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Internationale Politik Um ETWAS beneide ich die Griechen gerade......

ingo
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Um ETWAS beneide ich die Griechen gerade......
geschrieben von ingo

Nämlich darum, dass der Wahlsieger eine absolute Mehrheit bekommen hat und deshalb schon heute anfangen kann, so zu regieren, wie er regieren möchte. Weder lange Koalitionsverhandlungen, noch Koalitionsstreit mit einem Partner. Zu verdanken haben die Griechen das aber auch der Tatsache, dass sie die Rechtsradikalen rausgewählt haben.
Meine Freude über diesen stabilen Regierungszustand wird allerdings dadurch getrübt, dass dem Rest Europas jetzt wieder so einiger Kummer mit Griechenland bevorstehen wird.  Ich kann mir vorstellen, dass etliche finanzpolitische Entscheidungen Griechenlands bei der EU auf wenig Gegenliebe stoßen werden.
Mitsotakis will ja die Steuern senken. Dann müssen die Staatschulden zwangsläufig steigen. Mir kommt dann übrigens das in der Versenkung verschwundene Grundstückskataster samt Grundsteuer und die Schiffssteuer wieder in den Sinn. Und ein Schuldenschnitt wird ganz schnell auf den Tisch kommen. Weiter mag ich noch gar nicht denken.....

JuergenS
JuergenS
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RE: Um ETWAS beneide ich die Griechen gerade......
geschrieben von JuergenS
als Antwort auf ingo vom 09.07.2019, 10:01:04

eine zweischneidige "Beneidung".

Bei einem zurück auf Los dürfte man in einer EU-Neugründungsphase Griechenland nicht mit aufnehmen, auch wenn sie mal Sokrates, Archimedes und Platon zur Weltkultur beigetragen hatten, und uns das größte Vermächtnis, Demokratie im Gedächtnis geblieben ist.

RE: Um ETWAS beneide ich die Griechen gerade......
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf JuergenS vom 09.07.2019, 11:57:34

würde man eine EU-Neugründung tatsächlich planen, dann sollte man die Aufnahmebedingungen ändern und Kontrollgremien, die sich nicht nur aus Banken und Politikern zusammensetzen sondern aus unabhängigen Wirtschaftsexperten aller beteiligten Länder -  und man sollte das ganze auf den Wirtschafts- Währungs- und Zollbereich beschränken - meine unmassgebliche Meinung. Zuwanderungen und Arbeitsmöglichkeiten innerhalb der EU ja, aber kontrollierter und mit dem Recht jedes Landes, Leute wieder zurückzuschicken.

Dass Griechenland unbedingt mit in die EU gehört, steht wohl ausser Frage -  nicht nur wegen seiner Philosophen. Ich glaube, gerade Deutschland kann von den Griechen sehr viel lernen.

Steht aber doch alles gar nicht zur Debatte -  die abgewählte Regierung hat aus der Sicht der Griechen auf ganzer Linie versagt, so ist es also zu vestehen, dass sie so konsequent gewählt haben.


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Max78
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Mitglied

RE: Um ETWAS beneide ich die Griechen gerade......
geschrieben von Max78
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 09.07.2019, 12:15:39

Hat die abgewählte Regierung versagt oder musste sie versagen?
Als Griechenland Pleite ging lagen in den Tresoren europäischer Banken massenhaft faule griechische Papiere, die in Frankreich und Italien voll eingeschlagen hätten.
Also mußte man ( nach Prof. Sinn) Griechenland in der Eu belassen und mit Mrd.Krediten "retten".
Beim kleinen Griechen scheint da nichts angekommen zu sein, da hat er sich eben eine neue Regierung gewählt.

ingo
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Mitglied

RE: Um ETWAS beneide ich die Griechen gerade......
geschrieben von ingo
als Antwort auf Max78 vom 09.07.2019, 12:23:10

A propos "Der kleine Grieche". Der ist an der Finanzmisere nicht unbeteiligt, weil er, und darüber wird kaum geredet, jahrzehntelang massenhaft mit  Kreditkarte gelebt hat. U.a. darüber habe ich vor einigen Jahren mal eine 45 Minuten-Reportage gesehen. Ich erinnere mich noch an den alten Herrn, der sagte, dass er seinen Kredit im Leben nicht zurückzahlen könne. Zu diesem Punkt gehört aber auch, dass die griechischen Banken den Bürgern dieses Schuldenleben überhaupt erst ermöglicht haben.
Zum "Kleinen Griechen" gehören auch die Hausbesitzer, die keine Grundsteuer bezahlen, weil es halt kein Kataster gibt. Dann haben wir noch die Geschichte, dass der kleine Grieche Pensionen vererbt konnte, vielleicht auch noch vererben kann. Das Mitleid mit den "Kleinen Griechen" darf man also getrost realativieren.
Naja, mein Thema war ja eigentlich die Regierungsfähigkeit mit absoluter Mehrheit.....Vielleicht schafft diese Regierung ja ein Kataster und streicht die Vererbung von Renten. Allein, mir fehlt der Glaube.

RE: Um ETWAS beneide ich die Griechen gerade......
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Max78 vom 09.07.2019, 12:23:10
Hat die abgewählte Regierung versagt oder musste sie versagen?
Als Griechenland Pleite ging lagen in den Tresoren europäischer Banken massenhaft faule griechische Papiere, die in Frankreich und Italien voll eingeschlagen hätten.
Also mußte man ( nach Prof. Sinn) Griechenland in der Eu belassen und mit Mrd.Krediten "retten".
Beim kleinen Griechen scheint da nichts angekommen zu sein, da hat er sich eben eine neue Regierung gewählt.

Hallo Max et al,

Kyriakos Mitsotakis hat es geschafft, sich trotz seines schweren politischen Erbes als neues Gesicht zu präsentieren und eine Partei wiederzubeleben, die 2015 aus dem Amt entlassen wurde, weil sie die korrupte alte Garde verkörperte

Alexis Tsipras schien damals die Figur des Wandels zu sein.
Der Linkspopulist versprach bei seinen Protestkundgebungen, das Rettungsprogramm Griechenlands zu zerschlagen und die Sparmaßnahmen zu beenden. Er holte einen Finanzminister, den Lederjacke tragenden und Motorrad fahrenden Yannis Varoufakis, der die EU anstachelte und sich in Brüssel und Berlin Feinde machte.

Er führte Griechenland in ein Referendum über die Ablehnung von Haushaltskürzungen in Europa ein, obwohl die Gläubiger davor gewarnt hatten, die Eurozone zu verlassen.
Und er versprach es hoffnungslos.

Unter dem Druck der EU, den Kapitalkontrollen an den Banken und der Drohung des "Grexit" - der Abkehr vom Euro - geriet er in eine demütigende Kehrtwende und unterzeichnete eine dritte Rettungsaktion in Höhe von 89 Mrd. EUR und mehr Sparmaßnahmen. Genau das nehmen "die kleinen griechen" sehr übel.

Seine Unterstützungsbasis begann zu verebben. Zweifellos hat er politisches Talent, sonst wäre er trotz Nichteinhaltung seiner Zusagen nicht vier Jahre lang an der Macht geblieben.

Seine Partei Syriza hat jetzt eine Ideologie, die sich von der von ihm angewandten Politik so stark unterscheidet, dass sie bedeutungslos ist. Das einzige, was diese Partei momentan noch zusammenhält, ist Tsipras.

Ich verstehe zu 100%, warum die Leute von der Party enttäuscht sind, schreibt mir ein alter Freund aus Patras. Und weiter: "Die Erwartungen der Menschen waren hoch - wir haben die Messlatte hoch gelegt - und wir haben sie nicht erreicht."

Dennoch hat Alexis Tsipras ja in seiner Amtszeit auch einige Erfolge erzielt:

- Die Arbeitslosigkeit, die während der Krise ihren Höhepunkt bei 28% erreichte, ist auf 19% gesunken

-  Griechenland hat sein Rettungsprogramm offiziell abgeschlossen - obwohl das Land weiterhin von seinen Gläubigern streng überwacht wird

-  Touristen strömen zurück an die griechischen Strände und halfen der Wirtschaft, im vergangenen Jahr zu einem bescheidenen Wachstum zurückzukehren

  - Und einige der 500.000 jungen gut ausgebildeten Leute, die während der Krise gegangen sind, kehren zurück, angetrieben von Start-ups und dem Gefühl, dass Griechenland um eine Ecke gedreht hat

Tsipras verfiel aber auch einem Skandal und schien seine Rhetorik "Volk gegen Elite" zu brechen, wie er letztes Jahr auf einer Luxusyacht eines griechischen Reeders abgebildet wurde - nur wenige Wochen, nachdem er die Reaktion auf tödliche Waldbrände missachtet hatte.

Tsipras hat sich eine sehr anti-europäische Politik ausgedacht, schrieb mein Freund aus Patras, der ein Anhänger der Neuen Demokratie ist.

Mitsotakis hat Steuersenkungen und die Schaffung von Arbeitsplätzen mit einer Agenda der Privatisierung und einer soliden politischen Führung versprochen.

Er wird davon profitieren, dass die Neue Demokratie Teil des größten Blocks im Europäischen Parlament ist und seinen Sieg als Ende des populistischen Experiments Griechenlands und als Rückkehr zum politischen Mainstream zeichnen. Und offenbar hat er gute Chancen, mit einem kompetenteren Team viel von dem zu tun, was er verspricht.

Und sein Sieg zeigt, dass Populismus ein zyklisches Phänomen ist, mehr als ein Trend.
Wenn Populisten an die Macht gebracht werden, sehen sie sich den gleichen Zwängen der Mainstream-Regierungen gegenüber - und reagieren nicht unbedingt erfolgreicher. Im Falle Griechenlands waren sie unfähig und haben das Land an den Rand des wirtschaftlichen Zusammenbruchs gebracht."

Das Vermächtnis von Alexis Tsipras ist in der Tat, die populistische Demagogie, die ihn zuerst an die Macht brachte, abzulegen.

Und konkret ist sein größtes außenpolitisches Erbe eines, das seine Unterstützung in seinem eigenen Land gekostet hat: ein Abkommen zu schließen, das Griechenlands nördlichen Nachbarn unter dem Namen Nordmakedonien akzeptiert und einen seit zwei Jahrzehnten andauernden Streit der Griechen beendet, die das Eigentum an Mazedonien beanspruchen Identität.

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Max78
Max78
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RE: Um ETWAS beneide ich die Griechen gerade......
geschrieben von Max78
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 09.07.2019, 15:46:24

Das ist eine nette und informative Beschreibung was wie gelaufen ist.
Aber wäre es nicht besser gewesen Griechenland Pleite gehen zu lassen, die Drachme zu lassen und die Möglichkeit aus eigener Kraft und mit neuer Regierung langsam wieder rauszukrabbeln?
Dann hätte Tsipras vielleicht was machen können.
Die Zuschüttung mit neuen Mrd. Schulden hat doch nur dfazu geführt, das Griechenland auch in 100 Jahren noch hochverschuldet ist

olga64
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RE: Um ETWAS beneide ich die Griechen gerade......
geschrieben von olga64
als Antwort auf Max78 vom 09.07.2019, 12:23:10
Hat die abgewählte Regierung versagt oder musste sie versagen?
Als Griechenland Pleite ging lagen in den Tresoren europäischer Banken massenhaft faule griechische Papiere, die in Frankreich und Italien voll eingeschlagen hätten.
Also mußte man ( nach Prof. Sinn) Griechenland in der Eu belassen und mit Mrd.Krediten "retten".
Beim kleinen Griechen scheint da nichts angekommen zu sein, da hat er sich eben eine neue Regierung gewählt.
geschrieben von Max7
 
GEht das jetzt wieder von vorne los, dass deutsche Menschen dokumentieren, dass sie bis heute nichts von der Komplexität der EU verstehen (wollen)?

Es ist doch alles viel einfacher: die Griechen haben Syriza und Herrn Tsipras abgewählt - ein ganz normaler, demokratischer Vorgang. Der Nachfolger kann nun sogar allein regieren, was Herr Tsipras nie konnte - er musste sogar mit den Rechten gemeinsame Sache machen.
Der emeritierte Prof. Sinn (der schon längst nur noch in Talkshows was zu sagen hat) hat vermutlich übersehen ,dass die EU keinen Mitgliedstaat ausschliessen kann. Nur Staaten selbst können die EU verlassen. Griechenland hat dies aus gutem Grunde nie gemacht, weil man sehr genau wusste, dass das Land allein nicht überlbenfähig ist.
Oder kann man mit Retsina, Salat und Ouzo ein Land finanzieren, das sich vorher in immense SChulden stürzte?
Wer "der kleine Grieche ist" weiss ich nicht so recht - ist er das Pendant zum "kleinen Deutschen"? Beide sind mir noch nicht begegnet - scheinen Fabelwesen zu sein bei Menschen, die sich selbst gerne überhöhen (weil andere versäumen, dies zu tun). Olga
pschroed
pschroed
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RE: Um ETWAS beneide ich die Griechen gerade......
geschrieben von pschroed

Tsipras wurde wahrscheinlich Opfer der linken Ideologie , die Steigerung der Produktivität wäre dringend nötig gewesen, aber das war nicht im Sinne  der Linken Regierung , als Erfolge wurde die Wiedereinstellung der Putzfrauen gefeiert, das funktioniert nicht in der heutigen vernetzten Welt. Die Bürger haben nicht profitiert und lebten weiter in der Armut.

Anbei Link mit den Zahlen. Interessant die Chart des Pro Kopf Einkommen. Phil.

QUELLE FAZ.NET https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/konjunktur/vor-der-wahl-die-magere-bilanz-der-regierung-tsipras-16267147.html

olga64
olga64
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RE: Um ETWAS beneide ich die Griechen gerade......
geschrieben von olga64
als Antwort auf pschroed vom 09.07.2019, 18:40:34

Ein klassischer linker Fehler war natürlich auch, nicht viel dagegen zu tun, dass die sehr reichen Reeder nach wie vor keine Steuern in Griechenland bezahlen (sondern nur "Abgaben" in einer ARt Good-Will-Leistung) und Herr Tsipras aber an Bord eines sehr teuren Reeder-Schiffes gesichtet wurde, wo er Urlaub machte. Als tollesArgument wurde dann erklärt, "er sei müde gewesen".
ABer die Syriza ist mit ca 32% ja eine recht starke Opposition. Mal schauen, was von da kommt.
Umgekehrt wird es Herrn Mitsotakis, der aus einer alten, griechischen Politikerfamilie kommt, besser gelingen, wichtige Investoren ins Land zu holen, die vorher mit einer gewissen Scheu vor linker Politik dies nicht machten.
Wie man liest, soll eine seiner ersten Aktionen sein, Kassensturz zu machen. Ich hoffe nicht für das griechische Volk, dass hier wieder "Leichen" irgendwo versteckt sind, die die Misere erneut anfachen. Olga


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