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Innenpolitik Hat die neue Zeitenwende ihren Namen verdient?

Tina03
Tina03
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Hat die neue Zeitenwende ihren Namen verdient?
geschrieben von Tina03

Beim Auflösen alter Ordner fand ich zufällig einen Beitrag von aus einem Forum, in dem ich Anfang der 20er-Jahre einmal aktiv war. Weiß der Himmel, warum ich ihn ausgedruckt hatte – noch einmal gelesen habe ich ihn seitdem bestimmt nicht 😂.

Ihn heute – genau 20 Jahre später! – zu lesen, fand ich aber durchaus interessant. Darum  dachte ich mir, dass eventuell auch einige ST-ler ihn interessant finden könnten und vielleicht einmal einen Vergleich .„damals versus heute“ anstellen möchten. (Selbst habe ich es noch nicht getan, mir aber vorgenommen.)

Hier also eine Kopie:


"Nachfolgend ein Artikel aus der Zeitschrift NEWSWEEK (deutsche Ausgabe vom 30.09.2002), der gut zum Forumsthema „Was erwartet uns 2003?“ passt.
 
„Vor acht Jahren untersuchte Newsweek die "German Disease": die lähmende, funktionsstörende Mischung aus verhätschelten Arbeitnehmern, berüchtigter Bürokratie, übermächtigen Gewerkschaften und fest verwurzelten Industrie-Lobbys.
Seitdem hat sich, ungeachtet der tiefgreifenden Reformen überall sonst in der Welt, in Deutschland wenig geändert.
 
Deutschlands Arbeitnehmer sind immer noch die teuersten; dennoch ist ihr Lebensstandard aufgrund der drastischen Besteuerung deutlich niedriger als der ihrer Kollegen in anderen Ländern.
 
Deutsche Arbeitnehmer leisten immer noch die wenigsten Arbeitsstunden und genießen die längsten Urlaubszeiten. Doch so wenig Arbeit scheint sie krank zu machen: Sie haben die höchste Anzahl an Krankheitstagen in der gesamten industrialisierten Welt.
 
Ja, sie genießen unübertroffene soziale Sicherheit wie auch unübertroffene Arbeitssicherheit und Kündigungsschutz - doch jene, die dennoch ihren Arbeitsplatz verloren haben, finden keinen neuen, weil Unternehmer das Risiko scheuen, jemanden einzustellen, den sie nicht mehr loswerden können, wenn die Geschäfte schlecht laufen.
 
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeit deckte auf, daß rund 2 Mio. Arbeitslose gar keine Arbeit suchen, überwiegend, weil sie mit ihrer Arbeitslosenhilfe und ein wenig Nebenarbeit weit besser dastehen als ihre arbeitenden Kollegen.
 
Alles in allem steht Deutschland im Bericht des International Institute of Management Development über die Wettbewerbsfähigkeit der 49 Industrieländer an 47. Stelle. In zunehmendem Maße gleicht Deutschland einer in einem vergangenen Zeitalter steckengebliebener Gesellschaft. Als einziges Land in Europa schickt Deutschland seine Schüler schon mittags nach Hause und bestraft Familien, in denen beide Ehepartner arbeiten, durch exzessive Besteuerung.
 
Der deutsche Dienstleistungssektor ist beklagenswert unterentwickelt, weil Dienstleistungen aufgrund der Rekordhöhe der Lohnnebenkosten so teuer sind, daß es sich kaum jemand leisten kann, sie in Anspruch zu nehmen. Übermächtige Handwerkskartelle bauen Hürden für die Selbständigkeit auf und verhindern so den Wettbewerb. Allein durch eine Reform an dieser Stelle könnten auf der Stelle eine halbe Million Arbeitsplätze geschaffen werden.
 
Die Ironie an der Sache ist, daß offenbar wenige Deutsche es anders haben wollen. Wie auch seine Haltung bezüglich Irak, nennt Schröder diese sogenannte soziale Gerechtigkeit, den "deutschen Weg", und rund die Hälfte der Deutschen stimmt diesem Weg zu, wie das Wahlergebnis gezeigt hat.
 
Welch ein Wandel! Jahrzehntelang war Deutschland Europas Lokomotive, exportierte nicht nur beste Produkte, sondern trug zum Wohlstand Europas bei, und ist heute der Nachzügler - "the sick man of Europe", wie der Chef-Ökonom der europäischen Zentralbank, Otmar Issing, es ausdrückt - und bildet bezüglich Wirtschaftswachstum und Arbeitsplatzschaffung das Schlußlicht in Europa. Die zwangsläufige Folge: ständig abnehmender Konsum, eine Negativspirale, mit der, sofern sie sich weiterhin fortsetzt, nach Meinung des Chef-Ökonoms von Moore Capital, David Barker, die wirtschaftliche Stagnation und Deflation nach japanischem Muster eingeleitet wird.
 
Deutschland, einst die Verkörperung der finanziellen Vernunft und Mahner seiner EU-Partner zur Stabilisierung ihrer Finanzsysteme und Haushalte, ist heute am weitesten davon entfernt, die selbst forcierten Richtlinien einzuhalten, gefährdet durch seine verschwenderische Alimentierung aller möglichen Wirtschafts- und Bevölkerungsgruppen - Subventionen und Steuergeschenke an die Industrie, mehr Sozialleistungen als Deutschland sich leisten kann - das vereinte Europa, an dem zu schaffen es selbst so hart gearbeitet hat.
 
Die ewige deutsche Litanei der "harten Zeiten" ist wohlbekannt. Für den Außenstehenden scheint Deutschland sich jedoch auf dem Weg der "vorsätzlichen Selbstvernichtung" zu befinden, denn jede andere europäische Nation erlebt die gleichen harten Zeiten - und begegnet ihnen und meistert sie durch Reformen und Anpassung ihrer Wirtschaft und ihres Arbeitsmarktes an die Anforderungen des 21. Jahrhunderts.
 
Die Niederlande und Schweden sind seit langem dabei, ihren Wohlfahrtsstaat zu entrümpeln. Frankreich erkannte die Zeichen der Zeit und führte die notwendigen Steuerreduzierungen durch. Portugal führte die sozialen Leistungen auf den Stand zurück, den sich das Land in der heutigen Situation leisen kann und bekam sein Budget entsprechend den EU-Richtlinien in den Griff. Italien macht alle Anstrengungen, die EU-Richtlinien einzuhalten.
 
Nur Deutschland geht den umgekehrten Weg, gibt mehr statt weniger für die Wohlfahrt aus, reduziert die Flexibilität des Arbeitsmarktes durch noch restriktivere Arbeitnehmerschutzgesetze, gibt den Gewerkschaften noch mehr Macht und legt den Unternehmern noch mehr Fesseln an und hindert sie damit daran, auf aktuelle wirtschaftliche Veränderungen angemessen zu reagieren. Kein Wunder also, daß Deutschland Rekordhalter mit steigender Tendenz bei den Insolvenzen und Konkursen ist.
 
Die Lösungen der Probleme liegen auf der Hand, andere haben ihre Wirksamkeit bewiesen, doch weder die deutsche Regierung, noch die nahezu gleichgeschaltete Opposition, noch die Bürger wollen sie sehen. Die deutsche Regierung verteilt weiterhin 50 % plus des GDP ohne Gegenleistung und belastet die Bürger mit immer höheren Steuern und Abgaben, um das Haushaltsdefizit nicht völlig aus dem Ruder laufen zu lassen, und dennoch sind 59 % der Bürger der Meinung, daß die derzeitige Regierung für mehr soziale Gerechtigkeit sorgt als ihre Vorgänger und gleichzeitig, daß im Hinblick auf soziale Gerechtigkeit immer noch mehr getan werden muß.
 
Das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Staats ist scheinbar grenzenlos. Demographische und wirtschaftliche Warnsignale werden schlichtweg ignoriert, was daraus zu schlußfolgern ist, daß nicht diese ausschlaggebend für die Wahlentscheidung waren, sondern die Eloquenz Schröders, mit der er die Flutkatastrophe, die Verdammung Bushs als Kriegstreiber und weitere Wohlfahrtsgeschenke zu den Hauptzielen erhob und damit die Herzen der Bürger gewann. Somit bleibt Deutschland der „nanny state."
 
 
Meine Frage an Euch, liebe Diskutanten:
Stimmt Ihr dem Autoren zu oder stellt er den Zustand unseres Landes schlimmer dar, als er ist?

 
Frage an Jene, die ihm zustimmen:
Habt Ihr die Hoffnung, dass es 2003 deutliche Verbesserungen geben wird??
Wer diese Frage mit „Ja“ beantwortet, glaubt wohl auch an den Klapperstorch
meint Tina"
 




ingo
ingo
Mitglied

RE: Hat die neue Zeitenwende ihren Namen verdient?
geschrieben von ingo
als Antwort auf Tina03 vom 15.04.2023, 22:20:52

Du hast viel geschrieben. Ich antworte auf Deine Überschrift mal ganz kurz:
Verdient oder nicht verdient: Sie findet gerade statt. Mehr Antwort braucht es nicht.

schorsch
schorsch
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RE: Hat die neue Zeitenwende ihren Namen verdient?
geschrieben von schorsch

Jeden Tag ist für jemanden Zeitenwende. Und jeden Tag bleibt alles gleich für die anderen.


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Bias
Bias
Mitglied

RE: Hat die neue Zeitenwende ihren Namen verdient?
geschrieben von Bias
als Antwort auf schorsch vom 16.04.2023, 16:09:50
Jeden Tag ist für jemanden Zeitenwende. Und jeden Tag bleibt alles gleich für die anderen.
An Dir ist ein Philosoph verloren gegangen, Schorsch.
Du hättest mehr publizieren sollen.
lupus
lupus
Mitglied

RE: Hat die neue Zeitenwende ihren Namen verdient?
geschrieben von lupus

@Tina
Das von dir eingestellte Pamphlet hat für mich einen Inhalt, den zum großen Teil empört ablehne.

Aber zur Zeitenwende eine Meinung von Sender Eriwan:
Was war 2022 für ein Jahr?
Antwort: Es war ein mittleres Jahr.
Es war schlechter als 2021 wird aber besser als 2023 sein.

schorsch
schorsch
Mitglied

RE: Hat die neue Zeitenwende ihren Namen verdient?
geschrieben von schorsch
als Antwort auf lupus vom 16.04.2023, 19:19:30
@Tina
Das von dir eingestellte Pamphlet hat für mich einen Inhalt, den zum großen Teil empört ablehne.

Aber zur Zeitenwende eine Meinung von Sender Eriwan:
Was war 2022 für ein Jahr?
Antwort: Es war ein mittleres Jahr.
Es war schlechter als 2021 wird aber besser als 2023 sein.
Für das Schreiben hatte ich leider erst im "reiferen Alter" Zeit. Aber zu denken habe ich schon als Kleinkind angefangen. Da brachte ich meine Mutter am Anfang zum Staunen - und später zur Verzweiflung!

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Karl
Karl
Administrator

RE: Hat die neue Zeitenwende ihren Namen verdient?
geschrieben von Karl
als Antwort auf Tina03 vom 15.04.2023, 22:20:52

Nun @Tina03,

der über 20 Jahre alte Text war schon bald nach der HARTZ4 Reform überholt. Deutschland wurde wirtschaftlich wieder Europas Lokomotive - zumindest für eine gewisse Zeit.

Du fragst jedoch nach der neuen Zeitenwende. Hier gibt es einmal die sicherheitspolitische Zeitenwende, die durch Russlands versuchten Raubzug in die Ukraine hinein begonnen hat, der langfristig zu einer Stärkung der NATO durch den Beitritt Finnlands und Schwedens und durch nachhaltige Aufrüstung führen und hoffentlich in einer Eindämmung von Russlands nationalistisch-faschistischen Ambitionen resultieren wird.

Ganz persönlich empfinde ich aber, dass die langfristig entscheidendste Zeitenwende durch die Verfügbarkeit generativer KI-Modelle eingeläutet worden ist. Die Konsequenzen hieraus sind durch niemanden wirklich bereits durchschaubar, nur sie werden schneller kommen als die meisten annehmen.


Karl

schorsch
schorsch
Mitglied

RE: Hat die neue Zeitenwende ihren Namen verdient?
geschrieben von schorsch
als Antwort auf Bias vom 16.04.2023, 16:38:08
Jeden Tag ist für jemanden Zeitenwende. Und jeden Tag bleibt alles gleich für die anderen.
An Dir ist ein Philosoph verloren gegangen, Schorsch.
Du hättest mehr publizieren sollen.
geschrieben von Bias
Sorry, hatte Lupus geantwortet statt dir. Fürs Löschen leider zu spät gekommen. Darum mein Posting nochmals an dich:

Für das Schreiben hatte ich leider erst im "reiferen Alter" Zeit. Aber zu denken habe ich schon als Kleinkind angefangen. Da brachte ich meine Mutter am Anfang zum Staunen - und später zur Verzweiflung!
schorsch
schorsch
Mitglied

RE: Hat die neue Zeitenwende ihren Namen verdient?
geschrieben von schorsch
als Antwort auf Karl vom 17.04.2023, 09:45:42
Nun @Tina03,

..........................

Ganz persönlich empfinde ich aber, dass die langfristig entscheidendste Zeitenwende durch die Verfügbarkeit generativer KI-Modelle eingeläutet worden ist. Die Konsequenzen hieraus sind durch niemanden wirklich bereits durchschaubar, nur sie werden schneller kommen als die meisten annehmen.


Karl
geschrieben von Karl
Sorry, dass ich antworte. Aber ich befürchte, dass diese "KI-Modelle" nicht nur von lieben Mitmenschen ge-braucht werden wird, sondern auch von Halunken miss-braucht.
Bias
Bias
Mitglied

RE: Hat die neue Zeitenwende ihren Namen verdient?
geschrieben von Bias
als Antwort auf schorsch vom 17.04.2023, 11:42:02
Sorry, hatte Lupus geantwortet statt dir. Fürs Löschen leider zu spät gekommen. Darum mein Posting nochmals an dich:

Für das Schreiben hatte ich leider erst im "reiferen Alter" Zeit. Aber zu denken habe ich schon als Kleinkind angefangen. Da brachte ich meine Mutter am Anfang zum Staunen - und später zur Verzweiflung!
Wer im Alter nicht verlernt hat zu staunen und das zum Anlass nimmt nachzudenken, kann im Leben nicht allzu viel falsch gemacht haben, meine ich.
Auch wenns manchmal keine rechte Freude macht.

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