Geliebtes Biest

Er konnte sie nicht mehr länger ertragen, sie war einfach permanent aufdringlich!

Schon am ersten Tag hatte er Bedenken als sie überraschend in seiner Wohnung auftauchte. Ganz friedlich setzte sie sich dann aber auf sein Sofa und schaute sich interessiert um. Er tat als hätte er sie nicht bemerkt. Außer einem stetigen Summen hörte er nichts von ihr. Mit unglaublicher Geschwindigkeit wechselte sie ihre Standorte und er verlor sie aus den Augen. Als er sie am Herd erwischte wo sie ausgiebig Körperpflege betrieb, verscheuchte er sie. Das hielt sie aber keineswegs davon ab ihn weiter zu ärgern. Sie kitzelte ihn am Arm, setze sich aufs Klo und taumelte anschließend haarscharf am vollen Aschenbecher vorbei.
Wohin er auch ging, sie verfolgte ihn. Egal ob er auf dem Balkon saß oder den Müll wegbrachte, sie war immer dabei.

Als sie vor einem offenen Fenster hin und her spazierte, wollte er sie überlisten. Vorsichtig schlich er sich an, schubste sie mit einer energischen Handbewegung hinaus, und schloss eilig das Fenster. Dabei verklemmte sich die Gardine. Ärgerlich öffnete er es kurz ...und zack, da war sie wieder! Daraufhin fing er an sie aufs Übelste zu beschimpfen. Er bewarf sie mit der Zeitung, schmiss mit Schuhen, Kissen und Besteck. Bei seinen Wurfattacken war schon einiges zu Bruch gegangen, doch sie entwischte jedes Mal. Wenn er duschte fand sie immer einen Platz von dem aus sie ihn anstarrte. Da alle Drohungen und Beschimpfungen nichts genutzt hatten musste er sich etwas anderes überlegen. Seit Tagen lagen seine Nerven blank. Jetzt konnten nur noch drastische Maßnahmen helfen.

Er hatte beobachtet dass sie Süßigkeiten liebte und baute eine Falle auf in die sie prompt hinein tappte. Als sie sich genüsslich den Bauch vollfraß war er zur Stelle und schlug mit der flachen Hand zu. Erwischt! Jetzt klebte sie platt und leblos in seiner Hand, das war zwar eklig aber nun war er das Biest endlich los. Wohin mit der Leiche? Er schüttelte sie auf dem Balkon über dem großen Blumenkübel ab. Aus, Ende und vorbei. Gründlich wusch er die Hände, setzte sich dann zufrieden aufs Sofa und schaltete das Fernsehgerät an. Bereits nach fünf Minuten machte er es aus weil er sich nicht konzentrieren konnte.

Was war los mit ihm? Zum ersten Mal hatte er ein Leben ausgelöscht. Hektisch rannte er wieder auf den Balkon, in der Hoffnung das sie seinem gemeinen Mordanschlag entkommen war, denn sie fehlte ihm jetzt schon, doch steif und leblos lag sie auf dem Rücken. Nie wieder würde sie ihn am Arm kitzeln, in seine Töpfe schauen oder frech aus seinem Glas trinken. Wehmütig dachte er an ihr auf und abschwellendes Summen und wie sie fangen und verstecken mit ihm spielte. Er ging ins Wohnzimmer zurück und setzte sich nachdenklich hin. Die plötzliche Stille machte ihn ganz nervös.
War er im Laufe seines Lebens, ohne Freunde und Verwandte, vereinsamt und wunderlich geworden? Nie war es ihm gelungen Freundschaften zu knüpfen. Abwechselnd bedauerte sich selbst, dann die Kreatur die nun mausetot da lag. Sie war schließlich das erste und einzige Lebewesen das sich je zu ihm hingezogen fühlte. Und er hatte sie heimtückisch ins Jenseits befördert!

Jetzt war er sicher, es ist allemal besser eine hässliche Fliege als Hausgenossen zu haben als gar keinen. Doch diese Erkenntnis kam leider zu spät. Das Alleinsein hatte bei ihm zu absurden Selbstgesprächen und schlimmen Depressionen geführt, denn schon seit Monaten sprach er laut zu seinen Einkäufen wie zum Beispiel: Bananen, Eiern und Kartoffeln. Den Bananen erklärte er dass sie, wie ihre Vorgänger, in das Obstkörbchen wandern, in dem sie so hübsch aussehen und gab ihnen Anweisung, recht lieb miteinander zu sein. Die Eier stellte er vor die Wahl, entweder Kühlschranktür, oder in der Verpackung bleiben und direkt über dem Gemüsefach abgelegt zu werden. Den Kartoffeln versprach er einen dunklen Platz an dem sie sich wohlfühlen, und bedeckte sie mit einem Handtuch. Dann ermahnte er sie, sich zu vertragen und keine Keime zu bilden. Gut erinnerte er sich daran als er mit einem frischen Brötchen ein Stundenlanges Streitgespräch angefangen hatte, als er es am nächsten Tag essen wollte war es steinhart. Einmal plagte ihn der Heißhunger auf Currywurst mit Fritten und eilig steuerte er einen nahe gelegenen Imbiss an. Forsch gab er seine Bestellung auf und verlangte ein Bier dazu. Das Getränk bekam er sofort. Nachdem er ein paar Mal davon getrunken hatte entwickelte sich ein lebhaftes Gespräch zwischen ihnen. Zögerlich gestand er, vor zwanzig Jahren das letzte Mal Alkohol getrunken zu haben. Als die Flasche leer war fand er das Leben sehr lustig. Er zahlte und nahm noch eine Flasche mit nach Hause. Damals kam ihm der Gedanke dass er in seinem Leben etwas ändern müsse, doch dann kam das Biest dazwischen, und er war nur noch mit ihm beschäftigt.

Jetzt erinnerte er sich an den Bierseligen Zustand von damals und die Flasche, die noch irgendwo rumstand. Mutig machte er sich auf den Weg zum Nachbarn, kehrte um, nahm das Bier mit und klingelte. Ein freundlicher älterer Herr öffnete und sah ihn fragend an. Mit ausgestrecktem Arm hielt er dem Nachbarn das Bier unter die Nase und sagte er wolle ihm ein Tauschgeschäft vorschlagen.
Wenn dieser eventuell eine Fliege zu viel habe, würde er sie gern gegen das Bier eintauschen. Der Nachbar meinte, das Bier nähme er gern und Fliegen habe er reichlich, die seien ihm alle zugeflogen, da könne er ganz gut eine umsonst abgeben.

So ergab es sich, dass zwei Männer in einer Wohnung umherschlichen um Fliegen zu fangen. Inzwischen hatte der freundliche Herr von nebenan noch einen köstlichen Rotwein und zwei Gläser auf den Tisch gestellt und es wurde ein sehr vergnüglicher Abend. Es stellte sich heraus dass beide Männer mit ähnlichen Problemen kämpften, Tür an Tür wohnten und nichts voneinander wussten. Als sie sich zu später Stunde schulterklopfend verabschieden wollten, fiel ihnen auf das sie noch keine Fliege gefangen hatten. Inzwischen waren sie per Du und Benno der Nachbar, machte den Vorschlag seine Fliegen zu entsorgen und stattdessen, lieber zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen. Er würde sich auf jeden Fall freuen wenn Oskar der gleichen Meinung sei. Diese Möglichkeit fand volle Zustimmung und sie verabredeten sich spontan fürs Wochenende zu einer Schachpartie.

Als Oskar eines Tages seine Wohnungstür aufschließen wollte, entdeckte er am Türrahmen eine Fliege. Ohne nachzudenken grapschte er auf gut Glück nach ihr und tatsächlich hatte er sie gefangen. Erst als er auf dem Sofa saß öffnete er die Faust und wunderte sich das sie nicht sofort wegflog. Konnte es sein das er sein vertrautes, geliebtes Biest wiedergefunden hatte? Den Gedanken verwarf er schnell, unmöglich sie wurde von ihm erschlagen und war längst verwest oder gefressen worden. Doch falls es mit der erhofften Freundschaft nicht klappen sollte, was dann? Es war sicher nicht verkehrt vorzusorgen damit er im Notfall, nur für alle Fälle, wieder einen Hausgenossen hatte.
Im Verlauf der nächsten Monate entwickelte sich eine dicke Freundschaft mit Benno. Dass er selbst wieder eine Fliege hatte erzählte Oskar allerdings nicht.

M.f.G.
magenta©

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Kommentare (6)

floravonbistram Wie viele Menschenleben in ihrer Abgeschiedenheit, Einsamkeit undwagen nie den ersten Schritt aus ihrer Isolation.
Sehr gut eingefangen...nicht nur die Fliege.
Liebe Grüße
Flo
qilin für die heiter-hintergründige Geschichte - gefällt mir

() qilin
magenta Hallo Finchen,

es freut mich das dir meine Geschichte gefallen hat, Danke für
deine Stellungnahme dazu.
Hab ein bisschen Geduld, es gibt noch ein paar Sachen meinem
Archiv, muss ich aber erst sortieren.
LG
Magenta
magenta @Chris

ich brauchte nur ein wenig Zeit um mich von Eleonores Kommentar zu erholen. Wäre ich meinem ersten Impuls gefolgt stünde dort jetzt eine andere Antwort.
Magenta
chris33 warum äußerst du dich nicht zu den kommentaren im forum??

chris33
finchen eine so perfekte Personenbeschreibung mittels einer Fliege, habe ich selten gelesen - die muß dir wahrhaftig begegnet sein. Oder hast du etwa meinen WO.-Nachbarn kennengelernt?
Daß er mit Fliegen spricht, habe ich noch nicht wahrgenommen, doch einen "Bruno" hat er auch noch nicht kennengelernt.
Ein besonderer Eigenbrödler, der nichts und niemand kennt und andere nur kritisieren kann.
Vielleicht wird ja mal eine Fliege sein Freund.
Deine Geschichte hat mir sehr gefallen, schreib noch eine andere, ich bin gespannt darauf.
Mit lieben Grüßen
das Moni-Finchen

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