Alt, weil grau?,

Diese Fotocollage zeigt mich als Fünfjährige und mit 68 Jahren. Ich bin die mittlere von drei Töchtern eines seinerzeit bekannten Friseurs in unserer Heimatstadt. Unseres Vaters Ansicht war, dass wir vor allem „auf dem Kopf“ stets tipptopp auszusehen hatten.

Foto 4 Familie Karl Rottmann 1948.jpg

Meine Schwestern waren blond. Vor allem unsere Jüngste geriet ganz nach unserer blonden Mutter, Typ Marlene Dietrich. Mein Vater hatte aber auch in den ersten Nachkriegsjahren am heimatlichen Theater, in dem noch vor den 1950er Jahren weiter gespielt wurde – weil es nicht ganz zerbombt den Krieg überstanden hatte – auch Ruth Leuwerik frisieren, schminken dürfen, bis es wieder erlaubt war, im eigenen Salon zu arbeiten.

Seine große Liebe, unsere blonde Mutter, verließ bereits Mitte 1951 ihn und ihre drei Töchter. Wir mussten sie schon zwei Tage vor seinem 40. Geburtstag im Alter von 34 Jahren begraben. Daher wissen wir nicht, wie sie mit ihren Haaren weiterhin umgegangen wäre.

Von ihren Schwestern, von denen eine sogar 90 Jahre alt wurde, weiß ich, dass sie ebenfalls blond waren. Aber ob das im Verlauf des Alterungsprozesses nur den Haarfärbe-Künsten ihres Schwagers zu verdanken war, ich weiß es nicht …

Meine ältere Schwester hat sich irgendwann dem brünetten Farbton angenähert, inzwischen hat sie schneeweißes Haar. Bei unserer Jüngsten entdeckte ich im Verlauf der Jahrzehnte feinweiße Strähnen in ihrem Blond. Wenn ich sie als Kind auf dem Schulhof suchen sollte, brauchte ich stets nur nach ihrem Goldhaar Ausschau zu halten, in die Richtung zu lauschen und ihre kräftige glockenhelle Stimme bestätigte mir: dort spielt sie gerade!

Ich war die „Dunkle“ der Schwestern. Als ich irgendwann entdeckte, dass bei mir graue Strähnen in einer Pony-Ecke weiß wurden, beschloss ich, mich dem Blondhaar meiner Schwestern anzuschließen. Aber noch bis in Corona-Zeiten drangen dunkle Strähnen durch den blonden Bob.

So ein wenig störte es mich dann schon, dass ich nun – als ehemalige Friseurs-Tochter – so „ungepflegt“ auf dem Kopf aussah. Doch da meldete sich bei mir der Krebs. Es dauerte eine Weile, bis die Chemotherapie meinen Haaren den Garaus machte. Erst ließ ich sie stark kürzen, ein paar Wochen später bat ich meine Tochter, mir einen Glatzkopf zu rasieren! Ich erfuhr dabei, dass ich gar nicht „den platten Hinterkopf“ hatte, wie es mir immer wieder erzählt worden war.

Es dauerte noch einige Wochen, bis sich wieder Haare auf meinem Kopf „ansiedelten“! Nun waren die feinen weichen Härchen auf meinem doch wohlgeformten Kopf hellgrau, fast weiß, mit auf dem ganzen Kopf verteilten dunklen „Haar-Teppichen“, die noch gar nicht grau werden wollten. Fast hatte ich den Eindruck, es den schwarz-weiß gefleckten bunten Kühen mit meinen Haarfarben gleichzutun.

Mein Leben lang hatte ich stets behauptet, ich hätte Schnittlauch- oder Spaghetti-Locken, die nie Dauerwelle annehmen wollten. Jetzt aber wellt und lockt sich mein Haar in naturkrauser Art, wie ich es nur ganz unten im Nackenhaar meines Vaters, als er älter wurde, gesehen hatte. Stets hatte ich ihn darum beneidet, jetzt wächst es bei mir fast auf dem ganzen Kopf so, dass sogar mein Hausarzt, als ich einen Termin wahrnehmen musste, einfach vergnügt in meine Locken fasste …!

Allerdings scheint das graue Haar besser zu wachsen, als das Haar in meiner ursprünglichen dunklen Farbe. Es überdeckt die dunklen Partien einfach.

Das schönste Kompliment bekam ich vergangene Woche: mein neunjähriger Enkel ließ mich wissen, dass ihm meine kurzen, grau-lockigen Haare sehr viel besser gefallen würden, als der „blonde Helm“, mit dem ich fast ein viertel Jahrhundert – wie falsch kostümiert – herumgelaufen war. Und ich fühle mich tatsächlich endlich „angekommen“ bei meinem eigenen Ich!

Alt, weil grau?? Ja, ich gehöre inzwischen mit meinen 77 Jährchen zu den Hochbetagten. Aber das wegen meiner grauen Haare?? Nee …

PS: Viele Jahre hatte mein Vater eine Friseuse - Frl. Funke - die ihn immer dann vertrat, wenn er geschäftlich oder privat andere Dinge zu erledigen hatte, oder wir in Urlaub fuhren, er auch mal krank war. Der Krieg hatte auch für ihn seine Nachwirkungen, die jahrelange nächtliche Pflege seiner Frau  brachte ihm ein hartnäckiges Zwölf-Fingerdarm-Geschwür ein, aber keine grauen Haare..

Frl. Funke war jung, aber ihr Haar war schlohweiß und es stand ihr sooo gut ...! Seither - schon seit meiner Kindheit hat weißes oder graues Haar für mich nichts mit Alter zu tun.


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Kommentare (6)

ehemaliges Mitglied

Schönes Haar ist die Zierde einer Frau, egal welche Farbe, es gibt Frauen mit einem wunderschönen Grau und wenn die Haare noch füllig sind,sieht es nicht weniger schön aus wie eine andere Haarfarbe. Und alt macht schönes graues Haar nicht, doch meistens ist es straehnig grau und das ziert nicht .
Ich hatte wunderschönes und glänzendes, dichtes rotes Haar, das mit der Zeit aschiger wurde, nicht einmal grau, die Farbe veränderte sich und ich half natürlich mit Haarfarbe nach...und auf einmal...hatte ich keine Lust mehr, es bleibt wie es ist. Mit 75 steht mir das zu denke ich.

Herzlichst Rosenbusch

nnamttor44

Den vielen zustimmenden Herzchen-Spendern viele extra-große Herzen als Dankschön

💖💖💖💖💖💖💖💖

Uschi

werderanerin

...ein Thema, was ja seit ein paar Jahren durchaus aktuell scheint. Viele Promis, natürlich Frauen haben sich ja ihr Haar auswachsen lassen, nicht mehr gefärbt. Warum auch nicht, wie ich finde, letztlich muss das jeder für sich entscheiden. Im Übrigen haben aber auch viele alles wieder rückgängig gemacht.

Ich selbst habe mal gesagt, solange es Farbe gibt, färbe ich...aber was weiß man schon, was in ein paar Jahren passieren wird...

Alles gut so, genauso, wie es eben ist !

Wie sagt man so schön, alles hat eben seine , ganz eigene Zeit !



Kristine

nnamttor44

@werderanerin  

Liebe Kristine, selbstverständlich hast Du recht, Birgit Schrowange hat's publik gemacht! 

Bei meiner blonden Mutter und mitten zwischen meinen blonden Schwestern geboren, fühlte ich mich immer als das "schwarze Schaf". Dazu den dunkelhaarigen, fast schwarzäugigen Vater, dem nichts recht gemacht werden konnte als allein erziehender Vater, die große Schwester, die mir Jahrzehnte die Schuld an der Krebserkrankung unserer Mutter vorwarf (tatsächlich einfach Blödsinn!), ebenso dann ihren Tod, da wundert es mich nicht, aus welcher Schublade ich mich so peu á peu herausarbeiten musste. 

Heute weiß ich, dass ich mein graues Haar nie wieder färben werde, egal wie alt ich noch werden sollte. Wer mich so grau nicht mag, soll sich eben abwenden. Ich stehe dazu, meine Restfamilie auch!

💖lichen Dank für Dein kommentieren sagt

Uschi

floravonbistram

Ich in total berührt.
Liebe Grüße und eine Umarmung aus der Ferne

nnamttor44

@floravonbistram
Liebe Flora!
Und mich rührt es sehr, dass Dich mein Blog so berührt.

Im neuen STERN steht ein Bericht darüber, wie die Frauen derzeit mit ihrem Haare färben umgehen und wegen der langen Geschäftsschließungen der Friseure auf das Färben ihrer Haare verzichten, nun vermehrt zu ihrem Grau stehen.

Klar, bei mir kam einfach meine Diagnose hinzu, die es mir sogar erleichterte, den Kahlkopf zu akzeptieren. Mein Enkel und seine Spielkameraden fürchteten sich anfangs sogar vor mir. Als sie dann feststellten, es wächst wieder, lockerte sich der Umgang.

Dann bekam ich meine erste Spritze ins Auge wegen einer feuchten Makuladegeneration. Mein Augenlid mochte das Desinfektionsmittel nicht und so bekam ich ein rotes, blutunterlaufenes Auge. Es fehlte nur noch eine dicke Warze auf der Nasenspitze - und fertig wäre die Hexe für ein Märchen gewesen.

Fast noch Glatze, dazu das blutig aussehende Auge - ich war von Oma Uschi zu einer Horror-Oma mutiert, die Kinder machten einen großen Bogen um mich, schauten mich nur noch verstohlen von ferne an. Die fast gleichaltrige Mitschülerin meines Enkels brauchte zur Unterstützung ihren grad 6-jährigen Bruder, um mich zu fragen, ob das Auge nun schmerzen würde. Nein, tat es nicht. Da endlich konnte sie wieder freier spielen.

Es muss für die GS-Kinder schon noch schwer zu verstehen sein, so etwas zu sehen. Die noch Achtjährige und ihr 6-jähriger Bruder oder auch ein 6-jähriger Nachbarsjunge haben jüngere Omas, denen so etwas glücklicherweise noch nicht zugestoßen ist. Und dass sie nun erleben dürfen, dass ich mich trotz all dieser "Nebenwirkungen" relativ wohl fühle, jetzt auch noch drei Wochen an die Ostsee darf, da beneidet mich unser Max direkt!

Auch das ist Leben, das Kindern in dieser Form vermutlich etwas besser verständlich sein dürfte, als es mir mit grad 7 Jahren erging, weggeschickt das Sterben unserer Mutter nicht zu erleben und danach war sie einfach nicht mehr da ...

Danke für Deinen liebe Kommentar und Dein zustimmendes Herzchen sagt

Uschi


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