Nicht immer gibt es Streitereien zwischen den jungen Leuten vom Oberdarfl und Niederdarfl.
Das hatte seinen guten Grund in der Tradition, biblischen Persönlichkeiten die entsprechenden Ehren zu erweisen.
Schon die Großväter und die Großmütter ihrer Großväter und Großmütter pflegten in der Jugendzeit gewissenhaft den alten Brauch, den Ehrentag von Johannes den Täufer, den 24. Juni, würdig zu begehen.
An diesem Abend sind sie die
Feuerspringer.
Mit Sonnenuntergang soll der schon seit Tagen vorbereitete und sorgfältig aufgebaute Scheiterhaufen auf der Binsdorfer Höhe gezündet werden. Dann können die schon größeren Jungen ihren Auserwählten, ihren Katen, zeigen, was sie so drauf haben.
Im Dorf herrscht deshalb Burgfrieden. Jeder Streit wird beiseite gelegt.
So buckeln sie einig und gemeinsam, wie nie zuvor, auch mit "Schiebuck und Rowich" das nötige Brennmaterial, siebenerlei Holz und streng nach den Überlieferungen, auf die Binsdorfer Höhe. Fast eine Woche lang.
Jedes Dorf in der Umgebung hat dafür seine Höhe: Die Jugend aus Rosendorf ihren Rosenberg, die Arnsdorfer auf dem Arnsberg.
Abends, wenn die Sonne untergeht, ist es so weit. Der Holzstapel wird im Beisein der gesamten Dorfjugend gezündet um eine Hexe aus Stroh auf diesem Scheiterhaufen zu verbrennen.
Um das ganze tanzen und singen sie, die jungen Leute Hand in Hand, so lange, bis das Feuer nieder brennt.
Wenn der Scheiterhaufen hoch aufflammend in sich zusammenfällt, wird es Zeit, zum romantischen Teil des Abends überzugehen.
Es gilt, nach altem Brauch,. mit der Herzallerliebsten mutig über die noch Funken sprühende Glut zu springen. Ist es gelungen, darf der Bursch' seine Auserwählte abküssen, so lange der Atem hält. "Soll wunderbar sein", erzählen sie hinterher.
Auch Löslschneiders Älteste, die Gustl, darf heute mit ihren Schwestern nicht fehlen. Sie selbst läßt keine Gelegenheit zum Feuersprung aus. Den neuen Wollrock hoch geschürzt, Anlauf genommen und schwuppdiwupp landet Gustl mit ihrem Begleiter jenseits des knisternden, im Abendwind immer wieder aufflackernden Holzfeuers.
Noch toller wird gesprungen.
Die hübsche Gustl kann sich vor Angeboten kaum retten, jeder Junge möchte mit ihr. Aber, es geht ja ums Küssen.
So wundert es nicht daß in diesem Jahr Neumanns Jouseff aus dem Niederdarfl der Eifrigste dabei ist, seine Gustl sicher über das Feuer zu bringen und auch sonst gut aufpaßt. Dafür nimmt er sich ausgiebig Zeit, jedes mal den ihm zustehenden Lohn zu kassieren.
Gustls Wangen glühen vor Begeisterung, so, wie die Holzscheite im abendlichen Johannisfeuer.
Etwas anderes glüht auch noch. Doch davon merkt die Gustl Stelzig nichts: Der neue, hausgesponnene und selbst gestrickte Wollrock, vorwitzig wie er ist, hat ganz zufällig einige flinke Funken erwischt. Nun glimmt er, Masche für Masche, wie eine Zündschnur am Puverfaß.
Wo?
Na, an der hinteren Hälfte. Höher und höher glimmt die brenzlige Sache.
Der Gustl fängt es an zu zwicken.
Immer wieder.
So haut sie geistesgegenwärtig den ahnungslosen Jouseff nach ausgiebigen Feuerspringen kräftig eins auf die Finger, in der sicheren Annahme, er sei der Frechdachs des Abends. Den Neumannjouseff stört das aber nicht im Geringsten.
Im Gegenteil.
Noch einmal wird kräftig und lang ausholend Anlauf genommen. Weit und hoch reißt er seine Gustl über das Feuer. Im hohen Bogen landen beide fast außer Atem auf der dunklen Seite im Gras. Jouseff hält sie fest im Arm, läßt nicht los. In diesem Moment zwickt es der Gustl ganz arg am Hinterteil.
"Jessesmaria", schreit erschrocken die Gute. "Seechoumsn!"
Sie springt auf, um sich die vermuteten Ameisen aus dem Rock zu klopfen.
Aber, da ist nichts mehr, was zum Klopfen wäre. Einem türkischen Halbmond gleichend, fehlt das rüchwärtige Teil des guten neuen Stückes. Einfach weg, von der glimmenden Glut verzehrt.
Der Gustl bleibt vor Schreck die Spucke weg. Jouseff aber überprüft schmunzelnd den heißen Wollrockrand und drückt schnell noch glimmende Wollfasern aus.
Interessant anzusehen für die Anwesenden, wo so die bunten Strumpfbänder gewissenhaft ihre Pflicht erfüllen und wie das dann so weiter geht. Man sieht es den Jungen an, manch einer würde zu gern so ein Strumpfbandl sein. Aber der Jouseff aus dem Niederdarfl paßt auf wie nie zuvor.
Gustls Gesichtsfarbe überstrahlt jetzt vor Erschrecken über das fehlende Wollstück noch die Glut des niederbrennenden Feuers.
Sie springt auf, rennt weit in die Dunkelheit der Johannisnacht.
Zu zweit verdrücken sich dann die jungen Leute im Dunkeln, um auch den anderen Teil dieses alten Brauches zu erfüllen: Es heißt, "wohl denen, die hundert Feuer gesehen haben!"
Doch das Feuerzählen ist sehr anstrengend. Viele sind sicherlich nicht über eins und zwei, nämlich Du und Ich, hinaus gekommen.
Der Jouseff hat seine Gustl auch in die Nacht geführt und gewiß begonnen, mit ihr sorgfältig die Johannisfeuer zu zählen.
*
Nur im Schatten ist es dunkel. Dazu leuchten den Pärchen tanzenden Glühwürmchen gleich, auf den Bergen ringsum die Scheiterhaufen.
Vom Rosenberg bis zum fernen Jeschken begrüßt sich die Jugend vom Zappenlande und weiter ohne Worte.
Es sind ihre Berge, ihre Fackeln der Freude.
Zeitzeugen wußten zu berichten, daß der Jouseff aus dem Binsdorfer Niederdorf mit seiner Gustl aus dem Oberdorf damals auf diese wunderbare Weise den Bund für ihr ganzes Leben beschlossen und auch gehalten haben.
Sie ruhen nun schon Jahre in der fremden Heimat, in Hessischer Erde und haben den Wunsch, in ihre alte Heimat zurück zu kehren, nie aufgegeben.


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