Es passiert einfach mit den Erinnerungen


Es passiert einfach mit den Erinnerungen

Es passiert einfach, dass die Erinnerungen vor einem Jahr hochkommen.
 
Am Freitag vor meiner Abreise zurück in die Schweiz, also genau vor einem Jahr, feierten Majorie, Freundin Donna und ich eine Weinparty – eine Weinparty im Hospiz – sicher nicht alltäglich. Es passte aber genau zu den drei Frauen, denn alle Drei hatten und haben einen Hang zum Ungewöhnlichen.
Wir wollten feiern und zwar: dass ich unseren Wunsch, einander persönlich zu begegnen, wahr gemacht habe, dass wir eine gute, fröhliche und auch traurige Gemeinschaft waren, und zu guter Letzt, zum Abschied.

An dieser Weinparty hat uns Majorie eine ganz verrückte, bisher eine geheim gehaltene Geschichte verraten. Wir wissen ja, dass Majorie sieben Jahre früher ihren so sehr geliebten James hat gehen lassen müssen. An diesem Verlust hatte sie ihre ganz grosse Mühe, wie sie ja im ST immer wieder verlauten liess.
Eines Tages genoss sie ein Glas Rotwein, das ihr derart mundete, dass aus einem Glas wohl ein paar wurden. Weil sie sich trotzdem stock nüchtern fühlte, bekam sie Lust, mit dem Auto weg zu fahren. Also setzte sie sich hinters Steuer und gab Gas. Auf der Autostrasse drückte sie dann so richtig aufs Pedal und fuhr etwa mit 160 Sachen über die Autobahn/strasse. Als hätten es alle Kanadier gewusst, niemand war auf der Strasse, was einem ja in Kanada tatsächlich passieren kann, nicht einmal die Strassenpolizei, um die VerkehrssünderInnen zu bestrafen.
Ein grosser, lieber Schutzengel begleitete sie wieder nach Hause, ohne irgendeinen Zwischenfall (mindestens hatte sie keinen in ihrer Erinnerung 🤭). Zuhause angekommen war ihr dann doch plötzlich bewusst, was sie gerade getan hatte, machte sich Gedanken und kam zum Schluss, dass dies nicht die Lösung ihres Problems sein könne. So liess sie den Rotwein in den Geschäften und wählte viel später den alkoholfreien Wein, der in Kanada doch sehr verbreitet ist.

Eigentlich eine traurige Geschichte, aber als Majorie uns sie erzählte, lachten wir uns fast krumm darüber, wobei wir ja alle den Humor von ihr kennen!
 
Jutta

Donna - Ruth - und ich.jpg


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Kommentare (7)

Syrdal


Es gibt nicht nur Schutzengel, die z.B. Majorie bei ihrer weinseligen Autofahrt beschützt haben, es gibt auch „Begleitengel“ in Abschiedszeiten, selbst wenn diese es bei ihrem „ungewöhnlichen Dienst“ selbst nicht wissen und bemerken. Du, liebe Jutta, und Majorie‘s Freundin Donna seid dort im Hospiz solch einem engelhaften Auftrag in bester Weise nachgekommen. – Gibt es in dieser Welt etwas Edleres, als einer Abschied nehmenden Seele mit sichtlich freudespendender Teilhabe zur Seite zu sein?

Mit froher und ehrlicher Bewunderung grüßt
Syrdal

Jutta

@Syrdal  

Lieber Syrdal,

Für deine lieben Worte danke ich dir sehr.
Die Erlebnisse waren derart intensiv und speziell, dass die Gedanken daran einfach immer wieder präsent sind.

Ich grüsse dich herzlich
Jutta

Leevke

Schöne Erinnerung, Jutta, die du da hervorrufst! Ich "kannte" Majorie nur kurz, aber ich mochte ihre so positive lebensbejahende "Schreibe" und ihre schönen Fotos aus Kanada - nicht ahnend, dass sie uns nicht mehr lange erhalten bleiben würde.  

Deine Reise zu ihr war das beste, was euch beiden einfallen konnte! Gut gemacht 👍

Herzliche Grüße
Leevke

Jutta

@Leevke  

Liebe Leevke,

Danke für Deine lieben Zeilen. Du hast recht mit der Reise - ich hätte es mir nicht verzeihen können, wenn ich mich nicht dazu entschieden hätte. Einer meiner besten Entscheide im Leben.

Liebe Grüsse
Jutta


 

taralenja1.11.

liebe jutta,
wir danken dir von ganzem herzen für die geschichte von majorie. erst vor kurzem haben wir etwas von ihr gelesen und mit viel wärme an sie gedacht. es ist schön, dass die erinnerungen an sie so lebendig sind. und wir werden nie vergessen, wie sie uns in einer sehr schwierigen situation geholfen hat.
wir wünschen dir, dass die erinnerungen an eurem persönlichen kennenlernen nie verblasst und majorie in unseren herzen lebendig bleibt.

💚lichst
taralenja und familie

Christine62laechel


Das ist so schön, liebe Jutta, dass man sich mal doch auch mit traurigsten Erlebnissen abfinden kann, und über alles ruhig reden, oder sogar lachen kann. Ich denke mir schon immer: die uns mal so wichtigen Menschen, wenn sie nun von oben herab zuschauen würden, wäre es für sie nicht schwer, wenn sie uns nur immer wieder weinend sehen könnten? Das Beste, glaube ich, um ihnen für die gemeinsame Zeit zu danken, wäre eben - über sie erzählen, ohne nur ganz ernst zu sein. Zumal bald das Fest kommt, wenn man ihnen besonders viel Aufmerksamkeit schenkt. Mit Tränchen, aber auch mit Lächeln dann...

Mit lieben Grüßen
Christine

Jutta

@Christine62laechel  
 
Liebe Christine,

Für Deine Zeilen danke ich Dir sehr. Natürlich sind wir traurig und fassungslos, wenn uns Angehörige oder gute Freunde verlassen. Und die Tränen gehören dazu. Denken wir aber an die gemeinsame Zeit, an die Erlebnisse, an die geführten Gespräche usw. wird die Trauer automatisch Freude und zwar darüber, dass man diese Ereignisse miteinander erlebt hatte.
Erst kürzlich zeigte ich dieses Kreidegemälde, wo Majorie und ich vereinbart haben, dass sie uns von der Wolke hinten rechts zublinzelt und ich dann zurück zwinkere oder umgekehrt.
Und Christine, reden hilft immer!

Liebe Grüsse
Jutta

Wolke hinten rechts sitzt Ruth.jpg

 


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