der Neger-Kuss oder Mohrenkopf


es fielen keine Bomben mehr vom Himmel, man wartete auf das Neue, das Unbekannte. Aus dem Volksempfänger vom Deutschlandfunk überschlugen sich die Meldungen, wo stand der Russe und wo der Ami? "die Russen haben Berlin besetzt..." oje, dann sind sie auch bald bei uns. Wir saßen zwischen den Fronten und unsere Stoßgebete richteten sich an die Amis. Lauft, lauft, wir wollen keine Russen hier haben. Und eines Tages, ganz früh, hörten wir Panzer auf unserer schönen Asphaltstraße quietschend und dröhnend rollen...........sofort die weißen Bettlaken aus dem Fenster raus, die Hakenkreuzffahne verschwand im Ofen..........noch irgendwo ein Bild oder Utensiel? Ich rannte aufs Klo, dort hing ein Bild des "allmächtigen Führers", ich riß es runter, puhlte feinsäuberlich das Foto raus und zerstückelte es und schmiß es in das Plumpsklo und setzte den Deckel drauf. Das war geschafft. Stolz kam ich mit dem leeren Rahmen zurück, das sah aber keiner, das der leer war. Meine Mutti wurde ganz blaß, Tante M. stürzte auf mich zu und riß mir den leeren Rahmen aus der Hand. Sie schmiß den Rahmen weg, nahm mich auf den Arm und fragte nach dem Bild. "Das habe ich zerrisen, ins Klo geschmissen und drauf gekackt". Ich staunte nur, daß sie sich vor Lachen förmlich kugelten. Jahre später hörte ich noch immer diese Worte, wenn es ein Problem zu lösen gab. Aber zu den Panzern: die fuhren in langen Schlangen an den Häusern vorbei, es waren die Amerikaner, sie saßen auf den Panzern und winkten und wir winkten zurück. Sie quartierten sich westlich vor "unserer" Mulde ein und bezogen Stellung in dem Wäldchen, genau dort, wo unser allerliebster Schlittschuh-Teich war. Aber das machte erstmal nichts, Hauptsache sie machten keinen Ärger und in der Nacht herrschte Ruhe. Tagsüber liefen sie Patrouille und kamen auch an unseren Häusern vorbei, aber alles friedlich. Ich durfte nicht auf die Straße und hing somit am Gartenzaun rum. Sie liefen zu dritt und schauten und auf einmal kam ein "Sarrotti-Mohr" auf mich zu, nahm meine Hand, die durch den Staketenzaun baumelte und gab mir einen Handkuß, ganz zart und liebevoll. Ich schaute auf meine Hand, nein sie war nicht schwarz, der färbt nicht ab. Er fummelte in seiner Tasche rum und hielt mir Schololade hin, die ich nahm. Ich winkte ihm zu und rannte wie von Teufeln getrieben ins Haus zu meiner Mutter. Zeigte ihr dieses Eroberungsstück, sie packte es aus und steckte mir ein Stückchen in den Mund. Mein erstes Stück Schokolade. Jetzt wußte ich, was mir Omi immer für Geschichten über den Sarrotti-Mohr erzählte. Bislang war es eine Figur wie im Märchen, aber jetzt wußte ich, es gibt ihn. Auf die Straße durfte ich trotzden nicht, aber jeden Tag kam mein Mohrchen vorbei und brachte Milchpulver, Zigaretten, Kekse und Kaffee. Und jedesmal gab er mir ein Küßchen auf die Hand und streichelte mir über den Kopf. Ich hatte meinen eigenen lebendigen Sarrotti-Mohr gefunden. Leider dauerte es nicht lange und die Russen lagen am gegenüberliegenden Muldeufer und ballerten wie verrückt auf unsere Seite. Man sah die Mündungsfeuer blitzen und das Versteckspiel ging wieder los. Im Garten wurde eine große, tiefe Grube ausgehoben und alle Wertgegenstände, wie Porzellan, Silber und dergleichen, aus der Wohnung wurden in gewachsten Papier verpackt und in dieser Grube vergraben. Meine Puppen habe ich dort auch vergraben: den Seppel, die Marlies, die Marianne, die Antje und den Klaus. Ich war erschüttert und heulte wie ein Schloßhund. Die kriegen keine Luft, die kriegen keine Luft. Mein Opa besorgte mir eine Stoffpuppe mit Plastikgesicht und die mußte jetzt stellvertretend für alle herhalten. Sie blieb keinen Augenblick ohne meine Nähe, sie war angeschweißt.
Eines Tages hörten wir Gekröle auf der Straße---normale Reaktion-- Türen zu, Jalousien runter, Schrank vor die Haustür und ab in den Bunker im Keller. Tante M.'s Schrei hatte sich bewahrheitet. Die Russen waren da. Alle Häuser lagen brach und tot in der Siedlung rum. Kein Mensch zeigte sich............
Es trommelte und klopfte an den Haustüren und dort wo sie eindringen konnten, herrschte anschließend Verwüstung. Sie waren begeistert von Tassen und Untertassen, kippten ihren Wodka rein und balancierten dieses "Gedeck" zu ihren Panje-Wagen, knallten mit der Peitsche, droschen auf die Pferde ein und jede Eiche war eine Zielscheibe für Tasse und Untertasse.
Die Annäherung an dieses Volk war sehr zögerlich und als ein Russe von einem Kameraden erschossen wurde, wurde es disziplinierter. Das "Fußvolk" mußte im Lager bleiben, allmählich sah man nur noch Offiziere. Wir trauten uns auch wieder auf die Straße um an Eßwaren zu gelangen. Wir trauerten unseren Amerikanern nach, viel zu kurz war die Zeit. Und dann waren auch die Russen aus ihrer Belagerungsstellung weg und sortierten sich in den ehemaligen Kasernen der Wehrmacht ein. Es kam eine gewisse Ordnung ins Programm, aber sie blieben und blieben und blieben. Wir Kinder schlichen nach wie vor durch die Gärten in die Parallel-Straße zur Milchfrau und holten "Milchpansche". Aber, es kehrte Ruhe ein.
Eine verdammte Ruhe ohne Essen, außer dem, was in unseren Einweckgläsern im Keller schlummerte und jeden Tag weniger wurde.
Die Sektorengrenzen hielten, was sie versprachen................
der nächste Teil
Finchen

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Kommentare (7)

Traute Dank für den link, sehr interessant, hatte wirklich keinen Schimmer von den Zusammenhängen.
Mit freundlichen Grüßen,
Traute
olivenzweig http://www.uni-protokolle.de/Lexikon/Neger.html

olivenzweig
omasigi von Dir gelesen liebes Finchen,
Du hast das noch alles so lebhaft in Deiner Erinnerung
und erzaehlst es als wenn es eben gewesen waere.
Hast Du schon mal daran gedacht darueber ein Buechlein zu
schreiben?

Wir sagten als Kinder Mohrenkopf und irgenwann kam Negerkuss
auf. Das ich damit jemand diskriminieren koennte waere ich nie gekommen.

Hier kann man solche Dinger nicht kaufen warum weis ich nicht.
Werde mir die neue Formulierung merken fuer den naechsten Aufenthalt in
Deutschland. Vielleicht haben meine Enkel dort appetit drauf.

Freue mich schon auf weitere Geschichtchen liebes Finchen.
gruesse
omasigi
Traute Ach ja, das waren Zeiten. Als ich dann ab 1948 in Hagenow war, durften wir zu einem runden Gebäckstück mit halb Zuckerguss und halb Schokoseite nicht mehr Amerikaner sagen, sie hießen irgendwann Ammonplätzchen.Sicher nicht aus Respekt, eher das Gegenteil, war die Ursache der Umtaufe.
Wir sangen als Kinder das Lied von den 9 kleinen Negerlein ... dann waren es nur noch acht...Es war ein Kinderlied und niemand sah es damals als Diskriminierung an.Was war geschehen, das plötzlich die Bedeutung kippte? Ich weiß es nicht.
Eine Zeit liebe Finchen, da wollen wir sehr hoffen, dass unser Enkel so etwas weder verursachen noch erleben müssen.
In Hagenow waren auch erst die Amis, sagte mir meine Stiefmutter und sie kamen mit schnellen Jeeps. Später hatte man in Potsdam die neue Grenzziehung ausgehandelt und gegen die "Hälfte" von Berlin, gaben die Amerikaner eine Linie zurück nach Westen, her.
Da es beider Interessen entgegenkam, waren sie sich friedlich einig geworden, ein Glück für einige und ein Systemwechsel für andere.
Ganz herzlichen Dank für die Rückerinnerung,manche Sachen sollte man nicht ganz vergessen,
Liebe Grüße,
Traute

anjeli Wo war denn der Respekt oder das Feingefühl in den 50ziger Jahren.
War er nur abhanden gekommen - oder war er bei den Menschen nicht vorhanden.

Ich habe auch vor einiger Zeit einen Fersehfilm gesehen mit Veronika Ferres mit dem Titel
Neger, Neger, Schornsteinfeger. Ich kann mich nicht erinnern, dass der Titel zur
Diskussion stand.

anjeli
olivenzweig ...es geht letztlich nicht darum ob man etwas sagen darf oder nicht.
Es geht um Respekt und Feingefuehl unseren Mitmenschen gegenueber.

olivenzweig
anjeli du warst noch so klein , doch deine Erinnerung ist noch so lebendig. Deine erste Schoko-
lade hat wunderbar geschmeckt und ich spüre die Angst vor den Russen. Ich kenne viele
ältere Menschen, die vertrieben wurden. Sie haben teilweise immer noch Angst vor den
Russen.

Ich esse gern Negerküsse oder Mohrenköpfe. Manchmal gehe ich zum Bäcker und hole mir
einen oder auch zwei. Sie heissen jetzt Schaumküsse, ich darf nicht mehr Negerküsse sagen. Jedesmal, wenn ich sage, dass ich gerne einen Negerkuss hätte, dann werde ich
belehrt, dass man dass nicht sagen darf, weil es eine Beleidigung ist.

anjeli

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