Von den Jahren vor 1934 Teil 1

Autor: ehemaliges Mitglied

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In den Jahren vor 1933 war die Arbeitslosigkeit sehr hoch und die Inflation 1929 hatten auch die Ersparnisse in die Tiefe gerissen. Ja es war eine besonders schlechte Zeit und die Unruhen deswegen auf den Straßen groß.
Von meinem Vater hatte ich als Kind viel gehört und mit 12 Jahren gut verstanden.
In Deutschland hatten die Hitlerangehörigen leichtes Spiel und versprachen den Menschen wieder Arbeit und mehr Geld.
Im Geiste sehe ich noch die Bilder auf den Straßen, wie sich die Leute verprügelten und der Wut freien Lauf ließen. Es war für alle eine böse Zeit. Wir waren erst im Jahr 1929 nach Frankfurt gezogen und hatten leider durch eine Verwandte sehr viel Pech. Mein Vater war mit 4 Kindern hierher gelockt worden und stand dann ohne Arbeit da. Die Not war auch bei uns steter Gast., aber es musste weiter gehen. Mein Vater sorgte stets für alles und meine Mutter hatte die geistigen Fähigkeiten von uns allen gut im Griff.
Es war für mich selbstverständlich, dass mein Vater nach politischen Möglichkeiten den Linken zugeneigt war. Seine Ansichten leuchteten auch mir ein, denn die Wahrheiten lagen auf der Hand und blieben keinem verborgen, aber darüber etwas sagen war nach der Machtübernahme durch Hitler im Jahr 1934 nicht mehr erlaubt und wurde hart bestraft.
Nach der Wende wurde mein Vater bereits am 3.ten Tag angeblich wegen einer Vernehmung, vom Mittagstisch abgeholt und blieb verschwunden.
Wir suchten alle neu errichteten Stellen auf und erst nach ca. 6 Wochen hatten wir mit der Suche Erfolg. Er war von der neuen Regierung in der sogenannten Perlenfabrik inhaftiert
Zu dieser Zeit war mein Vater schwer krank und hatte wenigstens keine körperlichen Strafen bekommen. Nachts hörte er aber immer wieder die Schreie der Inhaftierten.
Der neue Polizeipräsident , Herr Beckerle, kannte meinen Vater und er wurde daraufhin nach 6 Wochen auf freien Fuß gesetzt.
Es gab verschiedene Strömungen und Ansichten in den Familien und oft viel Streit.
Fast täglich kamen Hauskontrollen und durchsuchten die Wohnung meiner Eltern in allen Ecken nach Flugblätter oder linken Schriften.
Wir lernten das Schweigen, aber denken durften wir noch, was wir wollten.

omamarta


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Kommentare (2)

ortwin Liebe (oma)marta,

als der Gröfaz am 30.Januar 1933 an die Macht kam, war mein Hirn knappe zwei Jahre alt. So hast Du den Vorsprung der Jahre, das Ganze anders zu sehen, zu bewerten.

Mein Gedenke fängt da an, wo ich im Buddelkasten im Hof der Zeppelinstraße in Berlin-Oberschöneweide mich anscheinend „vollgemacht“ hatte, ein größeres Mädchen der Mutter darüber Meldung machte. Später, wir waren anscheinend schon wieder umgezogen, steckt unter meiner Hirnschale das Bild, wo auf dem Balkon in der Rathausstraße 6 (heute: Griechische Allee) Großvater die schwarz-weiß-rot gestreifte Fahne herausgehängt hatte, aber es hing auch eine Fahne mit dem Hakenkreuz hinaus – war das anläßlich der Fronleichnam-Feierlichkeiten?

Großvater, ein Studierter, war Deutschnationaler, so mir meine Mutter später erzählte. Vater war kurze Zeit nach der Auflösung des „Wandervogel“ wohl auch mal bei der SA, ich habe ihn dabei nie in Uniform gesehen. Wir sind verschiedentlich rüber nach Karlshorst gepilgert, wenn da sich das „Braune Volk“ versammelt hatte und militärische „Tänze“ aufführte. Ich verstand das alles nicht, sah eben nur zu, konnte nicht darüber nachdenken.

Schöneweide soll damals sehr „rot“ gewesen sein. !! AEG - Walther Rathenau !! Was das hieß, wußte ich nicht. Wir lebten „normal“. Da die Eltern im August 1929 geheiratet hatten, zu der Zeit der andere Großvater alles verloren hatte, gab es nur das Nötigste für einen neuen Haushalt als Aussteuer. Anfangs gingen die Eltern noch zusammen zum Abendgymnasium, das der „Alte Wertheim“ ins Leben gerufen hatte. In 1930 hatte ich mich bei der Mutter eingenistet, da war es für sie mit dem Studium zu Ende. Ich weiß nicht, hat der Vater sein Abitur noch geschafft, bevor Wertheim und sein Gymnasium verloren gingen?

Großvater und Vater fuhren täglich (außer Sonntag) in die Behrenstraße in Berlin-Mitte, wo sie bei der „Friedrich Wilhelm“ Lebensversicherung arbeiteten. Dem Haushalt ging es relativ gut, konnte man sich doch eine Haustochter halten. In den Ferien (1934 und 1935) ging es in den Ferien auf die Insel Usedom. Wie straff unser Vater die Finanzen regelte, konnte ich an den sehr früh für alle Kinder abgeschlossenen Sterbeversicherungen sehen. Es wurde auf ein Haus gespart.

1936 standen wir mit Mutter an der Chaussee durch die Wuhlheide, mit Olympia-Fähnchen – wir hatten keine Hakenkreuzfähnchen – und jubelten den Fackelläufern zu. Vom Balkon der Wohnung konnte man abends die Feuerwerkslichter von der Rennbahn in Karlshorst sehen, dazu durften wir noch einmal aus den Betten.

Achja, Mussolini war doch auch mal in Berlin, da hatte es ganz schlimm geregnet. Man frotzelte, daß die modernen Zellstoff-Anzüge jetzt ausschlagen könnten. So manches konnte ich vom Radio mithören, an dem der Vater ständig bastelte. Um mehr empfangen zu können.

Als meine zweite Schwester 1936 angekommen war, erfolgte ein Standortwechsel: ein Häuschen in 800m² Grundstück wurde vor den Toren Berlins gemietet. War es die politisch gesetzte Devise, sich da draußen selbst zu versorgen? Die Eltern werkelten an Karnickelställen, einem Hühnerhof, Zentrifuge und Butterfaß hatten die Ziegenmilch zu verändern. Fahrräder hatten die Eltern schon in Schöneweide. 1937 bekam ich das Mädchen-Kinderrad. Mit Körbchen und „Bratpfanne“ ging es hinaus in die Wälder und Felder der Mark Brandenburg. Zur Schule hatte ich gefälligst zu marschieren.

Tja, und 1938 fuhr der Vater in brauner Uniform mit nach Nürnberg. Das gab dann Büchsen mit Lebkuchen. Was sagte uns das? Es gab noch kein Fernsehen, und ins Kino ging’s in dem Alter auch nicht. Zu Führers Geburtstag ging’s an die „Ost-West-Achse“ im Tiergarten. In Eichwalde waren motorisierte Einheiten einquartiert, die an der Parade teilnahmen. Am Abend durften wir zu Testfahrten in den Kübelwagen mitfahren. Und dann noch der Fackelzug durch die Gemeinde, wir liefen mit – mich holte man später schlafend vom Klo. - Meine dritte Schwester wurde nicht wie wir zuvor getauft, man war gefälligst „gottgläubig“, es wurde „Namensweihe“ gefeiert. Verdunklung wurde geübt. Vater war Blockleiter, wurde nach dem Krieg als Mitläufer eingestuft.

Und dann kam 1939 der Krieg. Mit Mutters Erklärung war nicht viel anzufangen, nur eben, daß man traurig sein wird. Polen war erobert. Die nächsten Eroberungen folgten. Unser Vater mußte zur Grundausbildung nach Polen, landete dann beim Grenzschutz in Pommern an der Ostsee. Wegen seiner Plattfüße haben sie ihn wieder nach Hause geschickt.

Und dann wurde Vater wieder geholt. Er landete In Jüterbog. Die Schreibstube war sein Platz bis zum Ende des Krieges. Die braune Uniform hing überflüssig im Schrank. Seit Vater bei der Wehrmacht war, brauchten wir Kinder ihm nicht mehr beim Austragen der Schulungsbriefe helfen. Jetzt ging es darum, den Haushalt so zu organisieren, daß es ohne Manneskraft klappte. Die Ziegen waren die Ersten, die ausgedient hatten.
Kurz vor Weihnachten 1940 kam (endlich) ein Brüderchen an. In dem eisigen Winter blieb Mutter mit den nassen Händen an der Haustür-Klinke hängen, Blutvergiftung. Die Unterstützung durch NSV und NS-Frauenschaft schickte Mutter nach Hause, sie nahm die Hilfe des Roten Kreuzes in Anspruch. Mutter bekam die Schwestern-Uniform.

1941 kam ich zum Jungvolk. Welcher Junge spielt da nicht mit Gleichaltrigen?! Besonders, wenn damit auch das Aussetzen von Hausaufgaben möglich wurde. An der Bereitstellung der Uniform merkte man, daß es eben nicht mehr Alles dazu gab – das Messer mit „Blut und Ehre“ bekam ich in Köpenick nicht. Sonst gab es die Uniformteile für halbe Kleiderpunkte (besser als nichts!).

Dann gab es Arbeit nach den Bombenangriffen, Dachdecken usw. Ab und zu griff Mutter ein, wenn das Jungvolk über Hand nahm. Sie brauchte meine Hilfe. Ich wurde zum „Erwachsener“ deklariert – nur: ich war noch längst nicht soweit, alles zu verstehen, alles richtig zu bewerten. Oppositionelles kannte ich nicht. Wo sollte auch herkommen?! Die verbliebenen Lehrer waren aus der Pensionierung geholt worden oder waren noch vom ersten Weltkrieg versehrt. Hast du dich an Lehrer oder Lehrerin gewöhnt, konnte sein, daß er/sie dann plötzlich nicht mehr kam.

Das Aufwachen begann am 30.April 1945, als der Russe Berlin in die Zange genommen hatte, Eichwalde besetzt wurde. Weiß Laken und rote Fahnen mit dunkelrotem Kreis in der Mitte hingen aus den Fenstern – nur bei uns nicht, auch, wenn die Vermieter-Kinder sich bei uns im Haus „eingenistet“ hatten, jetzt Erz-Kommunisten.

Ich wachte erst auf, als wir im Ruhrgebiet unseren Vater wiederfanden, wir dann vier Jahre Landluft in Niedersachsen atmen durften und schließlich in Bonn landeten – ein Vater heiratet seine gehabte Frau mit ihren sechs Kindern. Ich wuchs am Geburtsort der Bundesrepublik Deutschland auf, lernte nun das selbständige Denken über Wirtschaft, Politik und Religion.

Du hast einen Vorsprung von zehn elf Jahren. Den muß ich noch aufholen, um so wie Du, so wie meine lieben Eltern, die Welt richtig zu sehen und zu verstehen.
Ich grüße Dich herzlich

Dieter / ortwin

floravonbistram welch ein Satz, der so viel beinhaltet.
Denken ja, es aber nicht ausprechen dürfen, welche Qual. Wie sehr muss man dann lernen, sich zu verstellen - und welche Gefühle hattet ihr Freunden und Verwandten gegenüber?
Waren sie mit euch einer Meinung oder musstet ihr auch da schweigen?
Meine Oma wurde von ihrer eigenen Tochter fast angezeigt, als sie sie beim Radio hören (amerik. Sender) erwischte. Meine Uroma konnte das noch abwenden

Danke für deine Schilderung
Grüße von
Flo

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