Warum steht in der Zeitung „Schluss 10 Uhr“?



Warum steht in der Zeitung „Schluss 10 Uhr“?

Zeitungsschelte vor 125 Jahren

Radebergs Gewerbeverein hatte im Mai 1890 zu dem monatlichen, öffentlichen Ausspracheabend geladen. Es war das Ziel Missstände in der Stadt in aller Öffentlichkeit anzuprangern und entsprechende Petitionen an den Stadtrat zu beschließen. Doch diesmal war die Berichterstattung der „Radeberger Zeitung“ Gegenstand des Missmuts. Auf die übliche Frage ob denn Jemand in der freien Diskussion das Wort wünsche, meldete sich ein Kolonialwarenhändler zu Wort. „Ich hätte den Wunsch, dass die Herren der Presse, die uns oft ihre liebenswertige Aufmerksamkeit schenken, in ihrer Berichterstattung von unseren Sitzungen den letzten Satz weglassen!“. So der kurze Diskussionsbeitrag. Der Versammlungsführer schien etwas begriffsstutzig und bat um nähere Ausführungen.
Und nun erläuterte der Händler lang und breit sein Ansinnen. Mehrmals wurden durch bestätigendes Klatschen oder Rufe wie „Genau!“ oder „Richtig“ seine Ausführungen unterstützt. „Mein Wunsch besteht darin“, so die Erläuterung, „dass der Satz die Versammlung wurde um 10 Uhr beendet oder die Bemerkung – Schluss 10 Uhr- nicht in die Zeitung gehört! Man geht doch oft noch ein Bier trinken, in der Nachversammlung im Gasthaus werden es auch mal zwei oder drei. Am Nachbartisch wird Skat gespielt und man diskutiert als Kiebitz über die Gewinnaussichten. So geht es doch den meisten hier“. Es folgte ein lautes Bejahen und ein stärkerer Beifall.
„Und dann“, fuhr der Redner fort, „das böse Erwachen kommt beim Frühstück. Man ahnt nichts Böses, hält einem die angetraute Gattin die Zeitung unter die Nase. Wieso bist Du erst nach Eins zu Hause gewesen, in der Zeitung steht –Schluss 10 Uhr-? Es folgen dann die unangenehmen Auseinandersetzungen!“ Der Beifall und die Zustimmung im Versammlungsraum waren entsprechend. Es hatte wohl jeder verheiratete Mann diese Erfahrung gemacht,
„Ich frage also allen Ernstes, was liegt den Herren von der Presse daran – Schluss 10 Uhr – zu schreiben?“. Ein zweiter Redner, der zugleich auch der Vorsitzende des Männergesangsvereins war, kleidete die Ausführungen in den Antrag, die Versammlungsleitung solle eine Petition an die örtliche Presse schicken, mit der Bitte um Abänderung dieser Gewohnheit. Mit Jubel und einer gewissen gelösten Heiterkeit fand der Antrag eine breite Zustimmung.
Es erschienen nunmehr weiter Versammlungs – und Tagungsberichte, jedoch ohne die lästige Zeitangabe des Schlusses. Manchmal stand vielsagend im Schlusssatz „Es folgte noch eine nichtöffentliche Beratung“ oder „Man zog sich zu einer internen Beratung zurück“. Doch auf einmal mehrten sich Berichte über ruhestörenden Lärm oder den Umstand, dass mancher stadtbekannte Herr seine Notdurft in aller Öffentlichkeit verrichtete. Es war eben die kleine Rache des Redakteurs an der geübten Zeitungsschelte.

haweger

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Kommentare (4)

omasigi auch vor 100 Jahren wussten sich die Ehemaenner zu wehren und die Presse wurde manipuliert.
eine nette Geschichte
omasigi
finchen ...Fremdpinkler... erwischt!
Na sowas, doch wenn die Blase drückt?!
Ich liebe es auch nicht, doch habe ich auch Verständnis dafür.
Zur Gewohnheit sollte es nicht werden....und öfter mal Kontrolle laufen.
Gerade gestern habe ich mal wieder einen "Fremdpinkler" erwischt. Ohje, es war auch noch ein Nachbar, der 50 Meter weiter wohnt.
Der Weg war anscheinend schon zu weit........
dann gut "strull", aber nicht an meine Hausecke dran - nimm des Nachbarns Zaun!
Mit lachenden Grüßen
das Moni-Finchen
ehemaliges Mitglied deine blogs über zeitungsausschnitte aus redeberg, könnten
fast noch aus der heutigen zeit stammen. zumindest in dem dorf wo ich einige jahre gelebt habe.
gruss helmut
hellusch das ist wenigstens mal etwas zum Schmunzeln in der Zeitung! Wie gemütlich es doch damals zuging!
Danke für den netten Artikel!
hellusch

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