Abschied

    Das Leben hat zu allen Zeiten,
wie jeder weiß, auch Schattenseiten.
Zu seinen Leiden und Problemen
gehört dabei das Abschiednehmen.
Denn manchmal tut es furchtbar weh
vom Herzen bis zum großen Zeh.
    Ein jeder Mensch kommt irgendwann
ganz unbedarft im Leben an
und wurde nicht einmal befragt,
ob dieser Zustand ihm behagt,
wenn er durch den Geburtskanal
zu seiner und der Mutter Qual
sich dorthin einen Weg gebahnt,
wovon er vorher gar nichts ahnt.
    Kaum glückt es ihm, sich an die schönen
und trüben Dinge zu gewöhnen,
kaum ist er eines Tages klug
und hoffentlich auch alt genug,
auf jeden Fall erheblich älter,
da stirbt und muss von dieser Welt er.
    Der Embryo im Uterus
verschwindet, weil er will und muss,
und gründet damit letzten Ends
sich eine neue Existenz.
Aus Reiselust, zum Studium,
beruflich, und wer weiß, warum,
damit das Leben uns gelingt,
Veränderung und Freude bringt,
bewegen wir uns, Gott sei Dank;
wer stets im Bett bleibt, der ist krank.
    Nicht nur von Menschen trennt man sich,
lässt sie womöglich gar im Stich,
auch von Tapeten, Kleidern, Uhren,
von Brillen, Zähnen und Frisuren
trennt man sich früher oder später
teils wehmütig, teils mit Gezeter;
von Lebensmustern, die beengen;
von Wünschen, die ins Abseits drängen;
Erfahrungen und Werturteilen,
die schädigen, anstatt zu heilen;
von Illusionen und Idolen,
dem Zwang, sich stets zu wiederholen;
vom Drang, sich selber zu verletzen
und sich nicht richtig einzuschätzen.
    Es gilt für jeden, der da lebt
und an Vorhandenem so klebt,
oft wider Willen und Verstehen:
Wer kommt, der muss auch wieder gehen.
Kaum hat er mühsam oder leicht
ein ganz bestimmtes Ziel erreicht,
lockt irgendwo ein neues Ziel,
und weiter geht das alte Spiel:
Abschied von allem, was man kennt,
kurzfristig oder permanent.
    Auch wenn man noch so gerne bliebe,
da hilft nicht Hass, da hilft nicht Liebe.
Bejahung oder Widerstreben,
der Abschiedsschmerz gehört zum Leben.
                   Silesio


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Kommentare (4)

Manfred36

aber es gibt nur einen vollständigen Abschied. Alles Andere lebt in der Erinnerung weiter und hilft neues Erleben mitzugestalten. Wehmut der Erinnerung ist oft auch mit einem Anspruch verbunden.
Gruß
Manfred

silesio

    Ich verstehe nicht ganz. Ich habe in meinem Leben mindestens schon 19385 Abschiede mitgemacht. Jeden Morgen während meiner Schulzeit und meines Berufslebens etwa.
    Manfred, es gibt nicht nur deine Art des Erlebens, sondern jedes Individuum erlebt anders, und der einzelne kann dasselbe tausendmal anders erleben
              Silesio

ladybird

...und nach dem Abschiedsschmerz,
lieber Sileso
folgt oder muß das Loslassen folgen....
habe Freude an Deinem wieder sehr guten Gedicht
herzlichst
Renate.

silesio

    Ja, Renate, es hilft keinem, wenn sich jemand im Schmerz vergräbt. Irgendwann muss mal ein Schlussstrich gezogen werden. Erst dann ist Neues möglich.
               Christoph


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