Forum Politik und Gesellschaft Internationale Politik Noch ist Polen nicht verloren...

Internationale Politik Noch ist Polen nicht verloren...

silhouette
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Re: Noch ist Polen nicht verloren...
geschrieben von silhouette
als Antwort auf angelottchen vom 22.06.2007, 08:58:54
Schaut man sich die polnische Landkarte von heute im Vergleich an, stellt man fest, dass nicht nur die Westgrenze, sondern auch die Ostgrenze sich nach Westen verschoben hat. Einen genauso breiten Streifen hat sich nämlich der große Bruder Sowjetunion unter den Nagel gerissen.

Da wird es dann schon schwierig mit dem Aufrechnen.

Was diese beiden Knatschkugeln derzeit veranstalten, ist von der Bevölkerung nicht gewollt, nicht nur nicht vom kleinen Mann auf der Straße, sondern auch nicht von den gebildeten Schichten und den politischen Führungskräften auf den nächsten Ebenen. Referenz: Aussagen von Gemeinderäten und Bürgermeistern auf einer Veranstaltung im Rahmen von Städtepartnerschaften.

Ich habe schon einen Pressekommentar gehört, dass es der polnischen Seele einfach mal gut tut, wenn Polen auf der ganzen Welt im Gespräch ist. Man wird sehen, welcher Flurschaden zurück bleibt.
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carlos1
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Re: Bitte um Sachlichkeit
geschrieben von carlos1
als Antwort auf barbara vom 21.06.2007, 17:52:03
"Denn damals hatte Gerhard Schröder durchgesetzt, dass Polen ein Stimmengewicht erhalten sollte, das es zu einem der "Großen" in der Union gemacht hätte. Mit 27 Stimmen im Rat wäre Warschau so Madrid gleichgestellt gewesen und hätte nur über zwei Stimmen weniger verfügt als Berlin, London, Rom und Paris. Das war damals in Polen als riesiger Erfolg und Zeichen der Anerkennung der Nation in Europa gefeiert worden und bot der Regierung ein gutes Argument, um die Bevölkerung im landesweiten Referendum zu überzeugen, für den EU-Beitritt zu stimmen." Holger Münch in taz 21.06.2007

Es war ein wenig anders als von Münch dargestellt. Ausgelöst wurde die Festlegung einer Überprivilegierung Polens auf der Konferenz von Nizza am 11. September 2000 durch Chirac. Er wollte eigentlich nicht Polen privilegieren, sondern Spanien, mit dem Frankreich sehr enge Beziehungen pflegt (romanische Nachbarn), um damit die Stellung Frankreichs zu stärken. Es ist also nicht so, dass Polen allein alle Vorteile auszuschöpfen versucht. Der Gipfel endete im Chaos. Es trifft zu, dass Schröder und Fischer einen Stimmenschlüssel akzeptierten, nach dem GB, F, It und D alle gleich viel Stimmen erhielten. D hat damals diese Unterprivilegierung akzeptiert, besser sich gefallen lassen, weniger wie manche meinen, weil Schröder noch nicht lange genug im Amt war, als vielmehr aus Rücksicht auf Frankreich. Schröder hat diese Nizza-Regelung mit der Überprivilegierung Spaniens und Polens jedoch nicht durchgesetzt, wie die taz schreibt. Polen war damals noch nicht Mitglied der EU, nahm aber als Gast teil. Da Polen etwa die gleiche Bevölkerungszahl besitzt wie Spanien wollte es natürlich ebenso privilegiert sein (obwohl noch gar nicht Mitglied der EU). Einmal geschaffene Privilegien werden zu bewahren gesucht. Wir nennen das auch Besitzstandswahrung.

Eine Wiedergutmachung dieses Fauxpas (Geist von Nizza!)der deutschen Diplomatie konnte nur über den Verfassungsvertrag erfolgen, was auch geschah. Am 13. Dezember 2003 wurde wurde der Entwurf der Verfassung auf der Ratsversammlung der Staats- und Regierungschefs geprüft. Es gab Streit wegen der Überprivilegierung der Polen. Die Überprivilegierung Polens und Spaniens wurde aber am 18.6.2004 auf der Konferenz der Staats- und Regierungschefs in Brüssel abgeschafft und das Prinzip der doppelten Mehrheit in der Verfassung gebilligt. Deutschland ratifizierte den Verfassungsvertrag am 27.5.2005. Leider stand Chirac im weiteren Verlauf der Dinge wieder im Weg. Ohne Not veranlasste Chirac ein Referendum über den Verfassungvertrag, obwohl dies nicht erforderlich war. Die Franzosen lehnten ab (mit 54,84% der Stimmen). Wenig später scheiterte der Verfassungsvertrag in den Niederlanden. Durch diese gescheiterten Referenden war nun auch die Reform der Institutionen in der EU blockiert.

Im Zuge der deutschen Ratspräsidentschaft unterbreitete Frau Merkel in der Berliner Erklärung vom 25.3.2007 einen Vorschlag zur Neubelebung der blockierten Europaverfassung. Der alte Entwurf der EU-Verfassung enthielt wie erwähnt bereits die doppelte Mehrheit, gegen die Polen nun wettert.

Die Haltung der beiden K-Zwillinge ist von tiefem Misstrauen geprägt und Unverstännis der Mechanismen der EU. Hier rächt sich die überhastete Aufnahme der osteuropäischen Staaten. Dss Prinzip der Solidarität, des Gebens und Nehmens, des Kompromisses wird nicht verstanden. Es wird nicht verstanden, dass der Verzicht auf Souveränität zum eigenen Vorteil gereichen kann. Westeuropa hat seit dem Ende des zweiten Weltkrieges einen langen Lernprozess hinter sich. Am Anfang stand der Gedanke "Nie wieder Krieg." Deshalb wurde durch den Schumanplan die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl ins Leben gerufen (1951). Durch die Vergemeinschaftung der Grundstoffindustrien sollte ein weiterer Krieg verhindert werden. Aus diesem Gedanken heraus entstand der europäiche Einigungsprozess. 1957 wurde die Europ. Wirtschaftgemeinschaft gegründet, der Vorläuferin der EU.

Es lag in deutschem Interesse Polen baldmöglichst in die EU aufzunehmen. Dass die Polen unseren Einsatz für ihren Beitritt nicht honorieren, dürfen wir nicht übelnehmen. Dank ist in der Politik nicht zu ernten. Die Vorschläge aus Warschau sind bizarr. Polen ist ein Land, das durch seine Lage zwischen Russland und Deutschland in den letzten zwei Jahrhunderten schlechte Erfahrungen gemacht hat. Polen ist Neuling in der EU, sein derzeitiges Führungspersonal in Gestalt der K-Zwillinge beherrscht keine Fremdsprachen, war vorher nicht im Ausland, ist sehr provinziell und nationalistisch gesinnt. Andere Staaten wie Großbritannien etwa, benutzen Polen gerne als Werkzeug, da sie eine weitere Vertiefung der EU ablehnen.
C.

ingo
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UND ?
geschrieben von ingo
als Antwort auf dutchweepee vom 21.06.2007, 15:14:37
Polen hat GEWONNEN! Die Kacynskis und ihre 50 Berater sind bestimmt schon besoffen vom Sekt, den sie getrunken haben.
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kreuzkampus

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eleonore
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Re: UND ?
geschrieben von eleonore
als Antwort auf ingo vom 23.06.2007, 10:54:38
denkwürdige sieg.........und frau merkel ist nur zeitbegrenzt ratspräsidentin.
bis 2014 ist noch viel zeit.
--
eleonore
carlos1
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Re: Langfristiges Denken wäre angebracht....
geschrieben von carlos1
als Antwort auf barbara vom 22.06.2007, 14:48:21
"Daher hat Polen das seit Jahren von Mathematikern als das gerechteste favorisierte Berechnungssystem der Quadratwurzel aufgegriffen." Barbara

@ Barbara Das läuft auch auf die Frage hinaus, wer zuerst da war, die Henne oder das Ei. Die Quadratwurzelberechnung kam gelegen, weil sie exakt in ein Schema der gewünschten "Machtverteilung", die ja auch Einflussverteilung und Machtbasis ist. Deutschland ist nun einmal bis jetzt das bevölkerungsreiche Land der EU und der größte Nettozahler. Polen ist der größte Nettoempfänger von Leistungen aus der EU-Kasse und hat 38 Mio Einwohner gegenüber 81 Mio Deutschlands. Das mag schwer zu fassen sein, aber es ist Realität.

Eine doppelte Mehrheit oder ein anderes System der Mehrheitsfindung bei Entschließungen setzt immer nur den Rahmen für poltisches Handeln. Wie der einzelne Staat diese Möglichkeiten nutzt, ist entscheidend. Die Europapoltik zur Zeit Schröders litt unter der Konzentration der deutschen Aufmerksamkeit auf Frankreich und die Vernachlässigung der kleineren Mitgliedsländer. Das Spiel mit vielen "Bällen" ist im Reigen der 27 Mitgliedsstaasten gefragt. Nur über die kleineren Staaten hatte Deutschland früher Einfluss gewinnen können und Frankreich veranlasst sich zu bewegen. Das diplomatische Spiel der Mehrheitssuche wird in jedem Fall nötig sein, egal welches System der Mehrheitsfindung gilt.

Frankreich hat früher ebenfalls stark nationalistische Anwandlungen gezeigt und unter anderem seine zivilisatorische Führungsrolle in Europa betont.

Welches Berechnungssystem für die Einflussverteilung in einer Gemeinschaft das gerechteste ist, darüber lässt sich streiten. Die Quadratwurzelberechnung, so weit ich weiß, war noch nie zur Debatte gestanden. Vor allem deshalb nicht, weil in unserem auf Gleichheit ausgerichteten System der Willensbildung in den westlichen Demokratien das allgemeine, gleiche Wahlrecht gilt. Wir könnten das gleiche Wahlrecht vielleicht dahingehend abändern, dass wir Professoren zwei Stimmen geben, Unternehmern vielleicht drei, weil sie eine so wichtige Verantwortung übernehmen und sich so und unverstanden fühlen. Politiker müssten noch mehr Stimmen haben, denn sie wissen ja, wie Politik läuft. Vorschläge findet jeder.

Deutschland hat Polen nicht isoliert. Polen grenzt sich selber aus. Nach der Wende wurde die Weimarer Gruppe gebildet. Der französische, deutsche und polnische Regierungschef trafen sich noch regelmäßig zum Gedankenaustausch. Die Polen ziehen nun nicht mehr mit. In ihrem nationalkonservativen, klerikal orientiertem Gedankenbrei stören auch Goethe, Dostojewski und andere Schriftsteller. Sie dürfen nicht mehr in den Schulen gelesen werden. Wer so denkt, will nur Geld, aber lehnt ein friedenschaffendes Europa ab. Das Deutschlandbild der K-Brüder stammt aus dem Jahre 1939 und bedarf der Revision.
silhouette
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Re: Langfristiges Denken wäre angebracht....
geschrieben von silhouette
als Antwort auf carlos1 vom 23.06.2007, 13:15:45
Mich würde mal interessieren, um welche Mehrheiten bei welchen Entscheidungen in welchen Gremien es überhaupt geht, und wie die tatsächlichen, konkreten Folgen in durchgerechneter Form aussehen würden.
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carlos1
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Re: Langfristiges Denken wäre angebracht....
geschrieben von carlos1
als Antwort auf silhouette vom 23.06.2007, 14:51:02
"Mich würde mal interessieren, um welche Mehrheiten bei welchen Entscheidungen in welchen Gremien es überhaupt geht, und wie die tatsächlichen, konkreten Folgen in durchgerechneter Form aussehen würden." silhouette

@silhouette. Es wäre langweilig alle Gremien aufzuzählen und deren Funktionen. Ist durch Googeln herauszufinden. Bei den Entscheidungen in Brüsel geht es um Eingriffe in die nationale Gesetzgebung, ferner um geltendes nationales Recht: Inwieweit vereinbar mit EU-Recht? Es gibt auch eine bindende EU-Gesetzgebung, die die natioalen Parlamente umsetzen müssen. Vor allem geht es um die Verteilung von Geldern aus dem Strukturfond. Daran liegt den Polen vor allem. Die Folgen lassen sich schwer im Detail berechnen, weil sie von den Verhandlungen abhängen. Deutsches Interesse ist es, dass Polen wirtschaftlich rasch aufholt und sich europäischen Standards rasch annähert. Das kostet, aber uns nutzt es viel. Es ist nicht hinnehmbar, dass auf Dauer Hunderttausende von qualifizierten Polen das Land verlassen und im Ausland arbeiten müssen. Sie fehlen im Heimatland. Polen macht einen schwierigen Strukturwandel in den ländlichen Gebieten durch. Wir müssen die Gefühle der Polen verstehen. Gerhard Schröder hat in Brüssel erreicht, dass Polen 1 Milliarde Euro mehr erhielt. Zugunsten Polens verzichtete Merkel z.B. auf mehrere hundert Mio Euro, die für die neuen Bundesländer vorgesehen waren. So wie Spanien, Porutgal, Griechenland durch die EU gefördert werden und wirtschaftlichen Fortschritt erlebten, so sollte es in Polen möglich sein. Das Getöse und die Schlachtrufe "Nizza oder Tod", dann "Quadratwurzel oder Tod" sollten wir vergessen, obwohl es zwischenzeitlich harte Kämpfe wegen des Reinheitsgebotes des polnischen Wodkas gab. Ähnlich wie die Deutschen, die sich mit dem Reinheitsgebot des deutschen Bieres in der EU nicht durchsetzten, gingen die Polen nach erbitterter Schlacht in Brüssel unter. Sie müssen die furchtbare Schmach erdulden, dass Wodkaproduzenten in anderen Ländern Wodka nicht wie die Polen nur aus Katoffeln brennen, sondern Zuckerrüben zusetzen dürfen!!! Also "Wodka Pur oder Tod!" So erbittert wurde noch nie gerungen, berichten Teilnehmer. Wo Polen sind, tobt immer die letzte Schlacht, Armageddon oder so was.

Wichtig ist eine gute Zusammenarbeit und freundschaftliche Beziehungen mit unserem polnischen Nachbarn. Das darf etwas kosten.
C.
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Re: Langfristiges Denken wäre angebracht....
geschrieben von silhouette
als Antwort auf carlos1 vom 23.06.2007, 20:03:37
So ähnlich habe ich mir die Antwort vorgestellt. Nein, Carlos, es gibt nur 2 Gremien, die das betrifft. Und das alles gilt erst, wenn die Verfassung, die es ja nun nicht mehr geben soll, sondern vielleicht eines Tages dieser Grundlagenvertrag, von allen Ländern ratifiziert ist.
So einfach wäre die Antwort gewesen.
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carlos1
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Re: Langfristiges Denken wäre angebracht....
geschrieben von carlos1
als Antwort auf silhouette vom 23.06.2007, 20:07:51
@silhouette. Ich weiß nicht, was du dir als Antwort vorgestellt hast. Was tatsächlich in Brüssel als Ergebnis herauskam, ist auf dem Papier nicht weltbewegend. Zur Debatte stand ein Papier mit wichtigen Elementen eines Verfassungsvertrages. Zunächst einmal kommt jetzt wieder Bewegung in den Reformprozess der EU. Der Rahmen ist jetzt vorgegeben für einen neuen Verfassungsvertrag. Es geht weiter im Schneckentempo voran. Du denkst möglicherweise an ein erneutes Scheitern in der Zukunft. Das ist möglich. Politik ist immer mit Risiken behaftet. Das klingt einfach, macht aber die Politk kompliziert.

Die Gremien, die du genannt haben willst, kannst du ergoogeln. Die Frage nach den "tatsächlichen, konkreten Folgen in durchgerechneter Form", wie du formulierst, wird dir niemand genau sagen können. Darüber gibt es keine Buchhaltung. Es wird viel Geld kosten, das wusste jeder, der es wissen wollte beim Beitritt der 10 Staaten in Osteueropa. Ich kann dir nur sagen, dass sich das Experiment Europa für Deutschland insgesamt, wenn auch nicht für jeden einzelnen lohnt. Es lässt sich nicht alles buchhalterisch berechnen. Allein die Tatsache, dass wir in der EU nur noch von Partnern der EU und der NATO umgeben sind und nicht mehr von feindlichen Mächten, ist viel wert. Wenn in der Zukunft die deutsch-polnische Grenze hoffentlich keine Armutsgrenze mehr sein wird, ist viel gewonnen. Langfristiges Denken ist angebracht lese ich oben. Darum geht es.
c.

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