Literatur Schöne Lyrik

Sirona
Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Steinherz.jpg(Pixabay kostenlos)

Nicht alle Schmerzen sind heilbar
Ricarda Huch

Nicht alle Schmerzen sind heilbar, denn manche schleichen
sich tiefer und tiefer ins Herz hinein.
Und während Tage und Jahre verstreichen,
werden sie Stein.

Du sprichst und lachst, wie wenn nichts wäre,
sie scheinen zerronnen wie Schaum.
Doch du spürst ihre lastende Schwere
bis in den Traum.

Der Frühling kommt wieder mit Wärme und Helle,
die Welt wird ein Blütenmeer.
Aber in meinem Herzen ist eine Stelle,
da blüht nichts mehr.



 
Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Kindheit.jpg(Pixabay kostenlos)

Andenken der Kindheit
(Charlotte von Ahlefeld - 1781-1849
)

Auf der Kindheit längst vergangnen Tagen
weilet oft mein still umwölkter Sinn,
und aus meinem Herzen brechen Klagen,
dass ich nun nicht mehr so glücklich bin!

Angestrahlt vom Morgenroth des Lebens,
lachte mir der Frühling überall!
Keine Blume blühte mir vergebens -
Melodie war mir der Wasserfall.

Unbekannt mit schmerzlichen Gefühlen,
rauschte harmlos, wonnevoll und frei
an der Seite lustiger Gespielen
mir vorüber meiner Kindheit Mai.

Aber dauernd prägten sich die Bilder
seiner reinen Freuden mir in's Herz,
und des Lebens Dunkel wird mir milder,
denk' ich ihrer mit der Sehnsucht Schmerz.

Darum kehr' ich gern in deine Fluren
stilles Dörfchen, aus dem Lärm der Welt,
denn in dir begegnen mir die Spuren
jener Zeit, die noch kein Gram entstellt.

Lächelnd grüsst mich jedes Plätzchen wieder,
wo ich mich im heitern Spiel verlor,
und noch tönt, süss wie Sirenenlieder,
klarer Bach, dein Flüstern meinem Ohr.

Goldne Zeiten, wo ich, gleich der Biene,
Honig in dem kleinsten Blümchen fand!
Wo die kindlich ungetrübte Miene
noch der Flor der Wehmuth nicht umwand.

Goldne Zeiten - euerm Angedenken
werd' ich oft in stiller Einsamkeit
Augenblicke der Erinn'rung schenken,
Tränen - euerm frühen Glück geweiht.

Möchte einst der Abend meiner Tage
mild und freundlich wie der Morgen seyn,
o dann trüg ich mit verstummter Klage
jetzt des Mittags schwülen Sonnenschein.



 
Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
DSC03565 (2).JPG

Engel umschweben uns

Engel umschweben uns,
Wo wir auch gehn,
Engel umgeben uns,
Wie wir uns drehn.

Doch wir erkennen sie
Nicht in dem Licht,
Und zu benennen sie
Wissen wir nicht.

Selber zu blenden uns
Scheinet der Glanz,
Wir von ihm wenden uns
Halb oder ganz.

Aber nun haben wir
Engel ein Paar,
Denen ja gaben wir
Namen fürwahr.

Und nicht vergaßen wir:
Wirklich einmal
Selber besaßen wir
Leiblich den Strahl.

Sollten wir wenden uns
Ab von dem Glanz?
Sollten verblenden uns
Halb oder ganz?

Nein, wir erkennen euch
Freudig im Licht,
Und zu benennen euch
Zweifeln wir nicht.

Lächelnd ihr gebet uns,
Wohl zu verstehn,
Daß ihr umschwebet uns
Wo wir auch gehn.

Friedrich Rückert

 

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Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
als Antwort auf Roxanna vom 04.07.2020, 08:25:10
Liebe Ingeborg,

zu diesem wunderbaren Rückert-Gedicht fällt mir der "Elias" von Mendelssohn-Bartholdy ein.

 

Wenn auch Engel für unsere Augen unsichtbar sind, so sind sie dennoch existent. 

LG Sirona

 
Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Denunziant.jpg

Der Denunziant

Willst wissen du, mein lieber Christ,
wer aller Menschen Auswurf ist?
Die Antwort liegt ja auf der Hand:
es ist allein der Denunziant. 

Gefährlich ist ein toller Hund,
gefährlich ist der Lügenmund,
gefährlich ist, wer stiftet Brand,
gefährlicher der Denunziant. 

Verpestet ist fürwahr die Luft,
wo atmet solch ein Schelm und Schuft.
Verpestet ist ein ganzes Land,
wo schleicht herum der Denunziant. 

Durchs ganze Leben Schimpf und Schmach
geht im voran und folgt ihm nach.
Der Menschheit Schandfleck wird genannt
der niederträcht’ge Denunziant.

Wird er erblickt im Freundeskreis,
macht man ihm bald die Hölle heiß
und ruft, ist er erst einmal erkannt:
Hinaus! Er ist ein Denunziant. 

Und wenn er einst im Grabe liegt
und seine Seel‘ nach oben fliegt,
ruft Petrus: Fort, Halunk!
Verbannt von hier ist jeder Denunziant.

(Max Kegel, anonym in der satirischen Zeitschrift Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung)



 
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Sirona vom 05.07.2020, 09:01:25
butterfly-4749176_960_720.jpg
Zitronenfalter - Foto: Pixabay

Zitronenfalter

Du so schwebend über sonnigen Hügeln
Falter hier mit den Zitronenflügeln,
sag, ob du erkannt mich als Bekannten
Vater, Gatten oder sonst Verwandten,
dass du scheue Flamm' dich kannst erdreisten,
magisch dreimal um mich her zu geisten?
kommst du her von höhern Regionen,
wo die Frommen, wo die Sel'gen wohnen,
um verwandelt so im Wald der Buchen
mich und heil'ge Stätten aufzusuchen?

Christian Wagner
5. 8. 1835 - 15. 2. 1918


Clematis
 

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Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
als Antwort auf Sirona vom 04.07.2020, 09:07:36
Ach, ich habe gerade meinen Fehler entdeckt indem ich Clematis wegen des Rückert-Gedichtes angesprochen hatte. Natürlich hat es Roxanna eingegeben. Tut mir leid, da war ich wohl etwas unaufmerksam. 😔

LG Sirona


 
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Nähe
Ich denke Dein, wenn mir der Sonne Schimmer
                      vom Meere strahlt;
Ich denke Dein, wenn sich des Mondes Flimmer
                     in Quellen malt.

Ich sehe Dich, wenn auf dem fernen Wege
                      der Staub sich hebt;
In tiefer Nacht, wenn auf dem schmalen Stege
                      der Wandrer bebt.

Ich höre Dich, wenn dort mit dumpfem Rauschen
                      die Welle steigt;
Im stillen Haine geh' ich oft zu lauschen,
                      wenn alles schweigt.

Ich bin bei Dir, Du seist auch noch so ferne,
                      du bist mir nah!
Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne -
                      oh wärst Du da!

 
Johann Wolfgang Goethe
 CIMG3892.JPG

lieben Gruß
WurzelFluegel
Michiko
Michiko
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Michiko
Eine alte Karte, geschrieben 1960 von meiner Oma, Fundstück zwischen meiner älteren Brief- und Kartenpost. Ein Liedtext von Paul Gerhardt (1607 - 1676), insgesamt hat das Sommerlied 15 Strophen.....😉
img006.jpg
Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
DSCF4068.JPG(Eigenes Foto - Kärnten bei einer Jause)

Im Sommer
 
Im Garten blühn die Rosen
in wundervoller Pracht,
die linden Lüfte kosen
mit ihren Blättern sacht.
 
In ihren Kelch geschmieget
der bunte Falter ruht,
die fleiß'ge Biene flieget
dahin mit süßem Gut.
 
Von Blumenduft durchsogen
sind Wiese, Flur und Feld,
des Kornes Aehren wogen,
von Segen reich geschwellt.
 
Es schmettert ihre Lieder
die Lerche aus den Höh'n
zur blühenden Erde nieder.
O Welt, wie bist du schön!
 
Es freut im Glanz der Sonne
sich jede Kreatur,
rings atmet sel'ge Wonne
die lächelnde Natur.
 
Nun, Menschenherz, werd' munter,
jauchz' auf zum Himmelsdom!
Nun, Menschenleid, geh' unter
im heil'gen Freudenstrom!
 
Stine Andresen
Aus der Sammlung 
Meer- und Heidebilder


 

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