geschrieben von enigma
als Antwort auf longtime vom 14.03.2010, 08:54:54
Hallo Longtime,

ja, gerne, hier kommt der Sonntags-Tipp:

Das I. in dem Textauszug steht für “Irene” - und das ist dann auch der Vorname der Autorin.

Der deutsche Dichter/Schriftsteller, der sie gefördert und mit dem sie ihr erstes Kinderbuch veröffentlicht hat, ist Hans Magnus Enzensberger. Außerdem war an diesem Kinderbuch Michael Sowa als Zeichner beteiligt.


Gruß zum Sonntag
Enigma
clara
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Re: Beispiele und Erfahrungen: Kinderspiele: Kindernoete - Kindererinnerungen
geschrieben von clara
als Antwort auf enigma vom 14.03.2010, 14:43:12
Hallo enigma,

dank Deines Sonntagstipps gebe ich mal meine ergoogelte Weisheit preis: Ich glaube, es handelt sich um Irene Dische und ihren Roman "Großmama packt aus". Stimmt das?

Dir noch einen schönen Sonntag,

Clara

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