Forum Kunst und Literatur Literatur Stefan Z w e i g - in Texten und Kontesten

Literatur Stefan Z w e i g - in Texten und Kontesten

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RE: Stefan Z w e i g - in Texten und Kontesten
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 15.02.2019, 12:13:23

Sie spricht hier: „Rachel, auch Rahel, ist eine Gestalt des Tanach, bzw. des Alten Testaments der christlichen Bibel. Im Buch Bereschit, der „Genesis“, wird erzählt, wie sie als Tochter des Laban und jüngere Schwester Leas die Lieblingsfrau Jakobs wird. Rachel und Lea waren demnach Aramäerinnen und bewohnten das Land Paddan-Aram (Gen 25,20 EU). Rachel ist die Mutter von Josef und Benjamin, zweier Stammväter der Zwölf Stämme Israels, und wird daher im Judentum zu den Erzmüttern Israels gezählt“.
(Nach Wikipedia. Abruf am 19.02.2019: https://de.wikipedia.org/wiki/Rachel_(Bibel)

Zweig (in der Legende):

Nein, Gott, das darf nicht sein, denn so dein Erbarmen nicht ohne Ende ist, dann bist du selber unendlich nicht – dann – bist –du – nicht – Gott.
Dann bist du der Gott nicht, den ich schuf aus meinen Tränen und dessen Stimme mich anrief in meiner Schwester geängstetem Schrei – ein Fremdgott dann bist du, ein Zorngott, ein Strafegott, ein Rachegott, und ich, Rahel, ich, die nur den Liebenden liebt und nur dem Barmherzigen diente, ich, Rahel – ich verwerfe dich vor dem Antlitz deiner Engel! Mögen diese hier, mögen deine Erwählten und Propheten sich beugen – siehe, ich, Rahel, die Mutter, ich beuge mich nicht – aufrecht recke ich mich auf und trete in deine eigene Mitte, ich trete zwischen dich und dein Wort. Denn ich will rechten mit dir, ehe du rechtest mit meinen Kindern, und so klage ich dich an: dein Wort, Gott, ist Widerspruch wider dein Wesen, und dein zorniger Mund verleugnet dein eigentlich Herz.

In der EA nachgewiesen:
[Original version. 1927] in Die neue Rundschau [Berlin], 38:3 [March 1927], pp. 260-273
http://zweig.fredonia.edu/index.php?title=Rahel_rechtet_mit_Gott

Neuaufgabe der Legenden Zweigs: https://www.fischerverlage.de/buch/stefan_zweig_rahel_rechtet_mit_gott/9783100970787

So redet, ja rechtet Rahel in Zweig Legende „Rahel rechtet mit Gott“, ein Strafgericht einer Mutter!

Und die Leser (und oder auch Theologen …) beißen sich ihre Zähnchen aus ...

Empfehlung: Am besten selber lesen!


Zwei--Centre-Salzburg.jpg
Im Zweig-Centre, in Salzburg.
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RE: Stefan Z w e i g - in Texten und Kontesten
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 19.02.2019, 13:25:48
Zweig_FREUD.jpegStefan Zweig hat den Psychoanalytiker Sigmund Freud sehr verwirrt. - Am meisten wohl beurkundet in den Worten am Sarge Sigmund Freuds - am 26. Sptember 1939, im Krematorium London:


Stefan Zweig: Worte am Sarge Sigmund Freuds (1939) Gesprochen am 26. September 1939 im Krematorium London
Erlauben Sie mir angesichts dieses ruhmreichen Sarges einige Worte erschütterten Dankes im Namen seiner Wiener, seiner österreichischen, seiner Weltfreunde in jener Sprache zu sagen, die Sigmund Freud durch sein Werk so großartig bereichert und geadelt hat. Lassen Sie sich vor allem ins Bewußtsein rufen, daß wir, die wir hier in gemeinsamer Trauer versammelt sind, einen historischen Augenblick durchleben, wie er keinem von uns wohl ein zweitesmal vom Schicksal verstattet sein wird. Erinnern wir uns – bei andern Sterblichen, bei fast allen, ist innerhalb der knappen Minute, da der Leib erkaltet, ihr Dasein, ihr Mitunssein für immer beendet. Bei diesem einen dagegen, an dessen Bahre wir stehen, bei diesem Einen und Einzigen innerhalb unserer trostlosen Zeit bedeutet Tod nur eine flüchtige und fast wesenlose Erscheinung. Hier ist das Vonunsgehen kein Ende, kein harter Abschluß, sondern bloß linder Übergang von Sterblichkeit in Unsterblichkeit. Für das körperlich Vergängliche, das wir heute schmerzvoll verlieren, ist das Unvergängliche seines Werks, seines Wesens gerettet wir alle in diesem Räume, die noch atmen und leben und sprechen und lauschen, wir alle hier sind im geistigen Sinne nicht ein tausendstel Teil so lebendig wie dieser große Tote hier in seinem engen irdischen Sarg. (...)

[Fortsetzung in: http://gutenberg.spiegel.de/buch/-7358/5

Zweig_Verwirrung_IMG_20190219_190718.jpg
Die schönste Frucht der Kennntisse von PSA Freuds ist die Novelle Verwirrung der Gefühle (1927); hier in einer schönen Reclam-Ausgabe mit vielen Erläuterungen:

http://gutenberg.spiegel.de/buch/neun-novellen-und-erzahlungen-8338/3

In: SZ-Meistererzählungen. Ffm. 1970. S. 227
Wesentliche Gründe für Entzweiungen, für Verstrickungen, für zumeist rätselhafte Loslösungen zwischen Generationen:

Die Novelle beginnt:

(…) Noch einmal, ehe ich beginne, blättere ich in jenem Buche, das mein Leben darzustellen vorgibt. Und wiederum muß ich lächeln. Denn wie wollten sie ans wahrhaft Innere meines Wesens heran, da sie einen falschen Einstieg wählten? Schon ihr erster Schritt geht fehl! Da fabelt ein mir wohlgesinnter Schulgenosse, gleichfalls Geheimrat heute, schon im Gymnasium hätte mich eine leidenschaftliche Liebe für die Geisteswissenschaften vor allen andern Pennälern ausgezeichnet. Falsch erinnert, lieber Geheimrat! Für mich war alles Humanistische schlecht ertragener, zähneknirschend durchgeschäumter Zwang. Gerade weil ich als Rektorssohn in jener norddeutschen Kleinstadt von Tisch und Stube her Bildung immer als Brotgeschäft betreiben sah, haßte ich alle Philologie von Kindheit an: immer setzt ja die Natur, ihrer mystischen Aufgabe gemäß, das Schöpferische zu bewahren, dem Kinde Stachel und Hohn ein gegen die Neigung des Vaters. Sie will kein gemächliches kraftloses Erben, kein bloßes Fortsetzen und Weitertun von einem zum andern Geschlecht: immer stößt sie erst Gegensatz zwischen die Gleichgearteten und gestattet nur nach mühseligem und fruchtbarem Umweg dem Späteren Einkehr in der Voreltern Bahn. Genug, daß mein Vater die Wissenschaft heilig sprach, und doch empfand meine Selbstbehauptung sie als bloßes Klügeln mit Begriffen; weil er die Klassiker als Muster pries, schienen sie mir lehrhaft und darum verhaßt. Von Büchern rings umgeben, verachtete ich die Bücher; immer zum Geistigen vom Vater gedrängt, empörte ich mich gegen jede Form schriftlich überlieferter Bildung; so war es nicht verwunderlich, daß ich nur mühsam bis zum Abiturium mich durchrang und dann mit Heftigkeit jede Fortsetzung des Studiums abwehrte. Ich wollte Offizier werden, Seemann oder Ingenieur; zu keinem dieser Berufe drängte mich eigentlich zwingende Neigung. Einzig der Widerwille gegen das Papierne und Didaktische der Wissenschaft ließ mich Praktisch-Tätiges statt des Akademischen fordern. Doch mein Vater bestand mit seiner fanatischen Ehrfurcht vor allem Universitätlichen auf meiner akademischen Ausbildung, und nichts als die Abschwächung gelang es mir durchzusetzen, daß ich statt der klassischen Philologie die englische wählen durfte (welche Zwitterlösung ich schließlich mit dem geheimen Hintergedanken hinnahm, dank der Kenntnis dieser maritimen Sprache dann leichter ausbrechen zu können in die unbändig ersehnte Seemannslaufbahn).

Über die Sationen Berlin und Studententums entspinnt sich hier ein dramamtische Verwirrnis zwischen dem Studenten und dem verehrten Professor  ...

Schluss der Seelenanalyse:

Nie wieder habe ich ihn gesehen. Nie einen Brief empfangen oder eine Botschaft. Sein Werk ist nie erschienen, sein Name vergessen; niemand weiß mehr um ihn als ich allein. Aber noch heute, wie einstmals der ungewisse Knabe, fühl ich: Vater und Mutter vor ihm, Frau und Kinder nach ihm, keinem danke ich mehr. Keinen habe ich mehr geliebt.
 
Bis in den Wortlaut hinein die Überinstimmung mit dem Worten am Sarge Sigmund Freuds:n:
Dank für jede Deiner Taten und Werke, Dank für das, was Du gewesen und was Du von Dir in unsere eigenen Seelen gesenkt – Dank für die Welten, die Du uns erschlossen und die wir jetzt allein ohne Führung durchwandeln, immer Dir treu, immer Deiner in Ehrfurcht gedenkend, Du kostbarster Freund, Du geliebtester Meister, Sigmund Freud.
[Gesprochen am 26. September 1939, am Sarge Freuds])
 
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RE: Stefan Z w e i g - in Texten und Kontesten
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 20.02.2019, 12:04:27
RoseZWEIG_ROTH.jpgStefen Zweig und Joseph Roth ... haben fast ein Lebenlang FREUDSCHAFT gehalten:

Z w e i g  für Joseph  R o t h


Abschiednehmen, diese schwere und bittere Kunst zu erlernen, haben uns die letzten Jahre reichlich, ja überreichlich Gelegenheit geboten. Von wie vielem und wie oft haben wir Ausgewanderte, Ausgestoßene Abschied nehmen müssen, von der Heimat, von dem eigenen gemäßen Wirkungskreis, von Haus und Besitz und aller in Jahren erkämpften Sicherheit. Wieviel haben wir verloren, immer wieder verloren, Freunde durch Tod oder Feigheit des Herzens, und wieviel Gläubigkeit vor allem, Gläubigkeit an die friedliche und gerechte Gestaltung der Welt, Gläubigkeit an den endlichen und endgültigen Sieg des Rechts über die Gewalt. Zu oft sind wir enttäuscht worden, um noch leidenschaftlich überschwenglich zu hoffen, und aus Instinkt der Selbstbewahrung versuchen wir, unser Gehirn dahin zu disziplinieren, daß es wegdenke, rasch hinüberdenke über jede neue Verstörung, und alles, was hinter uns liegt, schon als endgültig abgelöst zu betrachten. Aber manchmal weigert sich unser Herz dieser Disziplin des raschen und radikalen Vergessens. Immer, wenn wir einen Menschen verlieren, einen der seltenen, die wir unersetzlich und unwiederbringlich wissen, fühlen wir betroffen und beglückt zugleich, wie sehr unser getretenes Herz noch fähig ist, Schmerz zu empfinden und aufzubegehren gegen ein Schicksal, das uns unserer Besten, unserer Unersetzlichsten vorzeitig beraubt.
Ein solcher unersetzlicher Mensch war unser lieber Joseph Roth, unvergeßbar als Mensch und für alle Zeiten durch kein Dekret als Dichter auszubürgern aus den Annalen der deutschen Kunst. Einmalig waren in ihm zu schöpferischem Zwecke die verschiedensten Elemente gemischt. Er stammte, wie Sie wissen, aus einem kleinen Ort an der altösterreichisch-russischen Grenze; diese Herkunft hat auf seine seelische Formung bestimmend gewirkt. Es war in Joseph Roth ein russischer Mensch – ich möchte fast sagen, ein Karamasowscher Mensch –, ein Mann der großen Leidenschaften, ein Mann, der in allem das Äußerste versuchte; eine russische Inbrunst des Gefühls erfüllte ihn, eine tiefe Frömmigkeit, aber verhängnisvollerweise auch jener russische Trieb zur Selbstzerstörung. Und es war in Roth noch ein zweiter Mensch, der jüdische Mensch mit einer hellen, unheimlich wachen, kritischen Klugheit, ein Mensch der gerechten und darum milden Weisheit, der erschreckt und zugleich mit heimlicher Liebe dem wilden, dem russischen, dem dämonischen Menschen in sich zublickte. Und noch ein drittes Element war von jenem Ursprung in ihm wirksam: der österreichische Mensch, nobel und ritterlich in jeder Geste, ebenso verbindlich und bezaubernd im täglichen Wesen wie musisch und musikalisch in seiner Kunst. Nur diese einmalige und nicht wiederholbare Mischung erklärt mir die Einmaligkeit seines Wesens, seines Werkes.


(Fortsetzung sei hie ausgeklammert....!)

Und Zweig endete:

Vielleicht aber – und laßt uns dies von ganzer Seele hoffen! – vielleicht haben wir diese Bastion nur solange zu halten, bis hinter uns die Umgruppierung erfolgt ist, bis das deutsche Volk und seine Literatur wieder frei ist und abermals als eine schöpferische Einheit dem Geiste dient. Doch sei, wie dem sei – wir haben nicht nach dem Sinn unserer Aufgabe zu fragen, sondern jetzt jeder nur eines zu tun: den Posten zu halten, an den wir gestellt sind. Wir dürfen nicht mutlos werden, wenn unsere Reihen sich lichten, wir dürfen nicht einmal, wenn rechts und links die besten unserer Kameraden fallen, wehmütig unserer Trauer nachgeben, denn – ich saOKgte es eben – wir stehen mitten im Kriege und an seinem gefährdetsten Posten. Ein Blick gerade nur hinüber, wenn einer der Unsern fällt, – – ein Blick der Dankbarkeit, der Trauer und des treuen Gedenkens, und dann wieder zurück an die einzige Schanze, die uns schützt: an unser Werk, an unsere Aufgabe – unsere eigene und unsere gemeinsame, um sie so aufrecht und mannhaft zu erfüllen bis an das bittere Ende, wie diese beiden verlorenen Kameraden es uns vorausgezeigt, wie unser ewig überschwenglicher Ernst Toller, w i e  u n s e r  u n v e r g e ß l i c h e r,  u n v e r g e ß b a r e r  J o s e p h R o t h.


 

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RE: Stefan Z w e i g - in Texten und Kontesten
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 23.02.2019, 12:40:13
ZWE'IG_STARTBILD.jpg
Ich muss noch die Literatur angeben: für  Z w e i g über  J o s e p h  R o t h:

Stefan Zweig:  J o s e p h  R o t h:

Ansprache zur Trauerfeier (1939)

http://gutenberg.spiegel.de/buch/uber-schriftsteller-7359/26
 
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RE: Stefan Z w e i g - in Texten und Kontesten
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 20.02.2019, 12:04:27
Mann-Häschens-Tot.jpgEin skelletierters Häschen, frei zur psychoanylltischen Betrachtungsweise:

Thema: Sigmund Freud über "Die Verwirrung der Gefühle" von Stefan Zweig (1926/27):
 
 
Professor Freud - Semmering. Wien IX., Berggasse 19 - 4. Sept. 26:

Lieber Herr Doktor [Zweig]
(...)
 
Auch an der dritten Novelle ["Verwirrung der Gefühle", die Zweig dem Freud übersandt hatte] ist nichts zu deuten. Das Urmotiv ist klar: der Mann, dem ein anderer seine Liebe anbietet. Aber ein Problem knüpft sich an diese Situation wenigstens für viele Menschen, für alle die als normal gelten. Warum kann der Mann die physische Liebe des Mannes nicht annehmen, auch wenn er sich psychisch aufs Stärkste an ihn gebunden fühlt? Es wäre nicht gegen die Natur des Eros, der mit der Überwindung der zwischen Männern natürlichen Rivalität (NeideinsteIlung) einen besonderen Triumph feiern würde. Auch wäre die Liebe von Mann zu Mann entwicklungsgeschichtlich leichter, ja sie fiele vielleicht befriedigender aus da sie jenen letzten Rest von Fremdheit zwischen Mann und Weib nicht zu überwinden braucht und jener Beimengung von Sadismus entbehrt, die die Beziehungen der beiden Geschlechter vergiftet. Auch ist sie nicht gegen die menschliche »Natur«, denn diese ist bisexuell, ja noch mehr, diese Unfähigkeit bestand nicht immer, scheint nur für uns Gegenwärtige zu bestehen, auch nicht für alle. Wo sie besteht ist sie unüberwindlich. Wer auf sie stößt, muß hoffnungslos leiden. Was ist die Begründung dieser elementar scheinenden und doch durch die Elemente nicht erklärlichen Abneigung? Man weiß es nicht und die Novelle macht keinen Versuch es zu entdecken. Gewiß mit Recht. Sie weist auf die frühere Beziehung zum Vater hin, zeigt die Versuche zur Kompensation durch eine gewaltsame Übertreibung der Männlichkeit, aber sie bescheidet sich das Problem so darzustellen, wie es sich findet.
Diese Darstellung geschieht nun mit solcher Kunst, Offenheit, Wahrheitsliebe und Innigkeit. so frei von aller Verlogenheit oder Sentimentaliät der Zeit, daß bereitwillig bekenne, ich kann mir nichts besser Geglücktes vorstellen. Ja dies Lob ist bereit einen Tadel umzuschlagen. Diese Darstellungskunst, die sich jeder Falte des Gegenstandes anzuschmiegen weiß und jeden Unterton des Affekts vernehmlich werden läßt stört beinahe die Wirkung auf den Leser. Sie läßt ihm nichts zu erraten und zu vervollständigen übrig und die Bewunderung für den Darsteller drängt sich fast vor das Interesse für's Dargestellte.
Die Kritik wird dieser Leistung kaum gerecht werden. Sie wird die Ehrlichkeit des Dichters nicht erreichen und den Akzent auf etwas Nebensachliches verschieben, wird die» Verwirrung der Gefühle« in der Liebesbeziehung zum Weib des verehrten Lehrers suchen. Aber das Weib ist in diesem Zusammenhang nur eine Kontrastfigur. Der Konflikt liegt einzig darin, daß der Jüngling die Liebe des Mannes erwidern möchte und es aus rätselhaftem inneren Verbot nicht kann.
Wenn ich Ihre Novellen mit den Dichtungen jenes Mannes vergleiche, dem wir die tiefste Ergriffenheit durch das verdrängte Unbewußte zuzugestehen haben, so läuft ein Unterschied zu Ihren Gunsten.
(…)
                                                      .. und grüße Sie
                                                          herzlich Ihr
                                                                      Freud

*
Diesen Brief spricht Thomas Anz an in seinem Aufsatz, verkürzt aber die Aussage:
Freud an Stefan Zweig: Verwirrung der Gefühle. Stefan Zweig und Sigmund Freud. Von Thomas Anz.
In: https://literaturkritik.de/id/10146

Auch im Goßen Handbuch: Stefan Zweig (2018) wid mit vielen Verkürzungen gearbeitet, um Stefan Zweig in seiner psychoanalytischen Darstellung vieler Novelle zu diskretieren:
Kapitel 5: Psychologie und Psychoanalyse. Von Thomas Antz. 2018, S. 73 – 85.


 
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RE: Stefan Z w e i g - in Texten und Kontesten
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 25.02.2019, 11:30:31
Zweig_Breifwechsel_Kippenberg.jpgDieses  B u c h  ... gibt es noch nicht. Der Verlag - Suhrkamp, beerlin - hat es schon angekündigt; es wird aber 2019 noch nicht erscheinen.


Stefan Zweig: Sternstunden der Menschheit

Die Flucht zu Gott
Die Szene spielt Ende Oktober 1910 - Erschienen ist sie 1927)


Ein Epilog zu Leo Tolstois unvollendetem Drama
»Das Licht scheinet in der Finsternis«


Einleitung
Im Jahre 1890 beginnt Leo Tolstoj eine dramatische Selbstbiographie, die später als Fragment aus seinem Nachlaß unter dem Titel: »Und das Licht scheinet in der Finsternis« zur Veröffentlichung und Aufführung gelangte. Dieses unvollendete Drama (schon die erste Szene verrät's) ist nichts anderes als eine allerintimste Darstellung seiner häuslichen Tragödie, geschrieben offenbar als Selbstrechtfertigung eines beabsichtigten Fluchtversuches und gleichzeitig als Entschuldigung seiner Frau, also ein Werk vollkommenen moralischen Gleichgewichts inmitten äußerster seelischer Zerrissenheit.
Sich selbst hat Tolstoj in der durchsichtig selbstbildnerischen Gestalt des Nikolai Michelajewitsch Sarynzew hingestellt, und wohl das wenigste der Tragödie darf als erfunden angenommen werden. Zweifellos hat Leo Tolstoj sie nur gestaltet, um sich selbst die notwendige Lösung seines Lebens vorauszudichten. Aber weder im Werk noch im Leben, weder damals im Jahre 1890 noch zehn Jahre später, 1900, hat Tolstoj den Mut und die Form eines Entschlusses und Abschlusses gefunden. Und aus dieser Willensresignation ist das Stück Fragment geblieben, endend mit vollkommener Ratlosigkeit des Helden, der nur flehend die Hände zu Gott aufhebt, er möge ihm beistehen und für ihn den Zwiespalt enden.
Den fehlenden letzten Akt der Tragödie hat Tolstoj auch später nicht mehr geschrieben, aber wichtiger: er hat ihn gelebt. In den letzten Oktobertagen des Jahres 1910 wird das Schwanken eines Vierteljahrhunderts endlich Entschluß, Krise zur Befreiung: Tolstoj entflieht nach einigen ungeheuer dramatischen Auseinandersetzungen und entflieht gerade zurecht, um jenen herrlichen und vorbildlichen Tod zu finden, der seinem Lebensschicksal die vollkommene Formung und Weihe verleiht.
Nichts schien mir nun natürlicher, als das gelebte Ende der Tragödie dem geschriebenen Fragment anzufügen. Dies und einzig dies habe ich hier mit möglichster historischer Treue und Ehrfurcht vor den Tatsachen und Dokumenten versucht. Ich weiß mich frei von der Vermessenheit, damit ein Bekenntnis Leo Tolstojs eigenmächtig und gleichwertig ergänzen zu wollen, ich schließe mich dem Werke nicht an, ich will ihm bloß dienen. Was ich hier versuche, möge darum nicht als Vollendung gelten, sondern als ein selbständiger Epilog zu einem unvollendeten Werke und ungelösten Konflikt, einzig bestimmt, jener unvollendeten Tragödie einen festlichen Ausklang zu geben. Damit sei der Sinn dieses Epilogs und meine ehrfürchtige Mühe erfüllt.
Für eine allfällige Darstellung muß betont werden, daß dieser Epilog zeitlich sechzehn Jahre später spielt als »Das Licht scheinet in der Finsternis« und dies äußerlich in der Erscheinung Leo Tolstojs unbedingt sichtbar werden muß. Die schönen Bildnisse seiner letzten Lebensjahre können da vorbildlich sein, insbesondere jenes, das ihn im Kloster Schamardino bei seiner Schwester zeigt, und die Photographie auf dem Totenbette. Auch das Arbeitszimmer sollte in seiner erschütternden Einfachheit respektvoll dem historischen nachgebildet werden. Rein szenisch wünschte ich diesen Epilog (der Tolstoj mit seinem Namen nennt und nicht mehr hinter der Doppelgängergestalt Sarynzew verbirgt) nach einer größeren Pause dem vierten Akt des Fragments »Das Licht scheinet in der Finsternis« angeschlossen. Eine selbständige Aufführung liegt nicht in meiner Absicht.
*
Diese erhabene Dichtung wird auch zu theologischen Gemütsstündchen genutzt: Ao: Rudolf Stertenbrink. In Bildern und Beispielen. Exemplarische Texte zur Besinnung und Verkündigung. Bd. 1. Freiburg: Herder. 1998. S. S. 192ff.

*
Stefan Zweig nutzt die historische Stunde um zwei Revolutionäre, den Erster Student und den Zweiten Student auftreten zu lassen, die den Leo Nikolajewitsch Tolstoj (im dreiundachtzigsten Jahr seines Lebens) bedrängen, als Folge seiner gelebten, humanitären Gesinnung für die Revolte gegen das Zarentum zu streiten.

Tolstoi vertritt sein Leben als Gewaltloser, als . Diese Szene für die Sternstunden der Menschheit geschrieben – ist der von Zweig konzipierte Abschluss der Tolstojschen Biografie „Und das Licht scheint in der Finsternis“ (1890).

Hier tritt Zweig - wie immer – für seinen Status der Gewaltosigkeit ein. Er war Zeit seines Lebens  P a z i f i s t.

Literatur:

https://de.wikipedia.org/wiki/Sternstunden_der_Menschheit#Die_Flucht_zu_Gott

Im Buch:
Stefan Zweig:  Sternstunden der Menschheit. Zwölf historische Miniaturen. Ffm. 1983. S. 179ff.
 

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longtime
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RE: Stefan Z w e i g - in Texten und Kontesten
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 28.02.2019, 11:19:12


Aus Salzburg:

Von der Salzburger Ausgabe – einer vollständigen Neuauflage - sind bisher zwei
Bände erschienen:

Bd. 2. „Vergessene Träume“
https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/vergessene-traeume/978-3-552-05874-3/

Und:
Bd. 1. „Sternstunden der Menschheit“
https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/sternstunden-der-menschheit/978-3-552-05858-3/

In der Krititk:

https://literaturkritik.de/zweig-sternstunden-der-menschheit-verdichtete-geschichte,23894.html


 
longtime
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RE: Stefan Z w e i g - in Texten und Kontesten
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 28.02.2019, 11:19:12
Tolstoy_grave.jpg
Leo N. Tolstois Grab (Neue Aufnahme)
Vgl.: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/8f/Tolstoy_grave.jpg


Zweig hat sich in verschiedener Weise mit dem Dichter Leo Tolstoi auseinandergesetzt.

Hier: Zweig erzählt von seiner Russland-Reise 1928

Stefan Zweig: Die Welt von Gestern. Denn nichts Großartigeres, nichts Ergreifenderes hab ich in Rußland (1942; Neuauflage. 2017)

Denn nichts Großartigeres, nichts Ergreifenderes habe ich in Rußland gesehen als Tolstois Grab. Abseits und allein liegt dieser erlauchte Pilgerort, eingebettet im Wald. Ein schmaler Fußpfad führt hin zu diesem Hügel, der nichts ist als ein gehäuftes Rechteck Erde, von niemandem bewacht, von niemandem gehütet, nur von ein paar großen Bäumen beschattet. Diese hochragenden Bäume hat, so erzählte mir seine Enkelin vor dem Grab, Leo Tolstoi selbst gepflanzt. Sein Bruder Nicolai und er hatten als Knaben von irgendeiner Dorffrau die Sage gehört, wo man Bäume pflanze, werde ein Ort des Glückes sein. So hatten sie halb im Spiel ein paar Schößlinge eingesetzt. Erst später entsann sich der alte Mann dieser wunderbaren Verheißung und äußerte sofort den Wunsch, unter jenen selbstgepflanzten Bäumen begraben zu werden. Das ist geschehen, ganz nach seinem Willen, und es ward das eindrucksvollste Grab der Welt durch seine herzbezwingende Schlichtheit. Ein kleiner rechteckiger Hügel mitten im Wald von Bäumen überblüht – nulla crux, nulla corona! kein Kreuz, kein Grabstein, keine Inschrift. Namenlos ist der große Mann begraben, der wie kein anderer an seinem Namen und seinem Ruhm litt, genau wie ein zufällig aufgefundener Landstreicher, wie ein unbekannter Soldat. Niemandem bleibt es verwehrt, an seine letzte Ruhestätte zu treten; der dünne Bretterzaun ringsherum ist nicht verschlossen. Nichts behütet die letzte Ruhe des Ruhelosen als die Ehrfurcht der Menschen. Während sich sonst Neugier um den Prunk eines Grabes drängt, bannt hier die zwingende Einfachheit jede Schaulust. Wind rauscht wie Gottes Wort über das Grab des Namenlosen, sonst keine Stimme, man könnte daran vorbeigehen, ohne mehr zu wissen, als daß hier irgendeiner begraben liegt, irgendein russischer Mensch in der russischen Erde. Nicht Napoleons Krypta unter dem Marmorbogen des Invalidendomes, nicht Goethes Sarg in der Fürstengruft, nicht jene Grabmäler in der Westminsterabtei erschüttern durch ihren Anblick so sehr wie dies herrlich schweigende, rührend namenlose Grab irgendwo im Walde, nur vom Wind umflüstert und selbst ohne Botschaft und Wort. (...)

Oliver Matuschek erläutert in der Neuauflage der Lebensbiorgrafie Zweigs (2017, S. 596): „Nulla crux, nulla corona: Kein Kreuz, keine Krone; angeblich trug der Truppenführer der Bauernkriege Florian Geyer von Giebelstadt ein Schwert mit dieser Inschrift, die Zweig hier als Hinweis als Schlichtheit des Grabe ohne religiöse oder staatliche Symbolik dient.“

Zweig: Tolstoi als religiöses und sozialer Denker (1937). Zuerst aufgenommen in Zeit und Welt. Stockholm (1943); in: S. St. Z.: Menschen und Schicksale. Hg. v. Kurt Beck. 1982. S. (S. 96 - 113)
Tolstoj_IMG_20190301_125501.jpgTolstoi auf dem Totenbett (1910), zeitgenössische Fotografie (gemeinfrei).
 
marianne
marianne
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RE: Stefan Z w e i g - in Texten und Kontesten
geschrieben von marianne
als Antwort auf longtime vom 02.03.2019, 18:45:19

DANKE, Longtime, für alles!!
Marianne

Mitglied_81b4260
Mitglied_81b4260
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RE: Stefan Z w e i g - in Texten und Kontesten
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf marianne vom 02.03.2019, 19:01:29

Ich schließe mich hier mit innigen Dank an.
Ich habe schon vergessen gehabt,welch Schöne Sprache Deutsch sein kann...und fast alles als "Teenie" gelesen...


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