Damals als ich ein kleines Mädchen war




Damals - als ich ein kleines Mädchen war

Das war nach dem zweiten Weltkrieg, 1946 etwa.
Ich lebte damals in Fischbach, einem kleinen Ort inmitten des Pfälzer Waldes, nur einen Steinwurf von der französischen Grenze entfernt.

In diesem kleinen Ort gab es in jener Zeit noch einen Bunker -
ein Überbleibsel des zweiten Weltkrieges. Wir Kinder hätten gerne darin gespielt, aber er war immer verschlossen. So spielten wir eben in den Bombentrichtern und Schützengräben, die den Bunker umgaben. Da gab es ja auch einiges zu entdecken. Wir fanden Stahlhelme, leere Konservendosen, Essbestecke und Stacheldraht. Einmal fiel ich in so ein Stück Stacheldraht, mein linkes Knie ziert noch heute eine breite Narbe. Eine etwas weniger schöne Nachkriegserinnerung.

Viele Spielsachen hatten wir nicht, und zu kaufen gab es auch keine. So waren wir glücklich, wenn wir mal irgendwo ein großes Stück Pappe fanden. Das nahmen wir dann, liefen den kleinen Hügel hinterm Haus hoch, setzten und drauf, und rutschten auf ihr wieder nach unten.

Doch es gab in dieser Zeit weitaus größere Probleme als meine Ungeschicklichkeit.
Da war der Mangel an Lebensmitteln. Die wenigen Läden die es bei uns gab, waren geschlossen. Geld hatte auch keiner, außerdem gab es ja sowieso nichts fürs Geld.
In dieser Zeit hörte ich zum ersten Mal das Wort „FUGGERN“. Wer etwas zum Fuggern hatte, der bekam auch Lebensmittel.

Ansonsten lebten wir von dem, was Feld und Wald uns boten.
Im Wald suchten wir nach Holz und Tannenzapfen zum Heizen, sowie nach Pilzen und Beeren für den hungrigen Bauch, denn hungrig waren wir Kinder immer.
Mit den Schulklassen sammelten wir Bucheckern zur Gewinnung von Öl. Machten aber auch ab und an aus Kartoffelkraut ein Feuer und brieten uns Kartoffeln.
Am nahen Bach, der Sauer, die aus Frankreich kommt, suchten wir nach Feldsalat. Wir Kinder – das wäre heute undenkbar, bei uns.
Das war damals, als Hunger bei uns kein Fremdwort war!
Satt wurde da nur der Bauer, und mit dem Teilen... na ja.

Für das Kind eines Beamten fiel da wenig ab, denn die Meinung herrschte auch damals schon vor, dass Beamte Faulenzer seien. Eine Beamtenfamilie, dazu noch eine Ortsfremde, die war, mit nur ganz wenigen Ausnahmen, nicht gerne gesehen in diesem Örtchen im Pfälzer Wald.

Dass mein Vater noch immer in Gefangenschaft war, interessierte dort keinen.

In der Schule gab es in dieser Zeit Schulspeisung, eine
Spende der Quäkern aus den USA.
Es gab Kakao, Erbsensuppe, Nudeln, Milch und ab und an mal ein kleines Täfelchen Schokolade.
Die Milch war zwar oft angebrannt, doch wir haben sie trotzdem getrunken, denn das war immerhin besser als einen hungrigen Bauch zu haben.

Unsere Kleider wurden aus alten Übergardinen geschneidert, Mäntel und Hosen aus grauen Wolldecken, wenn man denn welche besaß.
Nicht wenige von uns hatten statt Socken nur Lappen um die kleinen Füße, die damals in Holzschuhen steckten, ähnlich denen der Niederländer, denn Wolle zum Stricken von Socken, gab es ja nicht.

Wann dann das erste Auto in unser Dorf kam, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur - es war ein kleiner, grüner Lastkraftwagen mit einem Holzvergaser - daran kann ich mich noch genau erinnern.
Das Auto machte einen fürchterlichen Krach und stank erbärmlich, doch wir waren glücklich. Der Gestank störte damals nicht, ein Auto im Ort zu haben, das war schon was.

Wenn ich heute zurückblicke, kann ich es mir kaum vorstellen das alles erlebt zu haben. Aber noch viel weniger können es meine Kinder.

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Kommentare (5)

agleh Ihr Lieben, für Eure Kommentare.
Ja, das waren eben ganz andere Zeiten, die man sich
heute nicht mehr vorstellen kann.

Lieben Gruß
agleh
evelyn52 Vieles von dem, was hier zu lesen ist, kenne ich aus Erzählungen meiner Mutter, die nach dem Krieg als 15-Jährige klarkommen musste. Sie lebte in Dresden und versuchte mit Mutter und jüngerer Schwester in ländlichen Bereichen außerhalb Dresdens bei Bauern etwas zu ergattern. Oder zu "maggeln" - so hieß das Tauschen auf sächsisch. Ich glaube, Leute, die in den schwierigen Zeiten damals zurecht kamen, konnte anschließend nicht mehr viel erschüttern.

Liebe Grüße von Karin E. Bell
comeback Eine sehr interessante Geschichte, die der Wahrheit entspricht.
Ich habe sie zwar nicht miterlebt, ich habe mir noch etwas Zeit gelassen mit der Geburt, aber vom Hörensagen meiner Eltern und Großeltern weiß ich das.
Man kann sich das niemals vorstellen heute, schon gar nicht unsre Kinder und Enkeln.

Ein Leben, das anders aussieht als die jetzige Gegenwart.

Liebe Grüße
Annemarie
Syrdal
Beim Lesen Deiner Nachkriegserzählung sah ich mich in meine eigenen Kindheitserlebnisse zurück versetzt, haben wir mit Glück überlebenden Kriegskinder die "schweren Jahre" doch zumeist alle so oder ähnlich erlebt. Und ja, Hunger war damals der wohl am meisten umherirrende Begriff. Auch an die Nudeln der Schulspeisung (ohne alles) erinnere ich mich noch sehr gut. Es war ein undefinierbarer Pamps, den wir aber bis zum letzten Löffel aufgegessen haben. Nur der Begriff "FUGGERN" war in Thüringen nicht geläufig, bei uns hieß das "organisieren". Doch alles andere war bei uns gleich, das Holzsammeln, die Bucheckern, die Beeren des Waldes, die Tiere im Stall und das Sammeln des Feldsalats (Rapunzel) im Frühjahr und im Herbst. Selbst der von Dir beschriebene Holzvergaser mit dem seitlichen Ofen (wie von einer alten Badewanne) und dem qualmenden Schlot oben auf ist auch mir noch in bildhafter Erinnerung. - Diese Zeiten haben uns fürs Leben geprägt. Vielleicht sind wir aufgrund dieser gravierenden Noterfahrung lebenslang in dankbarer Demut bescheiden geblieben.
Deine Schilderungen haben mich heute sehr still und nachdenklich gemacht, vor allem auch, wenn ich dabei bedenke, wohin sich unsere Welt gegenwärtig bewegt.
Es grüßt
Syrdal

christl1953 Wir lebten zwar auch nicht im Luxus aber mit vielen Geschwistern aber unser Vater war bei einem Großbauern als Melker und so hatten wir Butter und Käse und manchmal auch etwas Fleisch und wir hatten zwar ein recht primitives altes Holzhaus wo man zwischen den Balken nach draußen sehen konnte ,aber wir konnte selbst Hühner und Hasen halten und manchmal sogar ein Schwein.
Wir hatten wohl auch wenig Ahnung davon was woanders los war,weil wir ja nirgendswo hin gekommen sind aus unserem kleinen Dorf.Es tun mir alle Kinder oder sowieso Menschen leid die so harte Zeiten hatten.christl

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