Bei uns Z’haus


 

Jedes der Erdenkinder dieser Welt hat irgendwo in dem Wirrwarr seines Lebens einen Winkel, zu dem er sich hingezogen fühlt. Sei es, um sich dem ständigen Spurten um den Platz an der Sonne zu entziehen; sei es um dem Gedanken Zeit zu lassen, der sich so manches Mal an alte Zeiten erinnert, die zwar alles andere als gut waren - sich aber in der eigenen Erinnerung als besser erweisen, als die heutigen es je sein könnten.
        Was ist der Grund für solches Denken? Wenn ich darüber sinniere, komme ich aus dem Grübeln nicht mehr heraus. Gibt es so wenig Reminiszenzen, die mich heute bewegen? Oder ist eine Retrospektive interessanter als jede Neuigkeit, jedes Erleben in der »Jetztzeit« - oder ist es nur das Alter, das Neues nicht mehr so schnell  legitimiert? Wenn ich gründlicher daran denke, komme ich in meiner Suche nach Wohlbefinden immer wieder zu Zeiten zurück, als in meiner Familie Oma und Opa noch ein gewichtiges Wörtchen bei allem mitzureden hatten.
      Und dann liegt das Stichwort ganz bewusst auf ihrer alten Küche! Küchen hatten auf mich persönlich schon immer etwas Anheimelndes. Im Grunde genommen gehört eine Küche zum wichtigsten Raum einer Wohnung, sie ist sozusagen die Zentrale eines Hauses. Hier wird über die gute oder schlechte Laune der Bewohner mit entschieden, da das leibliche Wohl unzweifelhaft das Hauptanliegen der Familie ist.
  Ich erinnere mich an die Küche meiner Großmutter, die ich etwa im Alter von 5 Jahren bewusst kennenlernte. Ein riesengroßer Raum mit drei Fenstern, mehrere Schränke in unterschiedlicher Größe sowie ein riesiger Tisch, der immer mit einer Wachstuchdecke belegt war. Der Fußboden bestand aus roten Ziegelsteinen, die zweimal jährlich mit roter Farbe (Caput mortuum) überstrichen wurde.
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       Die vorherige Generalreinigung brachte die gesamte Küche in einen unwahrscheinlichen Glanzzustand, der eigentlich nicht notwendig war, weil Großmutter stets sehr großen Wert auf Sauberkeit in ihrem Reich legte!
         Ganz gut erinnere ich, dass ich diese große Küche niemals ohne Menschen gesehen habe. In der Küche traf sich die Verwandtschaft, hier wurde die Nachbarschaft empfangen, hier wurden Neuigkeiten ausgetauscht, manchmal auch Klatsch verbreitet. Am Küchentisch saßen wir manchmal mit bis zu zehn Personen bei einer Mahlzeit zusammen. Wir ließen uns das gut vorbereitete Essen schmecken, die leckere Suppe, eine gute Hauptmahlzeit und auch das Dessert in mannigfaltiger Form. Selbst in den Tagen des Krieges, als alles fehlte und der Mangel das Hauptprodukt war, - hier in Großmutters Küche war immer etwas zu bekommen. Der Himmel mag wissen, woher oft diese Köstlichkeiten kamen! Vielleicht lag es an den guten Beziehungen zur alten dörflichen Familie außerhalb der Stadt? 
        Da hing tatsächlich noch eine Anzahl von Dauerwürsten zwischen den Deckenbalken der Küche, während darunter in einem Eck kleine Wäsche trocknete, ebenso wie auch an der umlaufenden Stange des gewaltigen Kohleherdes. Dessen Backofen brachte oft die wundersamsten Brote und Kuchen ans Tageslicht! Auf dem Herd köchelte immer eine Emailkanne mit Kaffee, das war aber selten Bohnenkaffee, sondern eine Art geröstete Gerste, die dann als Kaffee fungierte.
        Das Geschirr, das Großmutter in der Küche benutzte, war sicher kein Meissener Porzellan. Es war Steingut in einer blaugrauen Farbe. Aber wir liebten Omas Tassen und Teller, vielleicht auch deswegen, weil sie stets mit Inhalt versehen waren. Brot war immer vorhanden, auch in den schwierigen Kriegstagen, Fleisch brachte Großmutter oft mit, wenn sie ihre Verwandtschaft in den Dörfern besuchte. Kartoffeln und Gemüse kamen aus dem eigenen Garten. So kann ich mich nicht erinnern, bis zum Ende des Krieges trotz der minimalen Zuteilung auf den Lebensmittelkarten jemals gehungert zu haben!
        So war es in der alten Küche, hier wurden während der Arbeit Lieder gesungen, abends Spiele mit der ganzen großen Familie gespielt - es war einfach eine Zeit, die ich nie vergessen werde, auch niemals missen möchte!  
       Und heute? Die Küche ist voller Geräte, elektrisch und elektronisch gesteuert. Zu jedem der unzähligen Geräte gehört selbstverständlich das eingehende Studium der Betriebsanleitungen in 17 Sprachen. (Du weißt schon: Füge bitte Nippel A in Loch B zum expandern des ausgehenden Seitenflügels zum openmachen der Doorsegments. usw.)
         Jedenfalls ist es stets das Neueste vom Neuen, immer upgedatet auf dem letzten Level! Die Küche ist super-hyper-extra-modern, nur reden kann man dort nicht mehr, viel weniger noch singen. Die Wäsche trocknet im Trockner, das vorgefrostete Essen wartet im Gefrierschrank. Es gibt vorbildliche und moderne Zwei-Minuten-Mahlzeiten direkt aus der Microwave.
       Zum Sitzen beim Essen ist die Zeit zu knapp, es wäre ein unermesslicher Luxus, sich solch unproduktiver Tätigkeit hinzugeben. Man muss ja gleich wieder los, die Arbeit wartet. Da die Gerichte fast fertig sind, muss niemand mehr bei der Zubereitung singen. Da schaltet man schnell den DAB+Empfänger ein und in elf Minuten gestoppter Zeit steigt man dann in das Auto, das abfahrbereit schon wartet oder wir rennen zur Bushaltestelle, um den Bus ja nicht zu verpassen. Das wäre ein unvorstellbares Chaos, denn eine Verspätung würde unser Chef nicht dulden, der gerade nach einem zweistündigen Geschäftsessen mit seinen Partnern das Restaurant »Gambrinus« verlässt.
       Ach ja, das Bad, das hätte ich fast vergessen. Es ist natürlich ein Whirlpool mit allen Schikanen. Schließlich der einzige Ort, an dem wir mal 15 Minuten für uns sein können, um abzuschalten. Bleiben noch Fragen offen? Gewiss, wir hatten in unserer Jugendzeit nichts von dem, das heute modern ist, manches gab es noch gar nicht. Und doch hatten wir viel mehr!
       Wir hatten noch ein Wertgefühl, das Atmosphäre, Geselligkeit und fröhliches Leben beinhaltete. Großmutter hätte nicht verstanden, was damit gesagt werden sollte. Aber sie hatte in ihrem Reich, in ihrer Küche eines, das heute vielen nicht mehr bekannt ist: Sie war glücklich, und wir mit ihr. Ich frage mich heute: Wie haben wir bloß überlebt?


© by H.C.G.Lux


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Kommentare (3)

Syrdal


Es ist für mich mehr als erstaunlich, dass Du, lieber Horst, die Küche meiner Großmutter bzw. der Großeltern so anschaulich beschrieben hast, als hättest Du in früheren Zeiten dort mit in der Familienrunde am großen Tisch gesessen. Deshalb… vor allem genau deshalb möchte ich Dich zitieren mit den Worten ...eine Zeit, die ich nie vergessen werde, auch niemals missen möchte! 

Danke für die so wohltuende Erinnerung sagt
mit herzlichen Sonntagsgrüßen
Syrdal 

Pan

Lieber Syrdal  - Ich stelle fest, dass man sich stets darauf verlassen konnte, wenn Not am Mann war! Im "Gegensatz" zur "Gegenwart", in der so oft "Vabanque" gespielt werden muss"

Und noch viel Vergnügen für die kommenden Tage *****

Rosi65

Lieber Horst,
anbei eine Kindheits-Erinnerung, die meinem Gedächtnis jetzt hoffentlich keinen bösen Streich spielt.😎

In meiner Kinderzeit gab es leider keine Oma, doch unserer Wohnung verfügte ebenfalls über eine schöne Zentrale.
Es war die große Wohnküche, in der sich das pralle Leben abspielte. Der Mittelpunkt, eigentlich das Herz des Ganzen, war ein großer stabiler Tisch. Er bot sich brav und loyal, wie ein schweigender Diener an. An ihm wurde nicht nur gegessen, sondern auch gespielt, gebastelt, gestritten, gelacht, gebügelt, und auch die täglichen Schulaufgaben erledigt.

Wenn ich aus der Schule kam, war Mutter immer da, denn sie war unermüdlich beschäftigt.
Oft kamen Nachbarinnen oder Freundinnen meiner Mutter auf ein Schwätzchen oder zum Ableger-Austausch vorbei.

Unser Tisch war sehr praktisch, denn er ließ sich an beiden Seiten ausziehen. So wurden noch Kapazitäten frei. Das Tischausziehen war immer die spannende Vorbereitung für eine Familienfeier, bei der sich dann alle erwartungsvoll rings um den Tisch platzierten (zum Eindecken dieser Tafel benötigte man immer zwei blütenweiße Tischdecken).
Irgendwann boten sich die anwesenden Herren dann gegenseitig ihre besten Zigarren an.
Ja, das war Kult! Und ruck-zuck war dann die Bude total vollgequalmt...,trotzdem war es aber immer urgemütlich.

Viele Grüße
    Rosi65




 


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