Abschluss einer Lebenszeit



Hab gerade meine bzw. die alte Wohnung, wo auch ich fast 40 Jahre gelebt hatte und die zuletzt allein von meinem Mann bewohnt wurde, bis er starb, endlich leer geräumt bekommen.

Ich hätte es aus Gesundheitsgründen gar nicht selbst machen können oder sogar dürfen - ich glaube, ich hätte 10 mal so lange dabei gesessen, immer überlegt, wann dieses oder jenes Stück hinzugekommen wäre und wofür ...

Nur das, was ich noch nutzen wollte, weil es mir wichtig war, hab ich zuvor selbst eingepackt und mitgenommen. Einige Sachen sind teils in Containern gelandet, teils von Menschen, die dafür Verwendung haben, hocherfreut mitgenommen worden. Ja und das alte Küchengeschirr, das mal meinen Eltern gehört hatte, habe ich, weil's noch so vollständig war, zu einem Second-Hand-Shop gebracht, wo es sehr günstig verkauft werden konnte. Der Erlös gehört einem Behindertenverein.

Was sich da alles in einer langen Lebenszeit angesammelt hatte ...!! Mein Sohn konnte sich fast gar nicht von den vielen Schiffsmodellen, den handwerklichen Arbeitsgeräten, -maschinen trennen. Wo sollte er das alles unterbringen??? Die vielen Erinnerungen werden ihn einerseits beim Verschenken – an wen bloß?? – behindert haben, andererseits aber als schöne Erinnerung bleiben. Ein paar dieser Maschinen oder Gerätschaften hat auch unsere Tochter genommen, denn auch sie hat in ihrem Beruf (Kommunikationselek-tronikerin und Designerin) doch so einige Maschinen, die sie ebenfalls braucht, in ihrer Firma, kann sie also weiter verwenden.

Eine Gaudi war's bei uns nicht. Eher eine große Überwindung für viele Dinge ...

Zum Nachdenken brachte mich eine seltsame Begebenheit: als ich 10 Jahre alt war, brauchte ich als einzige der Geschwister eine Brille. " Jetzt siehst du aus wie eine Juffer!" bekam ich von meinem Vater zu hören. "Du bekommst bestimmt keinen Mann mit, pflegst mich, wenn ich alt und tadderig bin ...!"

Ich habe meine Brille gehasst und bin lange wie ein Blindfisch durch die Stadt gestolpert. Zwischendurch machte ich einige Tanzkurse, bis sich ein junger Mann entschloss, mich mit in den damals neu eröffneten Klub für Tuniertanz zu bitten. Eine leichte Freundschaft entwickelte sich. Es störte ihn wenig, dass ich eine Brille brauchte. Er hatte gerade eine Ausbildung zum Optiker abgeschlossen.

Ich hatte meine lange getragene Herrenbrille satt – eine Kinderbrillenfassung gab es seinerzeit nicht, eine Damenbrillenfassung gab es für meinen runden Kopf auch nicht! Es passte keine – ich wollte endlich eine chice Brille, die mich nicht so zur Brillenschlange verunstaltete. Und siehe da – mein Freund war ja Optiker!!

Als ich 20 Jahre alt war, verlangte mein Vater, dass wir heirateten, und so wurde ich die Frau eines Optikers, war mein Leben lang mit nun chicen Brillen gut versorgt. Als unsere Kinder fast halbwüchsig waren, bauten wir ein eigenes Haus.

Ich bin vor ein paar Jahren zu unserer Tochter gezogen, habe mich getrennt. Nachdem mein Mann im vergangenen Sommer verstarb, lag der Gedanke sehr nahe, dieses Haus wieder zu verkaufen. Und wer kaufte nun dieses vom Optiker und seiner Brillenschlange erbaute Haus?? Ein Augenarzt …!! Forciert habe ich das nicht. Ich war an dem Verkauf aktiv nicht beteiligt. Der Makler wusste nicht, dass mein Mann Optiker gewesen war, lediglich meinen im medizinischen Bereich gelegenen Beruf kannte er.

Es gibt schon manchmal gewisse Dinge, die einen so irgendwie ans Grübeln bringen ...
 


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Kommentare (1)

Anne-luise

Das Leben schreibt die Geschichte auch den Abschluss 


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