Forum Kunst und Literatur Literatur Literaturkalender: NEUE Folge 28. November. 2009

Literatur Literaturkalender: NEUE Folge 28. November. 2009

miriam
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Re: Literaturkalender: NEUE Folge - zum 5.12.: Nikolausabend
geschrieben von miriam
als Antwort auf longtime vom 05.12.2009, 19:24:52
Nikolaus – wie andere Männer auch!


Der Nikolaus, der hatte mich vor einem Jahr verlassen,
Nun steht er da als wenn nix wär’ – guckt mich an ganz gelassen
Sitzt dann – als wäre er zuhaus – mit mir am Küchentisch,
Und trinkt Kaffee, findet es schön: "die Brötchen sind so frisch"…

Ach Männer! Wenn Ihr uns verlässt wisst Ihr, dass jederzeit
Euch trotzdem freudig zu empfangen wir - leider - sind bereit…
Und sind wir dann plötzlich nicht da, dann werden es die Töchter tun
Denn Ihr – obwohl ja schon so alt - kommt immer opportun…



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miriam
longtime
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Re: Literaturkalender: NEUE Folge - zum 6.12.: vom legendären Nikolaus
geschrieben von longtime
als Antwort auf miriam vom 05.12.2009, 23:12:55
Feiertagsstimmung
von Pfarrerin Christina-Maria Bammel:

„Von Sinteklaas bis Samichlaus“

Nikolaus: Der Tag des heiligen Sozialarbeiters



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longtime
miriam
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Re: Literaturkalender: NEUE Folge - zum 5.12.: Nikolausabend
geschrieben von miriam
als Antwort auf miriam vom 05.12.2009, 23:12:55
Liebe Literaturfreunde,

darf ich jetzt hier einfach zu einem ganz anderen Thema Einiges schreiben?

Heute möchte ich an Hanns Dieter Hüsch erinnern - der vor vier Jahren starb.

Hanns Dieter Hüsch (geb. am 6. Mai 1925 in Moers - gestorben am 6. Dezember 2005 in Windeck-Werfen), mit welchen Worten sollte man versuchen ihn zu erfassen? Der grosse Kabarettist, der Humorist, der Poet, das schwarze Schaf vom Niederrhein?

Er war etwas von alledem, für mich aber war er auch derjenige, der schon im Kindesalter gelernt hatte sein Leid ohne bitter zu werden, zu ertragen. Denn er hatte von Geburt her, eine schwere Behinderung beider Füße und einen nicht unerheblichen Leidensweg zu durchschreiten. Leid blieb ihm auch in den letzten Jahren nicht erspart - er erkrankte schwer Ende der 90ger Jahre an Lungenkrebs, erlitt 2001 einen Schlaganfall. Wenn er mutig und voller Hoffnung noch während der Behandlung der Krebserkrankung im Krankenhaus mit seiner Orgel aufgetreten ist, zog er sich 2001 aus der Öffentlichkeit völlig zurück.

Hüsch war ein wunderbarer Beobachter und was ihn ausmachte war diese ironisch-liebevolle Wiedergabe des Beobachteten. Es waren hauptsächlich die kleinen Leute vom Niederrhein (Moers war seine Geburtsstadt), die er so trefflich und nie verletzend beschrieben und besungen hat.

Und auch der liebe Gott war ein Thema, das ihn immer mehr beschäftigte. Auf eine einfache und fast schon unphilosophische Weise, befasste er sich mit dem Essenziellen: mit Glaube, Liebe, Hoffnung. Wenn man ihn predigen hörte (er tat dies wiederholt in einer sehr kleinen ev. Kirche in Köln in meiner Nähe) da wünschte man etwas von dieser Art Glauben sich bei ihm ausleihen zu können. Denn es ging Hüsch dabei um Fragen der Ethik, der Menschlichkeit und der Nächstenliebe, ohne die ein Miteinander nicht möglich ist.

Vorläufig nur soviel zu Hanns Dieter Hüsch - doch ich versuche später noch einiges über ihn zu schreiben.

Beenden möchte ich aber diesen Beitrag mit einen kurzen Text von Hüsch:


"Wollt darum freundlich sein und euch mit Heiterkeit versehen
Es hat der Mensch zu kommen und zu gehen
Dieses ist ausgemacht von Anfang an
mit Hochmut ist nicht viel getan"


(Aus: "Die Masken sind gefallen")

Fortsetzung folgt

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miriam

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miriam
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Re: Literaturkalender: NEUE Folge - zum 5.12.: Nikolausabend
geschrieben von miriam
als Antwort auf miriam vom 06.12.2009, 07:24:48
Aus einer der letzten Predigten von Hanns Dieter Hüsch, gehalten am 13.02.2000 in der Offenen Kirche Elisabethen.
Der Text ist wie so oft, ein Gemisch von Predigtelementen und Kabarettistischem. Und so war es wie immer bei Hüsch: Erheiterndes neben Nachdenklichem.

Dies ist nun ein Auszug aus dieser Predigt:


Kirche ist zu!!!

„Kennen Sie die Geschichte, wo der liebe Gott in seiner eigenen Kirche eingeschlossen wurde, von seinem eigenen Küster oder der Küsterin oder der Küsterstochter oder vom Sohn des Küsters, der auch Küster werden will, denn sein Grossvater war ja auch schon Küster.

Und sie konnten eigentlich ja nichts dafür, hat mir der liebe Gott erzählt, als wir uns wieder mal in Dinslaken getroffen haben (Schwester, Schwager, Treffen) (Samstags, Espresso).

Sie konnten eigentlich ja nichts dafür. Der liebe Gott war in, - wie heisst die Gemeinde Dietersbronn, das liegt bei Dieterswasser, zwischen Güteglück und Moritz. Ihr wisst schon, er war also in Dietersbronn in die Kirche gegangen. Die stand auf, vielmehr die Tür stand auf. Wann steht schon mal in einer evangelischen Kirche die Tür auf, muss ich Sie doch mal fragen. Die meisten evangelischen Kirchen sind doch, wenn nicht gerade Gottesdienst, Konfirmation, Heirat oder Taufe ist – sind doch zu! Verriegelt, vernagelt! Fehlt nur noch ein Schild an der Tür: Wir geben nichts! Warum sind so viele evangelische Kirchen über Tage und ganz besonders in der Nacht geschlossen? Hat man Angst, dass die Kirche geklaut wird, oder der Pfarrer, oder aus der Kirche eine Bank oder ein Gesangsbuch zum Beispiel. So viel Kostbarkeiten haben wir doch gar nicht. In unseren Kirchen ist doch nicht viel zu holen. Ein Gesangbuch, das wär ja gut, wenn einer keines hat. Kann er lernen, wie’s schon seit altersher zugeht und neuerdings auch. Lobe den Herrn, du kleines sterbliches Geschöpf, sing dem Herrn deine Liebe ins Gesicht. Der Herr wird es dir danken, bring ihm einen Schlüssel. Denn, - um wieder auf die Geschichte zurückzukommen:

Denn der liebe Gott konnte nicht mehr raus aus der Kirche in Dietersbronn. Er hat geklopft, getrommelt und gepfiffen: Nichts. Denn wenn eine evang. Küster-Familie mal beim Essen sitzt, dann hört sie nix, dann isst sie.

Aber, habe ich zum lieben Gott gesagt: Du hättest doch eins von Deinen Zeichen und Wundern tun können.

Nee, nee, das wollte ich nicht, hat der liebe Gott gesagt. Das wäre ja nicht objektiv gewesen, und der Jesus sagt auch immer, ich soll mit den Zeichen und Wundern sparsamer umgehen und vor allen Dingen sie nicht selbst verbrauchen. Jedenfalls hat der liebe Gott sich damit abgefunden, hat sich auf eine Bank gelegt und ist eingeschlafen. Und wenn der Küster nicht am anderen Morgen für den Sonntagsgottesdienst ein paar Kerzen ausgewechselt hätte, hätte der liebe Gott bis zum Mittag durchgeschlafen. Nein, der Küster legte sofort los: Nix da, Penner können wir hier nicht gebrauchen und Junkies schon gar nicht. Und der liebe Gott entschuldigte sich, verbeugte sich ein paar Mal, und zog sich auf Zehenspitzen, fast leicht tänzelnd zurück, und dann entschloss er sich doch eins von seinen Wundern zu tun, nämlich umgekehrt den Küster einzuschliessen. Ohne Schlüssel! Und zwar so einzuschliessen, dass der so ohne weiteres nicht mehr aus der Kirche rauskam, wenn nicht der Gottesdienst gewesen wäre und der Pfarrer nicht mehrere Schlüssel gehabt hätte.

Seit der Zeit steht die evangelische Kirche in Dietersbronn Tag und Nacht offen. Und es tummeln sich auch manchmal Obdachlose und Landstreicher dort herum und neuerdings werden auch dort Menschen aller Arten, die abgeschoben werden sollen, versteckt und von vielen Menschen beschützt. Und der liebe Gott hat seine Freude daran, denn er liebt die, die Widerstand leisten und nicht zu allem Ja und Amen sagen, sondern Nein und Halleluja! Nein und Halleluja.

Bitte weitersagen: Nein und Halleluja! Danke“


Wenn ich diesen Text lese, denke ich, dass das eben das Wesentliche ist: nichts einfach und blind übernehmen, nicht die Religionen und nicht die Ideologien, sondern sich seine eigene Einstellung und auch Stellung dazu schaffen. Und mit dem lieben Gott etwas alltäglicher umgehen. Gott habe ich nun nur symbolisch genannt, für andere Größen vor denen wir leider immerwieder in die Knie gehn. Meinetwegen ersetzt hier den Begriff mit politischen Autoritäten. Sich nix von oben aufobtruieren lassen. Auf Augenhöhe die Sachen betrachten.

Aber wer hat schon die spirituelle Kraft um so etwas zu vollbringen?

Nein - ich habe noch nicht alles geschrieben zu Hanns Dieter Hüsch - werde es auch hier nicht machen können.

Bitte nimmt es mir nicht übel, wenn noch eine kleine ...
Fortsetzung folgt.

--
miriam
longtime
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Re: Literaturkalender: NEUE Folge - zum 6.12.: vom legendären Nikolaus
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 06.12.2009, 07:15:12
Für den 6.12. (blank, ohne Nikolaus-Mäntelchen):

Balthasar Gracian

Joseph Conrad

Albrecht Schaeffer

Oskar Ernst Bernhardt
(reichsdeutscher Prediger der Gralsbotschaft und der Reinkarnation(besonders aus der Nazizeit: „Im Lichte der Wahrheit – Gralsbotschaft. 1941)

Peter Handke (Über Peter Handke werde ich mich selber nicht äußern. - Was hier im ST über die Querelen geschrieben wurde, als er den Heinrich-Heine-Preis kassieren wollte, ist gelöscht.
- Hinweis auf ein Interview (aus dem Jahre 2007) von André Müller: «Ein Idiot im griechischen Sinne»; s. Linktipp!


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Re: Literaturkalender: NEUE Folge - zum 5.12.: Nikolausabend
geschrieben von miriam
als Antwort auf miriam vom 06.12.2009, 07:30:54
Wie am Anfang schon vermerkt: es jährt sich heute für das vierte Mal der Todestag von Hanns Dieter Hüsch.

Eines der Gedichte welches mir besonders nah geht, soll am Ende dieses Versuchs an ihm zu erinnern, stehen:


Kennst Du diese plötzlichen Sekunden

wenn Dir einfällt, dass Du sterben musst
Siegessicher gehst Du durch die Stunden
doch auf einmal wird es Dir bewusst

Und Du fragst Dich, wie das wohl gehen wird
welches Wort als letztes Wort Du sagst
Wer zuletzt an Deiner Seite stehen wird
ob Du tapfer, oder ob Du klagst

Dann bald ist Obduktion im Café Größenwahn
schnell die nächste Leiche auf den Tisch
dann wird aufgemacht und dann wird nachgedacht
dann wieder zugemacht und sich kaputtgelacht

Denn in jeder Leiche ist ein Kind versteckt
das nach Zukunft fragt und nach Frühling schmeckt
und sich dann erschreckt

Und dann kommen all' die flotten Leute
rufen "hören Sie doch damit auf"
so ein Quatsch, denn heut' ist schließlich heute
kommt! Wir machen schnell noch einen drauf

Und dann findet man noch einen Frühstücksrest
vom Oktoberfest, der sich sehen lässt
Herr, war das ein Fest!

Und dann kommen auch die großen Tröster
mit den neuesten Plänen in der Hand
dann wird diskutiert und dann wird reflektiert
und danach konstatiert, dass man Dich angeschmiert

Und dann findet man noch einen Augenblick
eine Spur vom Glück und ein Silberstück
doch das liegt weit zurück

Und dann findet man noch einen Trennungsgrund
zwischen Herz und Mund
ziemlich schmal und rund
doch sonst war er gesund

(Hanns Dieter Hüsch)


--
miriam

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longtime
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Re: Literaturkalender: NEUE Folge - zum 1. Advent:
geschrieben von longtime
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 04.12.2009, 16:35:41
Als Ergänzung zu deinen Rilke-Beiträgen (und für alles Rilke-Interessenten):

Hier diese Sendung vom 6. Dezember, die auch als PODCAST läuft:

In allen Tempeln der Welt das jeweils Größte anbeten. - Die religiöse Aktualität Rainer Maria Rilkes



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longtime
enigma
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Re: Literaturkalender: NEUE Folge - zum 1. Advent:
geschrieben von enigma
als Antwort auf longtime vom 06.12.2009, 09:15:45
Den Podcast habe ich mir auch runtergeladen.
Danke!

Heute möchte ich hinweisen auf
Fred Breinersdorfer, Drehbuchautor, Rechtsanwalt und Regisseur, geboren am 6. Dezember 1948 in Mannheim.

Fred Breinersdorfer hat in Mainz und Tübingen Jura und Soziologie studiert und über “Gleichheit der Bildungschancen in Deutschland” promoviert.
Er praktizierte 17 Jahre in Stuttgart als Anwalt, spezialisiert auf Hochschulrecht, besonders Numerus clausus-Prozesse.

Und “nebenher” lief seit 1980 seine zweite Karriere, die des Autors, oft von Krimis, bei denen ihm seine anwaltliche Erfahrung zugute kam, die des Drehbuchautors und auch die des Regisseurs und Produzenten.

So startete das ZDF 1986 nach den Drehbüchern von Breinersdorf mit “Anwalt Abel” eine lose Reihe von Spielfilmen, die bis 2000 liefen.
Häufig waren seine Drehbücher auch Vorlagen für Tatort-Folgen.

Nach einem Intermezzo in der Politik als Kandidat für den Bundestag in Stuttgart für die SPD verschrieb Breinersdorfer sich dann ganz der Schriftstellerei, hauptsächlich dem Drehbuchschreiben.

Daneben blieb er Honorarprofessor und war von 1997 bis 2005 Vorsitzender des Verbandes Deutscher Schriftsteller in ver.di sowie Mitglied des Pen-Zentrums Deutschland und Mitglied einiger Akademien.
Für 2003 wurde er in die Jury für das “Unwort des Jahres” berufen.

Seine Drehbücher wurden von namhaften Autoren inszeniert und seine Rollen von bekannten Schauspielern verkörpert, wie z.B. von Bruno Ganz, Susanne von Borsody, Jürgen Hentsch, Christian Redl, Julia Jentsch, um nur einige von vielen zu nennen.

Sein Debut als Kino-Autor und Mitproduzent startete Fred Breinersdorfer 2005 mit “Sophie Scholl - die letzten Tage”. Regisseur des Films war Marc Rothemund.
Rothemund hatte 2003 von den bisher unveröffentlichten Gestapo-Protokollen über die Verhöre von Mitgliedern der Widerstandsgruppe “Die weiße Rose” erfahren und seinen langjährigen Partner, den Drehbuchautor Fred Breinersdorfer gebeten, diese Dokumente zu besorgen.
Mehr darüber und einige Informationen über den Entstehungsprozess des Filmes hier:
Und hier noch eine Information über das Buch zum Film von Fred Breinersdorfer aus dem Jahre 2005

Der Film wurde 2006 für den Oscar nominiert in der Kategorie “Foreign Language Film“, da hat ihm allerdings "Tsotsi" den Rang abgelaufen.

Einige andere wichtige Preise hat er jedoch erhalten.

2007 folgte der Kurzfilm “Sommersonntag”, den er gemeinsam mit Sigi Kamml produzierte.
Beide sind auch als Drehbuch-Autoren angegeben.
Dieser Kurzfilm wurde noch vor seiner Uraufführung ausgezeichnet und inzwischen zu vielen Wettbewerben Internationaler Festivals eingeladen.
Die deutsche Filmförderungsanstalt hat den Streifen zum erfolgreichsten Kurzfilm des Jahres 2008 gekürt.

Im Frühjahr 2009 hatte der Film “Hilde” seine Uraufführung bei der Berlinale in Berlin.
Autor waren Fred Breinersdorfer und Maria von Heland, Regisseur Kai Wessel.

Sein Dokumentarfilm “Andula - Besuch in einem anderen Leben”, in dem er als Regisseur gemeinsam mit Anne Worst (beide Buch und Regie) das Schicksal der tschechischen Schauspielerin Anna Letenska während der Nazizeit behandelte, kam im Herbst 2009 in die Kinos. Hannah Herzsprung spricht den Kommentar.
Leider habe ich diesen Film bisher nicht gesehen.

Hier die Homepage von Fred Breinersdorfer.
Da kann man übrigens feststellen, dass er auch ein guter Fotograf ist.

PS
Den letzten Hinweis auf Wikipedia unter “Bücher (Auswahl)” kann ich mir nicht erklären, denn bei allen Quellen wird als Erscheinungsjahr des Buches mit der angegebenen ISBN 2005 angegeben.
Da frage ich mich, ob sich “1980” überhaupt auf das Erscheinungsjahr bezieht?
Das bleibt für mich unklar, ist aber auch nicht ganz so wichtig, jedenfalls mir nicht.

Gruß



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enigma
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Re: Literaturkalender: NEUE Folge - zum 1. Advent:
geschrieben von longtime
als Antwort auf enigma vom 06.12.2009, 14:30:45
6.12.:

Balthasar Gracian, spanischer Dichter:

Ich will für den Dichter (8.01.1601 - 6.12,1658) nur kurz an das „El Criticón“ 1651-1657 (dt. neu übersetzt: „Das Kritikon“. Amman, Zürich 2001; Fischer-TB Frankfurt a.M. 2004)erinnern).

„Handorakel und Kunst der Weltklugheit“ haben Aphorismen geboren, die noch heute Denkstoff gewähren:

* "Das praktische Wissen besteht in der Verstellungskunst."

* "Die beste Universalmedizin gegen die Torheit ist die Einsicht. Jeder erkenne die Sphäre seiner Tätigkeit und seines Standes: Dann wird er seine Begriffe in Übereinstimmung mit der Wirklichkeit bringen."

* "Die Hoffnung ist eine große Verfälscherin der Wahrheit: Die Klugheit weise sie zurecht und sorge dafür, dass der Genuss die Erwartung übertreffe."

* "Die Kunst des Ausdrucks besitzen: Sie besteht nicht nur in der Deutlichkeit, sondern auch in der Lebendigkeit des Vortrags."


**

Balthasar Gracian, S. Linktipp



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Re: Literaturkalender: NEUE Folge - zum 5.12.: Nikolausabend
geschrieben von longtime
als Antwort auf miriam vom 06.12.2009, 07:47:34
Bei Hüsch, dem Männe aus Moers denke ich sehr gerne an seine Anfänge:

Antiatomkraftbewegung, solidarische Treffen zum Singen auf Burgen udn in Turnhallen, dm Zuhören des Wachsens der Baumwolle zwischen Kirchenbänken (als Ghospel-Imitat), den Pastören den Rock ins Flattern bringen...

*

Ein frühes Arbeiterlied

von Hans Dieter Hüsch:

Jede Nacht um 2 Uhr aufstehn
Und um halb 3 in den Bus
Der schon voll mit Arbeiterkollegen
Die sich wie die Kinder noch im Schlaf bewegen
Weil die Nacht sehr kurz sein muß.

Und der Bus der rumpelt durchs Gelände
Von Marienbaum zur Hütte nach Rheinhausen
Flaches Land und nirgendwo vier Wände
Wiesen nehmen hier kein Ende
Graues Licht kennt keine Pausen.

Halb 6 dann an Ort und Stelle
Denn um 6 beginnt die Schicht
Hacke Schaufel Schotter neue Schwelle
Noch ein Schlag für alle Fälle
Denn sonst hält die Schiene nicht

Ausgekoffert raus den Schotter
einszweidrei und einszweidrei
bißchen schneller bißchen flotter
Raus die Schwelle rein den Schotter
Nächste Strecke Schiene frei.

Raus den Schotter rein die Schwelle
Bücken schaufeln hacken kontrollieren
Noch einmal dieselbe Stelle
Rottenarbeiter sind schnelle
Bis sie ihren Rücken spüren.

Und um 2 Uhr ist die Schicht zu Ende
Dann um halb 3 wieder in den Bus
Müde Augen aufgerissne Hände
Und 3 Stunden nochmals durchs Gelände
Kartenspiel und Fußballstuß.

Dann ein bißchen noch im Garten kramen
Und den Kindern Gute Nacht gesagt
Lebenslänglich Ja und Amen
Ohne Glanz und ohne Namen
Keiner der nach seinen Träumen fragt

Jede Nacht um 2 Uhr aufstehn
Und um halb 3 in den Bus
Der schon voll mit Arbeiterkollegen
Die sich wie die Kinder noch im Schlaf bewegen
Weil die Nacht sehr kurz sein muß.

Da ist nichts mit Goethe und mit Schiller
Feinem Geist ästhetischem Konfekt
Keiner übt hier Tonleitern und Triller
Niemand kennt hier Dürrenmatt und Miller
Wenn man mal in dieser Mühle steckt.

Halb sechs dann an Ort und Stelle
Denn um 6 beginnt die Schicht
Hacke Schaufel Schotter neue Schwelle
Noch ein Schlag für alle Fälle
Denn sonst hält die Schiene nicht.

Das ist mir im Kopf geblieben
Und aus dem Erinnerungsmüll
Habe ich's jetzt aufgeschrieben
Weil und das ist gar nicht übertrieben
Weil ich's nicht vergessen will.

Damals als ich nur für 90 Tage
So als Werkstudent bei Krupp und Thyssen
Sah ich viele Menschen die in dieser Lage
Dort für immer und für alle Tage
Dieses monotone Leben leben müssen.

Und um 2 Uhr ist die Schicht zu Ende
Dann um halb drei wieder in den Bus
Müde Augen aufgerissne Hände
und 3 Stunden nochmal durchs Gelände
Kartenspiel und Fußballstuß.

Dann ein bißchen noch am Fernsehkasten
Rumgedreht und wieder ausgemacht
Mit der Frau noch schnell besprochen
Was die Kinder so am Tag verbrochen
Und schon ist sie wieder rum die Nacht.

Jede Nacht um 2 Uhr aufstehn
Dann um halb 3 in den Bus
Der schon voll mit Arbeiterkollegen
Die sich wie die Kinder noch im Schlaf bewegen
Weil die Nacht sehr kurz sein muß.

Zugegeben diese vielen Zeilen
Sind kein polyphones Kunstgedicht
Doch die so an uns vorübereilen
Aufgebracht zermürbt und kaum zu heilen

Guckt doch diesen Menschen einmal richtig ins Gesicht
Guckt doch diesen Menschen einmal richtig ins Gesicht.

Mehr will dieses Liedchen nicht
Mehr will dieses Liedchen nicht.

*

Und die letzte Schicht vor der geweihten Nacht
Haben sie so tief geschlafen,
wie der dickste Stein,
sie waren nah bei sich, gerührt durch Tracht!

**

Das war die miterlebte Strecke von Kalkar, Marienbaum, Rheinberg, Moers, Rheinhausen .... bis zu den Hochöfen und Zechen und Kokereien in Hamborn, Duisburg, Essen und Walsum...


--
longtime

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