Mein Kontakt mit Flüchtlingen




Mein Kontakt mit Flüchtlingen
geschrieben von Angelika71 am 14.12.2015 20:04

Unser Kreis bekam auch viele Flüchtlinge zugewiesen. Die oberste Priorität ist natürlich, dass sie erst einmal Deutsch lernen. Selbstverständlich stellte ich mich ehrenamtlich zur Verfügung, wie auch noch 27 andere, zum großen Teil, Rentner -innen (nur für den Deutschunterricht).

Wir hatten schon zwei Treffen, bei denen uns ein gegenseitiges Kennenlernen ermöglicht wurde. Beim ersten Treffen war ich krank, das zweite fand am Samstag statt und es ist mir ein Bedürfnis, von meinen Eindrücken zu berichten.

Als Erstes war ich mal perplex! Eigentlich hatte ich nur eine vermummte Damenwelt erwartet, bekleidet mit langen, kuttenähnlichen Gewändern, ja sogar ab und zu einen Tschador tragend, unterwürfig den Männern gegenüber, die, bildlich gesprochen, in Gedanken das Zepter schwangen. Dem war aber nicht so. Ich traute meinen Augen nicht und musste erstaunt registrieren, dass die weiblichen Wesen ebenso gekleidet waren wie wir, aufgeschlossen, ja sogar viele Frauen waren aufgeschlossener als die Männer. Der einzige Unterschied war, dass sie alle Kopftücher trugen. Gott sei Dank sprachen einige der Flüchtlinge Englisch, sodass doch eine ganz gute Unterhaltung möglich war.

Ich habe meine vorgefertigte Meinung gewaltig revidiert, die Flüchtlinge sind wie DU und ICH!!!!!

An meinem Tisch saßen Iraker und Syrier. In unserer Region sind auch nur diese beiden Volksgruppen zu verzeichnen, überwiegend Familien. Neben mir saß ein Iraker. Was der mir berichtete, ging mir gewaltig unter die Haut. Ihm wurde das halbe Knie weggeschossen. Es gab auch kein Krankenhaus mehr - es war zerbombt - geschweige denn einen Arzt, der Iraker musste einfach der Dinge harren, die auf ihn zukamen. Es blieb ihm nur die einzige Möglichkeit, der Natur seinen Lauf zu lassen. Das halbe Knie ist abgeheilt, das Bein aber kaum noch zu gebrauchen. So gehandikapt trat er die weite Reise, mit seiner Familie, nach Deutschland an, und zwar zu Fuß. Ja, ihr lest richtig, zu Fuß, mit einem nicht abgeheilten, versteiften halben Knie, auf den Schultern auch noch sein Baby und seine Frau hatte die 3-jährige Tochter auf dem Arm und noch etwas Gepäck dabei.

Mir kamen nach diesem Bericht erst einmal die Tränen. Ich machte ihm Mut und erzählte ihm, dass ich eine Knieprothese habe und zeigte ihm mein voll funktionsfähiges Bein. Wenn er erst einmal das Bleiberecht bei uns hat, das er sicher erhält, bekommt er bestimmt auch so eine Prothese, mit der er dann wieder richtig laufen kann. Nach meinem Bericht merkte ich, wie ihm gewaltig ein Stein von der Seele plumpste.

Ich fing dann an, den Syrern und Irakern, die an meinem Tisch saßen, die einfachsten Dinge zu sagen, unterstrichen mit der bestimmten Mimik, z. B. fing ich mit dem Kopf, den Haaren, Augen, der Nase, dem Mund, den Zähnen usw, bis zu den Füßen an, erklärte die Begrüßung und ankommen, weggehen, mit entsprechender Gangart, also ganz banale Sachen. Ich hoffe, dass ein paar dieser Worte hängen bleiben.

Zum Abschluss erlaubte ich mir noch einen Scherz:

Ich zeigte ihnen einen Vogel und alle übten das Wort "VOGEL" und stippten sich an den Kopf. Wir Deutschen mussten natürlich lachen und lachenderweise erklärten wir den Flüchtlingen dann, dass es sich um ein Schimpfwort handelt und keinesfalls benutzt werden darf. Schallendes Gelächter folgte.

Ach so, ich vergaß noch, dass die Frau des Irakers ihr Baby am Tisch stillte, also ganz frei und alle konnten zuschauen. Wir fanden das alle ganz toll.

100%ig gehen diese Flüchtlinge bestimmt nicht auf Diebestour, im Gegenteil, sie wollen alle so schnell wie möglich arbeiten.

Ich hoffe nun, dass ich die ganzen vorgefassten, schlechten Meinungen, die uns aufoktroyiert wurden, ausgeräumt habe undd freue mich schon auf das nächste Treffen.

Abschließend möchte ich noch bemerken, dass meine ersten Kindheitserinnerungen sind, dass alles brannte, ich saß bei meinem Vater auf den Schultern, hatte einen Rucksack auf dem Rücken, aus dem eine Puppe herausschaute. Meine Eltern waren 2 x ausgebombt. Ich wurde im Krieg geboren. Uns hat man damals auch geholfen und ich freue mich, wenn ich etwas von der Hilfe zurückgeben kann.

Angelika71

Habt ihr auch Kontakt mit Flüchtlingen?
Autor: w Angelika71 P1020926
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Kommentare (6)

Maritt auch ich bin stark berührt und beeindruckt von Deiner Erzählung, die ich eben erst gefunden habe.

Ich möchte Dir einfach nur weiterhin viel Freude und Erfolg wünschen und sagen, dass es gut für unser Land ist, solche Menschen wie Dich zu haben.

Beste Grüße
Maritt
Betti ich kann nur hoffen, daß viele Deinen Bericht lesen und ihre (oft)Vorurteile ver schwinden lassen.Großartig, was Du machst!
ich helfe manchmal in HH in der Kleiderkammer der Flüchtlingshilfe.
LG. Betti.
comeback Liebe Angelika!

Dein Beitrag zu den Flüchtlingsthema ist mir sehr nahe gegangen, man muss immer zuerst ein solches Trauma zu hören bekommen, dann denkt und fühlt man anders als sonst.

Ich habe im Fernsehen einen Bericht gesehen, wo ein ca. 12 jähriger Bub verzweifelt seine Eltern gesucht hat in der Flüchtlingsmasse. Es war schrecklich, mir tat der Bub so leid und es ist mir sehr tief gegangen.
Das war jetzt aber nur am Bildschirm, wenn ich das live erleben würde, meine Hilfe wäre grenzenlos!

Das ist nur ein winzig kleines Beispiel!
Es ist so schön, wenn Menschen gewillt sind zu helfen und es auch machen!

Ich wünsche dir ein besonders schönes und friedliches Weihnachtsfest und eine gutes und gesundes neues Jahr!

Annemarie
Angelika71 Ich wohne auch auf dem Land und du hast Recht, der Zusammenhalt ist sicher wesentlich größer als in der Stadt.
Dnanidref der hoffentlich von sehr vielen gelesen wird und nicht nur zum Nachdenken - sondern auch zum Handeln anregt!

Jedes kann ein bisschen was - nach seinen Möglichkeiten - für mehr Menschlichkeit und gegen Vorbehalte tun - man muss es nur wollen und sich ein wenig damit beschäftigen! Auch mit kleinen Schritten kann man Ziele erreichen!

So haben die Flüchtlinge unserer Marktgemeinde, mit ihren ehrenamtlichen „Betreuern“, am 12.12.15, einen kleinen Markt abgehalten, an dem sie uns kulinarische Gerichte, Handarbeiten, Musik und Lieder aus Ihrer Heimat vorstellten. Die Veranstaltung wurde von den Bürgern sehr, sehr gut und sehr herzlich angenommen und verlief total störungsfrei!

Vermutlich klappt sowas in ländlichen Gemeinden, wo jeder jeden kennt, wohl doch besser als in der Anonymität einer Stadt. Meine Erfahrungen sind, dass der dörfliche Zusammenhalt noch einen hohen Stellenwert hat – auch darum und natürlich wegen der Natur, hat es mich aus der Großstadt wieder in diese wunderschöne, ländliche Region zurückgezogen, in der mich eine tiefe Zufriedenheit erfüllt!

Ferdinand
koala Ich habe Deinen Bericht gelesen und freue mich, dass Du gute Erfahrungen gemacht hast.
Wenn man die Geschichten der Menschen hoert, kommen bei manchen, wie auch bei Dir, eigene Erinnerungen auf.
Nur muss ich dazu sagen, Du, wie auch die vielen anderen, waren Fluechtlinge im eigenen Land.
Ich wuensche Dir Erfolg bei Deinem Deutsch-Unterricht.
Anita/Queensland

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