Gesättigt und mit Lebensmittelvorräten ausgestattet, traten wir den Heimweg an. Zufällig war gerade Schulschluss und wir sahen viele Kin­der, die alle die gleichen Schuluniformen trugen. Die meisten wurden ab­geholt, aber manche winkten auch und wollten mitgenommen werden. Als wir anhielten, stiegen ein Junge und ein Mädchen ohne zu fragen in unser Auto und nahmen auf der Rückbank Platz. Sie hatten ein Kuchenpaket bei sich, das sie jetzt öffneten, um etwas zu essen. Dass sie dabei fürchterlich krümelten, war kein Problem, denn es war ja ein Mietwagen, den andere hinterher säubern würden. Mich störte viel mehr, dass die Kinder über­haupt nichts zu ihrem Fahrziel sagten. Außer „Bonjour“ hatten wir noch nichts von ihnen gehört. Da ich gern gewusst hätte, wohin sie wollten, versuchte ich es zuerst auf Englisch.
„Where do you want to go? What's your destination?“
Sie schauten mich nur groß an, schienen aber nichts zu verstehen. Vor­eilig hatte ich angenommen, dass alle Inselbewohner englisch sprechen würden, was aber bei diesen beiden Kindern offensichtlich nicht zutraf.
Also fragte ich auf Französisch: „Où voulez-vous aller?“ Sicherheits­halber fügte ich noch hinzu: „Votre destination?“ Wieder sahen sie mich erstaunt an, sagten aber nichts, sondern aßen weiter. Ich fragte unsicher: „Parlez-vous français?“ Sie nickten mit vollem Mund. Ich erzählte ihnen auf Französisch, dass wir aus Deutschland kämen, welches das Nachbar­land von Frankreich sei. All das nahmen sie interessiert und kauend zur Kenntnis, ohne jedoch auf die Frage nach ihrem Ziel einzugehen. Nachdem wir schon eine ganze Weile in Richtung unserer Ferienanlage gefahren waren, machte ich mir Sorgen, wie es mit den Kindern denn weitergehen sollte. Wir konnten sie doch nicht einfach ins Resort mitnehmen. An der Abzweigung zu unserem Resort fragte ich: „À gauche ou à droite?“ Sie zeigten nach links, wohin auch wir fahren mussten.
Am Tor unserer Anlage angekommen, blickte ich mich fragend um und sah die beiden aussteigen. Ich fragte ungläubig: „Vous habitez ici?“ Sie nickten, sagten „Merci“ und gingen die Straße ein Stück weiter, um dann in einem Haus zu verschwinden.
Ich war geneigt an Voodoo zu glauben, denn wie hatten die Kinder wissen können, wo wir wohnten. Da wir gerade erst angereist waren, konnten sie uns auch noch nicht gesehen haben.
Als wir dann auf unserer Terrasse bei einer Tasse Kaffee saßen und die Karte von Saint Martin betrachteten, stellten wir fest, dass es gar keine andere Möglichkeit gab, als in Richtung des Wohnortes der Kinder zu fahren. Wären wir vorher schon an unserem Ziel gewesen, hätten sie eben auf das nächste Auto gewartet, das in ihre Richtung gefahren wäre.

Aus dem Buch "Wer nicht fährt, der fliegt" von Wilfried Hildebrandt

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