Forum Kunst und Literatur Literatur Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute - am 9.10. - z.B. an:

Literatur Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute - am 9.10. - z.B. an:

miriam
miriam
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Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute, am 20.11. z.B. an Selma Lagerlöf
geschrieben von miriam
als Antwort auf longtime vom 20.11.2009, 08:56:05
Danke dir Longtime für den Beitrag über Selma Lagerlöf - für mich wieder mal Erinnerungen aus früheren Zeiten.

Ich hatte aber eigentlich den Namen eines anderen Autoren erwartet, persönlich fühle ich mich nicht genug kompetent um über ihm zu schreiben.
Nun - ich denke, dass du uns einiges über ihm erzählen wirst - und warte geduldig ... draußen vor der Tür!

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miriam
longtime
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Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute, am 20.11. z.B. an Selma Lagerlöf
geschrieben von longtime
als Antwort auf miriam vom 20.11.2009, 09:03:37
Ja, miriam, dein intelligenter Hinweis verweist auf einen noch immer jungen Dichter, der 1996 erst 75 Jahre wurde; immer noch realistisch und humanistisch präsent ist und betroffen macht, in Lesebüchern und Internet-Schülerforen nachhaltig gefragt:




Wolfgang Borchert (20.05.1921 - 20.11.1947)

"Draußen vor der Tür" hat eine solch literarische Potenz, dass es bei jeder Kriegshandlung neu inszeniert werden kann, ob von den Bühnenfachleuten oder von Schülern.

S. die Playlist von youtube.de; im Link:


Erst vor kurzem erfuhr ich, wie stark die fast unbekannte Story "Das Holz für morgen" wirkt, wenn man das Leitmotiv entfaltet.

*

Wer hat besondere Erinnerungen an Borchert? Es würde mich interessieren.

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longtime
miriam
miriam
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Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute, am 20.11. z.B. an Wolfgang Borchert
geschrieben von miriam
als Antwort auf longtime vom 20.11.2009, 10:24:46
Danke dir Longtime - danke auch für deine Frage nach den Erinnerungen an Borchert. Meine stimmen nicht mehr überein mit der Art in der ich ihn heute lese (anhand des eingesetzten Links).

Ich denke, dass alles was wir lesen bzw. widerlesen, auch durch die aktuelle Erfahrung nochmals gefiltert wird.

Die Türe vor der ich stehe besteht zwar - aber sie ist insofern imaginär, da ich dies nur gedanklich und gefühlsmäßig vollziehe - und das auch nur seit ich es mir zumuten kann.

Reell habe ich es mir erspart, dieses Abweisende als wäre man ein Fremdling - und steht trotzdem vor der Türe des Elternhauses das einem einfach gestohlen wurde (nicht durch den Staat - sondern durch private Machenschaften).

Das Faktische draußen vor der Türe stehn, weckt aber wahrscheinlich auch andere, sehr individuelle Assoziationen.
Aber gute Literatur wirkt m.E. immer auf diesen zwei Ebenen: die Faszination die vom Werk ausgeht und das Persönliche - welches damit plötzlich wach wird.
Für letzteres reicht auch eine kleine Stichflamme aus.

--
miriam

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Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute, am 20.11. z.B. an Wolfgang Borchert
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf miriam vom 20.11.2009, 13:19:34
Nicht zu vergessen: Wolfgang Schreyer
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spatzl
enigma
enigma
Mitglied

Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute, am 20.11. z.B. an Selma Lagerlöf
geschrieben von enigma
als Antwort auf longtime vom 20.11.2009, 10:24:46
Von Borchert ging mir alles unter die Haut, was ich bisher von ihm gelesen habe.
Das Buch “Draußen vor der Tür” enthält ja auch noch Kurzgeschichten.

Diese Kurzgeschichten sind auch im Internet zu finden,
hier:

Mir gefallen besonders gut “Das Brot”, “Die Küchenuhr” und “Drei dunkle Könige”, eine besondere Weihnachtsgeschichte. Aber unter der angegebenen Adresse ist ja eine Auswahl möglich.

Der rote Untergrund bei den Texten ist allerdings gewöhnungsbedürftig.
Aber man kann bei Interesse ja die Texte kopieren und bei den eigenen Dateien speichern. Dann sind sie besser lesbar.
Und verstehen kann man sie m.E. auch ohne Interpretation, obwohl viele Interpretationen ebenfalls zu finden sind.

Die drei dunklen Könige kann ich allerdings bei den Mondamo-Texten nicht entdecken.
Darum noch eine Quelle für diese Geschichte - Linktipp!



Gruß


--
enigma
longtime
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Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute z.B. an Wolfgang Borchert
geschrieben von longtime
als Antwort auf enigma vom 20.11.2009, 15:19:19
1996 erschien aus dem Nachlass von Wolfgang Borchert der Sammelband „Allein mit meinem Schatten und dem Mond“. Mit unbekannten Briefen, Gedichten und Dokumenten. Als rororo-TB 13983.

***
Es handelt sich um:
verschlüsselte Bootschaften von der Front, Briefe aus dem Gefängnis, erschütternde Bekenntnisse vom Krankenlager: Lebenszeugnisse eines Dichters, der mit seinem Stück "Draußen vor der Tür" zum wichtigsten Autor der deutschen Nachkriegsliteratur wurde.
*

Die „Deutsche Welle“ sendete diese Rezension:



--
longtime

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longtime
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Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute z.B. an Hermann Sudermann
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 20.11.2009, 18:05:27
Hermann Sudermann (30.9.1857 in Matzicken/Ostpreußen - 21.11.1928 in Berlin)
ist heute ein fast unbekannter Autor der 20er Jahre, als er in ganz Europa berühmt wasr und auf allen Bühnen der Hauptstädte gespielt wurde.
Er galt als Vertreter eines volkstümlichen Naturalismus.

Ich stelle hier eine Episode seiner Lebenserinnerungen, aus seiner Studenetenzeit, ein:


Hermann Sudermann:
Angela


- Aus "Bilder Buch meiner Jugend". 1922 -


Aber eine Geschichte habe ich erlebt, bei deren Erinnerung ein Schauer der Tragik mich heute noch heiß überflutet.

Es war in den Maientagen meines dritten Semesters, und mein Verhältnis zur Couleur war schon so schlecht geworden, daß ich die Kneipe floh, wenn ich nur konnte. Wäre ich daheim geblieben, so hätte man mich aufgefunden und mitgeschleppt; darum trieb ich mich bis in die Spätdämmerung hinein im Volksgarten umher, einer neuen Parkanlage dicht an den Festungswällen, wo ich mich unbeobachtet fühlte.
Obwohl die Gegend nicht in gutem Rufe stand, war mir dort schon öfters ein junges Mädchen begegnet, das offenbar den besten Ständen angehörte und das mich im Vorübergehen aus übernatürlich glänzenden Augen mit dem freundlichen Blick des Wiedererkennens anzuschauen pflegte.

So faßte ich mir endlich ein Herz und zog meine Mütze. Und siehe da! Sie dankte mir mit einer Unbefangenheit, als wären wir längst schon gute Bekannte gewesen. Darum ergab es sich von selbst, daß ich vor ihr stehen blieb und ein Gespräch mit ihr anknüpfte.
Was ich erfuhr, war traurig genug. Sie war an der Schwindsucht krank und schon zwei Winter über im Süden gewesen. Im vorigen Herbste aber hatte sie ein Gespräch des Arztes mit ihrer Mutter belauscht, in dem aus seinem
Munde die Wendung gefallen war, daß dieser Aufenthalt, der der Familie die schwersten Opfer auferlegte, nur noch den Zweck habe, sie selbst über ihren Zustand hinwegzutäuschen, denn heilbar wäre sie doch nicht mehr. Ohne von ihrer Mitwisserschaft eine Spur zu verraten, hatte sie sich infolgedessen geweigert, die Reise noch einmal anzutreten, und dämmerte nun in heiterem Verzichte dem Erlöschen entgegen.
Da ihr das Atmen in frischer und staubfreier Luft verordnet war, habe sie die Erlaubnis, spazierenzugehen, so lange und so spät sie wolle, und weil es auf dem Wege nach den landläufigen Vergnügungsorten der „Hufen" zu lebhaft und zu lärmend war, so habe sie sich den Volksgarten ausgesucht, wovon die Eltern freilich nichts wüßten. Aber es habe ihr noch niemand etwas zuleide getan, und ich sei der erste, mit dem sie je geredet habe.
Ich tröstete, so gut ich konnte. Ich sprach von Wundern, die rings um mich zu völliger Genesung geführt hätten, mein Gott, was tat ich nicht, nur um ein wenig neue Lebenshoffnung in sie hineinzupumpen!
Sie hörte mir mit einem überlegenen, gleichsam verschmitzten Lächeln zu und sagte dann: "Ich bin müde. Wollen wir uns nicht setzen?"
In der Nähe stand eine Bank, von halbverblühten Fliederbüschen ganz überdacht. Die wählten wir uns und saßen inmitten der Dämmerung so versteckt, daß die Vorübergehenden uns fast auf die Füße getreten wären, ohne uns zu bemerken.
Meine neue Freundin hieß Angela. So wenigstens wünschte sie von mir genannt zu sein. Aber ihren Vatersnamen sagte sie nicht.
"Ich bin aus guter Familie", erwiderte sie auf meine Frage, "und was ich jetzt tue, ist uns Mädchen streng verboten. Ich tue es auch nur, weil ich so gut wie gar nicht mehr auf der Erde bin und weil ich doch auch einmal etwas erlebt haben möchte, denn im Grabe erlebt man dann gar nichts mehr. Aber da ich meinen Eltern keine Schande machen darf, müssen Sie mir jetzt Ihr Ehrenwort geben, daß Sie niemals nach mir forschen werden. Auch nicht hinten herum und auf keine Weise. Wollen Sie das?"

Dann, als sie mein Ehrenwort besaß, ließ sie jede Zurückhaltung fallen, lehnte den Kopf an meine Schulter und duldete, daß ich sie an mich zog.
In jener Zeit war es gerade auch dem Laien bekannt geworden, wie ansteckend die Schwindsucht ist, und darum beeilte ich mich nicht, meinen Mund auf ihre Lippen zu legen.
Sie bemerkte mein Zaudern wohl und sagte: "Ich weiß, Sie haben ein Grauen vor mir, denn Sie glauben, mein Atem ist giftig."
Da bezwang ich meine Feigheit und küßte sie.
"Mich hat noch nie ein Mann geküßt," flüsterte sie. Und dann, wie um sich zu entschuldigen: "Aber Mama küßt mich immer, und es hat ihr nie was geschadet."
Und als hätte sie damit den Zoll an ihr Gewissen gezahlt, schlang sie die Arme um meinen Hals und sog sich an meinem Munde so fest, daß sie selbst mit Gewalt nicht zu lösen gewesen wäre.
Da brach ein Hustenanfall ihre Inbrunst mitten entzwei, und ich dachte bei mir. "So küßt der Tod."
Aber weil nun doch schon alles egal war, nahm ich sie von neuem in meinen Arm, und sie konnte sich an meinen Zärtlichkeiten nicht satt trinken.
Bevor wir uns trennten, mußte ich ihr versprechen, morgen abend an der gleichen Stelle zu sein.
Und so geschah es auch.

Daß ich todgeweiht war wie sie, darüber hegte ich fürs erste keinen Zweifel. Aber was tat das mir? Ich liebte sie ja, und weil ich sie liebte, wollte ich ihr gern ins Grab hinein folgen.
Nein, gerne nicht. Denn mein erstes Drama: "Die Tochter des Glücks" war fertigzuschreiben und manches andere noch hinterher.
Aber das Schicksal hatte es nicht gewollt, und darum hieß es mit Freuden zugrunde gehen.
Als sie mir folgenden Abends entgegenkam, lag ein Leuchten auf dem schmalen, in Weiß und Rosenrot getauchten Angesicht, als käme sie schon als Seraph aus Himmelshöhen.
Und dann, wie wir auf unserem "Bankchen" saßen und ich mich nicht entbrechen konnte, ihr von meiner Tochter des Glücks" zu erzählen, da lächelte sie selig und flüsterte, sich an mich schmiegend: „Ich bin auch solch eine Tochter des Glücks."
Manchmal, wenn sie sich nicht enge genug an mich drücken konnte, warf sie sich mit wilder Gebärde auf meinen Schoß und war dann so leicht wie ein Vogel.
Am dritten oder vierten Abend erklärte sie, sie wolle mich morgen besuchen. Ich machte Ausflüchte, sagte, daß verschiedene Couleurbrüder dicht neben mir hausten und daß ich ihren Bestich nicht würde rechtfertigen können.
Aber sie ließ sich nicht abtrösten.
"Ich werde im Halbdunkel kommen, so daß mich keiner mehr sieht, und still werde ich sein wie ein Mäuschen."
Und als ich einwarf, wir hätten ja hier viel mehr voneinander, deckte sie all ihre Wünsche auf und sagte ganz ruhig entschlossen: "Ich will dein geweser sein, bevor ich sterbe."
Wie sehr ich auch nach ihr verlangte, das Geschenk, das sie mir hinwarf, schien mir zu groß, als daß ich es empfangen dürfte, und das sagte ich ihr.
Aber sie lächelte nur ungläubig und entgegnete, die Unterlippe herabziehend: "Ich weiß, wovor du Angst hast! Daß ich in deinen Armen den Blutsturz kriegen werde und daß dein schönes, weißes Bett damit besudelt ist."
Und wie immer, wenn ich ihr nicht zärtlich genug erschien, warf sie mir vor, ich hätte einen Ekel vor ihr, ich sähe sie schon in Verwesung, und es wäre das beste, sie mache freiwillig ein Ende mit sich.
Da erkannte ich, daß ich sie nicht in Verzweiflung treiben dürfe, und beschloß, sie hinzuhalten von einem Tage zum andern. Dabei aber liebte ich sie immer mehr. Tod und Leben es war mir alles gleichgültig geworden.
Damit uns niemand beisammen sehen konnte, pflegten wir uns beim Abschied schon am Ausgange des Parkes zu trennen, so daß ich nicht einmal wußte, in welcher Stadtgegend sie zu Hause war.
An einem der nächsten Nachmittage aber, als ich den Hinter Tragheim entlang zu Reubekeuls ging, erkannte ich plötzlich ihre Gestalt, die eigentümlich gleitend vor mir daherschritt.
Ich erschrak sehr, denn wenn sie sich umdrehte, mußte sie glauben, ich hätte meinem Ehrenwort zum Trotz ihre Wohnung erkundschaften wollen. Darum hielt ich an, bis eine größere Entfernung zwischen uns lag. Ich vermochte gerade noch ungefähr das Haus zu erkennen, in dem sie verschwand. Ob es das ihre war, oder ob sie nur einen Besuch darin machte, konnte ich freilich nicht wissen, und als ich abends mit ihr zusammentraf, hütete ich mich wohl, den Zufall zur Sprache zu bringen.

Am nächstfolgenden Abend wartete ich vergebens und wartete noch viele Abende lang.
Und wieder an einem Nachmittage, als ich zu Reubekeuls ging, geschah es, daß ich vor den Häusern, in deren eines ich sie hatte eintreten sehen, die Straße schwarz fand von Karossen und wartenden Menschen Und ein Leichenwagen war auch da. Ich kann nicht einmal sagen, daß ich einen Schreck bekam. Ich dachte mir nur: „Das mag sie wohl sein."
Und dann stellte ich mich in eine nahe Haustür, ließ mir die Tränen über die Backen laufen und wartete. Wartete gar nicht lange. Da schwankte auch schon ein schwarzer Sarg, blumenverhangen, durch das weitgeöffnete Haustor und wurde auf den Wagen geschoben, der langsam davonrollte, während die Karossen sich mit weinenden oder stumpfsinnig glotzenden Menschen anfüllten.
Hinter jeder sogenannten "schönen" Leiche trottet ein Haufe von Klageweibern und anderen Nichtstuern her. Ihm schloß ich mich an und gelangte so unauffällig bis auf den Kirchhof, immer von dem Gedanken gequält, ob sie es wohl sei oder wer anders. Der offenen Grube wagte ich mich nicht zu nähern, denn ich war in hellem Sommeranzug und sah auch sonst ziemlich verwegen aus. Darum hörte ich von dem Abschiedsgebete des Geistlichen nur vereinzelte Worte, aus denen ich mir einen rechten Vers nicht machen konnte. Ich hätte es ja sehr leicht gehabt, bei den Leichenkutschern oder den Totengräbern Erkundigungen einzuziehen. Ob der Sarg ein junges Mädchen barg, mehr brauchte ich gar nicht zu wissen. Aber wie hatte die Klausel gelautet? "Auch nicht hinten herum und auf keine Weise." Und mit meinem Ehrenworte nahm ich es sehr genau.

Heute erscheinen mir meine Bedenken lächerlich und beinahe nicht glaubenswert. Damals aber war ich so von ihnen besessen, daß ich jede Versuchung, mir Gewißheit zu verschaffen, empört zurückgewiesen haben würde.
Und dann war wohl auch noch ein wenig Romantik dabei. Die immer noch bleibende Hoffnung, sie könne mir auf der Straße eines Tages begegnen, umschmeichelte mich mit spannenden Bildern. Und wenn ich auch nicht mehr nach dem Volksgarten ging, in der Frühsommerdämmerung an dem schwarzscholligen Grabe zu stehen, dessen Kränze langsam verrotteten, und sich dabei vorzustellen: "Vielleicht ist sie es gar nicht," bot einen dauernden Genuß, dessen schmerzliche Seligkeit ich mir nicht zerstören durfte.
Jedenfalls: Tief kann meine Liebe zur ihr nicht gegangen sein, sonst hätte ich den Zweifel nicht lange ertragen. Und auch heute habe ich keine Gewißheit darüber, ob ich hinter ihrem Sarge hergegangen bin oder nicht.
*
(Eine sehr zarte, ganz eigenartige Episode aus "Das Bilderbuch meiner Jugend". "Roman einer Zeit". Zuerst 1922. Ausgabe 1949. 43.-46. Tausend). S. 210 - 216)

Anm.:
Schwindsucht. Damals unheilbare Lungenkrankheit, allgemeine Abzehrung auf den Tod.
"Tochter des Glücks"; Drama vor 1878 verfasst; nicht gedruckt.

--
longtime
enigma
enigma
Mitglied

Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute z.B. an Hermann Sudermann
geschrieben von enigma
als Antwort auf longtime vom 21.11.2009, 01:43:12
Hallo Longtime,

ja, eine sehr schöne Geschichte einer unerfüllten und doch in der Erinnerung auch irgendwie erfüllten jungen, aber hoffnungslosen Liebe.

Zuletzt habe ich während einer Reise durch das Baltikum vor einigen Jahren mit unserem Reiseleiter über Hermann Sudermann gesprochen. Der, ein junger Mann, kannte Namen und Werke von Sudermann noch. Seine Mutter, eine ehemalige Lehrerin, die uns auf einer Fahrt begleitet hatte, war noch besser im Bilde.
Beide, Mutter und Sohn, kamen aus Klaipedia (früher Memel).

Ich glaube auch, dass Sudermann heute tatsächlich weitgehend unbekannt ist, obwohl ich gelesen habe, dass mit den Stücken des Dramatikers Sudermann so bekannte Schauspielerinnen wie Sarah Bernhardt und Eleonora Duse Triumphe gefeiert hatten.

Als große Freundin von Erzählungen habe ich früher einige der Geschichten von Sudermann gelesen, wie z.B. “Die Reise nach Tilsit”.
Als ich gestern im Kalender seinen Namen las, habe ich ein bisschen gesucht und bei Gutenberg und auch bei zeno.org einiges von Sudermann gefunden.

Ich stelle mal den Link ein, der zu einigen seiner Werke bei “Gutenberg” führt - Linktipp!


Gruß


--
enigma
miriam
miriam
Mitglied

Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute z.B. an Hermann Sudermann
geschrieben von miriam
als Antwort auf enigma vom 21.11.2009, 09:23:31
Heute gibt es ein richtiges Kontrastprogramm, denn Longtime erinnert an den heute fast unbekannten Hermann Sudermann, ich aber an eine weltweit bekannte Persönlichkeit, dessen Einfluss nicht nur in der westlichen Welt für unser Denken von großer Bedeutung gewesen ist:
Voltaire – geboren am 21. November 1694 in Paris, wo er am 30. Mai 1778 auch starb.

Sein Jahrhundert wurde nach ihm genannt, es wird oft als "Le siècle de Voltaire" gekennzeichnet – und dies zu Recht.

Die Aufklärung (in Französischen viel poetischer als "Le siècle des Lumières" bezeichnet), ist hauptsächlich den Werken von Voltaire, Denis Diderot, Jean Jacques Rousseau, Gotthold Ephraim Lessing, Moses Mendelssohn, Immanuel Kant, John Locke – um nur einige wenige Namen zu erwähnen - zu verdanken.

Voltaires echter Name ist François Marie Arouet , er stammte aus einer gutbürgerlichen, wohlhabenden Familie – sein Vater war Gebühreneinnehmer, eine sehr gut bezahlte Funktion in jener Zeit, die sich im Französischen "receveur d’épices" nennt. Dies könnte mit "Gewürzeempfänger"(?) – übersetzt werden, was mich schon in jüngeren Jahren darüber rätseln ließ, welche wohl diese Gewürze sein könnten, die zum Reichtum führen.

Anlässlich der Ermordung von Jean Calas, ein Baumwollhändler aus Toulouse der ein Hugenotte war, schreibt Voltaire seinen berühmten Traité sur la tolérance à l`occasion de la mort de Jean Calas. (1763)

Zitat:


"Hier schreibt Voltaire in vollem Aufruhr nach der Ermordung von Jean Calas, eines Toulouser Baumwollhändlers und Hugenotten. Letzteres war Calas' einziges Vergehen: er war Hugenotte, gehörte nicht der katholischen Kirche an. Voltaire fordert zur Zivilisierung der Menschheit zuallererst Toleranz. Darunter versteht er aber nicht, wie heute so viele, dass man ohne Sinn und Verstand alles herauserzählen können soll, was einem in den Kopf kommt und auch nicht, dass man seinem Todfeind jederzeit, auf allen Kanälen Propagandaplattformen bieten muss[…], sondern vor allen anderen Dingen, dass man diejenige Institution, die jede abweichende Meinung Jahrhunderte lang mit Feuer, Schwert und Scheiterhaufen ausgelöscht hat, endlich zwingen muss, gegenüber anderen Religionsgemeinschaften und anderen Meinungsäußerungen zurückzustecken: die Kirche."

www.correspondance-voltaire.de/html/toleranz.htm

Wie gefährlich es hauptsächlich im 17. aber auch noch im 18. Jahrhundert war über Toleranz zu schreiben, beweist die Tatsache, dass John Locke im Jahr 1667 auch seine Gedanken darüber in einer Schrift festhielt – dies in Latein (Epistola de tolerantia), die er einige Jahre später anonym publiziert.

In Deutschland ist eigentlich Lessings "Nathan der Weise" das erste wichtige Dokument der Auseinandersetzung mit diesem neuen Gedanken der Toleranz, in dessen Mittelpunkt bzw. dessen Ursprung die Duldung aller Konfessionen steht (später wird dieser Gedanke viel breiter gefasst).

Zurück zu Voltaire: bekannt ist sein Satz:


"Ich kann keinem Ihrer Worte zustimmen, werde aber bis an mein Ende Ihr Recht, diese auszusprechen, verteidigen."

Ob dieser Satz heute noch als gültig betrachtet werden kann, sei dahingestellt – es wäre eigentlich für sich ein sehr interessantes Thema.

Doch zurück zur Aufklärung – denn über Voltaire und andere große Geister jener Zeit zu sprechen, bedeutet ja immer auch sich nochmals im Klaren zu sein, was jene Epoche bedeutet hat.
Um es zu verdeutlichen wie groß die gesellschaftlichen Umwälzungen sind die durch die großen Denker der Aufklärung verursacht wurden, nur ein kleines Beispiel: es gab bis zur Aufklärung eine solche Obrigkeitsgläubigkeit, dass in vielen Fällen die revolutionären Ansätze von oben kamen – und nicht in erster Instanz vom Volk.

Zu erwähnen wäre auch das Verhältnis Voltaires zu Friedrich II. von Preußen.

Im Sommer 1750 folgte Voltaire der Einladung Friedrichs dem Großen nach Potzdam - als Königlicher Kammerherr. Leider entsprach schon im Jahr 1951 der Kammerherr nicht ganz den Vorstellungen seiner Majestät, da der Philosoph sich in illegalen Werhpapieregeschäfte eingelassen hatte, die in einem Prozess endeten,

Aber er war ja vielseitig, der Königliche Kammerherr - und so brachte er schon im Jahr 1751 in Berlin sein "Siècle de Louis XIV" heraus ("Das Jahrhundert Ludwigs XIV."), ein umfangreiches Bild bzw. eine Analyse der französischen Geschichte des 17. Jahrhunderts.

Das Philosophische und literarische Werk Voltaires ist sehr umfangreich, daraus erwähne ich:

- Der Fanatismus oder Mohammed der Prophet (1743)

- Zadig oder das Schicksal (1747) welches eine Auseinandersetzung mit der Macht und dessen Missbrauch ist – zugleich eine Enthüllt des religiösen Fanatismus.

- Das Zeitalter Ludwigs XIV. (1751)

Aus Voltaires Werk möchte ich hauptsächlich "Candide ou l’optimisme" hervorheben – eine Auseinandersetzung mit Leibnitz und seiner Theodizee-Konzeption.

Ein wichtiger – wenn auch sehr ernüchternder Satz soll am Ende dieses Versuchs stehen, einiges über Voltaire, über den Gedanken der Toleranz und über die Aufklärung zu schreiben:


"Ja, vieles ist schiefgelaufen! Am Ende der Aufklärung also steht nicht,
wie Kant und die Aufklärer alle hofften, der mündige Mensch, sondern das Goldene Kalb"


(Max Frisch – Solothurner Literaturtage 1986)


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miriam
enigma
enigma
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Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute z.B. an Hermann Sudermann
geschrieben von enigma
als Antwort auf miriam vom 21.11.2009, 10:14:11
Und dann haben wir noch Heinrich von Kleist, den Dramatiker, Erzähler, Lyriker, der am 21. November 1811 verstorben ist.
Erste “Berührungen” mit dem Werk von Kleist werden meist schon im Deutschunterricht der Schule hergestellt, so dass fast jede/r “Michael Kohlhaas” oder “Das Käthchen von Heilbronn”, “Der zerbrochne Krug” oder...oder... zumindest kennengelernt hat.

Wer will/kann noch Vertiefendes zu Heinrich von Kleist anbieten?

Ein Text von Theodor Fontane zu “Kleists Grab” hier:
Und ein weiterer kurzer Text über die Beziehung von Henriette Vogel und Heinrich von Kleist mit Foto der Grabstätte Kleists mit der Gedenktafel für Henriette Vogel. Der ursprünglich bei Fontane noch angegebene Grabspruch für Kleist wurde 1941 geändert und mit der Inschrift "Nun, O Unsterblichkeit, Bist Du Ganz Mein" (aus dem „Prinz von Homburg“ )ersetzt -
Linktipp!

Was mag heute für ein Gedicht auf dem Grab liegen?


Gruß




--
enigma

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