Biographische Zeit- und Personenbilder 1915 – 1981 Kapitel 7


Prof. Leo Trepp, Streit und Aussöhnung


Es kann allerdings auch anders kommen. Flurnamenforschung brachte mich mit Dr. Leo Trepp auseinander. Dieser ehemalige Oberrabbiner hatte ein Buch über die Geschichte der Juden in Oldenburg veröffentlicht. Er konnte zurückgehen auf erste Kunde von Judenfreibriefen und ähnlichen Urkunden ihres Sesshaftseins um 1345 in Oldenburg und Wildeshausen. Im nordoldenburgischen Bereich der Wesermarsch wird 1347 eine Jodenstrate bei Strückhausen genannt, und das war ihm nun sehr wichtig. Ich schrieb in aller Höflichkeit an Dr. Trepp, dass diese Ortsbezeichnung ein hydronymisches Wort sei. Es ist auch im heutigen Flussnamen Jade enthalten, auf niederdeutsch „Jode oder Jo“ und rührt etymologisch von engl. gate = Wasserrinne wie auch Tor her. Gosse dann auch im Deutschen. Die zweite Silbe von Jodenstrate ist ein obsoletes Wort für Niederung, wie wir es hierzulande an verschiedenen Belegenheiten vorfinden, abgesehen davon, dass es auch im alt-schottischen bei Rob. Burns Gedichten auftaucht. Unstrut gehört natürlich auch dazu genannt. Das überzeugte Dr. Trepp in Kalifornien durchaus nicht. Er wies darauf hin, dass ein Mönch in einem Kaufvertrag von 1272 diesen Platz als plates judeorum bezeichnet habe. Meine Antwort war dann, der Mönch habe das Wort Jodenstrate nicht in seinem ursprünglichen Sinn verstanden und leichtfertig ins Lateinische, worin der Schriftsatz abgefasst ist, übersetzt. Eine richtige Kenntnis der Belegenheit, mitten im sumpfigen Weser- Jadedelta habe dem Mönch gefehlt, um von da die Unmöglichkeit einer Judensiedlung zu begreifen. Dr. Trepp war darauf so gut wie eingeschnappt: „Wo käme man als Historiker denn hin, wenn man den klarsten und so alten Dokumenten nicht trauen wolle.“ Immerhin hat er im neuen umfangreicheren Buch über die „Geschichte der Juden in Oldenburg“ in einer Fussnote meine Bedenken erwähnt, um sie gleichzeitig zu verwerfen. So schwer ist das mitunter zu kapieren.

Als der ehemalige Oberrabbiner Dr. Trepp wieder einmal in Oldenburg war, mied ich ein Zusammentreffen, besuchte aber seinen Vortrag, der ausgezeichnet war. Selten waren die überzahlreichen Besucher so still in den zwei Räumen, so aufmerksam und betroffen, meine ich. So war mir doch die Genugtuung beschieden, dass die Oldenburger zuhören konnten, und das war mir wichtiger als der Streit um Flurnamen-Worte. Der Hintergrund meiner Personen- und Zeitbilder ist allemal der meiner Polaks aus Westerstede. Ohne sie hätte kein Aufmerken und Interesse in dem Masse stattgefunden, und ohne sie keine Niederschrift von den Zeugnissen einer verrückten Zeit. Bevor Schlimmeres kommt, geht es erst noch einmal weiter mit Dr. Trepp.

Als die Fernsehsendung des Holocaust alle Menschen aufrüttelte und viele Diskussionen und Kommentare wochenlang noch die Gemüter bewegte, habe ich mich, im Krankenhaus liegend, zu den Leserbriefschreibern gesellt. Darin hatte ich es der hiesigen Lokalzeitung nicht leicht gemacht. Viele Leser schrieben, wie sie die Zeit der Judenverfolgung selbst erlebt hatten, und das schrieb auch ich in aller Kürze, wie sich das gehört. Aber im zweiten Teil meines Leserbriefes forderte ich den so ausserordentlich fleissigen Chefredakteur Fritz Lucke auf, als „hervorragenden“ Zeitungsmann jener Jahre in Berlin – so zitiert ihn die grosse Magret Boveri wenigstens in ihren Erinnerungen – seinerseits mal zu berichten. Sein Job als soeben in den Ruhestand Versetzter war sowieso nur die wöchentliche Spalte „Rückblick in die Zeit“- Geschehen und sein Kommentar dazu. Was Magret Boveri an Charakteristik zu ihrem Kollegen Lucke bringt, ihn nämlich als arroganten alten Nazi bezeichnet, das mochten die Herren der Redaktion selbst herausfinden. Haben sie dann scheinbar auch. Denn ich bekam den Bescheid einer Ablehnung meines Leserbriefes, mit dem grössten Bedauern und dem Bluffen mit evtl. strafrechtlichen Folgen. Gallig, wie man im Krankenhaus ist, schrieb ich an Dr. Trepp, den die Stimmen zu Holocaust aus seinem alten Oldenburg gewiss besonders interessierten, darüber einen Brief. Wie elendig unser ehemaliger Chefredakteur habe kneifen können und wie mir gedroht wurde! In meiner doppelten Ohnmacht stand mir in jenen Tagen in einem resignierenden, wie auch wohl revanchierenden Sinn das Wort Shakespeare’s vor Augen: Death is a fearful thing / shamed life a hateful. (Maß für Maß)

Natürlich hatte ich mich bei Dr. Trepp mit der Kontroverse über die Jodenstrate 1347 in Erinnerung gebracht, wo ich ihm die Kreise gestört hatte, aber er mir gewiss keinen Antisemitismus unterstellen konnte, meine ich. Er antwortete nicht. So musste ich also in meinem Philosetimismus selbst eine Entschuldigung für Dr. Trepp finden. Die war dann, dass er ja mittlerweile eine Professur an der Berkeley-Universität und damit andere Pflichten und Aufgaben bekommen hatte. Leo Trepp ist jedenfalls anerkannterweise in die Oldenburgica-Literatur eingegangen, und das ist viel und gut und war mir wiederum überwiegend eine grosse Genugtuung. Schliesslich hatte Trepp seinem Auftreten alle paar Jahre in Oldenburg die Rolle eines Versöhnungsapostels eingenommen, was ich zu bedenken übersehen hatte. Und zu allerguterletzt sei gesagt, dass Frau Miriam Trepp eine geborene Oldenburgerin ist und sich gern mit ihren Schulkameradinnen trifft.
(Ohne Einsicht, ohne Geständnis, ohne Reue ist Vergessen nichts als Fortsetzung ihres Verbrechens).

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