Damals - Heute

 

Ich erinnere mich an die Zeit, als vor genau 78 Jahren
die weitaus größte Katastrophe unseres Landes geschah, als 14 Millionen »Rucksackdeutsche, Polacken und verlaustes Gesindel«(!) aus den abgetrennten deutschen Gebieten das restliche Deutschland überfluteten! (Tenor aus diversen Blättern)
Ich gehörte auch in diesen Jahren zu diesen Ausgestoßenen, die im Westen eintrafen, aber nicht gewollt waren, die man am liebsten postwendend wieder zurückgeschickt hätte!
Am 8. März 1945 mussten wir unsere Heimat verlassen, bestimmt nicht freiwillig und nur mit einem Minimum an Gepäck. Meine kleine Familie beispielsweise besaß genau das, was sie am Körper trug, dazu drei Löffel, ein Handtuch und ein Stück Seife! Das war der Neubeginn eines Lebens, das heute vollmundig als Neuanfang angepriesen wird.
Und dennoch herrscht weitgehend Unkenntnis über Bedeutung und Größenordnung dessen, was sich nach 1945 ereignet hat. Und es gibt auch keine Vorstellung darüber, welchen Platz diese Erfahrung in der kollektiven Erinnerung einnehmen sollte.
Ich frage mich manchmal selbst, wo die Erfahrungen der Menschen von damals eigentlich geblieben sind. Erscheinen sie in Schulbüchern? Eventuell in Romanen, geschrieben von Menschen, die die damaligen Dramen nur vom »Hörensagen« kennen? Das alles kann nur ein Abklatsch sein von dem, das damals wirklich geschah. Ignoranz und Feindseligkeit war noch das kleinste Übel, das den Heimatvertriebenen und Flüchtlingen in jener Zeit entgegenschlug. Woher rührte diese Abwehr?
     Die deutsche Gesellschaft nach dem Krieg war sozusagen eine »Zusammenbruchgesellschaft«. Sie einte damals die gemeinsame Erfahrung einer totalen Niederlage. Der Großteil der Menschen war vorrangig mit dem Aufbau ihres eigenen Daseins beschäftigt. Die Bereitschaft, dass man jenen, denen es noch schlechter ging, zu helfen, war deshalb sehr gering. Und - nicht zu vergessen, zwölf Jahre Nazi-Propaganda hatten Spuren hinterlassen. Die Menschen waren in jener Zeit immer wieder mit dem Negativbild vom »slawischen Untermenschen«, aus dem Osten Europas als minderwertig konfrontiert worden.
        Diese Vorstellungen hatten sich nach Kriegsende nicht einfach in Luft aufgelöst! Im Jahre 1946 tönte der Landrat von Flensburg: »der Niederdeutsche sei gegen die Mulattenzucht, die der Ostpreuße nun einmal im Völkergemisch betrieben hat«.
Das klingt wirklich so, als wenn die Flüchtlinge noch nach dem II.Weltkrieg Opfer der Naziideologie wurden. Es ist zweifellos so, dass wir hier von einem handfesten Rassismus sprechen müssen! Die Aufnahme der Flüchtlinge gelang nirgendwo problemlos, auch wenn Deutsche zu Deutschen kamen. Für die einheimischen Menschen fühlte sich das wirklich nicht so nicht an.
Die Flüchtlinge und Vertriebenen kamen oft aus Lagern, viele hatten Gewalt erlebt, waren in einem erbärmlichen und zerlumpten Zustand, als sie ankamen. Damit entsprachen sie in vielem dem Klischee der einheimischen Bevölkerung, welches ihr früher eingetrichtert wurde. Es gab ganz eindeutig Fremdenfeindlichkeit!
       (Erinnert uns das nicht an viele Begebenheiten unserer jetzigen Zeit?) Da gab es z.B. einen Herrn Fischbacher, der Mitbegründer der Bayern-Partei(*) war. Ostermontag 1947 erklärte er in einer Rede in Traunstein:
»Die Flüchtlinge müssen hinausgeworfen werden, und die Bauern müssen dabei tatkräftig mithelfen«, schärfte Fischbacher seinen Zuhörern ein. Und er nennt es »Blutschande«, (übrigens ein Relikt aus der Nazizeit!) wenn ein »Bauernsohn eine norddeutsche Blondine heirate«. Am besten schicke man die Preußen mit ihren »geschminkten Weibsen mit lackierten Fingernägeln« gleich »nach Sibirien«. Dieser hässliche Erguss fand ihren Weg bis in die Redaktion des »Spiegels«, dessen erste Ausgabe soeben erschienen war.
    Das Magazin berichtete am 19.April 1947 ausführlich. Leider blieb diese Hassrede kein Einzelfall. Landtagspräsident Michael Horlacher, einer der Mitbegründer der CSU, machte sich dafür stark, dass Bayern den Bayern gehöre. Und Andreas Schachner von der Bayernpartei klagte darüber, dass sich so viele Fremde an den bayerischen Futterkrippen bedienten, »dass Pogrome nötig wären, um die Gerechtigkeit wiederherzustellen«.
        Es sieht jetzt so aus, als wenn ich genau in diese Kerbe schlagen wollte, indem ich dies alles erwähne. Mitnichten, ich will nur aufzeigen, dass entgegen der landläufigen Meinung heutiger Politiker, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit kein Ergebnis unserer Zeit ist, sondern ständig vorhanden war!
Jeder unserer Schwestern und Brüder aus den neuen(?) Bundesländern weiß davon ein Lied zu singen! (Gottlob nicht so offensichtlich wie 1945, als Schilder an den Straßen standen mit der Aufschrift:
Flüchtlinge unerwünscht )
Ein »Willkommen« gilt immer nur für eine relativ kurze Zeit, dann aber schlägt die Kompassnadel genau in die entgegengesetzte Richtung aus.
Wer könnte das ändern? Wer???

Wolfgang Petry sang vor Jahren ganz aktuell:

… wer die Augen schließt
Wird nie die Wahrheit sehen
Wer noch länger schweigt
Wird schweigend untergehen
Nur bis hierher und nicht weiter
Und nicht alles ist mir gleich
Lieber einmal nein
als tausendmal vielleicht …

 
 
(*)Die Bayernpartei e. V. ist eine Landespartei
in Bayern und strebt die Wiedererlangung der
Unabhängigkeit des Freistaates an. Sie hat heute
noch einen Anteil landesweit von 0,8 % der letzten BTW)

 
 
 

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Kommentare (11)

Pan

Ja - ich spüre, so ganz ohne Nachwirkung ist der Beitrag nicht gewesen.
Und das ist gut so, das Erinnern an diese Zeit ist immer noch besser als
die Augen schließen und nur zu denken: »Das war damals, was kümmert
es mich heute.«
Danke für die Kommentare ...

Rosi65

Aus Mutters Erzählungen:

Meine Mutter war nach der Flucht aus Westpreußen mit ihrem Baby bei Onkel und Tante im Ruhrgebiet untergekommen. Doch die Lebensmittelversorgung war größtenteils zusammengebrochen. Die Menschen froren und hungerten. Es gab kein Heizmaterial, und das Geld war so gut wie gar nichts mehr wert. Wer noch etwas zum Tauschen hatte schlich heimlich zum Schwarzmarkt hin.

Bundesarchiv_B_145_Bild-F080295-0003_Bahnhof_Remagen_Hamsterfahrten (2).jpg

Andere fuhren zum „Hamstern“ aufs Land, um bei den Bauern zu betteln. Die Leute hängten sich dafür sogar verzweifelt von außen an den Zügen dran, nur um aufs Land in Richtung Münsterland zu kommen. Nach stundenlanger Wanderung wurde man am Zielort sogar beschimpft und verjagt. Manchmal bekam man aber auch eine Kartoffel oder einen Apfel von einem mitleidigen Menschen geschenkt.

Einmal, so erzählte meine Mutter, befand sie sich schon auf dem Rückweg. In ihrem Rucksack trug sie einen Schatz. Er bestand aus vier Kartoffeln und einer Zuckerrübe, so erinnerte sie sich noch genau. Doch unterwegs nahmen ihr zwei brutale Männer einfach alles weg. Was für eine fürchterliche Zeit...

ladybird

Lieber Horst,
Dein Bericht erzeugt immer wieder Gänsehaut,
ich bin Jahrgang 1945 und wurde in Mutters Bauch "durch die Flucht " (Sudetenland) getragen...
       jedoch kann ich mich immer noch daran erinnern, dass meine Familie und ich hier im Rheinland sehr, sehr lange die "PIMOCKE" waren
(
  „Pimocken ist ein Schimpfwort für hergelaufene Leute ) aus diesen "Pimocken" wurden allmählich dann die "Rucksack-deutschen", ......
diese Bezeichnung hatte keinen so großen "Beigeschmack" mehr.(fand ich)
Mit Dank für Deine persönliche Erinnerung, die ja  auch die  Geschichte unseres Volkes ist,
mit Gruß
Renate

 

taralenja1.11.

guten tag pan,
wir hatten das glück, nicht zu der generation anzugehören, die den furchtbaren krieg und all seine  ganzen folgen erlebt haben. deine schilderung macht uns tief betroffen,  uns  fehlen zum teil die worte. wir lehnen jede form der gewalt ab, haben selbst in ganz anderer form gewalt erleben müssen.
aber es ist richtig, dass die menschen die krieg und flucht erlebt haben, es immer wieder erzählen, damit auch heute dieses nie vergessen wird.

taralenja1.11. und co

lillii

Ja, Pan, ich erinnere mich...

es wird auch etwas mit Unerwünschtheit zu tun gehabt haben.
Man darf aber auch nicht vergessen, dass die einfachen Menschen auf dem Lande häufig selber kaum über die Runden kamen.
Auf den Dörfern hatte jeder, dem es eben möglich war,  zu der Zeit einen, wenn auch nur kleinen Miniacker auf dem Eßbares, hauptsächlich Kartoffeln und Gemüse angebaut wurde.
Mein Vater hatte einen Kaninchenstall gebaut und ich erinnere mich, dass das Futter für die Tiere an Wegrändern gesucht werden musste; wehe man kam den Bauernfeldern zu nahe.
Ich erinnere mich, dass ein geschlachteter Karnickel die Ration Fleisch für  eine Woche für die Familie war.
Die Familien waren zu damaliger Zeit alle mit mehreren Kinder gesegnet...

Es kamen aus den Großstädten Menschen in die Dörfer und bettelten um Lebensmittel; mir ist eine "Oma Jaschkowitz" bekannt, die 60 km aus dem Ruhrgebiet bis in unser Dorf kam, dort bei Bauern für Lebensmittel arbeitete und sich wieder per Fußpost auf den Weg nach Hause machte....
das war noch bevor die Menschen im Osten vertrieben wurden.
Der Wohnraum auf dem Lande konnte die Menschenmengen gar nicht beherbergen; sie kamen teilweise auf Tennen und in Ställen unter ....mit alten und gebrechlichen Menschen und mit vielen Kindern.

ach wie gut erinnere ich mich noch....
 

Pan

@lillii  
Ja, ich weiss es wohl. Tatsache aber ist, dass gerade die Menschen, die nur wenig hatten, bei der Hilfestellung die ERSTEN waren,
gibt Horst zu denken.

lillii

@Pan  

das lieber Horst kann ich bestätigen... ;
die, die genügend hatten, gaben nicht zuerst... 😵

ehemaliges Mitglied

Danke, dass du immer wieder von diesen Ereignissen berichtest.
Nie wieder werden sie so glaubwürdig und mahnend sein, wie von Zeitzeugen.

nachdenklichen Gruß
WurzelFluegel

Pan

@WurzelFluegel  
Nur Erinnerungen können Wiederholungen verhindern. 
Leider kann man können nicht mit müssen tauschen ****
meint mit einem Lächeln
Horst

ehemaliges Mitglied

@Pan  

Erinnern ist auch nicht genug, mMn.,
der Gegenwartsbezug ist wichtig, den du auch immer wieder aufzeigst - danke!
Die Eine oder den Anderen erreichst du. Das ändert das Weltgeschehen nicht, ich weiß. Aber im Ernstfall kann es konkrete Hilfe und mehr Respekt für ein paar Menschen bedeuten, die geflohen sind.

WurzelFluegel

Butterfly72

@Pan
lese ich immer wieder gerne nach. Bin nur mit den Geschichten meines Opas aus Anklam aufgewachsen.  Vom Krieg hat uns keiner erzählt, wir waren ja noch klein und mußten geschützt werden. Nur auf das Leben vorbereiten ….hätte uns mehr geholfen. Wir haben noch Hunger und Verzicht gelernt, es hat uns nicht geschadet. 
Danke, daß Du uns mit Deiner Geschichte wieder dran erinnert hast, an den Zug nach Westen 🦋


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