Die Badewonneglosse vom 29. November 2009


Die Badewannenglosse
vom 29. November 2009






Was ich gerne mag:


... Sie werden es nicht glauben: Die Titelseite dieses sonntäglichen Intelligenzorgans für BILDungsfragen. Zwar bedauerlich, daß die übliche nackte Dame der Werktagsausgabe fehlt, was einerseits daran liegen kann, daß von der reizenden jungen Dame – Hoppla, sie ist ja eine deutsche Ministerin! – noch keine Nackt/Aktfotos vorliegen (keine Angst; BILD-Fotografen schaffen das schon, letztlich ermöglichen speziell die Digitalfotografie und Software fast alles), andererseits weiß sich das Blatt der großen Buchstaben der abendländischen Kultur selbstverständlich verpflichtet und präsentiert den BILD-Akt sicher auf den hinteren Seiten, aber soweit bin ich noch nicht. Aber es geht bei dieser Glosse weniger um BILD und direkt um die junge Dame auf dem Bild, sondern – und so gehört es sich auch! – um das Große & Ganze. (Drunter sollte man es ohnehin nie tun!). Diese junge Dame wird präsentiert in dieser fast unnachahmlichen Mischung aus Frische, Flottheit, Jugendlichkeit und spontaner Präsenz, raumbeherrschend (fast die ganze Titelseite) ... wer wird das Bild, besser: diese Person nicht sympathisch finden? Dazu die Schlagzeile, in ihrer Größe wahrlich erschlagend und dominierend (mehr wird vermutlich ohnehin nicht mehr "gelesen" – es steht ja auch wesentlich nicht mehr da) ... Das alles reicht, um Politik zu vermitteln. Politik als visuelles Ereignis. Visuell in zweifacher Hinsicht: Bild und das Schlagzeilenschriftkunststück. (Nicht vergessen: tägliche Käufer rund 3,8 Millionen, „Leser“ angeblich über 12 Millionen.) So weit, so schlecht. Politik bzw. ihre Akzeptanz, ist also weniger oder gar nicht mehr eine Frage der konkreten Inhalte, der Auseinandersetzung über diese konkrete Inhalte und Ziele; eine Frage des Reflektierens und Verstehens, sondern offenbar nur noch ein flüchtiges mediales „Event“, wobei Flüchtigkeit, Oberflächlichkeit und vor allem das Äußere, die Fassade, die entscheidende Rolle spielen. (Nur so en passant: Wenn Sie glauben, etwa die Nachrichtensendungen im Fernsehen seien anders „inszeniert“ und gestrickt, dann schauen Sie einmal diese Sendungen (möglichst auf verschiedenen Kanälen) genauer, d.h. kritisch, an!) Übrigens so nebenbei: Es wäre amüsant zu untersuchen, in welchem Verhältnis der zeitliche Aufwand für den eigentlichen Inhalt und für das mediale Äußere stehen. Daß dabei auch dieser postpubertäre Narzismus, die Dominanz und Priorität des bloßen Äußeren bis ins hohe und höchste Alter, der reinen optischen Präsentation – man könnte auch von der „unendlichen Eitelkeit“ des/der Menschen sprechen – einer ganzen Gesellschaft bedient wird, wäre ein eigenes Thema.







Was ich nicht mag

... daß ich nicht weiß, wie man dieses Phänomen benennen und beurteilen soll. Verflachung, Verschleierung, Verblödung. Visuelle Selbstinszenierung, Telekratie, Politunterhaltung. Volksverdummung? Ausdruck eines globalen Narzismus? Wobei man nicht nur die Akteure und Verantwortlichen für diese Form der politischen Visualisierung, sondern vor allem das Publikum, das Volk kritisieren muß, das offenbar diese intellektuell leicht verdauliche Form („Kost“ wäre der Inhaltslosigkeit des Ganzen nicht angemessen) der Politik, der „öffentlichen Auseinandersetzung“ delektiert und wünscht, wie die Sender mit ihren Einschaltquoten beweisen wollen. (Einschaltquoten als Zeichen der politischen Akzeptanz – lächerlicher und dümmlicher geht es nicht mehr!) Ja, noch mehr; das Volk, die Menschen glauben vermutlich, daß sie mit dieser Form der „visuellen Teilhabe an diesen lächerlichen TV-Veranstaltungen“ (d.h. sie glotzen auf diese Quasselrunden, die einmal der politische Kabarettist Georg Schramm als öffentlich-rechtliche Pißrinnen bezeichnete), aber auch mit so einer dümmlich-oberflächlichen Präsentation einer jungen Frau politisch informiert werden, politisch ernst genommen werden, denn alle oder zumindest meisten Menschen (nicht nur) in diesem Lande wehren sich nicht gegen diese Art der medialen und politischen Verdummung; sie konsumieren solche „Informationen“ wie Fastfood. Einst war die öffentliche Meinung so etwas wie die „Vierte Gewalt im Staate“, heute ist der Öffentlichkeitsapparat verkommen zum Quotenbringer, Werbeträger und zu einem dummen Unterhaltungsmedium, das sich mit den Sendern des „Unterschichtenfernsehens“ um die Werbeaufträge prügelt ... Seinerzeit hatte sich Jürgen Habermas mit dem „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ auseinandergesetzt, in diesem Zusammenhang ist das neue Buch „Payback“ von Frank Schirrmacher (einer der Herausgeber der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG) sehr interessant, der nicht nur die mentale und in einem gewissen Sinne intellektuelle Überforderung des Menschen, korrekter: die Überflutung durch Informationen beklagt, sondern auch die Formung des Bewußtseins durch die visuellen Medien (hier bezogen auf das Internet) be-schreibt und kritisiert. An sich ein eigenes Thema, das nicht nur in einem Kapitel abgehandelt werden kann und darf, hier nur diese These. Das Medium, also das Internet, als solches prägt intellektuelles Vorgehen und Denken, verändert Bewußtsein und „Weltbild“. Es bleibt nicht nützliches Instrument eines mehr oder weniger geistig autonomen Menschen, sondern der Mensch und sein Bewußtsein werden vom Medium geformt und strukturiert.





Über mich

Aber wieder zurück ... Politik wird also als eine mediale Mischung aus seichtem Geschwätz über und von Personen und hübschen Bildchen präsentiert; und das von bzw. mit einem Publikum, das diese Art von BILD- und TV-Politik nicht nur rezipiert, sondern auch offenbar akzeptiert. Es begnügt sich mit dieser Verflachung, Fragmentarisierung, Personalisierung. Infotaine-ment anstatt kritische Auseinandersetzung mit der Politik, was allerdings – das muß man konzedieren! – voraussetzt, daß sich Politik auch „inhaltlich“ präsentiert, was zumindest die Regierungschefin vermeidet.
Aber dies könnte man durchaus als Ausdruck der wahren Machtverhältnisse deuten und sehen.
Kleiner Exkurs
Nicht die Politik setzt die Rahmenbedingungen, son-dern z.B. diktiert Herr Ackermann Frau Merkel, wie etwa die Finanzgesetze zur Regulierung der Finanzmärkte aussehen sollen. Und Frau Merkel, stellvertretend wohl für alle anderen Politiker und Parteien, denkt wohl in erster Linie an das persönliche Machtstreben, an den eigenen Machterhalt. Dies durchaus in einer anderen Form als etwa Herr Stoiber es tat.

Ob mit diesem Merkelschen Machtstreben auch „inhaltliche“ Ziele verbunden sind, entzieht sich meiner Kenntnis. Manche Politiker denken auch noch an Stellung und Macht ihrer jeweiligen Partei, andere nehmen nicht einmal darauf Rücksicht, sondern instrumentalisieren die Parteipolitik in ihrem persönlichen Sinne, was ebenfalls Selbstbereicherung mit einschließt. (Davor ist offenbar keine Partei gefeit, was ich als ehemals aktives Mitglied einer Partei belegen könnte.)

Insofern kann man ein Blatt wie BILD nicht einmal wegen einer solchen Darstellung (siehe auch die weiteren Artikel in dieser Ausgabe) kritisieren – diese Titelseite kann man publizistisch gesehen nur als sehr gelungen bezeichnen! – , auch nicht die anderen Medien, sondern letztlich den sogenannten Souverän, das Volk, das sich damit begnügt. Daß wiederum die omnipräsente Totalität der visuellen Medien das Bewußtsein inhaltlich und strukturell prägt, ist ein anderes Thema. (Siehe die Glosse der letzten Woche)
Daß ein großer Teil oder soll man sagen: fast alle jungen Leute immer mehr zeitungs- und buchlos aufwachsen, sich mit den knappen, zusammenhanglosen Informationspartikelchen begnügen, ist übrigens auch eine Folge davon.

Aber was soll das Lamentieren etc., zünden wir ein Adventkerzchen an und betrachten das jugendlich-charmante Gesicht der jungen Frau ...


Die Bertha
vom Niederrhein


P.S. Nur den Umschlag des Buches von Frank Schirrmacher



P.P.S. Selbst eine Zeitung wie die FAZ (hier allerdings in der Form der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung!) pflegt immer stärker das Visuelle ... hier eine Seite aus der Ausgabe vom 28.11.2009.



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Kommentare (1)

Medea Spannung pur.

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