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Literatur Wien als Haupstadt der Kunst und Literatur

longtime
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Wien als Haupstadt der Kunst und Literatur
geschrieben von longtime


Heimito von Doderer: Die Strudlhofstieg.
Der 1946–1948 verfasste und 1951 erschienene Roman Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre von Heimito von Doderer ist nach dieser Stiegenanlage benannt, in deren Umkreis einige zentrale Ereignisse des Romans spielen. Dem Roman ist eine lateinische Widmung an Johann Theodor Jaeger vorangestellt: In memoriam Johannis Th. Jæger senatoris Viennensis qui scalam construxit cuius nomen libello inscribitur (Zum Gedenken an Johann. Th. Jaeger, Senator von Wien, der die Stiege erbaute, deren Name dem Buch den Titel gibt). Das darauf folgende Gedicht „Auf die Strudlhofstiege zu Wien“ ist seit der Stiegenrenovierung 1962 auf einer Tafel neben dem größeren Brunnen zu lesen:

Wenn die Blätter auf den Stufen liegen
Hherbstlich atmet aus den alten Stiegen
was vor Zeiten über sie gegangen.
Mond darin sich zweie dicht umfangen
hielten, leichte Schuh und schwere Tritte,
die bemooste Vase in der Mitte
überdauert Jahre zwischen Kriegen.

Viel ist hingesunken uns zur Trauer
und das Schöne zeigt die kleinste Dauer.
Im Feuilleton:
http://angrick.de.com/?p=2215
*
Strudlhofstiege_Doderer.jpg

longtime
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RE: Wien als Haupstadt der Kunst und Literatur
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 10.09.2019, 14:17:58
Stef_Zweig_IMG_20190116_163729.jpg
*
Darin erwähnt:

(Vor einer Reise nach Wien):
(... nicht ... ermüdet und betäubt ...


Ermüdet und betäubt und zerschlagen langen wir endlich von dieser Partie an, die wir mit solchem Ergötzen begonnen haben, beide eine und dieselbe Sehnsucht empfindend - sie soll auch befnedigt werden, komm mit mir; in einem kühlen, luftigen Zimmer meiner Gartenwohnung wartet meine Gattin auf uns und hat schon auf den gedeckten Tisch gestellt, was uns not tut: eine bekannte Wiener Lieblingsspeise, gebackene Hühner mit dem zartesten Salate und ein nicht gar bescheidenes Fläschchen alten Nußberger. Erquicke dich, rede noch eines mit uns, und dann geh zu Bette, aber hab acht, daß dich nicht Träume wecken und du .dich etwa mit dem Bette im wahnsinnigen Menschenkreisel gedreht findest oder in demselben lächerlich im Prater auf und ab schwimmst, etwa gar im Hemde, was dich sehr kränken würde.
Gute Nacht (1844).
Adalbert Stifter: Vermischte Schriften. Erzählungen. Pest, 1870.
 
longtime
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RE: Wien als Haupstadt der Kunst und Literatur
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 10.09.2019, 14:21:28
Freud-by-salvador-dali.jpg
Salvadaor Dali (1936)
*
Das Sigmund-Museum in Wien Bergstraße
 

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JuergenS
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RE: Wien als Haupstadt der Kunst und Literatur
geschrieben von JuergenS
als Antwort auf longtime vom 10.09.2019, 14:21:28

interessanter Faden . Ohne nachzusehen, war Zweig nicht in Salzburg, später ja in Südamerika...?

longtime
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RE: Wien als Haupstadt der Kunst und Literatur
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 10.09.2019, 14:17:58
ZWEIG_Bücher.jpg
Zweig ist in  W i e n  geboren; war jahrlang in Salzurg; wurde vertrieben von Faschisten .. bis in Petropolis..:

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Stefan Zweig:
Das Wien von gestern

(1940)

Wenn ich zu Ihnen über das Wien von gestern spreche, soll dies kein Nekrolog, keine oraison funèbre sein. Wir haben Wien in unseren Herzen noch nicht begraben, wir weigern uns zu glauben, daß zeitweilige Unterordnung gleichbedeutend ist mit völliger Unterwerfung. Ich denke an Wien, so wie Sie an Brüder, an Freunde denken, die jetzt [1940] an der Front sind. Sie haben mit ihnen Ihre Kindheit verbracht, Sie haben Jahre mit ihnen gelebt, Sie danken ihnen glückliche gemeinsame Stunden. Nun sind sie fern von Ihnen und Sie wissen sie in Gefahr, ohne ihnen beistehen, ohne diese Gefahr teilen zu können. Gerade in solchen Stunden erzwungener Ferne fühlt man sich den Nächsten am meisten verbunden. So will ich zu Ihnen von Wien sprechen, meiner Vaterstadt und einer der Hauptstädte unserer gemeinsamen europäischen Kultur.
Sie haben in der Schule gelernt, daß Wien von je die Hauptstadt von Österreich war. Das ist nun richtig, aber die Stadt Wien ist älter als Österreich, älter als die habsburgische Monarchie, älter als das frühere und das heutige deutsche Reich. Als Vindobona von den Römern gegründet wurde, die als bewährte Städtegründer einen wunderbaren Blick für geographische Lage hatten, gab es nichts, was man Österreich nennen konnte. Von keinem österreichischen Stamm ist jemals bei Tacitus oder bei den anderen römischen Geschichtsschreibern berichtet. Die Römer legten nur an den günstigsten Stellen der Donau ein Castrum, eine militärische Siedlung an, um die Einfälle wilder Völkerschaften gegen ihr Imperium abzuwehren. Von dieser Stunde an war für Wien seine historische Aufgabe umschrieben, eine Verteidigungsstätte überlegener Kultur, damals der lateinischen, zu sein. Inmitten eines noch nicht zivilisierten und eigentlich niemandem gehörenden Landes werden die römischen Grundmauern gelegt, auf denen sich in späterer Zeit die Hofburg der Habsburger erheben wird. Und zu einer Zeit, wo rund um die Donau die deutschen und slawischen Völkerschaften noch ungesittet und nomadisch schwärmen, schreibt in unserem Wien der weise Kaiser Marc Aurel seine unsterblichen Meditationen, eines der Meisterwerke der lateinischen Philosophie.
(…)
So haben wir durch diesen Fanatismus für die Kunst, durch diese so oft verspottete Leidenschaft Wien noch einmal gerettet. Weggestoßen aus der Reihe der großen Nationen, haben wir doch unseren altbestimmten Platz innerhalb der Kultur Europas bewahrt. Die Aufgabe, eine überlegene Kultur zu verteidigen gegen jeden Einbruch der Barbarei, diese Aufgabe, die die Römer uns in die Mauern unserer Stadt eingemeißelt, wir haben sie bis zur letzten Stunde erfüllt.
Wir haben sie erfüllt in dem Wien von gestern und wir wollen, wir werden sie weiter erfüllen auch in der Fremde und überall. Ich habe von dem Wien von gestern gesprochen, dem Wien, in dem ich geboren bin, in dem ich gelebt habe und das ich vielleicht jetzt mehr liebe als je, seit es uns verloren ist. Von dem Wien von heute [1940] vermag ich nichts zu sagen. Wir wissen alle nicht genau, was dort geschieht, wir haben sogar Angst, es allzu genau uns vorzustellen. Ich habe in den Zeitungen gelesen, daß man Furtwängler berufen hat, das Wiener Musikleben zu reorganisieren, und sicher ist Furtwängler ein Musiker, an dessen Autorität niemand zweifelt. Aber schon daß das kulturelle Leben Wiens reorganisiert werden muß, zeigt, daß der alte wunderbare Organismus schwer gefährdet ist. Denn man ruft keinen Arzt zu einem Gesunden. Kunst wie Kultur kann nicht gedeihen ohne Freiheit, und gerade die Kultur Wiens kann ihr Bestes nicht entfalten, wenn sie abgeschnitten ist von dem lebendigen Quell europäischer Zivilisation. In dem ungeheuren Kampfe, der heute unsere alte Erde erschüttert, wird auch das Schicksal dieser Kultur entschieden, und ich brauche nicht zu sagen, auf welcher Seite unsere glühendsten Wünsche sind.
*
Auch onine:

https://gutenberg.spiegel.de/buch/reisen-in-europa-6974/1
 
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RE: Wien als Haupstadt der Kunst und Literatur
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 10.09.2019, 14:30:37

Siehe: Sigmund Freud. Skizze von Salvador Dali (1938)
Am 19. Juli 1938 trägt S. Freud in sein Tagebuch ein: »Salvador Dali«.

Dieser Eintrag bezieht sich auf einen Besuch des Malers in der Übergangswohnung in Elsworthy Road. Stefan Zweig, der Dali kannte, hatte Freud gefragt, ob er ihn bei einem Besuch mitbringen könne.
Am Tag nach dem Besuch schreibt Freud an Zweig: Wirklich, ich darf Ihnen für die Einführung danken, die die gestrigen Besucher zu mir gebracht hat. Denn bis dahin war ich geneigt, die Surrealisten, die mich scheinbar zum Schutzpatron gewählt haben, für absolute (sagen wir fünfund-neunzig Prozent wie beim Alkohol) Narren zu halten. Der junge Spanier mit seinen treuherzig fanatischen Augen und seiner unleugbar technischen Meisterschaft hat mir eine andere Schätzung nahe gelegt. Es wäre in der Tat sehr interessant, die Entstehung eines solchen Bildes analytisch zu erforschen. Kritisch könnte man doch noch immer sagen, der Begriff der Kunst verweigere sich einer Erweiterung, wenn das quantitative Verhältnis von unbewußtem Material und vorbewußter Verarbeitung nicht eine bestimmte Grenze einhält. Aber jedenfalls ernsthafte psychologische Probleme. (S.F. an St. Z. (20. Juli 1938)

Dali erinnert sich in seiner Autobiographie: Wider meine Hoffnungen sprachen wir wenig, aber wir verschlangen einander mit den Blicken. Freud wußte nichts von mir, er kannte nur meine Malerei, die er bewunderte, aber plötzlich hatte ich den launischen Einfall, in seinen Augen als ein Dandy von universellem Intellektualismus er-scheinen zu wollen. Ich erfuhr später, daß ich genau das Gegenteil davon bewirkt hatte. (The Secret Life of Salvador Dali, S. 24)
*
Während der Unterhaltung hatte Dali mehrere Skizzen von Freud angefertigt. Zweig hat aber nicht gewagt, sie Freud zu zeigen, denn Freud war auf ihnen schon vom Tod gezeichnet.
*
Dali, in Wien, auf der Suche nach Freud:
Meine drei Reisen nach Wien waren exakt wie drei Wassertropfen, denen die Reflexe fehlten, die sie zum Glitzern bringen. Auf jeder dieser Reisen tat ich exakt dasselbe: Morgens besichtigte ich den Verrneer in der Sammlung Czernin, und nachmittags besuchte ich Freud nicht, da ich ausnahmslos hörte, er sei gesundheitshalber auf dem Lande.
Mit sanfter Melancholie entsinne ich mich, wie ich jene Nachmittage damit verbrachte, wahllos durch die Straßen von Österreichs alter Hauptstadt zu wandern. Die Schokoladentorte, die ich eilig in den kurzen Zwischenräumen aß, wenn ich von einem Antiquitätenhändler zum nächsten ging, hatte einen leicht bitteren Geschmack, der von den Antiquitäten, die ich sah, herrührte und von der Farce des nie stattfindenden Treffens akzentuiert wurde. Abends führte ich lange und erschöpfende imaginäre Gespräche mit Freud; einmal kam er sogar mit mir auf mein Zimmer im Hotel Sacher und blieb, an die Vorhänge geklammert, die ganze Nacht da. - Aus: Salvador Dali; aufgezeichnet 1942. Das geheime Leben des Salavdor Dali. München 1984- 
*
Dass Dali an den Prinzipien der Psychoanalyse interessiert war, zeigen viele seiner Gemälde.
 

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longtime
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RE: Wien als Haupstadt der Kunst und Literatur
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 11.09.2019, 14:03:24
Ebner-Eschenbach.jpg

Sonderbriefmarke der Deutschen Bundespost von 1980
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Einiges ... vom Prater:

Marie von Ebner-Eschenbach:
Der Vorzugsschüler (1901)

 
Dort drüben, im lustigen Prater, wurde nach der Scheibe geschossen, im Luftschiff, im mechanischen Ringelspiel gefahren, da gab's Theateraufführungen, Wachsfigurenkabinette, eine Damenkapelle, Zigeunermusik. Und ein Aquarium und ein Panorama und so vieles Schöne noch, von dem Georgs Mitschüler zu erzählen wußten. Wenn er eine Anspielung wagte, eine Frage stellte: »Warst du schon einmal im Wurstelprater? Hast du schon einmal die Zigeuner spielen gehört?« antwortete der Vater voll Verachtung: Was man im Wurstelprater zu sehen und zu hören bekäme, sei lauter elendes Zeug, an dem nur ungebildete und rohe Menschen sich zu ergötzen vermöchten. Im Bogen wich er allem aus, was seine eigene Neugier hätte reizen können oder gar ihn selbst in Versuchung bringen, sich einen guten Tag zu machen: einmal in einem Jahre, nein – einmal in vielen Jahren. Er wollte nicht! wollte nicht ein paar Gulden unnötig ausgeben, die ins Sparkassenbuch des Kindes gelegt werden könnten.
(In: Unter dem Rohrstock. Schülerleben um 1900. Eine Anthologie. Hrsg.: Thomas Kastura. 2000. Goldmann TB 7695. S. 153-195. S. 174)
*

Und noch viel Literarisches ... vom Wurstelprater:

https://de.wikipedia.org/wiki/Wiener_Prater#Der_Prater_in_der_Literatur


 
ladybird
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RE: Wien als Haupstadt der Kunst und Literatur
geschrieben von ladybird
Friedensreich Hundertwasser
wurde 1928 in Wien geboren und starb 2000 an Bord des Kreuzfahrtschiffes "Queen Elizabeth 2",
er war als Maler, in der Archtektur und im Umweltschutz tätig.


Hochzeitsreise April 11 006.jpg
Das Hundertwasserhaus in Wien zählt zu den architektonischen Highlights Österreichs. Das von Friedensreich Hundertwasser gestaltete Haus zieht Besucher aus der ganzen Welt anDas Hundertwasserhaus in Wien trägt unverkennbar die Handschrift des Künstlers Friedensreich Hundertwasser, hieß  mit bürgerlichem Namen Friedrich Stowasser. Die mit vielen bunten Farben verzierte Außenfassade des Hundertwasserhauses in Wien zieht die Blicke geradezu magisch an. Wer im Hundertwasserhaus wohnt, hat zudem das Recht, die Fassade rund um die Fenster ganz nach dem eigenen Geschmack zu gestalten. Mehr als 200 Bäume und Sträucher auf den Balkonen und Dachterrassen machen aus dem Hundertwasserhaus eine grüne Oase mitten in der Stadt. Das Hundertwasserhaus ist lediglich von außen zu besichtigen.
Unter dem Haus ein Durchgang zum Hof.


Hochzeitsreise April 11 008.jpg
l.
Hochzeitsreise April 11 009.jpg
hier gegenüber dem Hundertwasserhaus hat der Künstler ein kleines Einkaufscentrum angelegt...mit kleinen Geschäften und Cafes

Hochzeitsreise April 11 010.jpgmit Gruß von ladybird
JuergenS
JuergenS
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RE: Wien als Haupstadt der Kunst und Literatur
geschrieben von JuergenS
als Antwort auf ladybird vom 13.09.2019, 17:35:05

kenn ich, war ich dort, vor Jahren. Toll.

longtime
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RE: Wien als Haupstadt der Kunst und Literatur
geschrieben von longtime
als Antwort auf JuergenS vom 13.09.2019, 18:34:16
Freud_1920_in_Den_Haag_Kongress.jpg
Sigmund Freud (1926)
*


Danke, liebe ladybird – an an weitere Interessenten – mit Wien-Beiträgen! Bitte sehr!
Und noch weiter zu FREUD. - Vgl. zu Seethalers Freud-Roman „Der Trasikant“, hier im ST:
https://www.seniorenportal.de/community/forum/literatur/ich-lese-gerade/316645/add/10366392/1

*
So beschreibt Robert Seethaler die letzte Begegung im Roman:- des Trafikanten Franz Huchel und des Professors Freud (er ist tokrank und will nach London abreisen, ins Exil (im Buch S. 218ff):

Er brauchte einige Augenblicke, um den Professor in dem bis auf wenige Möbelleergeräumten Zimmer zu entdecken. Er lag auf einer unförmigen Couch, den Kopf auf einem Haufen dicker Polster gelagert, den Rest des Körpers unter einer schweren Wolldecke verborgen. Im Raum befanden sich außer der Couch nur noch ein riesiger Kachelofen sowie eine Glasvitrine voller seltsamer Figuren, Männchen und Tierfratzen.
»Was willst du denn hier?« Die Stimme des Professors hatte sich endgültig in das brüchige Knarzen eines morschen Astes verwandelt. Er schien abgenommen zu haben. Noch zerbrechlicher, als Franz ihn in Erinnerung hatte, lag sein Kopf auf den Polstern. Sein Kiefer sah aus, als wäre er irgendwie seitlich weggerutscht, und befand sich in ständiger Bewegung. Mit vorsichtigen Schritten trat Franz über das Parkett auf die Couch zu.
»Sind Sie krank, Herr Professor?«, fragte er so leise, dass er sich fiir einen Augenblick selbst kaum zu verstehen glaubte.
»Seit ungefähr vierzig Jahren«, nickte Freud. »Nur dass ich mittlerweile meine Zeit mit einer Warmflasche auf der Couch verbringe, die eigentlich für andere bestimmt war. Übrigens würde ich dir gerne einen Sitzplatz anbieten, aber ich furchte, unsere Sessel sind entweder verschifft oder werden bereits von irgendwelchen strammen Nationalistenhintern eingesessen!«
»Ich stehe gerne, Herr Professor!«, sagte Franz schnell. »Ich hab gehört, Sie fahren weg?«
»Ja«, ächzte Freud und rappelte seine Knie unter der Decke zu einem spitzen Dreieck auf.
»Wohin denn?«
»Nach London.« Der Professor rückte seine Brille auf der Nase zurecht. »Wieso steckst du eigentlich in Annas Hose [der Hose, die Anna Freud ihm gegeben hat, weil er im Keller seine Beinkleider total verschmutzt hatte]
»Ihre Tochter war so freundlich ... und da hab ich ... ich bin ja über den Hinterhof. .. durch den Kohlenkeller ... weil doch draußen die Gestapo sitzt ... «
»Die Gestapo ... «, wiederholte der Professor, und es hörte sich an, als fiele ihm ein Brocken aus dem Mund.
In diesem Moment wurde ihr Blick fast gleichzeitig nach oben gelenkt, wo sich direkt über der Couch ein Weberknecht seinen Weg über die Zimmerdecke zitterte. In einem weiten Bogen tänzelte er in eine Ecke, blieb stehen, wippte noch ein bisschen aus und rührte sich nicht mehr.
»Ich hab Ihnen etwas mitgebracht!«, sagte Franz. Er zog das Päckchen unter seinem Hemd hervor, wickelte vorsichtig die drei Zigarren aus dem Kulturteil und bot sie dem Professor an. Freuds Gesicht hellte sich auf. Mit einem unerwartet lebhaften Schwung warf er die Decke zur Seite und setzte sich auf. Jetzt erst erkannte Franz, dass er einen Anzug trug: einen tadellosen Einreiher aus grauem Flanellstoff, mit Weste, gestärktem Hemdkragen und korrekt gebundenem Krawattenknopf Aber keine Schuhe. Freuds Füße, klein und schmal wie Kinderfiiße, steckten in dunkelblauen Socken, von denen der rechte in der Gegend des äußeren Großzehenrandes offenbar schon mehrmals gestopft worden war.
»Eine für jetzt, eine fiir die Reise, eine für England, hab ich mir gedacht“, sagte Franz. (Copyriight: KEIN & ABER, Zürich - Berlin 2012. S. 218ff.)



 

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