Damals war eine andere Zeit -I.


Damals war eine andere Zeit -I.

1951 ---
Nach jedem Sommer folgt auch mal ein Winter. Super Feststellung, nicht? Aber ich wollte damit nur eine Situation darstellen, wie sie sich mir im Jahre 1951 darbot. Nach einem arbeitsreichen Halbjahr mit sehr vielen Überstunden, (die eigentlich für Jugendliche nicht erlaubt waren, jedoch immer und überall als normal angesehen wurden), kam dann der Januar mit Schnee und Eis und ziemlich miesem Wetter. Unsere Außenaufträge waren abgearbeitet, es gab notgedrungen Kurzurlaub in den eigenen vier Wänden.
     Ich war ziemlich unleidlich, stritt mich sehr oft mit der Mutter; das lag wohl an den beengten Wohnverhältnissen, an denen wir in diesen Tagen aber nichts ändern konnten. Wir wohnten irgendwo zwischen Emden und Leer in einem abgelegenen Bahnwärterhaus. Mein Weg zur Arbeitsstelle nach Emden war 8 km lang, etwa eine Stunde Fussweg war da schon immer eingeplant, manches Mal bei schlechter Witterung auch mehr.
    Natürlich gab es auch die sogenannte »Arbeiter-Wochenkarte der Bundesbahn«, diese aber kostete 8,50 Deutsche Mark, da meine stolze Lehrlingsbeihilfe jedoch im ersten Lehrjahr gerade 25 DM im Monat betrug, konnte es nur ein akuter dringender Anlass sein, der mich dazu zwang, solch eine Ausgabe zu rechtfertigen! Leicht zu berechnen, nicht wahr?
Meine Frau Mutter hatte für mich netto 35,- DM monatlich an Halbwaisenrente zur Verfügung. Aber das wollte ich gar nicht erwähnen, es ergab sich so nebenbei.
 Ich saß nun also bei Eis und Schnee zu Hause und war mit Nichtstun ziemlich unterbeschäftigt. Ein bißchen Brennholz zerkleinern, ein wenig mit uralten Schlittschuhen auf dem Ems-Seitenkanal herumzupilgern, das war es auch schon. Da kam ein Anruf, der von Meister Johann bei einem Nachbarn einging, gerade richtig. Mein Meister setzte mich davon in Kenntnis, dass er einen Auftrag hatte, bei dem ich dabeisein müsste. Vor Freude sprang ich in die Luft - das klingt zwar ein bißchen übertrieben, war aber wirklich so!
     Am nächsten Morgen - es war Montag der 29.Januar 1951, am Tage zuvor war ich gerade 17 Jahre alt geworden, - machte ich mich ganz früh auf zu meinem Arbeitsplatz. Überall am Kanal entlang, auf allen Treidelwegen lag tiefer Schnee. Selbst die Bahn wurde damit nicht fertig, sie hatte - damals schon - Verspätungen en másse.
Ich erinnere mich aber, dass mich dies alles überhaupt nicht beeindruckte. Ich sang und summte auf meiner »Winterwanderung« vor mich hin, und irgendwann kam ich dann bei meinem Meister an.
     Meister Johann freute sich unbändig dass ich es geschafft hatte, bei diesem Wetter die Kilometer nach Emden zu bewältigen. Wir vereinbarten, dass ich vier Tage bei ihm übernachten könne,
um den Weg nicht ständig machen zu müssen. Mutter wurde informiert und damit stand meinem Schaffensdrang keine Schranke mehr im Wege.
 Eine Drei-Zimmer-Wohnung sollte wieder neue Farbe und Glanz erhalten, das war der Auftrag, zu dem Meister Johann mich brauchte. Wir arbeiteten schweisstriefend, es schien oft so, als ob wir einen Rekord brechen wollten; der Meister feixte mich des Öfteren spitzbübisch an, ich grinste zurück, selten hatte mir meine Arbeit bislang so viel Spaß bereitet.
     Es war Freitag, der letzte Tag unserer Arbeitswoche. Morgens musste ich noch zur Berufsschule, Johann aber rief bei dem Gewerbelehrer an, »Horst ist mit einer Erkältung verhindert!« Diese fadenscheinige Entschuldigung reichte - so konnten wir die letzten Kleinarbeiten noch erledigen.
 Um das nun zu erläutern, muss ich unsere Arbeit kurz erklären. Zu jener Zeit war das Tapezieren noch eine teure Arbeitsweise. Wir hatten uns darauf spezialisiert, alle Wände der Wohnung mit einem Doppel-Leimfarbenanstrich, pastellfarben, eingefärbt zu versehen, wie er vielerorts üblich war. Das bedeutete eine saumäßig schmutzige Vorarbeit, mussten doch alle Wände von der alten Farbe befreit werden - das heisst, gründlich abwaschen, trocknen und wieder reinigen! Dann erst durften die neuen Farben aufgebracht werden.
     Zur Dekoration wurden dann mit Gummi- und Schwammrollen ausgesuchte Deko-Muster in anderen Farben daraufgerollt. Der krönende Abschluss jeder Wand waren dann Zierstriche, sonannte Borte, die ebenfalls von Hand mit Pinsel und Lineal aufgetragen wurden. Es mag sich heute dumm anhören, aber diese Verschönerungsarbeiten waren am Schluss mit der ganzen aufwändigen Handarbeit wirklich kleine Kunstwerke!
     Solche Dekostriche hatte ich noch nie ausgeführt, Johann hatte sich immer gesträubt, mir diese Technik beizubringen. Aber nun sollte endlich der Tag kommen, den ich schon lange erwartete! Wir hatten im Zimmer zwei Stehleitern aufgebaut, auf einem dazwischenliegenden Brett konnte man ungehindert weiterlaufen. Das war wichtig, denn die Höhe der Zimmer war mit 2,60m schon übermäßig hoch.
        Ich hatte meine Farbe bereits fertig, es war Englisch- Rot, ein rotbrauner Grundton. Die Trockenfarbe wurde mit etwas Leim, Milch und - haltet Euch fest - ein wenig Urin angerührt! Ja, ich weiss, klingt echt blöd, war aber gar nicht selten. Diese Ingredienzen waren nötig, damit die Farbe beim Strichziehen glatt und ohne Tropfen ablaufen konnte.
     Ich bestieg nun dieses Mini-Gerüst, hatte mir die Farbe in einer alten Konservendose mit einem Gürtel vor den Bauch gebunden, um die Hände für Pinsel und Malerlineal frei zu haben. Es lief auch alles super, ich hatte es dem Meister gut abgeguckt und so zog ich Strich um Strich rund herum um die Wände. Meister Johann schien zufrieden, das hatte ich schon bemerkt, er stand neben meinem Gerüstbrett und nickte zustimmend.
 Der Abschluss war also gut gelungen, ich war stolz, der Meister auch. »Denn kumm man daal, is all in’Rieg!«
    Er schmunzelte. Ich sprang vom Gerüstbrett herunter;
dabei hatte ich aber vergessen, dass ich die vermaledeite Dose noch vor dem Bauch hatte, in der sich noch die Hälfte der blutroten Farbe befand!
 Die entleerte sich bei dem Sprung. Musste der Meister auch gerade da stehen? Einen Schritt weiter und alles wäre in Ordnung gewesen, Johann jedenfalls hätte dann nicht wie ein Schlachtopfer ausgesehen, nein, wirklich nicht! Und der Frau des Hauses wäre solch ein Schreck erspart geblieben: Er hatte die gesamte Farbe über seinen Kopf bekommen, da es schnelltrocknend war, konnte niemand erkennen, dass es kein Blut war, das ihn so verschönerte!

PS: Wir haben vergessen, unsere Farbe als Filmrequisit zum Patent anzumelden. Schade eigentlich ...


©by H.C.G.Lux


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Kommentare (6)

Junger Alter

Klasse geschrieben! Was stehen die Chefs auch immer im Weg rum. Das ist heute noch genau so.😆
 

Muscari


Lieber Pan,

mit großem Interesse und schließlich auch mit Schmunzeln habe ich Deine Schilderung aus dem Jahr 1951 gelesen.
Das waren noch Zeiten ...
Ich ahnte, dass etwas Unvorhergesehenes passieren würde.
Dabei fallt mir das Wort "blümerant" auch wieder ein.
😃
Ich danke Dir und grüße Dich herzlich.
Andrea

Pan

Ja Ihr Lieben - Life is live, nicht wahr.Heute würde ich auch lachen.
Damals war mir aber ganz "blümerant" zumute,
grinst ganz einfach
Horst😏

Manfred36

Mit dem "Abbau" deiner Art Anstriche habe ich noch reihenweise zu tun gehabt. 

Syrdal


O je, lieber Horst, hatte ich doch höchste Bedenken, dass sich die spezielle Farbe vom Töpfchen am Bauch über die frisch verschönerte Wand ergießen könnte. Welch eine Erleichterung stellte sich nun gottlob bei mir ein, denn es hat ja nur den Nüschel vom Meister getroffen. Was muss er denn auch gerade da stehen, wohin sich das Englisch-Rot logischerweise bei einem Absprung von der Leiter hinbegeben möchte! Da ist der Meister Johann nun eindeutig selbst dran schuld…

...meint höchlichst amüsiert
Syrdal

Rosi65

"Die besten Pferde machen den groessten Mist!"
 
Dieses alte Sprichwort habe ich in meiner ersten Ausbildungszeit manchmal zu hoeren bekommen. Doch zu Deiner köstlichen Erzählung, lieber Pan, passt es, wie ich finde, noch viel besser.😄

Herzlichen Gruß
    Rosi65

NS. Schreibe gerade auf einem kleinen tablet, welches sich hartnäckig weigert Korrekturen anzunehmen.
​​​​​
 


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