Literatur Schöne Lyrik

Maikel
Maikel
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Maikel

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Eduard Ferrand
(Eduard Schulz)
(1813-1842)



Die Knospe


Mein Herz ist eine Knospe,
Die still verborgen keimt
Und in dem Sturm des Winters
Von schön'ren Lenzen träumt.

Mein Herz ist eine Knospe,
Durchwallt von süßem Duft
Sie kann ja nicht erblühen
In eisig kalter Luft.

Mein Herz ist eine Knospe,
Und wenn es liebend bricht,
Entfaltet sich die Blüthe
Dem ew'gen Sonnenlicht.


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Maikel
Maikel
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Maikel

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Theodor Storm
(Hans Theodor Woldsen Storm)
(1817-1888)



Rote Rosen


Wir haben nicht das Glück genossen
In irdischer Gelassenheit,
In Qualen ist's emporgeschossen,
Wir wußten nichts von Seligkeit.

Verzehrend kam's in Sturm und Drange;
Ein Weh nur war es, keine Lust!
Es bleichte deine zarte Wange
Und brach den Atem meiner Brust.

Es schlang uns ein in wilde Fluten,
Es riß uns in den jähen Schlund;
Zerschmettert fast und im Verbluten
Lag endlich trunken Mund auf Mund.

Des Lebens Flamme war gesunken;
Des Lebens Feuerquell verrauscht,
Bis wir auf's neu den Götterfunken
Umfangend, selig eingetauscht.


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Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
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Und einmal steht das Herz am Wege still

Häuser und Mauern, welche die Menschen überdauern,
Bäume und Hecken, die sich über viele Menschenalter strecken,
Dunkel und Sternenheer, in unendlich geduldiger Wiederkehr,
Kamen mir auf den Hügelwegen in der Sommernacht entgegen.
Nach der Farbe von meinen Haaren, bin ich noch der wie vor Jahren,
Nach meiner Sprache Klang und an meinem Gang
Kennen mich die Gelände und im Hohlweg die Felsenwände.
Viele Wünsche sind vergangen, die wie Sterne unerreichbar hangen,
Und einmal steht das Herz am Wege still,
Weil es endlich nichts mehr wünschen will.

Max Dauthendey

 

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Maikel
Maikel
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Maikel

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Gabriele von Baumberg
(1768-1829)



An die Sonne


Sinke, liebe Sonne, sinke!
Ende deinen trüben Lauf,
Und an deine Stelle winke
Bald den Mond herauf.

Herrlich und schöner dringe
Aber Morgen dann herfür,
Liebe Sonn! und mit dir bringe
Meinen Lieben mir.


***

 
Maikel
Maikel
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Maikel

 

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Friedrich Hebbel
(1813-1863)



O lieber Vogel mein


"Sag an, o lieber Vogel mein,
Sag an, wohin die Reise dein?"

Weiß nicht, wohin,
Mich treibt der Sinn,
Drum muß der Pfad wohl richtig sein!


"Sag an, o liebster Vogel mir,
Sag, was verspricht die Hoffnung dir?

Ach, linde Luft
Und süßen Duft
Und neuen Lenz verspricht sie mir!


"Du hast die schöne Ferne nie
Gesehen, und du glaubst an sie?"

Du frägst mich viel,
Und das ist Spiel,
Die Antwort aber mach mir Müh'!


Nun zog in gläubig-frommem Sinn
Der Vogel übers Meer dahin,
Und linde Luft
Und süßer Duft,
Sie wurden wirklich sein Gewinn!



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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Möwe über der Brücke

Dir unterm Fuß,
Zwischen den Ufern Schreitender, spannt
Sich der Brücke gewölbter Bogen.

Und eine Möwe,
Wie ein Gedanke fernher blitzend,
Schießt auf dich ihre blendende Bahn.

Eine Sekunde
Stößt ihr Auge in deines, greift
Dich der weißen Schwinge Umarmung.

Eine Sekunde
Hebt dich der Flug, trägt dich der Geist,
Der schwerelose, brausend empor.

Es weht dich an
Der unendliche Raum, es rauscht
Freiheit dir unermeßlich ums Haupt.

Wie ein Gedanke
Der weiße Vogel, fernhin sich windend,
Und kehrt dir einmal wieder vielleicht

Solange noch
Von Ufer zu Ufer, Wanderer, dich
Der Brücke schweigender Bogen trägt.

Maria Luise Weissmann

Möwe Portugal Algarve - Kostenloses Foto auf Pixabay
foto pixabay
 

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Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
DSC05139.JPG

Ostern

Ja, der Winter ging zur Neige,
holder Frühling kommt herbei,
Lieblich schwanken Birkenzweige,
und es glänzt das rote Ei.

Schimmernd wehn die Kirchenfahnen
bei der Glocken Feierklang,
und auf oft betretnen Bahnen
nimmt der Umzug seinen Gang.

Nach dem dumpfen Grabchorale
tönt das Auferstehungslied,
und empor im Himmelsstrahle schwebt er,
der am Kreuz verschied.

So zum schönsten der Symbole
wird das frohe Osterfest,
daß der Mensch sich Glauben hole,
wenn ihn Mut und Kraft verläßt.

Jedes Herz, das Leid getroffen,
fühlt von Anfang sich durchweht,
daß sein Sehnen und sein Hoffen
immer wieder aufersteht.

(von Ferdinand von Saar)
Lorena
Lorena
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Lorena

Oh Shiva, was ist Deine Wirklichkeit?
Was ist dieses Universum voller Staunen?
Was bildet den Kern?
Wer lenkt das Rad des Universums?
Was ist dieses Leben jenseits der Form,
das die Formen durchdringt?
Wie können wir über Zeit und Raum, 
Namen und äußere Merkmale hinaus Zugang dazu finden?
Erhelle meine Zweifel!



Aus einem heiligen Text des kasmirischen Shivaismus
 
 

Ich fand diese Zeilen in einem Buch als Eingangstextes von Susanna Tamaro mit dem Titel Geh, wohin Dein Herz Dich trägt.
Es ist ein schon älterer Frauenroman, handelt sich um 3 Frauen einer Familie aus bis zu 3 Generationen in Italien. Es schreibt eine Großmutter in Ich-Form. 
Das Taschenbuch gibt es neu nicht mehr. 

Ich wünsche allen, die hier hereinschauen, lesen und etwas eintragen frohe Ostertage.

LG Lorena 

 

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Lorena
Sirona
Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
glueck-spruch-zum-nachdenken.jpg

Blasierte Noblesse
Heinrich Martin (1818 - 1872), deutscher Schriftsteller

Des Herzens Armut und des Geistes Leere
sind heimisch meist in höh'ren Regionen,
wo Stolz und Dünkel, Rang und Reichtum wohnen,
und diese trachten, dass ihr Glanz sich mehre.

Dass Langeweile sie nicht ganz verzehre,
so wählen sie zur Kurzweil stets Personen,
in deren Kreis sie dann, wie Götzen thronen –
und fordern keck, dass man sie hoch verehre.

Wie sehr sind diese Armen zu beklagen,
die unaufhörlich nach Zerstreuung jagen;
denn, Leerheit ist die größte aller Plagen.

Doch wo sich Herz, Gemüt mit Geist verbinden –
mag alles Andre auch um uns verschwinden –
wir wissen in uns selbst das Glück zu finden.



 
Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Frühling.jpgBildquelle: Pixabay kostenlos

Ostermorgen
Emanuel Geibel

Die Lerche stieg am Ostermorgen
empor ins klarste Luftgebiet
und schmettert' hoch im Blau verborgen
ein freudig Auferstehungslied.
Und wie sie schmetterte, da klangen
es tausend Stimmen nach im Feld:
Wach auf, das Alte ist vergangen,
wach auf, du froh verjüngte Welt!

Wacht auf und rauscht durchs Tal,
ihr Bronnen,
und lobt den Herrn mit frohem Schall!
Wacht auf im Frühlingsglanz der Sonnen,
ihr grünen Halm' und Läuber all!
Ihr Veilchen in den Waldesgründen,
ihr Primeln weiß, ihr Blüten rot,
ihr sollt es alle mit verkünden:
Die Lieb ist stärker als der Tod.

Wacht auf, ihr trägen Menschenherzen,
die ihr im Winterschlafe säumt,
in dumpfen Lüften, dumpfen Schmerzen
ein gottentfremdet Dasein träumt.
Die Kraft des Herrn weht durch die Lande
wie Jugendhauch, o laßt sie ein!
Zerreißt wie Simson eure Bande,
und wie die Adler sollt ihr sein.

Wacht auf, ihr Geister, deren Sehnen
gebrochen an den Gräbern steht,
ihr trüben Augen, die vor Tränen
ihr nicht des Frühlings Blüten seht,
ihr Grübler, die ihr fern verloren
traumwandelnd irrt auf wüster Bahn,
wacht auf! Die Welt ist neugeboren,
hier ist ein Wunder, nehmt es an!

Ihr sollt euch all des Heiles freuen,
das über euch ergossen ward!
Es ist ein inniges Erneuen,
im Bild des Frühlings offenbart.
Was dürr war, grünt im Wehn der Lüfte,
jung wird das Alte fern und nah.
Der Odem Gottes sprengt die Grüfte -
wacht auf! Der Ostertag ist da.




 

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