Forum Kunst und Literatur Literatur Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute - am 9.10. - z.B. an:

Literatur Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute - am 9.10. - z.B. an:

longtime
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Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute z.B. an Paul Celan und ??
geschrieben von longtime
als Antwort auf enigma vom 24.11.2009, 11:55:29
Ja, entschuldigen bitte, miriam, dass die Verbindung nicht klappte!

(„Uni-protokolle.de“ ist ständig überlastet; wg. der Vielfalt der Fächer und des Umfangs dieses Uni-Forums. – Es erfolgt dann vom Surver nach einer vergeblichen Wartezeit eine Unterbrechung: „Die Verbindung zum Server wurde zurückgesetzt, während die Seite geladen wurde.“ – Das bedeutet, dass ich dort fast nur nach Mitternacht arbeite.)

Es ist also eine Kurzinterpretation zu Celans Gedicht „Mit wechselndem Schlüssel“ nach der Anfrage eines Studenten, die ich im Jahre 2007 geschrieben habe:

Deshalb stelle ich hier meine Analyse – unter meinem dortigen Forums-Nick „Generaltoni“ – ein, die Reaktion auf die Bitte des Studenten ein, unter URL.:

http://www.uni-protokolle.de/foren/viewt/159088,0.html?sid=3ba88f3345d18eeb7484628225186b1a


Zu dem angefragten Celan-Gedicht

Der Text Pauls Celans lautet:

MIT WECHSELNDEM SCHLÜSSEL

Mit wechselndem Schlüssel
schließt du das Haus auf, darin
der Schnee des Verschwiegenen treibt.
Je nach dem Blut, das dir quillt
aus Aug oder Mund oder Ohr,
wechselt dein Schlüssel.

Wechselt dein Schlüssel, wechselt das Wort,
das treiben darf mit den Flocken.
Je nach dem Wind, der dich fortstößt,
ballt um das Wort sich der Schnee.

*
(Aus: P.C.: „Von Schwelle zu Schwelle“. Für Gisèle. Stuttgart 1955. S. 36)


Es ist das Hauptgedicht aus dem Zyklus
„MIT WECHSELNDEM SCHLÜSSEL“.

Nur auf dieser URL. wird es direkt mit der NS-Verfolgung Celans und aller Juden in Beziehung gesetzt; aber ohne dass hier biografische oder historische Einzelheiten erklärt wären:

http://www.lpb-bw.de/publikationen/ghettos/b10.htm

Meine Meinung - und Interpretation - geht darüber hinaus:

Der Text ist ein allgemeines, existenzielles „Schlüssel- d.h. Versthens-Gedicht“ über Kommunikation und Verständigung über Tod und den Bezeichnungen für Tötung und Tod.

Wer auch das nicht genannte lyrische oder biografische Ich ist (das natürlich Celan als poetischer Konstrukteur selbst einschließt), es erlaubt sich in der Anrede, in der Zu-Mutung ein „du“, ein „dir“, ein „dein“ zu formulieren; mit dem Auftrag oder der Zusicherung oder der Verpflichtung der Bemühung um den konkreten Schlüssel des (gemeinsamen) Hauses oder der (bildlich-abstrakten) Erkenntnis um die gemeinsame Möglichkeit der Erinnerung an den Tod, der nur durch das „Blut“... „aus Aug oder Mund oder Ohr“ beschrieben ist.

Dieses Schreckens-Bild kann die Tötung eines geliebten Menschen( z.B. der Eltern Pauls Celans) in Erinnerung halten und zur gemeinsamen Totenehrung aufrufen; aber auch die gemeinsame Aufgabe der Bewältigung von „Sterben“, Nicht-Kommunikation, Mord und Benennung einer gemeinsamen Lebensintention (da ja seine Frau Giselle als "Partnerin" im ganzen Gedichtband gemeint ist): Zeuge zu sein „für“ Mord und Verfolgung und die kaum vorhandene ode verkraftbare Fähigkeit, Worte dafür zu finden.

Wenn du die celan-typische, chiffrierte Bildlichkeit generell, ohne einzelne Deutung, von „Schnee, Flocken und Wort, um das sich Schnee „ballt“ ableitest, hast du die Unsagbarkeit der lyrischen Mitteilung in all der Kälte und dem Verlust und Empfindungsstörung oder -losigkeit als Kommunikationshindernis erfasst: Es ist der Versuch, das Nicht-mehr-Sagbare zu verbildlichen, wozu jeder Leser selbst Stellung beziehen muss, und sei es im Protest gegen die Umstände, die eine solche historische oder soziale oder religiöse Welt verursachten, wie sie Celan erleben musste und beispielhaft mitzuteilen versucht hat.

Ich habe jetzt gemerkt, dass ich jetzt beim Durchlesen den Forums-Text geringfügig korrigiert habe, ohne Sinnveränderung allerdings.

Gruß an alle, die sich für "Literatur an der Grenze des Schweigens" interessieren!

--
longtime
Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute z.B. an Paul Celan und ??
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf longtime vom 24.11.2009, 12:25:34

Ludwig Bechstein
hat heute Geburtstag.

Sprüche von Ludwig Bechstein z.B.

"Jedes Gefühl hat seine Tränen"

"Dem Unersättlichen in jeglichem Genuss
wird selbst das Glück zum Überdruss"

--
spatzl
enigma
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Mitglied

Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute z.B. an Paul Celan und ??
geschrieben von enigma
als Antwort auf longtime vom 24.11.2009, 12:25:34
Hallo Longtime,

das,was Du geschrieben hast, ist schwere Kost, sehr schwere Kost.

Ich traue mich auch kaum nachzufragen, ob ich Deine Interpretation richtig verstanden habe, aber ich versuche einfach mal, meine Gedanken dazu zu äußern.

Du sagst, dass Deine Interpretation und Meinung über den Bezug des Gedichts ausschließlich auf die NS-Verfolgung Celans und aller Juden hinausgeht. Das gibt ihm ja dann eine noch allgemeingültigere Bedeutung.

Würde das bedeuten, dass die Aussagen des Gedichts und vor allem auch Deine Interpretation, auf heutige Situationen bezogen in etwa auch auf die Kriegsheimkehrer von verschiedenen Kriegsschauplätzen zutreffen könnten?
Auch da haben wir ja Beispiele von traumatisierten Heimkehrern, die, das kann man ohne Übertreibung sagen, noch das Grauen, die Bilder des Krieges, die Toten, die Verwundeten, in sich tragen und zunächst sprachlos sind.
Oft können sie sich weder ihren Frauen/Familienangehörigen noch Freunden öffnen oder begreiflich machen, was sie erlebt haben.
Wenn sie nicht Hilfe erhalten, die ihnen eine Kommunikation ermöglicht, um den Leidensdruck abzubauen, wird oft die Lebensbasis für ganze Familien zerstört. Eine Zukunft kann in der Regel nur dann sinnvoll gelebt werden, wenn die Kriegserlebnisse be- und verarbeitet werden, jedenfalls so gut das überhaupt geht, wobei oft erschwerend hinzukommt, dass ihre Bezugspersonen nicht das Gleiche erlebt haben und sich in eine zwar in etwa vorstellbare, aber nicht selbst erlebte Situation hineindenken oder -fühlen müssen.

Ich habe selbst früher noch alte Leute gekannt, die im Krieg Schreckliches erlebt haben und mit ihren Familienangehörigen nie darüber gesprochen haben, nicht darüber sprechen konnten.
Aber sie litten immer noch an Alpträumen.
Und oft haben sie auch gesagt, dass niemand sich vorstellen kann, was der Krieg ihnen angetan hat.

Entschuldigung, wenn ich jetzt von Celan und dem rein literarischen Thema weggekommen bin.
Aber können wir nicht auch Borchert als Beispiel nehmen, der ebenfalls vom Krieg gezeichnet war und blieb?
Und Borchert hat protestiert gegen den Krieg, in dem er seine Ablehnung ausdrückte: “Sagt nein!”


PS
Danke für den Bechstein, Spatzl.


--
enigma

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enigma
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Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute z.B. an Paul Celan und ??
geschrieben von enigma
als Antwort auf enigma vom 24.11.2009, 17:33:36
Sorry, Tippfehler.
Im letzten Satz heißt es: ...indem er seine Ablehnung .....
Sonst entsteht ja ein falscher Sinn.
--
enigma
longtime
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Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute z.B. an Paul Celan und ??
geschrieben von longtime
als Antwort auf enigma vom 24.11.2009, 17:40:10
Danke für die Ergänzung zu Celan, liebe enigma!

Der gesamte Lyrikband ist aber an seine Frau gerichtet; da würde ich thematische Erweiterungen für einzelne Texte natürlich nicht ausschließen; aber diese Widmung nicht außer acht lassen.

*

Zum 25.11.09:

Am heutigen Tage wäre Dieter Leisegang 67 Jahre alt geworden. (25.11.1942 - 21.03.1973)

Dieter Leisegang, geboren in Wiesbaden, machte 1963 das Abitur und studierte anschließend Philologie und Geschichte.
Nach der Promotion 1969 arbeitete Leisegang u.a. als Dozent für Text und Rhetorik an der Fachschule für Industriewerbung und Absatzförderung in Kassel (1968-1971) und als freier Mitarbeiter in der Redaktion "Kunst und Literatur" beim Hessischen Rundfunk, Abt. Fernsehen und als Lehrbeauftragter für Philosophiegeschichte an der Johann-Wolfgang-von-Goethe-Universität in Frankfurt.

Das literarische Werk besteht aus mehreren schmalen Lyrikbänden, die in kleinen Verlagen in den Jahren 1962 bis 1973 erschienen und weitgehend unbeachtet blieben. – Für seinen Freitod am 21. 3. 1973 sind - wie üblich und auch verständlich - öffentlich keine Motive bekannt gemacht worden.

D.L. gehört zur unbekannten Garde deutscher Lyriker.

*

Die Gesamtausgabe seiner Lyrik, das wichtigste Buch von Leisegang, steckt bei mir noch in einem Umzugskarton, so dass ich mein Lieblingsgedicht von ihm nicht anzeigen kann:

"Lauter letzte Worte"

*

Im Internet auffindbar zu seinem Werk sind drei Gedichte:

„Einsam und allein“
„Coca Cola“
„Die alten Themen“

Leisegang zu lesen

*

Ich füge hier Aphorismen von Leisegang an:

„Das hat mir weh getan.“ - Meinst Du den Stern, der hinter Deinem Rücken aufging?

*
Ein Weiterleben nach dem Tode halte ich allein deshalb schon für gesichert, weil ich kaum glauben kann, dass sich das Unglück so schnell zur Ruhe setzt.

*
„Er ging in sich.“ - Kein Wunder, dass er sich verlief.

*

Eine weitere Schwierigkeit: Die Vernunft ist monogam.


Grüße für den hoffentlich schönen Herbsttag:

--
longtime
enigma
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Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute z.B. an Paul Celan und ??
geschrieben von enigma
als Antwort auf longtime vom 25.11.2009, 05:58:08
Danke Longtime,

ja, ich weiß ja, dass das, was ich geschrieben habe, nicht mehr Inhalt der Interpretation des Gedichts von Celan sein kann, die Du eingestellt hast, sondern eher ein eigener Versuch der Übertragung auf gegenwärtige Situationen und deren Auswirkung auf Individuen, nicht mehr bezogen also auf den Lyrikband von Celan, sondern ganz allgemein.
Insofern bin ich nicht beim Thema “Celan-Interpretation” geblieben.

Danke für den Beitrag über Dieter Leisegang.

Gruß

--
enigma

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longtime
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Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute z.B. an Paul Celan und ??
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 25.11.2009, 05:58:08
Ich liefere nach:

Dieter Leisegang:
Elegie

Komm, Liebste, wir machen alles neu
Die Welt und was wir so brauchen
(...)

Fortsetzung im Linktipp nachzulesen:

Aus: Lebensalter. Gedichte. Hrsg. von Peter Härtling. München 2003: C.H. Beck. S. 62.


--
longtime
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Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute z.B. an Veza Canetti
geschrieben von longtime
als Antwort auf miriam vom 21.11.2009, 10:14:11
Ich füge einen Nachtrag zum 21. November ein, den ich nicht bis zzum Jahr 2010 aufheben will:

VEZA CANETTI


Die österreichische Erzählerin Veza Canetti wurde als Venetiana Taubner-Calderon am 21.11.1897 in Wien geboren und starb als Gattin des Literaturnobelpreisträgers Elias Canetti am 1. Mai 1963 in London.

Sie ist Verfasserin von sozialkritischen Erzählungen und Romane, mit denen sie nach 1931 als selbstständige Autorin begann.

Auch als Übersetzerin aus dem Englischen (z. B. Graham Greenes „Die Macht und die Herrlichkeit“, war si anerkannt und erfolgreich, wurde aber nicht korrekt benannt, da sie unter Pseudonym veröffentlichen musste. - In meinem Exemplar von Greenes „Die Kraft und die Herrlichkeit“ (deutsch als rororo 1953) stehen als Übersetzer angegeben: Veza Magd und Walter Puchwein.

In Canettis dreibändiger, großartiger Autobiografie („Die gerettete Zunge“, “Die Fackel im Ohr; „Das Augenspiel“) ist von Vezas eigener schriftstellerischer Tätigkeit nirgendwo die Rede.

Einzelheiten, soweit bisher überhaupt Klärungen möglich waren, hier nachzulesen; s. Linktipp:


*

Veza und Elias Canetti (ohne Jahresangabe):




Hier noch eine Textprobe aus ihrem Roman: „Die Schildkröten“, der ihre Flucht aus Austria verarbeitet:

“Diese vielen Braunhemden in der Allee! Er steigt in den Garten wie ein Mensch, der nicht mehr hier wohnt. Der hier fremd ist und kein Recht hat. Zum ersten Mal war er unsicher in diesem Haus, obwohl doch eben die Frau, der es gehört, sich freundlich gezeigt hat, fast mit einer Miene, als beschütze sie ihn. Sie ist sonst klar im Kopf und gar nicht weich. Südtirol hat er ihr versprochen, sie tat ihm leid. Mein Gott, wie klein sind ihre Schmerzen, und seine haben in dem Garten nicht Platz. Man muß weglaufen, wenn auch mitten hinein in die braune Rotte. Denn, wenn man nicht läuft, bricht man zusammen. Nur nicht die Haltung verlieren. Schwer, sie zu bewahren, wenn man den Berg hinunterrast, mit großen Schritten ins Dorf hineinläuft.
(...)

Die Schildkröte lebt in einem harten Panzer, aber er wird ihr geraubt, weil er so schön ist, er schützt sie nicht und sie bleibt nackt.
Ihr Geheimnis ist Gleichmut. Sie lebt von nichts, von Luft, von Blättern, sie läßt sich zerschneiden, zerstückeln, zerreißen, und sie lebt weiter, stumm und schwer. Aber sie braucht Wärme.
Ohne Wärme muß sie sterben.
Erspäht sie der Geier, muß sie sterben. Er trägt sie hoch in die Luft, in seinen grausamen Krallen, und läßt sie am Felsen zerschmettern. Jetzt ist ihr Fleisch sein Fleisch, jetzt verzehrt er ihr Fleisch.
Erspäht sie der Tiger, muß sie sterben. Er legt sie um und nun ist sie verloren. Er zerfetzt sie und verzehrt ihr Fleisch. Er rast um sich und in wilder Kraft legt er alle um, alle, die er findet. Er läßt sie auf dem Rücken liegen und die Schildkröte auf dem Rücken muß verhungern. Es sei denn, es erspäht sie der Mensch. Er bewundert ihren Panzer, er glänzt so schön. Der Mensch bringt das Tier zum Glühen, damit der Panzer sich löst und sein Wunsch sich erfüllt. Ist es denn ein großer Wunsch? Der Mensch ist behutsam, er sieht bald, daß das Feuer den Glanz vermindert. Er wirft das Tier doch lieber in siedendes Wasser, damit der Panzer keinen Schaden nimmt. Das Gehäuse ist gerettet und das Tier kriecht todwund davon.“

*

Informativ:

„Briefe an Georges“, den Bruder Elias Canettis, hat der Carl Hanser Verlag (PDF) eingestellt:

Vezas Brief an Georg Canetti (dem Bruder Elias')



--
longtime
Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute z.B. an Veza Canetti
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf longtime vom 25.11.2009, 13:36:14
Krimifans erinnern sich an

Francis Durbridge

Ich lese immer wieder verschiedene Geburtstage von Durbridge, den 24.11. und den 25.11. Welcher nun richtig ist? - Vielleicht wisst ihr es?
--
spatzl
longtime
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Re: Neueste Folge: Literaturfreunde denken heute z.B. an Veza Canetti
geschrieben von longtime
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 25.11.2009, 17:48:27
Tja, spatzl; das ist mein Beitrag zur Frage:
Ob das stimmt, was irgendeiner, der für Wiki arbeitet, eingesetzt hat:

Francis Henry Durbridge (* 25. November 1912 in Hull, Yorkshire; † 11. April 1998 in London) war ein britischer Schriftsteller, Theater-, Hörspiel- und Drehbuchautor, letzteres vor allem für Fernsehkrimis.


Schönen Abend ffür Dich - und schöne, d.h. wichtige Ehrenautoren für morgen, wünsche ich unserer kleinen ST-Gruppe!

Anton R.

--
longtime

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